Die Frage, ob die nicht direkt beobachtbaren Entitäten der wissenschftlichen Theorien wirklich existieren, und ob man, um Wissenschaft treiben zu können, einen Realismus bezüglich wissenschftlicher Entitäten annehmen muss, wird zumeist an Theorien über Entitäten diskutiert, deren direkte Beobachtbarkeit wegen ihrer Kleinheit ausgeschlossen ist. Es gibt jedoch auch Entitäten in Theorien, bei denen andere Gründe gegen ihre unmittelbare Beobachtbarkeit sprechen.

Wetterfronten, die in meteorologischen Theorien benötigt werden, um die Entwicklung atmosphärischer Phänomene zu erklären, gehören dazu. Sie und die Theorien, in denen sie eine Rolle spielen, haben eine interessante Geschichte.

Für die Beschreibung bestimmter Wetterphänomene wurde in den 1920er Jahren das Bild der atmosphärischen Fronten geprägt. Dass es bestimmte ähnlich wiederkehrende Abläufe im Wettergeschehen gibt, wie z.B. den über Stunden zu beobachtenden Aufzug hoher Schichtwolken, die sich immer mehr verdichten und immer mächtiger werden, bis zuerst ein feiner Nieselregen und später ein lang anhaltender Dauerregen einsetzt,
sich auftürmende Haufenwolken, aus denen starker Schauer-Niederschlag fällt, verbun-den mit starkem Wind und einer nachfolgenden Abkühlung.

Genauere Beobachtungen zeigten dann, dass diese Phänomene mit charakteristischen zeitlichen Änderungen der Windrichtung und des Luftdruckes verbunden sind.
Der räumliche Charakter dieser Phänomene wurde jedoch erst sichtbar, als man begann, Wettermeldungen verschiedener Orte aber eines definierten Zeitpunktes in eine Karte einzutragen. Vorraussetzung dafür war ein hinreichend dichtes Netz meteorologischer Stationen und die Möglichkeit, die Angaben über gemessene und beobachtete meteorologische Größen zügig telegrafisch an eine Zentrale zu melden.
Von diesem Moment an war es möglich, meteorologische Phänomene zu beobachten, die nicht nur einen charakteristischen zeitlichen Verlauf an einem Ort haben, sondern auch wiederkehrende, benennbare, abgrenzbare und identifizierbare räumliche Strukturen aufweisen.

Man kann sich auch vorstellen, dass einem Astronauten, der über keinerlei Wissen über meteorologische Theorien verfügt, und der auf seiner Umlaufbahn immer wieder auf die Erde hinab sieht, ziemlich schnell charakteristische Formationen (Bänder oder netzartige Strukturen) von Wolken auffallen. Interessant ist an dieser Vorstellung, dass der Astronaut vermutlich zunächst überhaupt keine Verbindung zwischen seinen Erfahrungen der Wetterentwicklung an der Erdoberfläche und seinen kosmischen Beobachtungen herstellen wird. Aus der Nähe wird er die Front nie beobachten oder erfahren können, dort gibt es nur Wind, Regen und Temperaturveränderungen und es ist äußerst un-wahrscheinlich, dass er auf diese Weise auf die Idee käme, das beobachtete Phänomen als Front zu beschreiben. Beobachtet er dieses Phänomen aber aus sicherer Entfernung (sei es im Büro der Wetterzentrale oder aus dem Fenster seines Raumschiffs) wird das Phänomen als raum-zeitliche charakteristische Struktur zu erkennen sein, die der Beobachter (wenn man eine militärische Vorbildung voraussetzt) als Front charakterisieren kann.

Die meteorologische Front ist bis hierher eine rein empirische Entität, sie wird zu einer wissenschaftlichen Entität, wenn Meteorologen das Entstehen, die Entwicklung, das Verhalten dieser Gebilde unter verschiedenen Bedingungen systematisch untersuchen und klassifizieren. Dies geschah zuerst in den 1920er Jahren. Zehn bis zwanzig Jahre später entstanden die ersten Fronten-Theorien. Es ist wissenschaftssoziologisch vielleicht interessant, dass diese Zeit in Europa eine Zeit der Spannungen und Kriege zwischen den Nationen war. In dieser Zeit entstand in der Meteorologie auch die Vorstellung von unterschiedlichen, aber in sich (hinsichtlich Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und anderem) homogenen Luftmassen, die an ihren Grenzen aufeinanderprallen. An diesen Grenzen, so wurde die Theorie entwickelt, entstehen durch kleine Störungen Kalt- und Warmfronten, die sich auf charakteristische Weise entwickeln und bewegen, bevor sie sich wieder auflösen. Diese theoretischen Überlegungen der Frontendynamik wurden durch physikalische Argumentationen aus der Thermo- und Hydrodynamik der Gase unterstützt.

