Hier schalte ich gerade das AKW Tihange aus

Wenn man nichts Besseres zu tun hat, dann guckt man sich eben YouTube-Videos im Internet an. Manchmal lernt man sogar noch was dabei, wie hier bei einer Führung durch den unversitätseigenen Forschungsreaktor des MIT in den USA. Ja, ich weiß der Reaktor der TU München ist viel neuer, toller und besser, aber von dem gibt es kein so cooles Video. Das Video (und der Reaktor) ist dahingehend sehr informativ, weil es hemdsärmelig und ohne viel “öffentliches PR-Blabla” einfach die wichtigsten Eigenschaften eines Forschungsreaktor zeigt. Falls ich das gleiche Video mit dem Reaktor in München machen würde, dann würde es an jeder zweiten Ecke heißen “das können wir aus Sicherheitsgründen nicht filmen” oder “das können wir jetzt nicht einfach mal aufmachen. Nur zu Arbeitszwecken”. Diese Einwände haben sicher ihre Daseinsberechtigung, aber umso erfrischender ist es eben so ein schön ungeschminktes Video im Netz zu finden.

Wenn man sich noch niemals mit Kernreaktoren auseinandergesetzt hat, dann wirken einige Dinge doch arg verwunderlich. Dass eine 20jährige Studentin im vierten Semester mit der entsprechenden Ausbildung den Reaktor bedienen darf, dass in dem Reaktor weniger Strahlung herrscht als draußen auf der Straße und dass das Gerät, was einfach so in die Luft fliegen und die ganze Stadt verstrahlen kann, mit Analoganzeigen und Schiebedrehreglern aus den 60er Jahren kontrolliert wird. Aber gerade diese Dinge sind es, an denen man aufzeigen kann, worauf es bei einem Reaktor wirklich ankommt.

Also an dieser Stelle würde ich empfehlen, erst mal in Ruhe das Video anzugucken, denn der Rest meines Artikels wird daraus bestehen, dass ich die Dinge, die in dem Video recht beiläufig und normal gezeigt werden, etwas genauer erkläre.

https://www.youtube.com/watch?v=5QcN3KDexcU

0:20 – Beim Betreten des Reaktor gibt es erst mal ein Personendosimeter, dass dann beim ganzen Aufenthalt an der Person getragen werden muss. Der Strahlenschutz des Reaktors hat dafür Sorge zu tragen, dass normale, das heißt nicht Strahlenschutz-überwachte, Personen max. 1mSv Strahlung pro Jahr extra abbekommen. In der Regel wird das mit einem einfachen Gamma-Dosimeter sichergestellt. Die können zwar nur Gammastrahlung erkennen, aber man erwartet, dass die nach ein paar Stunden im Reaktor immer noch 0µSv anzeigen. Sprich, dass die Besucher eben gar keine Strahlung abbekommen haben. Erst wenn es irgendwas über 10µSv anzeigen würde, dann müsste sich der Strahlenschutz Gedanken machen, weil ja eben auch noch Neutronen (die durch den Detektor nicht erkannt werden) hier in der Gegend herumfliegen. Aber das ist meines Wissens noch in keiner Einrichtung, in der ich gearbeitet habe, passiert. Die Amis benutzen hier recht alte Personendosimeter, die in Deutschland eigentlich schon alle aussortiert und durch digitale ersetzt worden sind.

0:30 – Sarah ist sowas wie ich. Mit dem Unterschied, dass sie sich wahrscheinlich auf Reaktorphysik spezialisiert hat, während mein Spezialgebiet – zumindest formal – Festkörperphysik ist. So ein Display, welche Person gerade im Reaktor ist, ist international Standard. In Grenoble gibt es einen Monitor, an dem man immer ablesen kann, wer gerade “eingeloggt” ist und ob man damit rechnen muss, dass einem sein Prof. plötzlich von hinten über die Schulter guckt. In Deutschland ist das aus Datenschutzgründen nicht gestattet. Da darf eine solche Liste, wer gerade drin ist, nicht öffentlich einsehbar sein.

