Der deutsche Titel ist reichlich doof und meiner Meinung nach ziemlich irreführend. “Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften.”
Ich hab die englische Version mit dem weitaus treffenderen Titel “Guns, germs and steel” und dem Zusatz “a short history of everybody for the last 13.000 years”. Das trifft die Sache dann doch viel eher als “Schicksale menschlicher Gesellschaften”. Insbesondere weil Jared Diamond in seinem Buch sehr oft auf “Feuerwaffen, Bazillen und Stahl” verweist.
Als ich das Buch las, dachte ich mir: “Hmm, reichlich ambitioniertes Vorhaben mal eben die gesamten 13 000 Jahre Menschheitsgeschichte zu beleuchten.”
Ich hab selten bei der Lektüre eines Buches so viel gelernt. Langweilig wurde es dabei eigentlich nie. Dafür sorgen unter anderem die vielen eingestreuten Anekdoten und Geschichten. Auch wenn mich zwischendurch die Wiederholung der immer gleichen Thesen etwas nervte. Andererseits ist bei der Fülle an Material eine gewisse Redundanz wahrscheinlich unvermeidbar, damit der Leser bei 13 000 Jahre Geschichte und fünf Kontinenten nicht den Überblick verliert. Vor allem gelingt es Jared Diamond, das Thema Menschheitsgeschichte gleich in verschiedener Hinsicht erfrischend anders darzustellen.
- Da wäre zum einen der zeitliche Rahmen. Die Geschichte wird hier eher grob in Jahrtausende und Jahrhunderte zusammengefasst, um den Verlauf der Besiedlung der Welt durch den Menschen und die Entwicklung der Landwirtschaft zu beleuchten. Der Autor greift aber auch das eine oder andere Einzelereignis heraus. Besonders oft bezieht sich Diamond auf die Schlacht von Cajamarca, bei der eine Bande von Hasardeuren ein zahlenmäßig mehrfach überlegenes und erfahrenes Inkaheer besiegte. Durch Feuerwaffen, die den Waffen der Inkas weit überlegen waren, durch Stahl, da die Rüstungen der Spanier einen effektiven Schutz darstellten, durch die Einführung von Bazillen, die zu Epidemien im Inkareich führten und so die politische Lage durch Nachfolgezwistigkeiten destabilisierte. Was sich die Spanier im Verlauf ihrer Eroberungsfeldzüge natürlich zunutze machten.
- Dann die globale Sichtweise. Man erfährt normalerweise eher wenig über die Geschichte New Guineas oder Australiens. Das hält Jared Diamond genau anders. Wo erfährt man schon was über die Besiedlungsgeschichte Tasmaniens vor der Ankunft der Europäer?
- Geschichte als Naturwissenschaft. Jarod Diamon betrachtet mittels Linguistik, Genetik und Archäologie die Entwicklung einzelner Völker. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen und die Veränderung derselben, denen sich die Menschen im Verlauf ihrer Entwicklung und Besiedlung gegenüber sahen, sieht der Autor als natürliche Experimente. Beispiel: Irgendwann nach der Besiedlung des australischen Kontinentes und der Inseln drumherum stieg der Meeresspiegel, was zu einer Abschottung verschiedener Gemeinschaften voneinander führte. Z.B. auf Tasmanien, wo ungefähr 4000 Jäger und Sammler im Laufe der Zeit zwar überlebten, aber einiges an Technologie verloren. Kleinere isolierte Gemeinschaften von ein paar hundert starben über kurz oder lang aus.
- Zuguterletzt natürlich der Hauptaspekt unter dem Jared Diamond die Menschheitsgeschichte beleuchtet: Biogeographie d.h. Klima, Größe eines Besiedlungsraumes, Fragmentierung, einheimische Flora und Fauna.
Im Grunde lässt sich der technologische Fortschritt der Eurasier vor allem auf eins zurückführen: Eine effiziente Nahrungsmittelproduktion. Dafür braucht man aber zunächst mal geeignete Pflanzen. Pflanzen, die jedes Jahr – ohne eine große zeitliche Investition – eine Ernte abwerfen und dabei gleichzeitig relativ viele Kalorien bzw. Nährwert bringen und sich gut lagern lassen. So wie Getreide oder Kartoffeln. Von diesen Pflanzen gibt es, wenn man ganz scharf nachdenkt, gar nicht mal so viele. Und nicht jedes Klima und jeder Boden ist für eine selbsterhaltende, rudimentäre Landwirtschaft geeignet. Der australische Kontinent ist da z.B. ein extremes Beispiel für ein sehr variables Klima und einen recht unfruchtbaren Boden. Eine über die Jahrtausende entwickelte Landwirtschaft konnte natürlich auch dieses Terrain erobern.
Ein weiterer Faktor sind Nutztiere. Mir war bis dahin nicht wirklich bewusst, wie wenige Tiere sich für eine echte Domestizierung eignen. Diamond führt das auf das Anna-Karenina-Prinzip zurück:„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.” Es müssen eine Reihe von Faktoren stimmen, damit ein Tier wirklich domestiziert werden kann. Z.B. eine gewisse Gutmütigkeit, Herdentrieb, eine gewissen Größe, relative Ungefährlichkeit, keine allzu großen Ansprüche ans Futter usw. usf. Stimmt nur einer dieser Faktoren nicht, dann ist das ganze zum Scheitern verurteilt. Wie z.B. das unfruchtbare Bemühen den Amazonas-Fisch Piracuru zu züchten verdeutlicht. Selbst mit modernen Methoden erwies es sich als fast unmöglich die Fische in größerer Anzahl zu halten. Dafür waren sie einfach zu groß.
Wenn man ganz genau nachdenkt: Die Geschichte Eurasiens wäre ohne Pferde, Kühe und Hunde anders verlaufen. Dummerweise ist sowohl auf den amerikanischen Kontinenten wie auch in Australien mehr oder weniger zeitgleich mit dem Erscheinen des Menschen die Großtierfauna stark dezimiert worden.
Nutztiere dienten entweder als Nahrungsquelle oder/und als Zugfahrzeug, was wiederum die Produktivität der Landwirtschaft erhöhte, was wiederum den Weg frei machte für die Spezialisierung einzelner Menschen z.B. auf Handwerk, Verwaltung oder Erfindungen, was wiederum die Nahrungsmittel-Produktivität steigerte, wodurch die Besiedlungsdichte weiter stieg. Mit der Bevölkerung konzentrierten sich aber auch die Krankheiten. Auch deswegen weil die Nutztiere Viren, Bakterien und Parasiten mitbrachten, die auf die Menschen übersprangen. Diese Menschen wiederum entwickelten eine gewisse Resistenz gegen diese eher unangenehmen Begleiterscheinungen der Zivilisation. Eine Resistenz, die andere Völker mit weitaus geringerer Bevölkerungsdichte gar nicht nötig hatten, so dass mit Ausnahme der Syphilis keine Krankheit im Rahmen der Kolonialisierung nach Europa importiert, aber sehr viele exportiert wurden. Mit verheerenden Folgen für die einheimische Bevölkerung.
Wo die Bevölkerung die Bazillen überlebte, musste sie sich den Feuerwaffen d.h. überlegener Kampfkraft und danach dem Stahl als Symbol für die weiter entwickelte Technologie beugen.
Dieses Buch ist pickepacke voll mit Informationen. So sehr, dass ich es wahrscheinlich ein weiteres Mal lesen werde, weil ich sicherlich einiges überlesen oder schon wieder vergessen habe.
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