An dieser Stelle ist aus der empirischen Entität „atmosphärische Front” eine theoreti-sche Entität geworden.
Interessanterweise wurde in der Meteorologie nun jahrzehntelang folgendermaßen verfahren: aus den beobachteten Wetterphänomenen wurden (zunächst nur durch Eintra-gung von Wettermeldungen in Wetterkarten und deren synoptischer Analyse, später unter Zuhilfenahme von Satellitenbildern und Radarmessungen) Frontensysteme, wie sie aus der Theorie erwartet wurden (hier handelte es sich dann tatsächlich um theorie-beladene Beobachtung) identifiziert. Deren weitere Entwicklung wurde unter Verwen-dung der Theorie vorhergesagt und daraus wiederum eine Prognose des Verlaufes der an einem Ort tatsächlich beobachtbaren Wettererscheinungen abgeleitet.

Bis zu dieser Stelle wäre man vielleicht geneigt zu sagen, dass die empirische Entität „Kaltfront” identisch ist mit der theoretischen Entität „Kaltfront” und dass diese Front auch wirklich existiert. Die Geschichte der atmosphärischen Fronten, soweit sie wissenschaftstheoretisch interessant ist, ist aber damit noch nicht zu Ende.
Inzwischen haben die Wissenschaftler, die sich mit der Atmosphäre beschäftigen, bekanntlich neue Theorien erdacht. Genau genommen sind diese Theorien nicht neu, sie sind ein Teil der seit über 100 Jahren bekannten Thermo- und Hydrodynamik. Es ist seit langem klar, dass man die Erdatmosphäre grundsätzlich mit einem System partiellen Differentialgleichungen beschreiben kann, die die Dynamik und den Temperaturverlauf sowie den Zustandsübergang von Wasser vom gasförmigen in den flüssigen Zustand beschreiben. Das Interesse an diesem grundsätzlich vorhandenen Wissen wuchs aber bei den Theoretikern erst in dem Moment, als in den 1950er Jahren Großrechner zur Verfügung standen, mit denen man komplizierte mathematische Gleichungssysteme in vertretbarer Zeit lösen konnte.

Was die Meteorologen zusätzlich zur physikalischen Theorie benötigten, war die rein mathematische Theorie der Umwandlung der Differentialgleichungen in Differenzengleichungen, die unter anderem die Frage beantworten musste, unter welchen Um-ständen und mit welcher Genauigkeit die Lösung einer Differenzengleichung der einer Differentialgleichung entspricht und welches Verhältnis der Größe einer Zeitdifferenz zu der der Raumdifferenz eine optimale und stabile Lösung ergibt.

Außerdem waren eine große Zahl von Theorien über die Berücksichtigung von weiteren Wechselwirkungen (z.B. das Reflexionsvermögen der Erdoberfläche, der Übergang von Wasser, anderen Stoffen und Wärme zwischen Atmosphäre und Ozeanen oder Erdoberfläche) sowie über die angemessene Übertragung von tatsächlichen meteorologischen Messwerten in das Computermodell nötig, bevor es möglich war, dass diese Modelle die Entwicklung des Zustandes der Erdatmosphäre schneller vorhersagten als diese sich tatsächlich veränderte.

Was jedoch nicht benötigt wurde, war irgendeine Theorie oder auch nur eine Vorstellung von Luftmassen oder Fronten in der Atmosphäre. Die numerische Wettervorhersage kommt völlig ohne Frontentheorie aus. Innerhalb der Theorien, die hier benötigt werden, gibt es nur kontinuierliche Verteilungen physikalischer Größen, die auf Gitternetzmodelle abgebildet werden.

Wenn es aber zwei wissenschaftliche Theorien gibt, die in ihrer empirischen Überprüfbarkeit und praktischen Anwendung vergleichbare Resultate (hier die Verteilung der gleichen messbaren physikalischen Größen) liefern, wobei die eine Theorie Entitäten enthält, die in der anderen völlig unbekannt sind, was kann dann über die Existenz dieser Entitäten gesagt werden?

