Es scheint so, als hätten wir soeben das Arktische Meereisminimum dieses Jahres durchschritten und die Denial-O-sphere brummt nur so. In der deutschen Internetzeitschrift Readersedition, die sich ein wenig die Huffington Post zum Vorbild genommen hat, schreibt jemand, der sich Rudolf Kipp nennt, einen Artikel zum Meereis und kommt zu ganz erstaunlichen Ergebnissen:
Wenn man sich den Verlauf der Eisentwicklung in der Arktis der letzten Jahre anschaut, dann kann von einer Abnahme der Eisbedeckung oder gar von einem beschleunigten Abschmelzen momentan keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Das Eis in der Arktis wächst seit 2007.
Bild 1: Tägliche Arktische Meereis Daten von IARC-JAXA ab 2002.
Man könne also von einer Abnahme des Meereises nicht reden angesicht der dargestellten Daten und auch und schon gar nicht von einer Beschleunigung der Schmelze. Wie kann das sein? Da reden die Klimaforscher wie ich sich den Mund fuzzelig von wegen Arktischer Schmelze und jetzt das. Da schaut einer mal richtig hin, und schon bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Toll. Aber vielleicht schaun wir doch auch noch einmal richtig hin, wie Herr Kipp wohl zu diesen Schlussfolgerungen gekommen ist. Nur um ganz sicher zu gehen.
Nun zuerst bekommt man auf Readersedition das folgende Bild zu sehen: Die tägliche Meereisbedeckung seit 2002 wie sie von dem japanisch/amerikanischen IARC-JAXA Programm berechnet werden (Bild 1). Es sind verschiedene Microwave Sounding Systeme auf verschiedenen Satelliten-Plattformen unterwegs. So gibt es natürlich verschiedene Datensätze und dieser sieht eben so aus wie in Bild 1.
Bild 2: Arktische Meereisdaten zum Vergleich, tägliche IARC-JAXA und monatliche NSIDC Daten. Den September 2009 Wert des NSIDC habe ich geschätzt zu 0.5 Millionen km^2 mehr Eis als 2008.
Tatsächlich, schaut man einmal so auf die Daten: Da ist ja praktisch gar kein Trend. Ein riesiger Jahresgang zwischen etwas mehr als 4 Mill.km^2 und fast 16 Mill km^2 dominiert völlig das Bild. Wie man aber etwa hier sehen kann und wie ich auch hier und hier und hier in aller Länge erklärt habe, handelt es sich beim arktischen Meereisrückgang vorerst um ein Sommerphänomen. Es ist und bleibt in der Arktis im Winter noch für sehr lange Zeit kalt genug, um Meereis im Winter zu bilden. Das sagt einem die Anschauung, das sagen die Modelle und das bestätigen die Daten.
Tja, dann ist das natürlich mit diesem Bild von Readersedition etwas unglücklich. Denn eine Y-Achse die satte 12 Mill. Km2 überstreicht, ist ja vielleicht nicht so geeignet den Trend von einigen 10.000 km^2 pro Jahr im Sommer zu sehen. Schaut man nämlich etwas genauer hin, hat man plötzlich schon den EIndruck, dass die Minima (also die Sommer Werte) im Bild 1 abfallen könnten. Schwer zu entscheiden.
Die Japaner begannen erst mit der Aqua Platform zu messen. Tatsächlich gibt eine amerikanische Meereisreihe, die deutlich weiter geht, nämlich bis zum November 1978. Erst schaun wir mal nach, ob die beiden Gruppen ungefähr das Gleiche gerechnet und gemessen haben (Bild 2). Die NSIDC Werte sind Monatsmittelwerte und stimmen recht gut mit den IARC-JAXA Daten überein. Die Winterdaten scheinen systematisch voneinander abzuweichen (was wohl eine Frage der Auflösung ist und ab welcher Reflektion man nun von offenen Wasser/Eis mit Wasser drau etc etc redet) , aber die relativen Änderungen sind selbst im Winter die gleichen.
Bild 3: NSIDC September Meereisdaten mit linearen Trends ab 79, 90, 2000 gerechnet.
So, dann nehmen wir mal die NSIDC Daten, und zwar ALLE und nicht erst seit 2002, und schauen uns das Ganze nochmal an (Bild 3). Der abfallende klimatologische Trend springt nun wahrlich ins Auge. Der Langzeittrend über die 31 Jahre entspricht einem September-Meereisverlust von 80.000 km^2 pro Jahr (etwa Bayern und Saarland zusammen). Es gibt also einen völlig eindeutigen und hochsignifikanten Trend wenn man sich ALLE Daten anschaut und vermeidet die Achse dermassen aufzublähen.
