Wer sich heute in der Wissenschaft umschauen will, ist gezwungen, sich entweder mehr auf die Geistes- oder mehr auf die Naturwissenschaften zu konzentrieren. Die Unterscheidung hat der Theologe Wilhelm Dilthey im 19. Jahrhundert eingeführt, und er wollte damit den damals enorm aufstrebenden Naturwissenschaften einen Dämpfer versetzen. Sie könnten doch nur erklären, was in der Welt abläuft, während so kluge Leute wie Dilthey sich daran machten, die Welt zu verstehen. Selbst das Erklären war manchem Geistesmenschen suspekt, weshalb sie sich freuten, als das Schlagwort “Erklären entwertet” aufkam. Diese Haltung überrascht alleine deshalb, weil Goethe damals noch nicht so lange tot war und er sich große Mühe gegeben hatte, sein irdisches Dasein als Teil der Natur zu verstehen, um etwa die Wolkenformationen und das Farbenspiel des Himmels erklären zu können. Es ist dumm, wenn Philosophen ein höheres Verstehen für sich reklamieren und den Naturwissenschaftlern nur ein niedriges Erklären zugestehen. Als die Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg vor etwa 100 Jahren den Atomen näherkamen und sich vor ihnen immer mehr Hindernisse auftürmten, fragten sie sich, ob sie am Ende ihrer Reise ins Innerste der Welt verstehen würden, was sie da vorfinden. Niels Bohr meinte, dass das wohl möglich sei. Allerdings würden sie dabei erstmals verstehen, was sie meinen, wenn sie sagen, sie verstehen die Atome. Ob Dilthey das verstanden hätte? Was muss man ihm dazu erklären? Was Geisteswissenschaftler wollen, kann man allgemein durch den Satz formulieren, “Sie wollen das Werden des Wissens – die Phänomenologie des Geistes – begreiflich machen.” Wissen sie wirklich nicht, wem sie diese Zunahme verdanken? Die Geschichte der Naturwissenschaften kann ihnen dabei auf die Sprünge helfen. Sie lässt sich als Geisteswissenschaft betreiben.

Kommentare (19)

  1. #1 hto
    Holographische Konfusion
    September 30, 2022

    Erklären, Verstehen, Befrieden und Fusionieren, müsste jetzt wirklich-wahrhaftig und zweifelsfrei-eindeutig werden/Sein, auch wenn die wissenschaftlichen Berechnungen, zur Wahrscheinlichkeit von uns und unserem Universum als holographisches Programm, noch nur bis zu und nicht in den Schwarzen Löchern reichen, auch wenn einige trotzdem noch an die Sinnhaftigkeit von/zu zufälliger Einmaligkeit glauben wollen!?

  2. #2 schlappohr
    Oktober 2, 2022

    Und ich Dummerchen dachte immer, Verstehen sei die Voraussetzung, um erklären zu können. Bin ich froh, nun zu wissen, dass ich Dinge erklären kann, ohne sie verstanden zu haben. Dieses werde ich sogleich an meinen Studenten umsetzen. Höret, ich erkläre euch nun, was ich nicht verstanden habe. Verstehet ihr? Ein Hoch auf die Geisteswissenschaften.

  3. #3 hto
    "Paradoxe Phänomenologie"
    Oktober 2, 2022

    Weil es jetzt mal wieder passt:

    “Nicht Mangel an Geist, sondern ein Geist*, der sich ununterbrochen selbst gegenwärtig ist, eine Ausgeglichenheit gegen die nichts und niemand ankommt.
    Die Menschen reden, die Karawane zieht vorüber: Die Dummheit erkennt man an jenem ruhigen Fortschreiten eines Wesens, das Worte von aussen weder ablenken noch berühren können. Sie ist nicht das Gegenteil der Intelligenz, sondern jene Form der Intellektualität, die alles auf ihr eigenes Maß zurechtstutzt und jeden Anfang in einem vertrauten Vorgang auflöst. Der Dummheit ist nichts menschliches jemals fremd; die macht – über die Lächerlichkeit hinaus – ihre unerschütterliche Kraft und ihre mögliche Grausamkeit aus.” (Alain Finkielkraut)

    *Zeitgeist / wettbewerbsbedingte Bewusstseinsschwäche

    Das ganzheitliche Wesen Mensch werden wir wohl nie werden/sein!?

