Eric Hand beschreibt in seinem News Feature “The Test of Inflation” (nature 458, 16 April 2009, pp 820-824) die spannende Geschichte der Entwicklung der Big-Bang-Theorie und der Anstrengungen, empirische Evidenz zu finden für die Idee der “Inflation”, also der Annahme, dass das Universum kurz nach dem Urknall erst sehr schnell expandiert ist, dann seine Ausdehnung abgebremst hat und nun nur noch mit einer geringen Rate weiter expandiert.
Am Rande stellt Hand die konkurrierende Theorie der Ekpyrosis vor. Nach dieser ist der Big Bang nicht der Beginn des Universums überhaupt, sondern die Kollision zweier dreidimensionaler Universen innerhalb eines zehndimensionalen Raumes. In diesem Raum pendeln die dreidimensionalen Universen hin und her wie “Wäschestücke an Wäscheleinen” und stoßen alle paar trillionen Jahre zusammen.
Persönlich gefällt mir das Bild von den Wäscheleinen besser als das Luftballon-Bild der Inflation. Aber das tut hier nichts zur Sache. Beide Vorstellungen sind dem Alltagsverständnis ungefähr gleich fremd, ob es sich um einen vielleicht vier-dimensionalen Raum handelt, indem unser dreidimensionales Universum erst sehr schnell und dann langsamer expandiert, oder ob es ein zehndimensionaler Raum ist, in dem zwei dreidimensionale Universen flattern und kollidieren, ist aus dieser Sicht gleichrangig.
Die Ekpyrosis-Theorie hat gegenüber der Inflationstheorie den Vorteil, dass sie weder die Singularität ganz am Anfang des Universums beschreiben muss, noch die Ursache für eine Abbremsung der Inflation finden muss. Insofern ist es für den Außenstehenden verwunderlich, dass sie so wenige Anhänger hat. “Most theorists would say that inflation is still the best game in town.” schreibt Hand. Unter den Gründen, die Hand von Wissenschaftlern genannt bekommt wenn er sie fragt, warum sie die andere Theorie ablehnen, sind nur wenige wissenschaftliche Fakten. Generationenprobleme werden genannt (und verworfen, da mit Steinhardt und Turok zwei Wissenschaftler heute der Ekpyrosis-Theorie anhängen, die vor 30 Jahren zu den Mitbegründern der Inflations-Theorie gehörten). Ein Princeton-Wissenschaftler wird mit den Worten zitiert: “There are people who like making a mess, and there are people who like cleaning it up.” – auch kein wirklich wissenschaftliches Argument.
Das Problem ist, dass den Wissenschaftlern Daten fehlen, die eine der beiden Theorien bestätigen – oder die für beide problematisch sind. Deshalb wird nun Planck losgeschickt, ein Raumschiff, das die Fluktuationen der Hintergrundstrahlung messen wird. Man darf gespannt sein, ob die Messungen wirklich eine der beiden Theorien bestätigen oder widerlegen wird – vielleicht werden die Daten auch nur neue Herausforderungen für beide Theorien bereithalten.
Denn wirklich bestätigt werden kann eine solche Theorie nicht. Wir können nicht zurückreisen in der Zeit um nachzusehen. Das wirft die Frage nach dem Status solcher wissenschaftlichen Theorien überhaupt auf.
Baas van Fraassen ist der Ansicht, dass uns die Wissenschaften mit Theorien ausstatten sollten, die empirisch adäquat sind. Diese Ansicht wird inzwischen von vielen Wissenschaftstheoretikern und wissenschaftstheoretisch arbeitenden Naturwissenschaftlern geteilt. Ob sie in irgendeiner Weise realistisch interpretiert werden können, ist dabei ohne Belang – wichtig ist, dass die Theorien mit den Ergebnissen von Experimenten (besser: von empirischen Forschungen) übereinstimmen. Für die Quantentheorie und verwandte physikalische Systeme ist diese Denkweise äußerst hilfreich: Ob es die Elementarteilchen in irgendeinem realistisch gemeinten Wortsinne „gibt” ist belanglos, wesentlich ist, dass über diese theoretischen Entitäten mathematische Beschreibungen erstellt werden können, die die tatsächlich beobachteten Phänomene und Effekte adäquat wiedergeben.
Wissenschaftliche Realisten widersprechen dieser Ansicht. Das Ziel der Theorien ist es nach ihrer Ansicht, Erklärungen für das So-Sein der Welt zu liefern. Erklärungen sind aber nur möglich, wenn man annimmt, dass die theoretischen Entitäten tatsächlich auf Dinge in der Welt referenzieren, deren kausale Kräfte einerseits von Theorien beschrieben werden können, und andererseits die beobachtbaren Effekte und Phänomene hervorrufen.
Die Kosmologie scheint sich nun in einer besonders schwierigen Lage hinsichtlich ihres Status als realistisch oder instrumentalistisch deutbare Theorie zu befinden. Einerseits sind ihre Entitäten in viel höherem Maße unbeobachtbar als z.B. Elektronen. Effekte, die auf die Existenz von einzelnen Elektronen zurückzuführen sind, lassen sich immer wieder reproduzieren. Man kann Elektronen verwenden, um andere Effekte im Experiment zu erzeugen. Dies ist für die Entitäten, die für die Beschreibung der Situation kurz nach dem Urknall benötigt werden, ausgeschlossen. Insofern wäre eine instrumentalistische Deutung kosmologischer Theorien angemessen.
Andererseits – was bleibt wirklich von einer kosmologischen Theorie, wenn sie nicht als erklärende Theorie gedeutet wird, wenn sie nicht mit einem Anspruch von “So war es – und deshalb ist unsere Welt heute so, wie sie ist.” vorgetragen würde?
Scheinbar ist gerade der Sektor des naturwissenschaftlichen Theoriengebäudes, der sich auf immer der direkten Nachprüfbarkeit seiner realistischen Interpretation verweigern muss, am meisten auf eine realistische Interpretation angewiesen, um überhaupt sinnvoll zu sein. Aber wenn das so ist, müssen dann nicht alle physikalischen Theorien, die in der Kosmologie verwendet werden, realistisch gedeutet werden?
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