1:30 – So eine Schleuse ist normal für den inneren Reaktorbereich. Dieser steht normalerweise unter Unterdruck, so dass keine Partikel in die Luft nach draußen entweichen können. In modernen Einrichtungen ist das ganze oft etwas komfortabler als mit so dicken Panzerschotttüren geregelt. Solange man vermeiden kann, dass im Falle einer Kontamination irgendwas nach draußen kommt, ist es OK, dafür braucht es nicht unbedingt eine U-Boot Schleuse.

2:00 – Der MIT-Reaktor ist mit seinen 6MW thermischer Leistung nicht nur der zweitdickste an einer amerikanischen Uni, sondern auch im internationalen Vergleich recht “kräftig”. Thermische Leistung ist aber nicht alles. Er soll ja Neutronen produzieren und je nachdem, welche Brennstäbe benutzt werden und wie sie angeordnet sind, kann die Neutronendichte sehr unterschiedlich sein. Der FRMII zum Beispiel hat zwar nur dreimal so viel thermische Leistung (20MW), aber aus den Neutronenrohren dürfte 100 bis 1000 mal so viel rauskommen.

3:00 – Amerikaner und ihre komischen Maßeinheiten.

6:20 – Toll, dass der Kameramann hier in den offenen Reaktor reingucken darf. Das ist normalerweise nur unter sehr besonderen Bedingungen möglich, aber auch sehr, sehr cool. Dass die Taschen zugetapt werden ist so ein ongoing Joke. Das wirklich Peinlichste, was passieren kann, ist, dass man sich über den Rand lehnt und dann die Brille, ein Kugelschreiber oder ähnliches in den Reaktorkern fällt. Das ist echt doof, schweine viel Arbeit und ultrapeinlich… außer bei den Russen. Die lassen den Schmonz einfach drin *g*.

Oft kann man hier auch noch die Tscherenkow-Strahlung sehen. Das Wasser im Reaktorbehälter leuchtet dann sehr hübsch blau, aus sich heraus, ohne sichtbare Quelle. Das passiert, wenn geladene Teilchen (von der Strahlung) sich schneller bewegen als die Lichtgeschwindigkeit. Ein sehr cooler Effekt, der aber auch noch mal einen eigenen Artikel verdient. Hier im Video kann man ihn leider nicht wirklich sehen.

12:50 – Ja, der große rote Knopf, die Notabschaltung, der SCRAM (safety control rod axe man) oder in Deutsch wesentlich langweiliger die RESA (Reaktorschnellabschaltung) ist natürlich auch mein Lieblingsknopf. Wie man sieht, sind die ganzen Kontrollen ziemlich alt. Das ist auch ziemlich normal. Der MIT Reaktor ist zwar noch mal 10 Jahre älter als der durchschnittliche deutsche Reaktor, aber grundsätzlich ist das auch bei Leistungsreaktoren zur Stromerzeugung ganz ähnlich. Das ist halt die beste Technik der 60er und 70er Jahre. Deswegen braucht man auch keine Angst zu haben, dass sich jemand von außen in den Reaktor reinhackt und die Kontrollstäbe hoch und runter fahren lässt. Digital ist hier nichts und man muss schon am großen Hebel drehen, wenn man was erreichen will.

 

15:20 – Ja, das ist in etwas auch die Ausbildungsprozedur für Operateure in Deutschland. Also das ist schon Arbeit und man muss wissen, was man tut und die Tests sind schon schwer. Aber es ist jetzt auch keine mehrjährige Ausbildung oder so. Aber der Operateur gilt dann jeweils nur für den einzelnen Reaktor.

17:30 – Wie schon angekündigt, keine Gamma-Dosis während des ganzen Aufenthalts. Dabei gibt es in so einem alten Reaktore klassischerweise immer noch mehr Möglichkeiten, dass irgendwo was Strahlung durchkommt. Aber das ist eben auch normal.

Tja, so bzw. so ähnlich sieht es in jedem Forschungsreaktor der Welt aus. In einem Leistungsreaktor zur Energieerzeugung ist es noch ein wenig anders, aber grundsätzlich sind es die gleichen Themen und ähnliche Lösungen. In einigen Reaktoren kann man Führungen bekommen, aber in der Regel kommt man dabei nicht in den inneren Reaktorbereich hinein, geschweige denn in den Kontrollraum. Bestenfalls gibt es ein Besucherfenster, durch das man gucken kann. Daher sind solche Videos wie dieses hier sehr, sehr toll und leider auch viel zu selten.

