Wer sich heute in der Wissenschaft umschauen will, ist gezwungen, sich entweder mehr auf die Geistes- oder mehr auf die Naturwissenschaften zu konzentrieren. Die Unterscheidung hat der Theologe Wilhelm Dilthey im 19. Jahrhundert eingeführt, und er wollte damit den damals enorm aufstrebenden Naturwissenschaften einen Dämpfer versetzen. Sie könnten doch nur erklären, was in der Welt abläuft, während so kluge Leute wie Dilthey sich daran machten, die Welt zu verstehen. Selbst das Erklären war manchem Geistesmenschen suspekt, weshalb sie sich freuten, als das Schlagwort “Erklären entwertet” aufkam. Diese Haltung überrascht alleine deshalb, weil Goethe damals noch nicht so lange tot war und er sich große Mühe gegeben hatte, sein irdisches Dasein als Teil der Natur zu verstehen, um etwa die Wolkenformationen und das Farbenspiel des Himmels erklären zu können. Es ist dumm, wenn Philosophen ein höheres Verstehen für sich reklamieren und den Naturwissenschaftlern nur ein niedriges Erklären zugestehen. Als die Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg vor etwa 100 Jahren den Atomen näherkamen und sich vor ihnen immer mehr Hindernisse auftürmten, fragten sie sich, ob sie am Ende ihrer Reise ins Innerste der Welt verstehen würden, was sie da vorfinden. Niels Bohr meinte, dass das wohl möglich sei. Allerdings würden sie dabei erstmals verstehen, was sie meinen, wenn sie sagen, sie verstehen die Atome. Ob Dilthey das verstanden hätte? Was muss man ihm dazu erklären? Was Geisteswissenschaftler wollen, kann man allgemein durch den Satz formulieren, “Sie wollen das Werden des Wissens – die Phänomenologie des Geistes – begreiflich machen.” Wissen sie wirklich nicht, wem sie diese Zunahme verdanken? Die Geschichte der Naturwissenschaften kann ihnen dabei auf die Sprünge helfen. Sie lässt sich als Geisteswissenschaft betreiben.
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