Wir könnten versuchen, die Existenz der Fronten zu retten, indem wir uns an den Astronauten erinnern, der aus dem Fenster seines Raumschiffs die atmosphärischen Gebil-de beobachtet und immer die gleichen Formen wieder erkennt. Vielleicht wird dieser Astronaut sich aber auch, auf die Erde zurückgekehrt, davon überzeugen lassen, dass die von ihm gesichteten Phänomene nur so aussahen, als ob sie immer wieder Exempla-re einer gleichen Gattung waren. Vielleicht wird der tatsächlich unterschiedliche Wet-terverlauf, der sich auf der Erde abspielte, als er aus sicherer Entfernung immer wieder neue Fronten, die über einen Ort zogen, zu sehen glaubte, ihn auf den Gedanken kom-men lassen, dass die Ähnlichkeit wohl nur in seiner Wahrnehmung und Interpretation existierte.

Das Beispiel verweist in jedem Falle darauf, dass es offenbar sehr unterschiedliche Aspekte von Existenz und existieren gibt.
Zunächst sind da die mehr oder weniger unmittelbar beobachtbaren Phänomene, von denen man entweder sagen kann, dass sie als Exemplare bestimmter Gattungen existie-ren oder dass es so scheint, nur „so aussieht” als wenn die Phänomene zu solchen Gattungen gehören und damit als solche „existieren”.

Sodann sind die in systematischen empirischen Beobachtungen erkannten und klassifizierten empirischen Entitäten zu betrachten, deren „Existenz” wird durch anerkannte wissenschaftliche Verfahren festgestellt. Empirische Entitäten sind damit wissenschaftliche Entitäten, ebenso wie die als drittes zu betrachtenden theoretischen Entitäten, die Gegenstand wissenschaftlicher Theorien sind.

Das Beispiel der meteorologischen Phänomene hat vielleicht deutlich gemacht, wie in historischen Fällen aus unmittelbar beobachteten Phänomenen empirische und letztlich theoretische Entitäten gewonnen werden. Völlig offen ist aber noch, ob die Behauptung der Existenz dieser Entitäten in irgendeinem Sinne auf gleiche Weise gerechtfertigt werden kann oder ob diese Rechtfertigung möglicherweise aufgrund des Bezuges dieser Entitäten aufeinander erfolgen könnte.

Bevor die Existenz meteorologischer Entitäten jedoch vorschnell und ohne Klärung des Sinns der Behauptung ihrer Existenz aufgegeben wird, sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Existenz von Hurrikans und Windhosen auf die gleiche Weise gerechtfertigt wird wie die von Kalt- und Warmfronten. Wenn wir von der Kaltfront, die heute in Deutschland für Abkühlung gesorgt hat, sagen, dass sie eigentlich nicht existiert, müssten wir das gleiche auch von „Kathrina” – jenem Wirbelsturm, der New Orleans verwüstete, behaupten.

Kommentare (28)

  1. #1 Arno
    Mai 6, 2009

    Die gleiche Ueberlegung kann man auch fuer den Stuhl anwenden, auf dem man sitzt. Beschreibt man diesen (samt seiner Umgebung) auf atomarer Ebene, verliert er seinen anschaulichen Objektcharakter: Man kann nicht jedes einzelne Atom (oder gar Elektron) sinnvoll es als “zum Stuhl gehoerig” oder “nicht zum Stuhl gehoerig” ansehen. Noch schlimmer wird es dann bei einer quantenmechanischen Beschreibung. Existiert der Stuhl also?

    Ich persoenlich wuerde das als Indiz dafuer werten, dass der Begriff der Existenz (in diesem Sinne) problematisch, wenn nicht gar nutzlos ist.

  2. #2 Jörg Friedrich
    Mai 7, 2009

    @Arno: Auf den ersten Blick scheint der Stuhl zu den Molekülen und Atomen, die ihn konstituieren, im gleichen Verhältnis zu stehen, wie die Wetterfront zu den Regentropfen. Aber der Unterschied wird deutlich, wenn man bedenkt, wie die jeweiligen Existenzaussagen gerechtfertigt werden:

    Wenn ich sage: Dort steht ein Stuhl, und jemand bestreitet diese Aussage, dann kann ich antworten: “Sieh genauer hin!” oder ich mache das Licht an, damit er ihn sehen kann, oder ich greife mir den Stuhl und bringe ihn her, und bitte den anderen, sich drauf zu setzen. In jedem Falle haben wir hier eine direkte Wahrnehmung, mit der die Behauptung über die Existenz des Stuhles gerechtfertigt wird.