  4. #4 hto
    Holographische Konfusion
    Oktober 2, 2022

    Die Kraft des universellen Geistes/Zentralbewusstseins, ist im Dasein konzentriert/konfusioniert in “Individualbewusstsein”, so daß die programmatische Illusion des Universums, für die instinktiv-egozentrierte Bewusstseinsschwäche, zur größeren Herausforderung wurde, als der zweifelsfrei-eindeutige Glaube an die wirkliche Wahrhaftigkeit/Vernunft zu gleichermaßen Sinnhaftigkeit – Wissen ist da, nur ist Mensch so nicht einfach kompatibel, es muss erst der “Groschen” fallen!?

  5. #5 Angelika Wittig
    Berlin
    Oktober 3, 2022

    Etwas verstehen können ist ein sehr guter Anfang.
    Das heißt aber nicht, dass man es auch erklären kann.
    Einem anderen Menschen etwas zu erklären ist nur möglich, wenn der Andere eine Frage stellt, die ich so gut und so einfach wie möglich beantworten kann.

    Naturwissenschaftlich ausgedrückt: Geistige Energie wird durch Fragen und Antworten entwickelt und erhalten.
    Leider ist aktuell ein erhebliches Ungleichgewicht entstanden, weil es zu viele Antworten und zu wenige Fragen gibt.
    Philosophisch gesprochen:
    Ein Monolog ist noch kein Dialog.

  6. #6 hto
    Gemeinschaftseigentum
    Oktober 3, 2022

    @Wittig: “Leider ist aktuell ein erhebliches Ungleichgewicht entstanden, weil es zu viele Antworten und zu wenige Fragen gibt.”

    Nicht leider, sondern logisch und be- wie verachtenswert, gibt es aufgrund der wettbewerbsbedingten Konfusion zuviele mehr und/oder weniger wichtige Wahrheiten, die einfach/leichtfertig mit systemrationaler (zeitgeistlich-reformistischer) Bewusstseinsbetäubung in Schuld- und Sündenbocksuche … (gerechtfertigt) werden, wo Wahrheit, Vernunft und Verantwortungsbewusstsein zweifelsfrei-eindeutig …!?

  7. #7 hto
    Oktober 3, 2022

    Leider ist, dass Mensch zu sehr …!?

  8. #8 Dr. Webbaer
    Oktober 5, 2022

    Hmja, Dr. Webbaer ist ja eigentlich ganz beim Text, fast, die Geisteswissenschaften “bringen” es oft nicht, sorgen für Geschwätz und Irritation, jedenfalls : nicht selten.

    Abär hierzu :

    Es ist dumm, wenn Philosophen ein höheres Verstehen für sich reklamieren und den Naturwissenschaftlern nur ein niedriges Erklären zugestehen. [Artikeltext]

    … noch ein wenig philosophische Gegenrede :

    Die Philosophie ist die Mutterwissenschaft und aus ihr sind sukzessive, oft klar nachvollziehbar, die Einzeldisziplinen heraus gelöst worden, angefangen mit der Mathematik, die als Formalwissenschaft auch sehr gut heraus zu lösen war, wie einige meinen, dann auch die Naturlehre, die zumindest in aufklärerischer Hinsicht, also später, dem Verifikationsprinzip abgeschworen hat und die Falsifikation von eben physikalischer Theoretisierung suchte – und fand, wurde eine Theorie empirisch inadäquat, ist dann eben eine neue Theorie gesucht und idR gefunden worden, die dies nicht war; das so gemeinte Gesamtverhoben wird auch szientifische Methode (“Scientific Method”) genannt.

    Also Methode, nichts ist schlecht an Methoden, Dr. Webbaer mag sie, was aber schon so ist, ist, dass die Philosophie die Denkmöglichkeit meint und nicht empirisch gebunden ist, sondern es ist philosophisch so, dass Alles, was (kohärent) denkbar ist, auch möglich ist.

    Der “Möglichkeitsraum” der Philosophie ist also größer als der der Naturlehre. [1]
    Erstgenanntes Vorhandensein ist gut.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Was auch nicht überrascht, wenn B aus A heraus gelöst worden ist.

  9. #9 Dr. Webbaer
    Oktober 5, 2022

    Bonuskommentar zu :

    Es ist dumm, wenn Philosophen ein höheres Verstehen für sich reklamieren und den Naturwissenschaftlern nur ein niedriges Erklären zugestehen. [Artikeltext]

    Theorien beschreiben, erklären und erlauben eine Prädiktion, wobei eines dieser drei Leistungsmerkmale womöglich genügt, um von einer Theorie (“Sicht”) reden zu können.

