In der öffentlichen Rede und Schreibe tauchen immer wieder Sätze auf, die etwas Besonders auszudrücken scheinen und den Menschen etwas verständlich machen wollen. Dazu gehört zum Beispiel der Satz des omnipräsenten Bordellbesuchers Theodor W. Adorno, der da lautet, “Es gibt kein richtiges Leben im falschen.” Die Kulturexperten, die uns diesen Satz um die Ohren hauen, wollen sagen, dass man kein Spießbürger in revolutionären Zeiten sein kann. Sie sind es zwar selbst, aber Philosophen sind von jeher als Wegweiser aufgetreten, die den Weg nicht gehen, den sie weisen.

Ich will diese Überlegungen nicht weiter treiben, möchte aber sagen, dass Adornos Satz Unsinn ist, und zwar großer und gemeiner Unsinn, und lernen kann man das bei der Lektüre des Buches “Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst”, das Niels Birbaumer zusammen mit Jörg Zittlau geschrieben hat. Die Autoren können nachweisen, dass man selbst als Schwergelähmter ein lebenswertes Leben führen kann, wenn man sich auf seinen Zustand einlässt. Es gibt ein innerlich lebenswert empfundenes Leben im von außen lebensunwert wirkenden Dasein. Es gibt das richtige Leben im falschen Körper, und ich finde das wunderbar.

Kommentare (6)

  1. #1 demolog
    Mai 22, 2014

    Das ist ja nicht ” das richtige Leben im falschen Körper”, sondern das Leben im einzigen Körper, der und das dem Betroffenem (schlicht jeder ist betroffen) verfügbar ist.
    Wie die das nachweisen, wird mir solange unkalr bleiben, bis ich den “Nachweis” gelesen habe (und hoffentlich verstanden). Aber ich kann mir auch Literatur über Traumatisierung und deren Therapie zu Gemüte ziehen, um das Problem des “gelähmten” Körpers und des betroffenen Umgang damit zu verstehen. Es ist und bleibt aber eine Tragödie, die zum Wundern zwingt. Das Leben “weiter, als ob nicht sgewesen” anstatt “weiter, wie bisher” ist mir wahrscheinlich trotzdem eine lebenslange dissonante Plage. Aber die Heilung davon ergibt ja gleich eine neue Traumatisierung, über die man dann klagen kann.

  2. #2 Dr. Webbaer
    Mai 22, 2014

    Der Neomarxismus [1] ist natürlich zurückzuweisen, als Blödheit und als schädlich, es wäre aber vielleicht besser gewesen Minder-, Mangel-, Fehl-, Null- und Minusleistungen jener Bauart zeitnah zurückzuweisen. [2]
    Nun ist es ein wenig spät, wenn selbst der hiesige “Schornstein” diesbezüglich weitgehend ungestört verlautbaren kann.

    MFG
    Dr. W

    [1] “Frankfurter Schule”, Maoisten und so…
    [2] Sie hatten früher die Möglichkeit.

  3. #3 aargks
    https://aargks.wordpress.com/
    Mai 22, 2014

    Die Kulturexperten, die uns diesen Satz um die Ohren hauen, wollen sagen, dass man kein Spießbürger in revolutionären Zeiten sein kann.

    Welche Kulturexperten behaupten das wo? Im Übrigen: Sie können Spießbürger in allen Zeiten sein, auch in revolutionären. Man kann nur – und das sagt der Satz – als Spießbürger lebend hinterher nicht behaupten, ein Revolutionär gewesen zu sein.

    Ich will diese Überlegungen nicht weiter treiben

    Das ist schade, dass Sie den Leser so alleine lassen. Warum nicht etwas ausführlicher?

    Es gibt ein innerlich lebenswert empfundenes Leben im von außen lebensunwert wirkenden Dasein.

    Weia, wer sieht denn einen Gelähmten als “lebensunwert”? Adornos Satz sagt doch rein gar nichts über konkrete Lebensumstände (nach dem Motto: es gibt keine richtige Wurst in meinem falschen Kühlschrank oder so). Es geht dabei doch darum, dass man innerhalb eines z.B. verlogenen Systems (“falsches Leben”), bei dem man voll mitmacht, nicht hinterher behaupten kann, es währenddessen schon immer besser gewusst zu haben (“richtiges Leben”).

    Ich glaube, einer von uns beiden hat da fundamental etwas falsch verstanden an Adornos Satz. Ich weiß auch nicht, ob die Verknüpfung mit Bieraumers Buch glücklich gewählt ist. (Ich gehe aber erstmal noch nicht soweit, Ihren Artikel “Unsinn-1” als Unsinn zu bezeichnen).

  4. #4 DH
    Mai 23, 2014

    Vielleicht meint Adorno den Satz gar nicht so gnadenlos .

    Mit Behinderung hat er sowieso nichts zu tun , viel mehr hingegen mit System-Diskussionen , die in Teilen der Linken immer schon eine große Rolle gespielt haben.

    Wenn man ihn vor diesem Hintergrund betrachtet , könnte er einfach nur heißen , daß der Systemkritiker gar keine Chance hat , in einem falschen System das richtige Leben zu führen.

  5. #5 Angelika Wittig
    Berlin
    Mai 26, 2014

    Wenn der Satz so interpretiert wird, stimme ich überein, es handelt sich um Unsinn.
    Vielleicht gibt es aber auch noch eine andere Interpretation?
    Für diese müßte aber eventuell ein Hermann Hesse zitiert werden, der in seinen Werken versucht hat, herauszufinden, was das richtige Leben ist, und es auch nicht ganz geschafft hat.(Demian, Steppenwolf)
    Ein falsches Leben im richtigen kann auch geführt werden, weil aus Liebe und Verantwortungsbewusstsein Kompromisse gemacht werden, weil man da sein will, wo man gebraucht wird, oder Geld verdienen muss.
    Wer z.B. in in einem Beruf arbeitet, der keine Freude und kein Wachstum bringt., weiß ganz genau, wie sich ein falsches Leben im richtigen anfühlt, aber er verdrängt es, um zu überleben.
    Was es heißt, ein falsches Leben im richtigen zu führen, können vielleicht Menschen beschreiben, die Kompromisse gegen ihre innere Überzeugung machen müssen.
    Diese Kompromisse führen dazu, dass man einen Teil seiner Lebenskraft verliert, deshalb ist es ein falsches Leben im richtigen. Der Gedanke, dass ein Kompromiss irgendwann nicht mehr ausreicht, wird einfach verdrängt.
    Man könnte es aber auch ganz naturwissenschaftlich ausdrücken:
    Jedes System verfügt über potenzielle Energie, die zu maximal 50% in kinetische Energie umgewandelt werden kann. Indem Wege zurücklegt werden, d.h. Bewegung entsteht.
    Von der Wahl dieser Wege hängt es ab, wie viel potenzielle Energie umgewandelt wird.
    Es gibt keine falsche oder richtige Wahl – nur weniger oder mehr Lebenskraft, je nach dem Verhältnis potenzieller zu kinetischer Energie.
    Ein falsches Leben gibt es somit nicht, es gibt nur die Wahl zwischen dem Mitlaufen auf einer Trägheitsbahn oder dem Abweichen vin dieser.

  6. #6 Stefan W.
    https://demystifikation.wordpress.com/
    Mai 27, 2014

    Danke, Angelika Wittig, Adorno gegen derartige Interpretationen in Schutz genommen zu haben.