    Das ist sowohl bei den Atomen als auch bei den Wetterfronten anders. In beiden Fällen kann ich nur indirekt, über die Wahrnehmung anderer Effekte, über die Existenz dieser Entitäten urteilen. Vermittelt wird das jeweils über eine Theorie, die beschreibt, wie man aus der Existenz der theoretischen Entität (Atome oder Wetterfronten) die beobachteten Effekte ableiten kann – und so schließt man dann umgekehrt per Abduktion aus den Effekten auf die Existenz der theoretischen Entität.

  3. #3 Christian W
    Mai 7, 2009

    Inzwischen haben die Wissenschaftler […] bekanntlich neue Theorien erdacht.

    Ich finde einfach keine Worte mehr dafür.

    Es ist mir mittlerweile auch egal, ob Sie es bewusst tun oder nicht. Es ist immer das Gleiche: Sie schreiben einen (mehr oder weniger, ich bin fachlich fast nie hinreichend qualifiziert um das endgültig entscheiden zu können) inhaltlich korrekten Artikel über Wissenschaft, Wissenschaftler oder wissenschaftliche Arbeit, stellen aber deren Wesen komplett falsch dar.
    Theorien werden nicht erdacht, das ist das größte und übelste Missverständnis überhaupt. Theorien werden errechnet, belegt (nicht! bewiesen), geprüft, erweitert, modifiziert u.Ä., aber eben nicht erdacht. Erdacht werden Märchen, Romane, Schlagzeilen und Begründungen für Steuererhöhungen. Wenn Sie so etwas wie oben schreiben – ich wiederhole, egal ob bewußt oder versehentlich – bringen Sie sowohl Teile des als auch das gesamte derzeitige Wissen der Menschheit auf eine Stufe mit Kopfgeburten wie “Herr der Ringe” oder Wahlversprechen.
    Und das ist für mich kein Flüchtigkeitsfehler mehr, das ist schon ein Verbrechen an der Wissenschaft.

    Grüße
    Christian Wernike

    post scriptum: Wenn das jetzt etwas zu harsch klingt, dann deshalb, weil Herr Friedrich genau das seit seinem ersten Blog-Eintrag in mehreren Diskussionen erklärt bekommen hat und überhaupt als mehrfach studierte Person selbst am Besten wissen sollte, was Wissenschaft ist, wie sie funktioniert und was eine Theorie ist. Denn wenn schon jemand, der in mehr als einem Studiengang wissenschaftliches Arbeiten erlernt haben sollte, noch immer solche elementaren Fehler macht, ist das alarmierend. Und es ärgert mich enorm.

  4. #4 Arno
    Mai 7, 2009

    Man kann aber keinen Stuhl wahrnehmen. Um von farbigen Punkten, die auf eine bestimmte Weise angeordnet sind, und “etwas was sich wie eine harte Oberflaeche anfuehlt” auf “Stuhl” zu kommen, sind ebenfalls eine Reihe Ableitungsschritte notwendig. Die Probleme mit der menschlichen Wahrnehmung hat man dabei noch nicht einmal beruecksichtigt.

  5. #5 Ludmila
    Mai 7, 2009

    Bei diesem Text schüttelt es mich auch.

    Auch immer schön ist diese Trennung von Empirie und Wissenschaft. Als ob die Empirie nicht ein grundlegender Teil der Wissenschaft wäre.

    Beispiel: Kollegen hier rechnen z.B. die Ozon und NOx-Verteilungen in der Atmosphäre mit chemischen Gittermodellen. Die sind extrem eng gekoppelt mit empirischen Daten (Flugzeug/Satellit). Ohne die Rückkopplung mit der Empirie werden diese Gittermodelle ganz schnell wertlos.

    Im Übrigen werden in diesem Text Gegensätze konstruiert, die es gar nicht gibt. Nur weil in den Gittermodellen im kleinskaligen kontinuierliche Verteilungen gerechnet werden, heißt das noch lange nicht, dass es nicht im großskaligen Modell deutliche krasse Unterschiede zwischen Bereich A und B geben kann. Und die werden eben ganz anders gerechnet. Im Grunde genommen ist das nicht anderes als statistische Physik, von der Sie eigentlich auch mal im Laufe Ihres Studiums gehört haben sollten.