    Naturwissenschaftler beschreiben also, Sachverhalte, die messen und hantieren mit Datenlagen, sie erklären, theoriegemäß, im Sinne “A ist wegen B”, kausativ, manchmal auch nur korrelativ (dann wird’s schwieriger, Quanten und so), und erlauben die Prädiktion mit ihren kleinen Theorien, die abär doch Anwendungen [1] erlauben und insofern großartig sein müssen, oder, ODER?

    Insofern ist es philosophisch unverständig Naturwissenschaftler irgendwie reduzieren zu wollen.
    (Außer, als wie weiter oben und mehr das Formale meinend beschrieben.)

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Anwendungen sind natürlich eine ganz feine Sache, sie bringen Nutzen und sie belegen, sofern sie funktionieren, wie ein ständig neu versuchtes physikalisches Experiment, die Richtigkeit * derartigen Vorgehens.

    *
    Die Richtigkeit, bes. Gerichtetheit ist gemeint, nie die Wahrheit der naturwissenschaftlichen Unternehmung, nie die sozusagen absolute Richtigkeit der naturwissenschaftlichen Unternehmung.

  10. #10 Frank Wappler
    https://scilogs.spektrum.de/beobachtungen-der-wissenschaft/nobelpreis-fuer-physik-2022-fuer-die-beantwortung-einer-frage-aus-der-ganz-fruehen-quantenphysik/?unapproved=52715&moderation-hash=106a3dab48771a0930d05aa8f02d4df0#comment-52715
    Oktober 6, 2022

    Dr. Webbaer schrieb (#8 + #9, Oktober 5, 2022):
    > […] Anwendungen sind natürlich eine ganz feine Sache […]

    (Sofern meine Zitat-Auswahl manchen Lesern als “(beispielhaft) schlecht zitiert” gelten sollte, bitte ich jene um besondere Nachsicht;
    auf alle Fälle gilt mir die Auswahl, insbesondere in ihrer Gesamtheit, die sich im Folgenden noch ergibt, (auch) als “(beispielhaft) gut zitierbar”.)

    … dabei versteht sich nicht zuletzt die Unterscheidbarkeit zwischen

    – “Anwendung” als einer von vornherein mehr oder weniger bestimmten, festgesetzten, festhaltbaren ganz feinen Sache (“der Bestimmung”, “dem Mittel”, “dem Programm”, “der Methode”, “Spiel- bzw. Bewertungsregeln” …), die jeweils auf Etwas (“den jeweiligen Fall”, im weitesten Sinne) angewandt, gerichtet, bezogen, zum Einsatz gebracht werden könnte;

    und

    – “Anwendung” als dem ganz feinen Sachverhalt, Vorgang, Akt, oder womöglich der bloßen Vorstellung, dass das o.G. passiert bzw. gemacht wird (insbesondere, falls das dabei erklärtermaßen angewandte “Mittel” bzw. dessen womöglich nur vermeintliche “Wirkung” nicht erklärt, geschweige denn verstanden sind) …

    Ich denke bei “Anwendung” jedenfalls vorrangig jeweils an einen (definierten, festgesetzten, nachvollziehbaren) Messoperator (einschließlich dessen gesamten denk-möglichen Messwerte-Bereich), vermittels dessen aus gegebenen Wahrnehmungs-Daten Versuch für Versuch jeweils (idealer Weise) ein bestimmter, empirisch bedingter Messwert zu ermitteln ist (oder ansonsten wenigstens das Ergebnis, dass der betreffende Versuch hinsichtlich dieses Messoperators “ungültig” gewesen ist).

    > […] sofern sie funktionieren […]

    (Manchen mag dabei zuerst der Begriff “Zweck” einfallen; daraufhin das Andenken an L. Trepl, und womöglich an noch einiges Andere.)

    Der Zweck der Definition und Festsetzung nachvollziehbarer Messoperatoren ist jedenfalls das Ermöglichen der einvernehmlichen (reellen) Bewertung von gegebenen (simulierten oder Wahrnehmungs-)Daten; einschl. des (überprüfbaren, Wett-sicheren) Aufstellens bestimmter Behauptungen oder des Haltens bestimmter Erwartungen von Werten dieser Messgröße schon vor der Auswertung von Wahrnehmungs-Daten der betreffenden Versuche.