 

Kommentare (16)

  1. #1 René
    20. März 2019

    Nicht dass ich den Grund Deiner Langeweile gut finden würde, aber ich find’s klasse, was Du dabei ausgegraben hast. Vielen Dank auch für die ergänzenden Erklärungen dazu!

  2. #2 Martin
    Oberteuringen
    20. März 2019

    In Zwentendorf in Österreich kann man das nie in Betrieb gegangene AKW bei Führungen besichtigen — bis ins Innerste! Ich hatte mal das Glück Plätze zu bekommen und das war sehr interessant. Besonders ein paar der österreichischen Eigenheiten des Kontrollraums…

  3. #3 zimtspinne
    20. März 2019

    ist ja lustig, dass das komische Dings in Engl. auch Dosimeter heißt…. das klingt, als hätte es ein Ösi oder Schweizer erfunden, so mit Niedlichkeitsform (Diminutiv, damit ihr hier auch was lernt^^) “Dosilimeterli” 😀

    Ich hatte ja schon mal meinen Ami-Ex erwähnt, der bei der Navy mit Nuke-Zeugs arbeitete (aber auch wirklich in Kriegsgebieten im Einsatz war und dann monatelang nicht erreichbar).
    Als ich ihn länger besuchte, nahm er mich einige Male am Abend mit zu seinem Arbeitsplatz, da war er gerade nicht unterwegs sondern an seiner Basis eingesetzt (weiß jetzt gerade deren Begriff nicht mehr dafür) und hatte eigentlich tagsüber Dienst, ging aber abends schnell noch einen Rundgang machen oder was reparieren. Das war unfassbar locker, ich hätte mir amerikanisches Militär völlig anders vorgestellt, bis ins letzte kontrolliert und durchorganisiert.

    Ich fand es auch etwas merkwürdig, dass dort einfach so wildfremde Europäerinnen eingeschleppt werden konnten, die sich weder ausweisen mussten, noch kontrolliert wurden.
    Ich war sowohl mit an seinem “Büroarbeitsplatz” (und tippte dort sogar für mich etwas an seinem PC und druckte es auch aus) als auch in irgendwelchen Hallen und Schalträumen. Wurde den anwesenden”Kollegen” vorgestellt und auch schon mal eine Weile in einem Raum oder einer Halle allein gelassen.
    Leider leider hatte ich zu der Zeit so gar kein größeres Interesse für solche interessanten Locations, ärgere mich noch heute drüber.
    Die Amis scheinen da einfach bisweilen sehr locker zu sein, kommt wohl auch immer drauf an, wo man ist.
    Ich bin natürlich auch so charmant und vertrauenerweckend, dass mir niemand jemals was fieses zutraut… großer Fehler!! 😀

  4. #4 Tobias Cronert
    20. März 2019

    Hihi, große Gelengheit als Black Window russische Agentin verpasst *g*

    Ich weis gerade nicht, was Dosimeter auf Siwtzerdütsch oder Östereischich heißt, fürchte aber, dass es das gleiche ist … nicht wie Seilbähnli oder Mistkübel. Schade. Gerade aus der Dose leße sich sicher viel machen.

  5. #5 rolak
    20. März 2019

    Da haste aber’n schickes Video ausgegraben, Tobias, mer kütt nit umhin, es weiterzuempfehlen, so wunderhübsch hemdsärmelig, wie es ist…

    Und ja, aus der Dose ließ sich sicher einiges machen, zB wurde mein dritt- oder viertletztes AutoChen (samt und seidesonders Kleinwagen >BobbyCar) in Salzburg “die Puderdos’n” tituliert. Und nein, das hat nix mit Schminken zu tun…

  6. #6 JW
    21. März 2019

    @Zimtspinne: Was trug sich das denn zu. Ich habe seit gut 10 Jahren immer mal beruflich im US-Hospital in Landstuhl zu tun.
    Ich sag nur, Paranoia manifestiert sich.

