Die Frage klingt klar und einfach, aber selbst 15 Jahre nach der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms können sich die Experten noch nicht auf eine unstrittige Antwort einigen und die Zahl der menschliche Gene genau angeben (vgl. dazu den Beitrag “Expanded human gene tally reignites debate”, erschienen in Nature Band 558, Ausgabe vom 21.06.2018, Seiten 354-355). Nachdem viele Molekularbiologen und Genmediziner am Ende des 20. Jahrhunderts an Zahlen von über 100.000 Genen gedacht haben, mussten die entsprechenden Schätzungen nach dem Abschluss des Humanen Genom Projektes zurückgefahren werden, und derzeit geistert die Zahl 21.306 durch die Medien, wobei sogleich hinzugefügt wird, dass damit nur Gene gemeint sind, die auch machen, was man von ihnen erwartet, nämlich dafür sorgen, dass Proteine zustande kommen. Man spricht von 21.306 kodierenden Genen und stellt ihnen 21.856 nicht-kodierende Gene an die Seite, ohne dass ein außenstehender Leser erfährt, was das denn genau sein soll, so ein Gen in einem Menschen. Man kann höchst unterschiedliche Definitionen versuchen, und es gibt schon längst Bücher, die erklären, “Was Gene nicht sind.” Mein liebster Vorschlag besteht darin, auf das Hauptwort Gen ganz zu verzichten – und dann auch mit dem Zählen aufzuhören – und stattdessen ein Verb wie “genen” einführen, weil nur so das dynamische Leben erfasst werden kann, dass gerade auf der Ebene der Genmoleküle ein spannendes Ballett tanzt,  um dem Leben seinen Rhythmus zu geben.

Irgendwie gewinnt man mehr und mehr den Eindruck, dass Gene auf keinen Fall etwas sind, dass eine Zelle ebenso hat wie der Mensch, der aus ihnen besteht. Vielmehr stellen Gene etwas dar, dass von Zellen und Menschen immer wieder neu zu machen ist. Gene sind nicht, Gene werden nur, und zwar gemacht, und das Leben kann dabei mit ihnen genen und seine Formen anfertigen. Die Welt weltet, das Nichts nichtet, und die Gene genen, wie einem Philosophen zwar vertraut klingt, einem Biomediziner aber die Zornesröte ins Gesicht treibt. Warum sagt er seinem Publikum nicht, was Gene machen und können und wie sie miteinander in Wechselwirkung treten und verbunden sind. So einfach Gene sind, sie machen etwas sehr Komplexes, nämlich ihren Träger auf jeden Fall zu einem Menschen. Wenn man nur wüsste, wie sie dabei vorgehen.

Kommentare (13)

  1. #1 roel
    Juni 28, 2018

    “vgl. dazu den Beitrag “Expanded human gene tally reignites debate”, erschienen in Nature Band 558, Ausgabe vom 21.06.2018, Seiten 354-355”

    https://www.nature.com/articles/d41586-018-05462-w

    Expanded wurde durch New ersetzt.

  2. #2 Kai
    Juni 28, 2018

    Natur ist immer viel komplexer als es wissenschaftliche Modelle darstellen können. Nichtsdestotrotz ist es enorm hilfreich und wertvoll, komplexe Vorgänge vereinfacht in Schemata darzustellen. Der Begriff Gen beschreibt im weitesten Sinne erstmal einen Abschnitt im Genom, der ausgelesen wird. Proteinkodierende Gene werden zusätzlich noch translatiert, also in Proteine umgewandelt. Für Bakterien lässt sich damit schon sehr viel erklären, bei mehrzelligen Lebewesen wissen wir, dass extrem viel auf regulatorischer Ebene passiert, das wir noch nicht verstehen. Deshalb einfach auf den Begriff “Gen” zu verzichten ist aber meiner Meinung nach Quatsch. Wir werden unser Wissen eben schrittweise ergänzen und erweitern müssen.

    Im Übrigen sei an der Stelle noch erwähnt, dass nicht nur die Anzahl der Gene, sondern auch ihr Einfluss in der Vergangenheit massiv überschätzt wurde. Damals nahm man an, dass wir in erster Linie Produkt unserer Gene sind. Das alle Krankheiten etc. sich irgendwie auf unser Genom zurückführen lassen. Heute wissen wir, dass nur ein kleiner Teil unserer Variabilität wirklich auf das Genom zurückzuführen ist. Deshalb ist auch das Verb “genen”, wie Sie es vorschlagen, meiner Meinung nach fehl am Platze.