    Unterschiedliche Betrachtungsweisen, die unterschiedliche Berechnungen rechtfertigen. Und auch das grobskalige Modell ist mit Empirie rückgekoppelt.

    Um in meinem Beispiel zu blieben. Nur weil die Ozon-Verteilungen im kleinskaligen kontinuierlich sind, heißt es noch lange nicht, dass es keine Ozonschicht gibt. Im Gegenteil. Im Grunde müssen die kleinskaligen Modelle, wenn man ein paar Schritte zurückgehen in das grobskalige Übergehen. Das nennt man übrigens statistische Physik.

    Das ist im Grund die gleiche Argumentation vom Ihnen oben und grün und dermaßen grotesk falsch, dass ich keine Ahnung habe, wie Sie auf so etwas kommen.

    Es sind andere Betrachtungsweisen für bestimmte Fragestellungen. Und nur in diesen Bereichen sollte man sie sehen. Beides direkt miteinander vergleichen zu wollen, halte ich für grob irreführend.

    Im Grunde sollten Gittermodelle in diesen groben Modellen mit den Fronten auch enthalten sein. Da man letztere übrigens direkt beobachten kann – eben vom Satelliten aus – sind sie es sogar die, die entscheiden, ob die Gittermodelle zuverlässig sind oder Müll ausspucken. Geben die Gittermodelle nämlich die beobachtbare Situation nicht wider, dann stimmen sie halt nicht. Eben weil letztendlich die Empirie entscheidet, wie sich die Wissenschaft weiterentwickelt. Was ich Ihnen jetzt auch schon mehrfach erklärt habe.

    Und prompt kommen Sie nicht in die Verlegenheit einen Hurrikan wegdiskutieren zu wollen.

    Ach und übrigens Herr Friedrich, wenn Sie nicht verstehen können oder wollen, wie arbeitende Wissenschaftler das Wort Theorie verwenden, Christian W. hat es Ihnen jetzt mehrfach erklärt, dann verstehe ich nicht, was Sie hier auf den Scienceblogs eigentlich wollen.

    Sie können natürlich schön weiter autistisch um sich selbst kreisen und jeden Einwand von außen abbügeln. Nur dann sind Blogs nicht wirklich das richtige Medium für Sie.

  6. #6 Karl Mistelberger
    Mai 7, 2009

    Eines ist sicher: Wissenschaftler brauchen keinen Jörg Friedrich. Sie machen sich ihre eigenen Gedanken: Sombody dives into the pool and she is not too pretty …

  7. #7 Marc
    Mai 7, 2009

    @Christian W.:

    Da sind ja aber mal ganz schön schwere Geschütze, die da aufgefahren werden. Wenn ich es recht verstehe, dann ist es nicht zuletzt ein Streit über die (vermeintlich) mißverständliche oder auch schlicht falsche Verwendung von Begriffen. Dein Vorwurf lautet ja:

    Theorien werden nicht erdacht, das ist das größte und übelste Missverständnis überhaupt. Theorien werden errechnet, belegt (nicht! bewiesen), geprüft, erweitert, modifiziert u.Ä., aber eben nicht erdacht.

    Mir liegt nicht daran, Dich zu provozieren, aber Deine These (daß Theorien nicht “erdacht” seien) wird von den allermeisten Wissenschaftlern, deren Fachgebiet eben die Geschichte und das Wesen wissenschaftlichen Denkens ist, nicht geteilt.

    Aber nochmal grundsätzlich: Du reklamierst, daß Theorien “errechnet, geprüft, erweitert… modifiziert” werden. Das ist ja alles richtig. Aber bei all dem (der Prüfung, Erweiterung, Modifikation etc.) handelt es sich letztlich doch um kognitive Vollzüge. Es sind intelligible Akte, die natürlich (und hoffentlich) von Menschen ausgedacht sind.

    Dabei geht es gar nicht um eine Abwertung von Wissenschaft, der Behauptung einer vollkommenen Beliebigkeit oder gar der Gleichsetzung von Wissenschaft mit bloß fiktionaler Welt- und Geschichtenerfindung. (Du schreibst, daß Jörg die Wissenschaft auf eine Stufe mit dem “Herrn der Ringe” stellen würde). Ich sehe nicht, wo Jörg das behauptet.

