Teil 3 (Teil 1 + 2 sind am 2./4. Januar 2010 erschienen)
Krenz, Egon: Gefängnis-Notizen, Berlin 2009.

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Egon Krenz am 11. Februar 2009 bei der Vorstellung seines Buches in Berlin. (Foto: CJ)

Die Ausführungen des Krenz-Buches lassen zu seinen bisherigen Veröffentlichungen keine neuen historischen Erkenntnisse zu. Jedoch eignen sich seine Gedankengänge durchaus, um die absolute Verbitterung über den persönlichen Bedeutungsverlust nachvollziehen zu können.

Oft fragen selbst Historiker, ob es Sinn macht, solche autobiografischen Berichte und „Märtyrerzeugnisse” der Gegenwart überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und auszuwerten, zumal gebetsmühlenartig wiederholte Erkenntnisse wie „Der Kapitalismus ist noch nicht das letzte Wort der Geschichte!” nicht weiterführend seien. Der Einwand ist für mich in diesem Zusammenhang immer, dass gerade mentalitätsgeschichtlich aus solchen Selbstquellen wichtige Sachverhalte erschlossen und noch eindrücklicher werden, als sie es bisher waren.

Trotz DDR-Verflüssigung bleibt die Ideologie

Beispielsweise war es für mich immer ein Rätsel, wie schnell sich die DDR als Staat verflüssigte, trotzdem aber die kommunistische Ideologie bis zum heutigen Tag bei manchen Unverbesserlichen, aber auch bei jungen Menschen, wenn man an zahlreiche Nachwuchskader der „Linken” denkt, in einem plasmaartigen Zustand überleben konnte. Zumindest durch die schriftlichen Zeugnisse von SED-Machthabern wie Krenz wird offensichtlich, dass es in der DDR seit Ende der 1970er-Jahre auch wegen des zur Verfügung stehenden „Diktatur-Personals” keinerlei gesellschaftliche und wirtschaftliche Innovationen mehr gab, zumal das Land finanziell bankrott war.

Gedankenpolizist setzt sich mit DDR-Bevölkerung gleich

Problematisch ist dabei nicht, dass Krenz seine Sicht der Dinge, die banalen und die historischen, darlegt und zu einer eigenen Zeitanalyse kommt. Das gehört zu einer pluralistischen Gesellschaft genauso dazu, wie das Recht, eine kritische Rezension zu schreiben. Zu verurteilen ist allerdings der nicht mehr für alle Zeitgenossen so einfach ersichtliche, aber trotzdem plumpe Versuch, sich als Polittäter und ZK-Instrukteur der Gedankenpolizei „Staatssicherheit” mit den Menschen propagandistisch gleichzusetzen, die in der DDR lebten, ihr Leben in der Unfreiheit mit glücklichen und traurigen Momenten durchhielten.

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Foto: CJ

Diese hätten sich nie mit Egon Krenz und dem inneren Kreis der Staats- und Parteiführung auf eine Ebene gestellt und stellen dürfen. Genauso zu verurteilen ist die permanente Phra-se vom Vorwurf der „Rechtsbeugung” der Gerichte, die nach 1990 mit Egon Krenz befasst waren. Schließlich muss er akzeptieren, dass ein sogenannter „Dritter Weg” für die früheren Machthaber blutig hätte verlaufen können und die friedliche Revolution in der DDR auf dem Weg zur Wiedervereinigung bewusst auf Racheakte und Lynchjustiz verzichtete, was ihr gro-ßer Verdienst ist.

Welch Geistes Kind Krenz immer noch ist, offenbarte er übrigens bei der Vorstellung seines Buches am 11. Februar 2009 im Gebäude des „Neuen Deutschland” in Berlin. Auf die Frage eines mehrere Jahre in Bautzen einsitzenden politischen Gefangenen, ob er sich nach 1989 nicht mit dem DDR-Unrecht beschäftigt habe, sagte Krenz:

„Es gab immer einen Grund, weshalb man in der DDR im Gefängnis saß. Das gilt auch für Sie.” (Handschriftliche Notizen CJ vom 11.2.2009)

Wenn er sich ungestört und unbeobachtet fühlt, spricht Krenz wie auf einem Treffen von DDR-Grenzsoldaten am 24. Oktober 2009 im brandenburgischen Petershagen noch deutlicher, wie ein Korrespondentenbericht der Deutschen Presseagentur von Jutta Schütz (25.10.2009) offenbarte:

„Hier sitzen jene, die dafür gesorgt haben, dass aus einer Fehlinformation keine Katastrophe wurde”,

sagte der damals 72-Jährige im Hinblick auf den 9. November 1989, bei dem er durch den von Schabowski verursachten Massenansturm auf die Grenzübergänge leicht ein Blutbad hätte geben können.

„Die Grenztruppen haben dafür gesorgt, dass Sekt fließen konnte und kein Blut.”

Krenz nahm in der Folge wie auch schon in seinem Buch unverklausuliert für sich in Anspruch, stellvertretend für die Ostdeutschen zu sprechen. Neben dem nötigen fehlenden Respekt gegenüber den DDR-Bürgern werde auch ihre Lebensleistung nicht anerkannt, schlecht geredet und Ost-Biografien in den Schmutz gezogen. In diesem Zusammenhang sprach er von „Volksverhetzung, die bestraft gehört”, wenn jemand hetzerisch die DDR als zweite deutsche Diktatur bezeichne.

Den letzten beiden Sätzen seines Buches ist unterdessen voll zuzustimmen: „Die Geschichte ist nicht abgeschlossen. Sie ist nach vorn offen. (S. 234)” Der Kampf um die Interpretation ist noch nicht zu Ende.

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Foto: CJ

Langfassung (30 Minuten): NDR-Reporter (Panorama) über Egon Krenz (3. Juni 2009).

Kommentare (1)

  1. #1 Christian A.
    Januar 6, 2010

    Hmm, ich hab noch ein Problem mit einem sprachlichen Bild: Was bedeutet “Die DDR verflüssigte sich”? Ich würde spontan “verflüchtigen” verwenden.

    On Topic: Ich habe mich mit dem Thema DDR nicht weiter auseinandergesetzt. Daher gefällt mir der Eintrag gut. Aber kann es nicht sein, dass Krenz recht hat, wenn er meint, dass man auch drüben nicht ohne Grund im Knast saß? Selbst politische Wirkung, wenn der Staat sie als Bedrohung ansieht, ist doch ein Grund. Dass die Normen, auf denen die Beurteilung einer Bedrohung beruhte menschenfeindlich waren, wäre in dem Fall ja ein anderes Thema.