  3. #3 roel
    Juni 28, 2018

    Hier als PDF “Expanded human gene
    tally reignites debate” doch wieder Expanded.

    https://www.nature.com/magazine-assets/d41586-018-05462-w/d41586-018-05462-w.pdf

    Egal ob nun new oder expanded, es schließt mit dem Absatz:

    “Still, the inconsistencies in the number of
    genes from database to database are problematic
    for researchers, Pruitt says. “People
    want one answer,” she adds, “but biology is
    complex.””

    Ernst Peter Fischer: “Mein liebster Vorschlag besteht darin, auf das Hauptwort Gen ganz zu verzichten – und dann auch mit dem Zählen aufzuhören – und stattdessen ein Verb wie “genen” einführen, weil nur so das dynamische Leben erfasst werden kann, dass gerade auf der Ebene der Genmoleküle ein spannendes Ballett tanzt, um dem Leben seinen Rhythmus zu geben.”

    Da ist man sicher zu hoffnungsvoll auf eine schnelle Erkenntnis an dieses Thema rangegangen. Aber ich denke, jetzt aufzugeben ist verfrüht. Es darf ruhig weiter gezählt und zugeordnet werden.

  4. #4 Laie
    Juni 29, 2018

    Hier kommt die Antwort:
    Das ist das Geheimnis des Lebens! 🙂

  5. #5 Angelika Wittig
    Berlin
    Juni 30, 2018

    Ihr liebster Vorschlag hat mich sehr zum Nachdenken gebracht.
    In meinen ersten Schuljahren wurde mir im Deutschunterricht vermittelt, dass es “Tuwörter” und “Dingwörter” gibt.
    Später gelang es einem hervorragenden Deutschlehrer mir zu vermitteln, dass Sprache lebt.
    In seinem Buch “Haben oder Sein” äußert Erich Fromm seine Besorgnis über die Verdinglichung der Verben. (Substantivierte Verben)
    Diese Verdinglichung ist die Ursache dafür, dass nicht herausgefunden wird, was ein Gen tatsächlich ist.
    Wenn der Physiker Richard Feynman von einem Spaziergang mit seinem Vater erzählt, bei dem sie einen kleinen Vogel beobachten: …”selbst wenn du seinen Namen in 20 Sprachen kennst, weißt wie viele Federn er hat und aus welchem Material er sich zusammensetzt, weißt du überhaupt nichts Wesentliches über ihn.”
    Genauso ist es mit jedem “Ding”, das Gegenstand von einseitiger Forschung ist.
    Gegenwärtig verfügen wir über eine gigantisches Wissen über die Materie, ohne die zugrundeliegenden Prozesse zu verstehen.
    Die Abschaffung des Wortes Gen ist nicht notwendig.
    Es sollte aber wieder genau das werden, was es im Ursprung schon lange ist: ein Verb.
    (siehe Wahrigs Wörterbuch, “gehen”, althochdeutsch gen.
    Die Differenzierung der Naturwissenschaftler zwischen Genetik und Epigenetik könnte hier eine Chance sein, mehr darüber herauszufinden, was gen
    (= gehen) bedeutet.
    Ich freue und bedanke mich für diesen schönen Denkanstoß.

  6. #6 hubert taber
    Juli 15, 2018

    @ Angelika Wittig:
    … gigantisches wissen über materie …
    leider nicht.
    da diesen herrschaftennicht bekannt ist dass nichts stoffliches existiert.
    dass es nur gewicht unter gravitation gibt aber keine “masse”.
    leider liegen die theoretiker in grundlegenden dingen falsch.
    siehe unter:
    https://derstandard.at/userprofil/postings/84963
    mfg. h.t.

  7. #7 Dr. Webbaer
    Juli 19, 2018

    Mein liebster Vorschlag besteht darin, auf das Hauptwort Gen ganz zu verzichten – und dann auch mit dem Zählen aufzuhören – und stattdessen ein Verb wie “genen” einführen, weil nur so das dynamische Leben erfasst werden kann, dass gerade auf der Ebene der Genmoleküle ein spannendes Ballett tanzt, um dem Leben seinen Rhythmus zu geben.

    Vely schlau angemerkt!

    Dieses Zählen ist sicherlich etwas für die anderen, die zu wissen scheinen, welche Elemente der hier gemeinten Datenhaltung wirken, also ‘kodieren’ (und für die Zwecke des Lebens irgendwie abstrahiert oder angewendet werden).
    Es ist offensichtlich, dass die Wissenschaft hier nicht annähernd zuverlässig bestimmen kann, zumindest für diejenigen, die sich mit Daten / Information & den diesbezüglichen “kleinen” Unterschieden auskennen.

