Ich habe einen Traum. Ich träume davon, dass man in Deutschland mehr über Werner Heisenberg und weniger über Martin Heidegger spricht, die beide bis 1976 gelebt haben. Heisenberg statt Heidegger – Lebensfreude statt Seinsvergessenheit, wissenschaftliche Kreativität statt ontologischer Grübelei – das wäre ein Riesenfortschritt für Kultur und Bildung im Land der Dichter und Denker, was Journalisten auch gerne als Quantensprung bezeichnen, ohne dass die Heidegger-Adepten wüssten, was damit gemeint ist.  Der Schritt vom philosophischen Dunkel zur physikalischen Klarheit unterbleibt im Feuilleton, solange dort weiter dem Satz von Heidegger nachgedacht wird, “Die Wissenschaft denkt nicht”. Der Antisemit aus den Schwarzwald versteht nicht, was in Heisenberg denkt und vorgeht, wenn sich sein Sinnen den Atomen zuwendet und die Quantensprünge als Seinsgrundlage der Materie erfasst werden. Sie machen die kleinste Änderung nahe am Nichts aus, ohne es selbst zu sein, und geben dadurch den Dingen die Möglichkeiten, zu denen auch wir selbst gehören. Wer verstehen will, was Heidegger verstehen zu wollen vorgibt – Sein und Zeit -, sollte Quantensprünge verstehen, die sich als Produkt aus Energie (Sein) und Zeit zeigen. Also – Heisenberg statt Heidegger. Dann würde die deutsche Kultur wieder das Vergnügen, das sie vor dem Grübeln war. Ich halte an diesem Traum fest.

Kommentare (9)

  1. #1 threepoints...
    Dezember 29, 2013

    Oh, da hat noch jemand einen Traum. Wie schön. So, wie in der Zeit (Magazin?) gelegentlich welche einen haben.

    Und das in einem Land, wo jemand mal erklärt hat, dass der, der Visionen hat, zum Arzt gehen solle.

    Richtig ist aber, dass die Wissenschaft nicht denkt. Das tut der Mensch – idealerweise auch in einem Kollektiv (Wissenschaftsbetrieb etwa).
    Sie verstehen wohl auch, dass zum Verständnis innerhalb einer Kulturgemeinschaft (ersatzweise auch Nation) ein Grenzwert überschritten sein muß, dass man allgemeines Verständnis erwarten kann? Das war immer schon die große Hürde und Kunst der Hochkulturen. Denn was der Bauer nicht kennt …
    Dass die Dinge zusammengedacht sein müssen, ist eine Wahrheit. Das es strategisch einen Sinn macht, eine Perspektive einzunehmen, eine andere.
    Sie wollen aber doch jetzt nicht die Arbeitsteilung kritisieren?

  2. #2 threepoints...
    Dezember 29, 2013

    Es macht trotz ihres Traumes Sinn, Heidegger lesen zu empfehlen. Meist nämlich nicht das Ziel sei, Heideggers “Ziel” zu verstehen, sondern auf dem Weg zu verstehen, was zu verstehen ist – in der Gegenwart.
    Ansonsten Heisenberg sicher eine Art Pflichtlektüre sei.

  3. #3 Michel
    Dezember 29, 2013

    Mich hätte vielmehr interessiert, was Heidegger zu seinem Enthusiasmus für das Hitlerregime zu schreiben und zu sagen gehabt hätte. Aber da war nur Schreib- und Denkblockade?

  4. #4 Dr. Webbaer
    Dezember 29, 2013

    “Die Wissenschaft denkt nicht”. Der Antisemit aus den Schwarzwald (…)

    Wirklich übel, in der Tat.

    Guten Rutsch und so noch und alles Beste für das Nächste,
    MFG
    Dr. W

  5. #5 Reinhard Burger
    Dezember 29, 2013

    Ich fürchte der Anteil derer, die in Deutschland über Heidegger und/oder Heisenberg nachdenken ist vernachlässigbar. Da hat Josephine Witt sicher deutlich mehr “Nachdenker”. Von anderen Themen ganz zu schweigen.

  6. #6 Joseph Kuhn
    Januar 4, 2014

    Manchmal sind Träume auch etwas wirr, Herr Fischer. Warum Heisenberg statt Heidegger, zumal die beiden auch miteinander im Dialog waren? Geht es in der Wissenschaft nicht auch darum, “was die Welt im Innersten zusammenhält”, also um “ontologische Grübelei”? Und was versteht man an der Sache besser, wenn man hier mit dem “Antisemiten” Heidegger argumentiert? Ob Heidegger, der anfangs dem Nationalsozialismus in der Tat enthusiastisch gefolgt ist, damit überhaupt richtig charakterisiert ist? Und war denn, wenn man eben daran einen relevanten Unterschied der beiden H.s festmachen will, Heisenbergs Verhältnis zum Nationalsozialismus (Stichwort Himmler) so ganz frei von kritischen Punkten? Schließlich noch die Sache mit dem “Quantensprung”: Natürlich kann man sich darüber lustig machen, dass Quantensprünge in der Alltagssprache als grundlegende Änderungen gelten, obwohl es doch physikalisch gesehen so kleine Änderungen sind. Aber genauso steckt in dem Begriff auch der plötzliche (fundamentale?) Übergang zu einem neuen Zustand – man könnte damit also auch weniger herablassend umgehen.

  7. #7 vännon
    Januar 20, 2014

    // Der Schritt vom philosophischen Dunkel zur physikalischen Klarheit //

    So etwa wie: Den Schlüssel den man im Keller verloren hat, auf der Terrasse zu suchen weil es dort heller ist?

    Träum weiter….

  8. #8 Angelika Wittig
    Berlin
    Februar 8, 2014

    Ihr Traum ist ein guter Traum und aller Aufmerksamkeit würdig.
    Ihr Artikel hat mich dazu gebracht, noch einmal Heisenbergs Buch “Der Teil und das Ganze” zu lesen und ich erkenne, wie wenig ich als junger Mensch zwischen den Zeilen gelesen habe, auf gut deutsch: Ich hatte überhaupt nichts verstanden.
    Heute kann ich erkennen, wie Heisenberg gedacht und gearbeitet hat und ich schätze seine Klugheit ebenso wie seine Fähigkeit, die Schönheit in der Natur wahrzunehmen.
    Hier hat er eine Vorbildfunktion.
    Dass er vermutlich auch Fehler gemacht hat, wie alle menschlichen Wesen, sollte nicht dazu verleiten, seine Arbeitsergebnisse und deren Nutzen für die Menschheit abzuwerten.
    Ich wünsche mir, dass Ihr Traum in der Realität ankommt.

  9. #9 Joseph Kuhn
    Mai 10, 2014

    Mein Kommentar oben ist in einem Punkt hinfällig: Nach den kürzlich veröffentlichten “Schwarzen Heften” haben Sie Heidegger zurecht als “Antisemiten” charakterisiert.