    Aber man muß doch (im Einklang mit renommierten Wissenschaftssoziologen und Philosophen) daran erinnern können, daß Wissenschaft von Menschen gemacht und ausgedacht und somit: “fabriziert” wird. Wie es bspw. die Soziologin Karin Knorr-Cetina mehrmals in empirischen Studien vorgeführt hat.

    Insofern kann ich nur darüber den Kopf schütteln, wenn Du einen solchen selbstverständlichen Hinweis als:

    ..ein Verbrechen an der Wissenschaft.

    bezeichnest.

  8. #8 Jörg Friedrich
    Mai 7, 2009

    @Arno: So, wie Sie Wahrnehmung darstellen, funktioniert sie nicht. Wir könnten hier natürlich eine Diskussion über Sinnes-Daten-Theorien beginnen und über den Carnapschen Positivismus. Vielleicht sollten wir aber für den Moment und für diese Diskussion den Begriff “Wahrnehmung” durch “unmittelbare Beobachtung” ersetzen, um dieser sehr verzweigten Debatte, die mit dem Problem der theoretischen Entitäten nicht unmittelbar zu tun hat, hier aus dem Wege zu gehen.

    Unmittelbar beobachtet in dem Sinne, dass ich die Beobachtung intuitiv benennen und intersubjektiv vermitteln kann, werden Stühle und ähnliche gegenstände, keine Empfindungs-Komplexe aus Farbflecken und Härte-Empfindungen.

    Von diesen unmitelbaren Beobachtungen muss man die trennen, die nur theorie-vermittelt möglich sind, dazu gehören Wetterfronten ebenso wie Elektronen. Nur wenn ich eine Theorie habe, die den Zusammenhang zwischen den unmittelbar beobachteeten Effekten und Phänomenen und diesen theoretischen Entitäten erklärt, kann ich sie – theoretisch vermittelt – beobachten. Sonst sehe ich nur Regen und Wolken oder (als Astronaut) weiße streifen, oder Spuren in der Nebelkammer, die ich vielleicht für kleine Tiere halte.

    @Christian W. und Ludmila: Dass Christian W. der Meinung ist, Theorien seien nicht erdacht, seien also nicht Werke des menschlichen Geistes, ist hier neu. Dass Christian W. damit eine Theorie-Begriff verwendet, der von den meisten Wissenschaftlern und auch von Ihnen, Ludmila, geteilt wird, entspricht nicht meinen Erfahrungen.

  9. #9 Christian W
    Mai 7, 2009

    @Mark
    Und schon wieder hast du meinen Hauptvorwurf (den einzigen) nicht bemerkt. Es geht nicht um den von dir zitierten Umstand. Das Problem an der Sache ist vielmehr:

    Wenn Sie so etwas wie oben schreiben – ich wiederhole, egal ob bewußt oder versehentlich – bringen Sie sowohl Teile des als auch das gesamte derzeitige Wissen der Menschheit auf eine Stufe mit Kopfgeburten wie “Herr der Ringe” oder Wahlversprechen.

    Das ist das “Verbrechen an der Wissenschaft”. Denn wer das tut, öffnet all den Wissenschaftsfeinden Tür und Tor, die wissenschaftliche Arbeiten – deren Resultat nun einmal immer die oder eine neue Theorie ist – bekämpfen wollen, indem sie wissenschaftliche Theorien mit “Jaja, aber das ist doch nur eine Theorie…” abqualifizieren. Und zwar nicht, um die Menschheit vor schlimmen Irrtümern zu bewahren und unser aller Leben zu verbessern, sondern nur für ihren eigenen Wohlstand und weiteren Nutzen.
    Wenn ein nomineller Wissenschaftler also wissenschaftliche Theorien auf das Niveau von Kopfgeburten wie Astrologie, Homöopathie oder Wünschelruten-Gehen herabreißt, liefert er allen, die ihren Hokuspokus für Geld verkaufen Munition. Es ist schon sehr schlimm, wenn unwissenschaftliche Zeitgenossen das tun. Wenn aber Personen tun, die es qua Studienabschluss besser wissen müssen, dann nenne ich das ein Verbrechen an der Wissenschaft. Denn das ist vergleichbar mit Zeugen, die Hochstaplern wider besseren Wissens per Aussage entlasten.