    > […] Falsifikation von eben physikalischer Theoretisierung […]

    Sofern mit “[experimenteller] Falsifikation” gemeint ist, dass ein bestimmter (empirisch bedingter) Messwert ungleich einem bestimmten behaupteten bzw. erwarteten Wert (der selben, durch den festgesetzten Messoperator definierten Messgröße, betreffend den selben Versuch) ist,
    bleibt der jeweils zur Ermittlung dieses Messwertes angewandte und zur Formulierung der Behauptung bzw. Erwartung vorausgesetzte festgesetzte Messoperator davon doch unberührt.

    Wer die Redeweise von “Falsifikation einer Theorie” für vertretbar hält, muss für das System, das die Definition dieses Messoperators einschließt (sowie alle damit herleitbaren Theoreme, d.h. logisch-zwangsläufigen Konsequenzen, insbesondere im Zusammenhang mit weiteren Messoperatoren) eben ein anderes Wort beibringen als “Theorie”.

    Den anderen (“uns” anderen, die das Wort “Theorie” jeweils ausdrücklich für solche Systeme gebrauchen und für vertretbar halten) ist auferlegt, ein anderes Wort dafür beizubringen, was ggf. von “(experimenteller) Falsifikation” betroffen sein kann, was also insbesondere behauptete bzw. erwartete Werte beinhaltet (oft in Zusammenfassung mit bereits vorliegenden gemessenen Werten). Dafür taugt das Wort “Modell”, und die entsprechende Sprechweise von “Falsifikation eines Modells”; insbesondere in Ausprägung als “Standard-Modell (einer bestimmten Theorie)”, in dem insbesondere alle bereits vorliegenden gemessenen Werte aller Messgrößen zusammengefasst sind, die in der betreffenden Theorie durch bestimmte Messoperatoren definiert sind, zusammen mit der (einfach gefassten) Erwartung, dass genau die gleichen Werte dieser Messgrößen ggf. auch aus den Wahrnehmungsdaten aller zukünftigen Versuche ermittelt werden.

    Beispiele:

    – Schachtheorie; als Festsetzung von Regeln zur Unterscheidung gültiger und ungültiger “Schachzüge”, und zur Ermittlung der Ergebnisse von gültigen “Schachspielen”, einschl. daraus folgender Theoreme,

    – Allgemeine Relativitätstheorie (geometrisch-kinematischer Teil); als Festsetzung von Regeln zur Ermittlung geometrischer bzw. kinematischer Bewertungen (vorrangig: der Werte von Lorentzschen Distanzen) aus gegebenen Koinzidenz-Bestimmungen, einschl. daraus folgender Theoreme,

    – das Standardmodell des Schachsports in Form der Elo-Zahlen aller derart bewerteter Schachspieler (einschl. der Erwartung, dass “der Elo-Zahl-Verlauf eines Spielers, der bislang dem Durchschnitt der Verläufe bestimmter geeignet ausgewählter älterer Spieler glich, dem Durchschnitt dieser Auswahl auch weiterhin folgen wird”),

    – das Standardmodell des Sonnensystems (ausgedrückt in Werten von Messgrößen des geometrisch-kinematischer Teils der ART; meinetwegen unter Hinzunahme der Definition von “Masse/Energie/Stress” nach Einstein und Hilbert) einschl. der Erwartung, dass dieses System so gut wie “geschlossen” bleibt.

  11. #11 Dr. Webbaer
    Oktober 10, 2022

    Dr. Webbaer hat’s mal “überflogen”, wieder sehr klug von Ihnen beigebracht, lieber Kommentatorenfreund Frank Wappler, so der hiesige Eindruck.

    Eine Theorie ist ja eine Sicht, eine Sicht auf Daten (“Gegebenes”, hier ist auch die Natur gemeint) oder eine Sicht auf andere Sichten, dann wird von Meta-Sichten geredet. [1]

    Sie haben’s mit dem Modell und dem Messoperator, vielleicht sind diese Begrifflichkeiten feiner und angemessener gewählt.
    Sie erinnern sich vielleicht, Herr Dr. Frank Wappler, dass Dr. Webbaer zwischen Theorien und Modellen letztlich nicht unterscheiden mag, Modelle werden aus seiner Sicht von bestimmten Theorien impliziert oder bereit gestellt.
    Vielleicht formulieren Sie es besser?!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    (Naturwissenschaftliche) Theorien beschreiben, erklären und erlauben die (weltliche) Prädiktion, die Formalwissenschaft hantiert nicht mit Theorien, wobei eine dieser drei Komponenten bereits genügt, damit von einer Theorie geredet werden kann.
    “Der Mond ist (und so weiter)” wäre insofern eine rein beschreibende Theorie, “der Mond agiert zusammen mit der Erde, weil (und so weiter)” eine erklärende Theorie und “der Mond wird irgendwann am Himmel wieder aufgehen” wäre die Prädiktion meinend eine Theorie.
    Wobei die Beschreibung bereits ein Modell meint, korrekt.