Zumindest wird der Herr Kipp aber doch recht haben mit seiner Behauptung, dass von “Beschleunigung keine Rede seien kann”. Vielleicht gibt es ja eine Schmelze, aber immerhin könnte sie ja stabil sein. Um das zu prüfen, habe ich mal die entsprechenden Regressionen von 1990 und 2000 an mit ausgerechnet (siehe Bild 3) und tatsächlich wird der Tend in der Schmelze immer steiler (ueber die letzten 10 Jahre 200.000 km^2 pro Jahr, ca die Fläche der alten BRD). 2009 fällt absolut in den Rahmen der beschleunigten Schmelze ab 2000, für die Trendumkehr müsste man tatsächlich einen Trend ab dem Rekordjahr 2007, also über drei Jahre, berechnen. Der ganze Readersedition Artikel ist ein klarer Fall von glücklicher Selbstverdummung untermauert durch 1) einen ohne Not verkürzten Datensatz ; 2) die Hinzunahmen des Wintereises, von dem jeder, der sich jemals mit dem Thema beschäftigt hat, weiss, dass es sich bislang nur sehr wenig geändert hat; 3) eine Y-Achse, die es einem unmöglich macht, zu sehen, was sich eigentlich beim Meereis verändert.
Bild 4: “ Von einer Beschleunigung der Meereisschmelze kann keine Rede sein “Zitat Rudolf Kipp. Dekadische Trends in den NSIDC Meereisdaten von 1979-2009. Der erste Punkt entspricht also dem Trend von 1979-1988 und der letzte dem von 2000-2009.
Aber vielleicht bin ich ja um keinen Deut besser und die drei Trends, die ich oben in Bild 3 zeige sind auch Resultat eines “cherry picking”. Bei dekadischen Trends steckt sehr viel Variabilität drin, selbst beim Meereis. Ein Jahr mehr oder weniger mag einen Unterschied machen und die vermeintlich “runden” Startjahre, 1990 und 2000, sind in Wirklichkeit nur “geschickt” gewählt um eine Beschleunigung in der Meereisschmelze zu suggerieren, die gar nicht existiert? Also habe ich mal jeden dekadischen Trend in den letzten 31 Jahren für die NSIDC Daten ausgerechnet (Bild 4). Der Trendwert auf der Y-Achse gibt den Meereisverlust pro Jahr an. Tasächlich gab es zu Beginn der 90er noch dekadische Trends die mal bei fast Null lagen. Seitdem geht es immer weiter, also BESCHLEUNIGT, bergab, mit momentanen Schmelzraten von ca. 200.000km^2 pro Jahr (s.oben).
Bild 5: Datenbearbeitung à la WUWT. Achsen fein wählen, Zeitserien verkürzen. Die bezaubernden Details bei Tamino.
All diese bewussten Falschdarstellungen und wissenschaftlichen Betrügereien kommen dem einen oder anderen vielleicht bekannt vor? Die Kurvendarstellung hat ja tatsächlich bei den Klimapseudoskeptiker den Rang einer Kunst an sich eingenommen. Auf Anthony Watts “Best Science Blog 2008” (nächstes Jahr wird wohl eine Seite zur mormonische Schöpfungslehre den Preis gewinnen) gab es einen Artikel, der in Frage stellte, ob es überhaupt eine Erwärmung in der Arktis gäbe (Hier und hier). Tamino auf Open Mind hat dieser Art von Kunst schon zu Geschnetzeltem verabeitet. Aber das folgende von ihm übernommenene visuelle Beispiel ist wirklich zu schön. Bild 5 zeigt offensichtlich keine Erwärmung bei der arktischen Station Eureka (gleiches gilt für alle arktischen Stationen), zumindest nicht dem unbewaffneten Auge. Die Y-Achse überspannt volle 55°C, nochmal besser als die “optimierten Achsen” in meinem Meereis-Artikel hier. Man muss sich allerdings nur von den jeweiligen Stationen die Daten aus dem Netz holen und das ganze mal angemessen darstellen (Bild 6), dann sieht man natürlich genau die Erwärmung, die für den hier im Post gezeigten Trend im Meereis mitverantwortlich ist.
Bild 6: Und so sieht es aus, wenn man alle Daten nimmt und die Achsen richtig wählt. Grafik erstellt von Tamino auf Open Mind.
Interessanter Weise (um jetzt noch mal über etwas Wissenschaft zu reden) ist also das Sommermeereis im Rückzug und die arktischen Sommertemperaturen stabil, während es im Winter genau umgekehrt ist, das Wintermeereis geht nur recht wenig zurück und die Temperaturen zeigen einen klaren Trend. Die offensichtliche Erklärung ist, dass im Sommer alle zusätzliche Wärme (atmosphärisch oder ozeanisch) in Eisschmelze umgesetzt wird, während es im Winter nicht zur Schmelze reicht und “nur” die Atmosphäre aufgewärmt wird. In einem nächsten Post werde ich mal nachschauen, ob das denn auch die Modelle so machen.
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