Manchmal muss oder kann man Zeitungen dankbar sein. Mir geht es so mit der Ausgabe der FAZ vom 1.April, die sich im Bereich “Menschen und Wirtschaft” den Scherz erlaubt, aus Bewertungen zu zitieren, in denen sich kleine Leute über große Literatur äußern und dabei das tun, was sonst nur große Kritiker wagen, nämlich sich über Franz Kafka und Thomas Mann zu beklagen. Heute kann jeder seine Meinung in einem Bewertungsportal unterbringen, und da im Bereich der Information Wissen und Meinen nicht zu unterscheiden sind, muss man als Leser aufpassen, nicht in die falsche Richtung gelenkt zu werden. Nichtsdestoweniger gibt es einige Bewertungen – Kritiken -, die mir so gut gefallen haben, das ich sie hier notiere.

Eine Sozialpädagogin warnt zum Beispiel vor dem “Struwelpeter”, den sie als völlig veraltet ansieht, was die Dame eher noch älter aussehen lässt. Ein Amazon Kunde ist von Shakespeares Werken enttäuscht, da in den Dramen nicht beschrieben wird und nur Dialoge geführt werden. Brechts “Mutter Courage” wird als “langweiligste Schullektüre, die ich je gelesen habe” bewertet, wobei ich gerne zugebe, mich mit dem Text nie angefreundet zu haben und selbst im Theater nur Langeweile empfunden haben. Goethes “Faust” hat mir auf der Schule dafür gefallen, und so sieht es auch ein Bewerter von heute, der in dem Drama alles findet: “Liebe, Sex, Tod, Gewalt, Himmel, Hölle”. Mit anderen Worten: “Ein Muss für jeden Goethe-Fan”. Als “Pflichtlektüre für jeden Deutschen” wird die “Unterwerfung” von Houellebecq bezeichnet, damit sie lesen, wohin “falsche Politik führt”. Den Bewerter ärgert, dass uns das ein Ausländer sagen musste. Und so weiter, und so fort. Schließen will ich mit einer Betrachtung der Bibel, deren bewertende Leser zum einen meinen, dass sich in den Buch Ratschläge für das Leben finden lassen, die dem Buch aber auch Längen ankreiden und zugeben, lieber den Film gesehen zu haben.

Brecht hat einmal gesagt, dass man Texte dadurch entschärft, dass sie zu Klassikern werden. Immerhin verschwinden sie nicht im endlosen Datenstrom des Internets. Sie regen immer noch an und manche sogar auf. Weiterlesen und bewerten. Bitte.

Kommentare (5)

  1. #1 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2016/04/01/april-april/
    April 3, 2016

    “Volkes Stimme”, ein Aufsatz aus dem Spätwerk Ernst Peter Fischers, ist kurz und knapp, kommt schnell zum Punkt aber entbehrt jeder sprachlichen Brillanz. In der Vertonung der Wildecker Herzbuben hat er über die Landesgrenzen hinaus Beachtung gefunden.

  2. #2 uwej
    April 3, 2016

    “Eine Sozialpädagogin warnt zum Beispiel vor dem “Struwelpeter”, den sie als völlig veraltet ansieht, was die Dame eher noch älter aussehen lässt.”

    Mag sehr zutreffend sein. Aber warum immer mit Überheblichkeit anstatt mit nüchtern analytischer Gegenrede darauf reagieren? Mir drängt sich nicht gerade der Eindruck auf, daß die meisten Autoren hier so substantiell belesen seien, um sich über die objektiv vorhandene Unbelesenheit anderer zu amüsieren.

  3. #3 Gerhard
    Ja
    April 3, 2016

    Sozialpädagogen warnen vor “allen und jedem”.
    Aber was das mit “dem Lesen” zu tun hat?
    Sind nicht die größten Verbrecher die, die sich
    “Intellektuell” auf die Mütze geschrieben haben?
    Lesen soll vergnügen bereiten und nicht in “Litaraturleser” und “…andere” kategorisiert werden.
    Wer Bücher liest, der lebt. Wer keine Bücher liest, lebt auch.

  4. #4 Aginor
    April 4, 2016

    @Gerhard
    Zum ersten Satz mal grundsätzlich Zustimmung. 😀

    Zum Rest nicht ganz so sehr.
    Ich finde nicht dass die größten Verbrecher die selbsternannten Intellektuellen sind, dafür gibt es zu viele Verbrecher die stolz darauf sind, nicht intellektuell zu sein. Rote Khmer, Nazis, Mao, diverse Kirchen/Glaubensgründer bzw. – führer und ein paar andere bieten da unrühmliche Beispiele. Alle diese sprachen sich gegen Bildung aus, und argumentierten mit Dingen wie “gesundem Menschenverstand”, was für mich des öfteren viel mehr ein Oxymoron ist, wenn man diejenigen betrachtet die ihn über Bildung stellen.

    Ich finde es zudem zu kurz gedacht, das Lesen auf die Unterhaltung zu reduzieren.
    Gerade Werke aus einer Zeit, in der Bücher das Leitmedium waren, und Autoren kritischer Bücher oder Theaterstücke Verfolgung befürchten mussten (Schiller z.B., Rushdie passt aber auch), muss man meiner Meinung nach mit den Augen dieser Zeit und Gesellschaft sehen, aber auch heute gibt es aus Büchern durchaus Bildung zu ziehen, und ich meine damit nicht nur die Fachliteratur.
    Ein Buch kann mehr als unterhalten, es kann die eigene Einstellung hinterfragen und zum Denken anregen. Es kann auch versuchen, politisch zu wirken, wie in jüngerer Zeit z.B. Sarrazins Bücher, früher war es – wenn auch mit anderer Qualität – Marx, Adorno oder Beauvoir (möchte Herrn Sarazzin nicht wirklich auf deren Stufe heben).

    Franz Kafka hat einmal das hier gesagt:

    “Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

    Und ich finde ganz Unrecht hat er da nicht, auch wenn er – typisch Kafka – vielleicht ein wenig übertreibt.

    @Topic allgemein:
    Ich finde das erfrischend. Literaturkritik ist nicht den ausgewiesenen Kritikern vorbehalten. Klar, alles mit Maß und Ziel, aber ich finde man darf auch als Laie den Kafka verwirrend, den Goethe spannend aber sexistisch, den Brecht öde und belehrend oder den Fontane langatmig finden.

    Langweiligstes Buch das ich persönlich gelesen habe ist übrigens ein Unentschieden zwischen einem Werk des ansonsten geschätzten Stephen King (“The Stand”) und “Gestern war heute” von Ingeborg Drewitz.

    Gruß
    Aginor

  5. #5 Dortel von Döns
    April 8, 2016

    > Langweiligstes Buch das ich persönlich gelesen habe ist …

    Das mit Abstand langweiligste Buch wird hier besprochen : https://www.youtube.com/watch?v=NEZtmUxCTO4 🙂