  12. #12 Frank Wappler
    Oktober 11, 2022

    Dr. Webbaer schrieb (#11, Oktober 10, 2022):
    > […] dass Dr. Webbaer zwischen Theorien und Modellen letztlich nicht unterscheiden mag […]

    Kannst Du, Dr. Webbaer, Dir wenigstens vorstellen, dass zwischen

    – den festgesetzten (DFB-)Regeln des Fußballsports (vgl. betreffende Dokumente auf der DFB-Webseite) und

    – den (schon erhaltenen, oder den noch zu ermittelnden) Ergebnissen bestimmter Fußballspiele (vgl. https://www.dfb.de/bundesliga/saisonplan/)

    überhaupt und grundsätzlich unterschieden werden kann ?

    Falls so, dann betrachte diese Unterscheidung bitte als Beispielfall der allgemeinen Unterscheidung zwischen

    – Systemen von festgesetzten Bewertungsregeln (jeweils einschl. all ihrer logisch-zwingenden Konsequenzen) einerseits, und

    – andererseits Zusammenfassungen von Werten, die in Anwendung dieser Bewertungsregeln auf relevante wahrgenommene (Natur-)Gegebenheiten schon als Ergebnisse ermittelt wurden, oder die in Anwendung der festgesetzten Bewertungsregeln auf relevante vorstellbare bzw. simulierte (Natur-)Gegebenheiten noch zu ermitteln sind.

    Falls nicht, dann guckt mindestens einer von uns beiden in den sprichwörtlichen Mond.

  13. #13 Dr. Webbaer
    Oktober 12, 2022

    KA, was das mit dem nun wiederholt von Ihnen, lieber Herr Dr. Frank Wappler, beigebrachtem Beispiel aus dem Fußballbetrieb soll.

    Vielleicht ist gemeint, dass es einerseits physikalische Theoretisierung gibt und andererseits Messungen, die Daten erheben, Messdaten.
    Wenn diese Messdaten den sozusagen durch die physikalische Theoretisierung prädiktierten Messdaten entsprechen, ihnen nicht widersprechen, bleibt die physikalische Theoretisierung empirisch adäquat.
    (Ist dies nicht der Fall, es kann ja auch Messfehler geben, bedeutet dies nicht sozusagen automatisch, dass die Theoretisierung verworfen werden muss.
    Dann gilt es sozusagen nachzumessen, um sie irgendwann vielleicht dann (doch) per Willensentscheid zu verwerfen, willkürlich oder bedarfsweise, nach Lust und Laune sozusagen, am besten wohl begründet.
    Meist behält empirisch inadäquate (so gewordene) Theoretisierung einen Wert, es kann ja auch nachgebessert werden.)

    Dr. Webbaer ist Empirist, konstruktiver Empirist, um präzise zu sein.
    Dies bedeutet dann die Natur als eine Art Black Box zu betrachten, in der Annahme, dass das hier gemeinte Erkenntnissubjekt nicht absolut wissen kann, es ist ja Weltteilnehmer und kein Weltbetreiber. [1]

    Modelle helfen bei der Bestimmung der Prädiktion und der der empirischen Adäquatheit, sie bleiben aus diesseitiger Sicht Bestandteil der Theoretisierung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Vorsichtshalber in dieser Fußnote nachgetragen : Esoterisch war nicht angemerkt, das ist schon aktueller Stand der Naturwissenschaft sozusagen, Dr. W ist hier sozusagen ganz strenger Befürworter, die Naturwissenschaft ist Methode, Veranstaltung und exoterisch.

  14. #14 Frank Wappler
    Oktober 12, 2022

    Dr. Webbaer schrieb (Oktober 12, 2022):
    > […] Messdaten […]

    Ich bin ja ganz dankbar und begeistert, dass ich somit mal nicht der einzige Teilnehmer an unserer Korrespondenz bin, der sich erkennbar mit “dem Messen” beschäftigt. Aber: allein schon die Wortwahl “Messdaten”

    … wirkt im gegebenen Zusammenhang naiv und weist darauf hin, wie wenig ich von dem, worum’s mir immer ging und geht, bisher mitzuteilen vermocht habe.