  7. #7 Werner Röpke
    Erkerode
    21. März 2019

    Der Steuerstand ist toll, alles richtig dicke Schalter und Hebel. Erinnert mich an meinen Besuch im Forschungsreaktor der PTB vor 50 Jahren, da war das Bassin nur viel größer und man konnte die Cerenkovstrahlung prima fotografieren. Bei Rausgehen gab es dann ein kleines Problem, die Monitore haben angeschlagen, zum erstenmal seit das Ding gebaut wurde. Ursache war eine Kontamination, die wir an unseren Schuhen hatten. Bei Amersham hat man es damals noch nicht so genau genommen mit dem Strahlenschutz, aber das war auch die Zeit, wo man alles unbesehen in die Asse verklappt hat.

  8. #8 Peter Köhler
    21. März 2019

    Bei 7:25 fuchtelt jemand mit einem kleinem Instrument oder Kugelschreiber über dem Core. Ob das zulässige Prozedur ist? Wahrscheinlich ist es der Lehrstuhlinhaber persönlich.

  9. #9 Thomas
    Unterschleißheim
    21. März 2019

    Hey wir haben immerhin diesen Typen reingelassen:
    https://www.youtube.com/watch?v=5eBZF53KMig

    Man kann auch mit Besuchern ans Becken gehen.

  10. #10 tomtoo
    22. März 2019

    Was will man da sagen? Doch unerwartet sexy so eine Reaktorführung. ; )

  11. #11 tomtoo
    22. März 2019

    @Thomas
    Danke! Der Video war echt sehr unterhaltsam!

  12. #12 tomtoo
    22. März 2019

    Ich muss jetzt mal etwas gestehen. Ich kenne Reaktoren. Aber irgentwie ist mir eben gerade bewusst geworden wie winzig der wirklich aktive Teil ist.

  13. #13 tomtoo
    22. März 2019

    Sry bin leicht beschwippst. Wie cool wäre so ein Reaktor ohne Neutronen? Ja ich weiss @Tobi du wirst mich hassen ; )
    Aber die Energie auf dem Raum ohne die lästigen Neutronen?

  14. #14 fangirl
    22. März 2019

    Super interessantes Video! Allerdings hätte ich nie erwartet, dass ein Reaktor so dermassen von Gaffa-Tape zusammengehalten wird. Der Sirius-5AB hat mich ein bisschen an den Getränkeautomaten von Jackass/Bad Grandpa erinnert.

  15. #15 Tobias Cronert
    22. März 2019

    @ Peter Köhler: Ja, genauso, wie Mediziner im weißen Kittel immun gegen Ansteckung sind, so sind Physik Profs. immun vor Strahlung und ähnlichen minderwertigen Problemen 😉

    @ Thomas: Ja, der FRM II ist schon ein wenig moderner, als der am MIT … aber da kann ich nicht in den Kern spucken *g*

    Ansonsten … Ja Gaffa Tpe ist eines der essentiellen Bestandteile jedweder Forschungseinrichtung auf der ganzen Welt. Die derzeit beste Neutronenquelle weltweit ist der Forschungsreaktor in Grenoble. Der ist zwar ein alter Reaktor, hat aber ordentlich Power und die besten Wissenschaftler in den entsprechenden Feld. Wenn man von Zeit zu Zeit seuftzt: “Einmal mit Profis arbeiten” …. ja das ist z.B. dort. Da würde ich gerne mal ein richtiges Video von zeigen.

  16. #16 Niels
    14. November 2019

    Vor einem Jahr war ich im Rahmen einer Vorlesung im Forschungsreaktor in Wien. Wir haben da eine Führung bekommen, bei der wir sowohl im Kontrollraum waren, als auch in den Reaktor reinschauen und die Tscherenkow-Strahlung bewunder durften. Es wirkte so, als ob das Standard bei Führungen ist.
    Ein schrecken wurde uns eingejagt, als noch in der Lobby unser Dosimeter (wir hatten als Gruppe eines Zusammen) angefangen hat laut zu Pipen, aber da war nur die Batterie leer.