In loser Folge werden im Blog „Zeittaucher” ab sofort Bücher zur DDR-Geschichte vorgestellt. Zum Start erscheint der erste Teil einer Buchbesprechung über „Gefängnis-Notizen” von Egon Krenz (2009), die am 4. und 6. Januar 2009 fortgesetzt wird.

Mit den Besprechungen sollen auch Lücken zu dem von mir 2007 publizierten Buch „Geschichte der Verlierer. Autobiografische Berichte von hochrangigen Mitgliedern der SED nach 1989″ geschlossen werden, weil seitdem besonders zahlreiche „Memoiren” und „Autobiografien” erschienen sind. CJ

Teil 1
Krenz, Egon: Gefängnis-Notizen, Berlin 2009.

Stolz ist Egon Krenz (* 1937) auch 20 Jahre nach dem Verschwinden seines Lebenszwecks, der Deutschen Demokratischen Republik, noch immer auf den von ihm mitentwickelten „humanistischen Friedensstaat” DDR. Nach zahlreichen Veröffentlichungen seit 1990 zur DDR-Geschichte, seinem Wirken in der SED-Diktatur und dem danach folgenden, unfreiwilligen Leben in der Bundesrepublik Deutschland, hat Krenz im Frühjahr 2009 sein 242 Seiten starkes Erinnerungsbuch „Gefängnis-Notizen” vorgelegt.

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Egon Krenz am 11. Februar 2009 bei der Vorstellung seines Buches in Berlin. (Foto: CJ)

In diesem behandelt er mit zahlreichen Rückblenden seine mit Unterbrechung vier Jahre dauernde Haftzeit, in der er als Freigänger überwiegend nur nachts seine Zelle aufsuchen musste. Zielgruppe sind vor allem Weggefährten im Alter von Krenz, die sich als Verlierer der Einheit, als Verlierer der Geschichte sehen, jedoch davon überzeugt sind, dass durch Erinnerungsbücher wie von Krenz zukünftigen Generationen wichtige Anleitungen für eine neue sozialistische Zukunft gegeben werden können.

Milder Rechtsstaat wird nicht anerkannt

Das mit autobiografischen Anekdoten gespickte Buch handelt von einem selbsternannten Märtyrer, der sich als politischen Häftling der Siegermacht „BRD” sieht. Im August 1997 hatte ihn die große Strafkammer des Landgerichts Berlin zu einer sechseinhalb jährigen Freiheitsstrafe wegen Totschlags in vier Fällen verurteilt. Noch im Gerichtssaal war er verhaftet worden. Schon auf den ersten Seiten seines “Notizbuches” wird deutlich, dass Krenz sich zum einen immer noch als eine bedeutende Person der Zeitgeschichte sieht und den bezüglich seiner Person sehr milden Rechtsstaat als solchen nicht anerkennen will.

„Mir war in der DDR eine große Macht gegeben. Es ist die Niederlage meines Lebens, dass die DDR Tote an der Grenze zweier Gesellschaftssysteme und zweier Militärblöcke nicht verhindern konnte. Aber ich weiß bis heute nicht, wie wir sie angesichts des militärischen Charakters dieser Systemgrenzen hätten verhindern können! Es wäre unehrlich von mir, etwas anderes zu sagen. Die Bitternis bleibt.” (S. 31)

So wird auch in der Folge der sogenannte „Schießbefehl”, ob er nun schriftlich oder mündlich existierte, geleugnet, und das rigorose Grenzregime des Arbeiter- und Bauernstaates auf die „politische Großwetterlage des Kalten Kriegs” geschoben. Krenz verschweigt fortwährend, dass er seit 1983 als Sekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED für Sicherheitsfragen neben Nationaler Volksarmee und Volkspolizei auch die vielfältigen Aktivitäten der Grenztruppen und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) koordinierte.

Kronprinz Krenz stürzte viele Menschen ins Unglück

Wenn jemand damals behauptet hätte, Krenz oder Politbüromitglieder seien „machtlos”, „ahnungslos” oder gar „kleine Lichter” (S. 58) gewesen, hätte er diese Person mit schlimmen Repressalien rechnen müssen. 1984 rückte Egon Krenz zudem zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR auf und war damit auch protokollarisch der zweite Mann nach Erich Honecker: Der Kronprinz, der im Nachhinein nicht alles auf das „Kollektiv der Führung” (S. 58) schieben kann. Fest steht ohne Zweifel und mittlerweile durch viele neue Aktenfunde belegt, dass Krenz wie auch beispielsweise der heute eher positiv wahrgenommene Günter Schabowski (seit 1984 Mitglied des Politbüros und seit 1985 Berliner SED-Bezirkschef) durch ihr Handeln viele Menschen ins persönliche Unglück stürzten.

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Foto: CJ

Doch diese fürchterlichen Episoden spielen für die schriftstellerische Tätigkeit in eigener Sache keine Rolle. Auf den Seiten 50 bis 156 schildert der spätere Nachfolger Honeckers und prominentestes Opfer der „bundesrepublikanischen Klassenjustiz” ausführlich seine ersten Gefängnistage vom 25. August bis zum 11. September 1997. Die 17 Tage kommen dem Leser wie Jahre in einem sibirischen Umerziehungslager vor. Krenz jammert, auch wenn die von ihm gefürchtete Knast-Tristesse nicht zu vergleichen ist mit Haftanstalten der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen oder Bautzen, wo mit Dunkelhaft, Schlafentzug oder Wasserzellen gefoltert wurde, und die Inhaftierten monatelang teilweise nicht wussten, was ihnen genau vorgeworfen wurde.

Auslieferung von Honecker war „Widerlichkeit”

Krenz reflektiert als Geschichts-Rechthaber lieber über Erich Honecker und seine „Auslieferung” 1991 durch den russischen Präsidenten Boris Jelzin an die Bundesrepublik, die er als „Widerlichkeit” (S. 52) bezeichnet und danach über politische Verfolgung und soziale Diskriminierung von Menschen schreibt, die in der DDR politisch tätig gewesen seien. Zudem zeigt er sich besorgt über seine Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Moabit und den permanenten Zellenumzug.

„Die Tür fällt zu, der Schlüssel dreht im Schloss. Zuerst fallen mir die beschmierten Wände auf. Dann sehe ich ein Waschbecken, in das sich jemand erbrochen hat. Als die Aufseherin Bettwäsche bringt, sage ich: ‚Ganz schön dreckig, diese Zelle.'” (S. 55)

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Foto: CJ

(Fortsetzung am 4. Januar 2010.)

Langfassung (30 Minuten): NDR-Reporter (Panorama) über Egon Krenz (3. Juni 2009).

Kommentare (2)

  1. #1 erich egermann
    Januar 3, 2010

    Herzlichen Dank für Ihre Beiträge zur “Vergangenheitsbewältigung” der DDR.
    Bitte weiter so !

  2. #2 Christian Jung
    Januar 3, 2010

    Danke! Morgen kommt Teil 2 zu Egon Krenz.