    (Ich will ja nicht behaupten, dass ich das Wort “Messdaten” im auf Effizienz getrimmten beruflichen Umfeld nie verwendet hätte, oder nie mehr verwenden würde;
    aber in Diskussionen von Erkenntnis- bzw. Wissenschaftstheorie habe ich dieses Wort hoffentlich noch nie benutzt, und jedenfalls schon lange absichtlich vermieden.)

    Stattdessen ist das Ergebnis einer Messung, jeweils hinsichtlich eines Versuches, ein bestimmter Messwert.
    D.h. insbesondere: dieses Ergebnis der Messung hinsichtlich des betreffenden Versuches ist kommensurabel zu den entsprechenden (die selbe Messgröße betreffenden) Ergebnissen anderer Versuche.

    Von “Daten” ist dagegen als (den “eingesammelten”, oder auch nur simulierten) “Rohdaten” bzw. “Wahrnehmungsdaten” bzw. den o.g. “Natur-Gegebenheiten” (jeweils hinsichtlich eines Versuches) die Rede — man denke z.B. an Fotos (“astronomische” Fotos, oder Fotos von “Ereignissen in einer Nebelkammer”, und Ähnliches).

    Immer soll nahegelegt sein worum es beim “Messen” vor allem geht:

    Messwerte (z.B. der “Redshift”-Wert einer bestimmten Galaxie, oder der Wert des “Massen”-Verhältnisses eines bestimmen Doppelstern-Systems, oder der Wert des “Massen”-Verhältnisses bestimmter Teilchen, oder der Wert des “Ladungs”-Verhältnisses bestimmter Teilchen usw. usf.) sind etwas anderes als (“nur”) Rohdaten;

    Messwerte werden jeweils erst durch Auswertung gegebener Rohdaten ermittelt;

    und das erfolgt immer durch Anwendung eines bestimmten, von vornherein festgesetzten, nachvollziehbaren Mess- alias Auswertungs-Operators auf die gegebenen Rohdaten.

    > […] physikalische Theoretisierung […]

    Ich meine mit “physikalischer Theoretisierung” jedenfalls insbesondere die (bedachte, sorgfältige) Festsetzung von Mess- alias Auswertungs-Operatoren, einschl. der Ausarbeitung von logisch-zwangsläufigen Konsequenzen (Theoremen), die sich jeweils aus solchen Festsetzungen von vornherein ergeben; jedenfalls bereits ohne diese Mess- alias Auswertungs-Operatoren auf eventuell schon vorhandene tatsächlich gesammelte Rohdaten anzuwenden; also bereits ohne Kenntnis irgendwelcher tatsächlicher Messwerte dieser betreffenden, durch die festgesetzten Mess- alias Auswertungs-Operatoren definierten Messgrößen.

    Wenn Du nun mit “physikalischer Theoretisierung” immer wieder und immer noch etwas (sicherlich bestimmtes) Anderes meinst als ich — und diesen Verdacht habe ich immer noch und immer wieder — dann muss und kann ich das zwar hinnehmen: aber ich fordere dann wenigstens von Dir zu erfahren, wie ich das, was ich mit “physikalischer Theoretisierung” meine, für Dich übersetzen sollte; in anderen Worten: wie Du “die (bedachte, sorgfältige) Festsetzung von Mess- alias Auswertungs-Operatoren, einschl. der Ausarbeitung von logisch-zwangsläufigen Konsequenzen (Theoremen)” kurzgefasst nennst (falls überhaupt).

    Und umgekehrt:
    Für all das (andere), was ich dagegen mit “Prädiktion”, oder “Erwartung”, oder “Vermutung”, oder “Modell”, oder “Hypothese (des Zu- bzw. Eintreffens)” bestimmter Messwerte meine, brauche ich jedenfalls das Wort “Theorie” bzw. “Theoretisierung” nicht; denn ich habe ja stattdessen schon diese (anderen) genannten Worte an sich.

    Wenn Du aber “Theorie” bzw. “Theoretisierung” als synonym zu “Prädiktion”, oder “Erwartung”, oder “Vermutung”, oder “Modell”, oder “Hypothese (des Zu- bzw. Eintreffens)” verstehen und verwenden willst — auch diesen Verdacht habe ich immer noch und immer wieder, und der berühmt-berüchtigte Sir Karl Popper scheint dahingehend ja mit besonders hartnäckigem Beispiel vorangegangen zu sein — dann empfehle ich Ockhams Klinge anzusetzen und Erwähnungen von “Theorie” bzw. “Theoretisierung” wenigstens ganz zu unterlassen.