    MFG
    Dr. Webbaer

  8. #8 Dr. Webbaer
    Juli 19, 2018

    @ Frau Wittig :

    Vgl. :
    -> https://www.etymonline.com/word/gene

    Hierzu noch kurz :

    Später gelang es einem hervorragenden Deutschlehrer mir zu vermitteln, dass Sprache lebt.
    In seinem Buch “Haben oder Sein” äußert Erich Fromm seine Besorgnis über die Verdinglichung der Verben. (Substantivierte Verben)
    Diese Verdinglichung ist die Ursache dafür, dass nicht herausgefunden wird, was ein Gen tatsächlich ist.

    Die Sprache ist Instrument des hier gemeinten Primaten, der die ihn umgebende Welt, wie auch seine Innenwelt zu beschreiben hat.
    Sprache lebt, aber es ist nicht ihre Aufgabe eigentliche Dinglichkeit der Natur festzustellen, sondern nur sich hier ausschnittsweise, näherungsweise und an Interessen gebunden zurechtzufinden.

    Was ein Gen eigentlich ist, hat zweifelhaft zu bleiben, außer seine Bestimmung und Erfassung, die Sprache kann als Instrument hier nicht prohibitiv wirken, es ist der biologisch festzustellende Sachverhalt, der den hier gemeinten Erkenntnissubjekten nur Sichten (“Theorien”) erlaubt, der ja auch sehr komplex ist.

    HTH
    Dr. Webbaer (der Fromm in etwa so talentiert wie schlecht findet)

  9. #9 Dr. Webbaer
    Juli 19, 2018

    @ Kommentatorenkollege ‘roel’ :

    Da ist man sicher zu hoffnungsvoll auf eine schnelle Erkenntnis an dieses Thema rangegangen. Aber ich denke, jetzt aufzugeben ist verfrüht. Es darf ruhig weiter gezählt und zugeordnet werden.

    Es muss weiter gearbeitet und auf genaue Zahlenangaben verzichtet werden.
    Denn es sind derartige Lapsus (im Plural, haha), die Misstrauen gegenüber Naturwissenschaftlern ergeben.

    MFG
    Dr. Webbaer

  10. #10 Angelika Wittig
    Juli 21, 2018

    @Dr. Webbaer
    Eine weitere Unterrichtseinheit aus meinen in grauer Vorzeit liegenden Grundschuldeutschstunden hieß:
    “Was der Dichter uns damit sagen wollte”.
    Zu Ihrem Kommentar kann ich nur antworten:
    Dunkel ist der Sache Sinn, was bedeutet Ihr Text?
    Und:
    Was meinen Sie mit der Aussage, Sie halten Erich Fromm für genauso talentiert wie schlecht?
    Geht es etwas konkreter?
    Beste Grüße
    Angelika Wittig, die Erich Fromms Gesamtwerk nicht nur gelesen hat, sondern es auch reflektiert.

  11. #11 Dr. Webbaer
    Juli 21, 2018

    Die Substantivierung von Verben ist offensichtlich nicht ‘die Ursache dafür, dass nicht herausgefunden wird, was ein Gen tatsächlich ist’.

    Erich Fromm war aus diesseitiger Sicht mies, aber das war an dieser Stelle nur ganz untergeordnet angemerkt, soll also bei der Betrachtung von Substantiven und Verben nicht stören.

    Das sog. Gen ist eine biologisch feststellbare Datenhaltung, es wirkt zusammen mit der nicht zu unterschätzenden Epigenetik (von Ihnen in diese kleine Debatte dankenswerterweise eingeführt) auf Individuen und ihre Erbfolge ein.
    Wie genau – ‘So einfach Gene sind, sie machen etwas sehr Komplexes, nämlich ihren Träger auf jeden Fall zu einem Menschen. Wenn man nur wüsste, wie sie dabei vorgehen.’ – weiß niemand, es muss aber gewusst werden, dass dies niemand weiß.
    Vgl. auch mit Craig Venter und seinem Gerede.

    MFG
    Dr. Webbaer

  12. #12 Angelika Wittig
    Berlin
    Juli 22, 2018

    @ Dr. Webbaer
    Vielen Dank für diese Antwort.
    Jetzt kann ich Ihre Aussage verstehen und bestätigen.

    Beste Grüße

  13. #13 Dr. Webbaer
    Juli 23, 2018

    Zur Epigenetik hat unser Herr Dr. Cornelius Courts einiges geschrieben, vgl. :

    -> https://scienceblogs.de/bloodnacid/2014/03/29/basics-epigenetik/