Was für ein Hick-Hack um das europäische Galileo-System getrieben wird.

Eine kurze Zusammenfassung des ganzen politischen Spiels wurde gestern in SWR3 als Topthema vorgestellt (Der Beitrag vom 23.4.08).

Es ist zum Haare ausraufen und natürlich kann es sich auch SWR3 nicht nehmen lassen, das alte “Huch es ist so teuer, lohnt sich überhaupt? Es gibt doch das amerikanische GPS”-Argument zu bringen.

Ich hab da eine ganz andere Sicht der Dinge.

Zunächst einmal, wo steckt überall GPS drin?

Z.B. in vielen Paket, die Euch zugestellt werden. Der Paketdienst GLS hat seine Zusteller seit neuestem mit GPS-Empfängern ausgestattet, so dass die Zentrale nachverfolgen kann, wo das Paket gelandet ist. Die zivile Luftfahrt, die Euch in den Urlaub bringt, verwendet GPS. Speditionen statten damit ihre LKWs aus. Wertvolle Fracht wird mit GPS-Empfängern-Trackern gespickt, um sie im Falle eines Falles verfolgen zu können. Die deutsche Polizei setzt es inzwischen zur Verbrechensbekämpfungen ein und sogar die Landwirtschaft hat das Potenzial erkannt: Stichwort “Precision Farming“. Ganz abgesehen davon, dass GPS in vielfältiger Weise in der Forschung eingesetzt wird. Gerade im Bereich angewandte Geophysik, Archäologie etc. pp.

GPS bring uns nicht nur bequemer ans Ziel, sondern ist inzwischen ein wichtiger Bestandteil der weltweiten Wirtschafts- und Verkehrsströme – und es ist ein System, auf dass die USA ein Monopol hat und das zuallerst einmal militärischen Zwecken dient.

Stimmt das niemanden nachdenklich? Dass ein wichtiger Teil unseres Wirtschaftssystems eine Black-Box ist, auf die wir kaum einen Einfluss haben? Wo ein einzelner Staat am Drücker sitzt? Was ist denn, wenn die USA entscheidet, das System für die zivile Nutzung zu sperren oder signifikant zu verschlechtern?

Dann stehen wir in Europa aber ganz schön blöd da. Wetten, dass dann die Leute angelaufen kommen und heulen, weil soviel Geld verloren geht! Ich möchte gerne mal wissen, wieviel Schaden entstünde, wenn für einen Tag das GPS ganz gesperrt würde.

Klar, es gibt das russische System GLONASS aber angesichts der politischen Situation dort, erscheint das auch nicht so verführerisch.

Wieviel ist uns also angesichts dessen, dass ganze Wirtschaftskreise inzwischen auf GPS angewiesen sind, die technische Unabhängigkeit von den Amerikanern wert?

Im SWR3-Beitrag hieß es, dass die Kosten auf 25 Milliarden Euro in 25 Jahren geschätzt werden; ein Viertel davon bezahlt der deutsche Steuerzahler. Das wären also 6,25 Milliarden Euro in 25 Jahren oder 250 Millionen Euro pro Jahr. Der Bau des Systems würde 3,4 Milliarden Kosten. Davon trägt der Steuerzahler 25%, das wären also 0,85 Milliarden Euro Baukosten.

Hört sich das viel an?

Dann vergleicht das bitte mal mit den Kosten für den Bau des ersten Abschnittes der Erweiterung der Kölner U-Bahn: 1,1 Milliarden Euro.

Kommt schon Leute! 1,1 Milliarden Euro für eine Verkehrsanbindung, die zuallererst nur Leuten in Köln zugute kommt, stehen hier gegen eine Investition von 0,85 Milliarden Euro, die letztendlich allen Europäern zugute kommt.

Wieviel hätte der Bau des Transrapid kosten sollen, der “nur” zwischen München Hauptbahnhof und Flughafen verkehrt wäre? Mehr als 2 Milliarden? Vergleicht das bitte mit einem System, das die ganze Welt umspannt!

Natürlich wäre es in einer perfekten Welt nicht nötig, ein neues paralleles System aufzubauen, wo doch das amerikanische GPS so zuverlässig funktioniert. Aber wir leben nun mal nicht in einer perfekten Welt.
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Nachtrag: Ich entschuldige mich für die vielen Schreibfehler in der ersten Version. Ich war gestern spätabends doch sehr müde. Aber es musste raus, weil mich das so geärgert hat.

Kommentare (15)

  1. #1 Arnd
    April 24, 2008

    Ganz meine Meinung. Sobald die Amis in den nächsten Krieg ziehen bauen sie wieder eine “Missweisung” ein, die sie nur selber rausrechnen können, zumindest wenn die Gefahr besteht, dass der Gegner ebenfalls GPS benutzt.

    Mit der gleichen Technik könnten sie auch jederzeit das System kostenpflichtig machen. GPS ist eine der wichtigsten Infrastrukturen geworden.

    Und nebenbei: Ich habe mal gehört, dass GALILEO auch genauer sein wird als GPS, ist das richtig?

  2. #2 ali
    April 24, 2008

    42.7 Milliarden verpufften alleine im Jahr 2007 für Kartoffeln, Kohl und Butterberge in der EU unter dem Titel Common Agricultural Policy (dazu kommt dann noch was die Konsumentinnen und Konsumenten in Form von höheren Preisen berappen müssen). Von der Schweiz erwähne ich mal gar nicht erst. Man muss natürlich abwägen, was man als nützlicher einstuft…

  3. #3 Ludmila Carone
    April 24, 2008

    @Arnd: Ja, Galileo wäre genauer, als das GPS – zumindest der für den zivilen Teil freigeschaltete. Aber die Amis schlafen ja nicht und die nächste Verbesserung steht an. Und wenn das so weiter geht, dann geht auch Galileos Präzisionsvorsprung verloren.