  15. #15 Dr. Webbaer
    Oktober 16, 2022

    Theorien (“Sichten”) beschreiben, erklären und erlauben die Prädiktion, sie bestehen aus drei Komponenten, wobei bereits das Vorhandensein einer (!) Komponente erlaubt, dass von einer Theorie geredet werden kann.
    Es gibt Theorien, die auf weltlichen (weltlich generierten) Daten basieren oder auf Daten, die ein formales System, ein gedachtes und vielleicht in IT “gegossenes” System generiert, und es gibt Theorien, die auf Theorien, auf theoretischen Daten basieren, die dann Meta-Theorien genannt werden.

    Theoretisierungen (“Sichtenbildungen”) meinen eine Gemengelage, eine Menge von Theorien, die irgendwie zusammengehören.

    Die ‘Theorie’ ist somit von Ihrem Kommentatorenfreund, Herr Dr. Frank Wappler, natürlich nicht ‘synonym’ zur ‘Prädiktion’ verwendet worden.

    Besonders feine Unterschiede zwischen weltlich erhobenen Daten, Messdaten und Messwerten möchte Dr. Webbaer nicht bemühen, sie mögen physikalisch relevant sein, Dr. W ist kein Naturwissenschaftler.

    Dr. Webbaer kennt leider nicht Ihre Stoßrichtung, geht davon aus, hat davon auszugehen, im Moment noch, dass Sie zwischen formalen Systemen und weltlichen Systemen nicht ausreichend unterscheiden.
    Auch keinen besonderen Hang zur Philosophie haben, erinnerungswürdig bleibt abär vielleicht, dass die Mathematik als erste Fachdisziplin aus der Philosophie herausgelöst worden ist und die Naturlehre womöglich als zweite Fachdisziplin.

    Sind Sie als Naturwissenschaftler Empirist?

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  16. #16 Dr. Webbaer
    Oktober 16, 2022

    Bonuskommentar @ Kommentatorenfreund Dr. Frank Wappler und hierzu :

    Ockhams Klinge

    Occam’s razor ist ein Rat auf den Hinzubau von Entitäten zu verzichten, dem sog. Sparsamheitsprinzip folgend, so ist nicht gemeint eine bereits bereit stehende Theorie mit Hilfe nur des sog. Sparsamkeitsprinzips angreifen zu können, wenn bereits, womöglich auch unnötigerweise Entitäten der Theorienbildung hinzugefügt worden sind.

    Stattdessen wäre ohne Ockies Razor zu bemühen schlicht andere Theorie, die am besten (ebenfalls?) empirisch adäquat ist, beizufügen und alternativ zu bewerben.

    Ein “Kurzschlussdenken” kann es nicht sinnhafterweise geben.
    Direkt verworfen werden kann mit “Ockie” nie.

    JFYI
    Dr. Webbaer

  17. #17 Dr. Webbaer
    Oktober 16, 2022

    Bonus-Bonus-Kommentar :

    Weil es Sie, Kommentatorenfreund Herr Wappler, ja auch am Bezug des erkennenden Subjekts zur Welt, naturwissenschaftlich gerne auch, zu nagen tut oder scheint, spielt Dr. Webbaer – womöglich passend – wie folgt ein :

    -> https://www.youtube.com/watch?v=yZJaCqrxCT4


    Der Gag sozusagen beim Erkennen besteht darin, dass sog. Apes sich vor nicht langer Zeit zu besonderen Theoretierungen empor gehoben haben, nicht immer, äh, sattelfest, auch irren könnten.

    Die Welt ist, wie eingeschätzt wird mehr als zehn Milliarden Jahre alt, die Erde vielleicht vier Milliarden Jahre und den hier gemeinten Primaten gibt es vielleicht seit 10.000 Jahren, die Getreidewirtschaft soll vor ca. 7.500 Jahren in Mitteleuropa Einzug gehalten haben und das Web steht seit ca. drei Jahrzehnten bereit.
    Die Relativitätstheorie seit vielleicht 100 Jahren, die Intelligenz ist zeitnah erfunden worden, sie ist psychologisch und bei der Bewertung bspw. der Erblichkeit von Verständigkeit iO, sie ist abär neu.

    Davor steht dann die Philosophie, die u.a. auch auf die Naturlehre zu achten hat.

    MFG
    WB (der anrät sich auf einer sozusagen Kugel, eigentlich liegt ein sog. Rotationsellipsoid vor, nicht sonderlich i.p. Erkenntnis zu verheben.)

    PS:
    Dr. W räumt ein Terry Pratchett besonder zu mögen.

  18. #18 Frank Wappler
    Oktober 19, 2022

    Dr. Webbaer schrieb (Oktober 16, 2022):
    > […] Herr Dr. Frank Wappler […] Sind Sie als Naturwissenschaftler Empirist?

    Sofern damit gemeint ist, dass ich mir und anderen zwar zugestehen kann, Beobachtungsdaten (“Wahrnehmungen”, “Empfindungen”, “Eindrücke”, …) sammeln, aufbewahren und (möglicher Weise sogar) ggf. als “nochmal das Selbe, aber diesmal doch in anderer Ausprägung” wiedererkennen zu können,
    aber mir keinerlei darauf aufbauenden, weitergehenden Auswertungs-Operationen von vornherein überlegen, festhalten, und auf die mir (direkt, oder indirekt von anderen) gegebenen Beobachtungsdaten anwenden soll — dann: bin ich sicherlich kein Empirist.

    Und bestimmt bin ich auch kein Vertreter der im betreffenden Wikipedia-Artikel aufgebauschten Gegenposition: Rationalist, sofern damit gemeint ist, auf das Auswerten oder gar das Sammeln von Beobachtungsdaten ganz zu verzichten und zu bestreiten, dass irgendwer “hinterher schlauer” sein bzw. werden könne.

    (Ich habe daraufhin mal “Valuism” gegoogelt … Zumindest auf diese Bezeichnung sind offenbar schon andere vor mir gekommen. Zu einem SchLog, oder wenigstens einem SciLog-Gast-Beitrag, oder zu etwas Entsprechendem im anderen Laden, sind diejenigen aber offenbar bisher auch nicht eingeladen worden.)

    > […] Besonders feine Unterschiede zwischen weltlich erhobenen Daten, Messdaten und Messwerten möchte Dr. Webbaer nicht bemühen

    … aber dennoch …

    > […] zwischen formalen Systemen und weltlichen Systemen […] ausreichend unterscheiden

    Zwischen diesen beiden (nur Stichpunkt-artig zitierten aber hoffentlich doch erkennbaren und richtig erkannten) Ansichten scheint ein Widerspruch zu bestehen.
    Ich dagegen halte die sorgfältige Unterscheidung zwischen “bloßen, individuellen” Beobachtungsdaten (“Wahrnehmungen”, “Empfindungen”, “Eindrücken”, …) einerseits und andererseits nachvollziehbaren, Verlust-frei mitteilbaren, kommensurablen Werten als beispielhaft für die Unterscheidung entsprechender “Systeme” (insbesondere von “Natur-Gegebenheiten” vs. “Modellen”).

    p.s.
    > Occam’s razor ist ein Rat auf den Hinzubau von Entitäten zu verzichten […]

    Ja; und das beinhaltet nicht zuletzt, Synonyme (d.h. verschiedene Bezeichnungen für jeweils das Selbe) als solche zu verstehen und mindestens zu kennzeichnen, oder (am besten) ganz darauf zu verzichten.
    Ergänzend ist angeraten, Unterscheidbares entsprechend verschieden zu bezeichnen (womöglich u.a. auch schon von Leibnitz).

  19. #19 Dr. Webbaer
    Oktober 19, 2022

    Sie haben da, Kommentatorenfreund Herr Dr. Frank Wappler, ein Problem mit der Einordnung, Sie erkennen Terminologie nicht als näherungsweise funktionierend, für den allgemeinen Austausch, aber auch für die Sacharbeit als unzureichend näherungsweise funktionierend an.
    Werden hier “selbstig”, idiotisch, eine Herabsetzung war nicht gemeint.

    Sie sind Empirist und vermutlich auch konstruktiver Empirist und Sie könnten schon so freundlich sein diesbezüglich den sozialen Austausch meinend einzuarbeiten versuchen.

    Inhalt ergibt sich sozusagen über die Sprache, er liegt über ihr, er regt vermutlich schon sog. Gehirnzellen an, aber es gilt terminologisch Näherung zu suchen.


    Warum derartige Näherungen letztlich falsch sind, auch falsch sein müssen, also darüber könnte dann, vielleicht am besten : an anderer Stelle, zusammen gewiehert werden. [1]

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    [1]
    Am besten vielleicht in einem Gentlemen-Club in London, Dr. W ist teils britischer Herkunft.
    Wie ja auch klar ist, oder, ODER, ODER`?