  4. #4 David Marjanović
    April 24, 2008

    Es kommt noch besser. In jedem Krieg werden die GPS-Satelliten über dem Kriegsschauplatz zusammengezogen. Dort ist GPS dann auf den Zentimeter genau… und überall sonst sinkt die Genauigkeit drastisch. So geschehen im Afghanistankrieg.

  5. #5 knorke
    April 24, 2008

    Ich finde es toll, wenn die ganze Welt nicht am Tropf eines Systems hängt. Man kann da politische Argumente ins Feld führen – halte ich aber gar nicht für notwendig. Es reicht doch schon, dass man die Wahl hat zwischen zwei Systemen. Eine Möglichkeit zum Geld verdienen ist das – und eine Möglichkeit dass technische Innovation nicht nur von der Interessenlage einer einzigen “Partei” abhängig ist.

  6. #6 Tilman Baumann
    April 24, 2008

    Ist es immer noch so das die Amis bei Galileo eine art Vetorecht bekommen mit dem sie nach belieben den Galilaeobetrieb und die genauigkeit nach Bedarf steuern duerfen?

  7. #7 Ludmila Carone
    April 24, 2008

    @Tilman: Öh, also das wäre das erste Mal, dass ich davon höre. Woher hast Du diese Info? So richtig plausibel erscheint mir das auch nicht. Das wäre doch ein erheblicher Einschnitt in die Autonomie Europas.

    Auf der Webseite der EU finde ich dazu jedenfalls nichts: https://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/galileo/index_en.htm

    Die USA ist wohl gegen eine militärische Nutzung von GALILEO. Es gab außerdem ein US-europäisches Gekabbel um die genaue Frequenz, weil die Amerikaner angeblich fürchteten, dass das GALILEO-Signal das GPS stören könnten.

    Klar, die Amis sind nicht so richtig glücklich über ein paralleles System und versuchen ihre Pfründe zu sichern oder das zu blockieren, was ihnen potentiell schaden kann. Das ist völlig klar. Das ist auch ein großes Problem des Ganzen, was die Verwirklichung noch weiter in die Länge zieht.

    Aber sollen wir deswegen den Schwanz einziehen und laufen gehen? Wenn das System erst mal da ist und wir am Drücker sitzen, dann kann man auch mal neu verhandeln, wenn der Bedarf da ist.

  8. #8 van
    April 24, 2008

    nichts genaues weiss man nicht, aber bei Heise und Telepolis gibt es eine Menge Artikel darüber ob die USA jetzt Galileo stören/abschalten können.

    https://www.heise.de/newsticker/USA-und-EU-erzielen-Einigung-ueber-GPS-Galileo-Abkommen–/meldung/93424

  9. #9 Tilman Baumann
    April 25, 2008

    Ja, genau aus dem Dunstkreis der Heise Berichterstattung hatte ich meine Infos auch.
    Seit dem hat man nicht mehr viel gehoert. Aber es waere nicht das erste mal das uns die Politik ueber unmoralische Vertragsklauseln nicht unterrichtet. Wir erinnern uns an das Maut-Desaster wo jeder normal tickende Mensch sehen musste das der Vertrag eine Farce ist.

  10. #10 Ludmila Carone
    April 25, 2008

    @Tilman: Es könnte aber auch sein, dass Heise/Telepolis da was in den falschen Hals bekommen haben. Die Berichterstattung ist schon sehr nebulös.

  11. #11 Ronin
    April 25, 2008

    im 2.golfkrieg hatten die amis gps für die zivile nutzung komplett abgeschaltet.

    das galileo auch für militärische zwecke benutzt wird, bin ich einverstanden. wir sind doch kein vasallenstaat der usa, der dann noch auf das wohlwollen angewiesen ist.

  12. #12 student_b
    April 25, 2008

    wir sind doch kein vasallenstaat der usa, der dann noch auf das wohlwollen angewiesen ist.

    Jetzt musst du das nur noch euren Politikern erklären. 😉

  13. #13 Ronin
    April 26, 2008

    @student_b

    ja das ist das problem. 😉

  14. #14 Rabe
    April 26, 2008

    >> Wertvolle Fracht wird mit GPS-Empfängern gespickt, um sie im Falle eines Falles verfolgen zu können.

    Ein tracker wird es schon sein müssen, ein purer Empfänger wäre schwer zu orten.

    Und natürlich funktioniert alles im Zweifel nicht mehr…

  15. #15 Ludmila Carone
    April 26, 2008

    @Rabe: Oh ja, stimmt. Ich erinnere mich, dass es mal eine Kontroverse darüber gab, ob GPS-Empfänger zum Ausspionieren benutzt werden können. Können Sie nicht. Es muss ein Tracker sein. Wie gesagt, es war spät…

    BTW, es gibt außerdem noch ganz andere Anwendungen für das GPS. Z.B. das Geocaching (https://de.wikipedia.org/wiki/Geocaching). Eine Kollegin macht das in ihrer Freizeit. Das ist eine Art Schnitzeljagd, nur eben mit GPS. Das würde dann natürlich auch nicht funktionieren.