    Und warum ich so “schwere Geschütze” auffahre, habe ich bereits erklärt.
    Übrigens ist der “umgangssprachliche” Gebrauch des Begriffes nicht nur außerhalb des wissenschaftlichen Arbeitens falsch, sondern überall. Nur weil Wörterbücher auch die umgangssprachliche Bedeutung festhalten, macht es diese nicht richtiger. Im Duden bspw. finden sich auch ganz eindeutig falsche Ausdrücke und Begriffe, eben weil sie in der Alltagssprache vorkommen, nicht weil sie richtig sind. Es geht schließlich bei Wörterbüchern und Enzyklika nicht (nur) um die Sammlung korrekter Definitionen, sondern (auch) um eine semantische, orthographische und grammatikalische Abbildung der jeweiligen Sprache. Und eben um Wissen, wozu auch das Bewußtsein gehört, dass es eine Umgangssprache gibt, die Begriffe (un-)bewusst unkorrekt verwendet.

    Zum Abschluss noch einmal ein Zitat: In science, theory is the ultimate goal, the explanation. It’s as close to proven as anything in science can be.

    Grüße
    Christian W

  10. #10 Jörg Friedrich
    Mai 7, 2009

    @Karl Mistelberger: Sie haben natürlich Recht. Die Wissenschftler brauchen keinen Jörg Friedrich, und das nicht nur, weil sie selber denken, sondern weil es viele Wissenschftstheoretiker gibt, die in der Diskussion mit Wissenschftlern so grundlegende Fragen diskutieren. Wer z.B. Baas van Fraassens “The scientific image” liest oder Nancy Cartwrigths “How the Laws of Physics Lie” lesen oder Ian Hackings “Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften” oder Rom Harres “Realism rescued” oder natürlich so Klassiker wie Poppers “Logik der Forschung”, Kuhns “Struktur wissenschaftlicher Revolutionen” und Feyerabends “Wider den Methodenzwang” – der braucht auf keinen Falleinen Jörg Friedrich.

  11. #11 Ludmila Carone
    Mai 7, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Dass Christian W. damit eine Theorie-Begriff verwendet, der von den meisten Wissenschaftlern und auch von Ihnen, Ludmila, geteilt wird, entspricht nicht meinen Erfahrungen.

    Mit anderen Worten: Ich bin der Größte und Ihr anderen habt alle keine Ahnung. Warum? Weil ich das so sage. *Beifall klatsch*Danke Herr Friedrich. Wir sehen hier mal wieder ein vortreffliches Beispiel für Kritikfähigkeit. Ich und Christian W. haben immerhin ausführlich erklärt, warum und weshalb wir verschiedene Dinge für falsch halten und wie wir sie sehen. Und Sie speisen uns mit “Das ist nicht meine Erfahrung” ab.

    https://www.notjustatheory.com/

    Haben Sie eigentlich einen blassen Schimmer, wie oft in der wissenschaftlichen Blogosphäre z.B. auf den obigen Artikel verwiesen wird? Wie oft bloggende Wissenschaftler immer und immer wieder erklären, dass “Theorie” die Zusammenfassung des besten Wissens ist? Gerade in Hinsicht auf wissenschaftsfeindliche Aussagen wie “das ist nur eine Theorie”? Evolution, Kosmologie, Relativitätstheorie. Hah! Hier steht der Begriff sogar im Namen drin. Obwohl er inzwischen Alltag ist.

    Andere Leute würden sich angesichts der *sagen wir mal* durchwachsenen Reaktion auf Ihre Texte langsam überlegen, ob sie vielleicht irgendwas falsch machen. Vielleicht sorgfältiger formulieren, mehr belegen, mehr definieren, was man mir dem und dem Begriff eigentlich meint.

    @Marc:
    Möglicherweise ist Christian W. ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen. Aber ich denke, er hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er “erdacht” im Sinne von rein geistiges Produkt sieht, dass eben nur bedingt bzw. gar nicht mit Empirie gekoppelt ist. Und in diesem Sinne geben ich ihm Recht. Da ist Theorie weit mehr. Und oft genug folgt die Theorie der Empirie und nicht umgekehrt. Das heißt, die Gedanken hangeln sich an den Beobachtungen entlang. Man muss halt definieren, wie man “erdacht” verwendet. Als Philosoph sollte man sich schon über die Problematik von Definitionen und unterschiedlichen Begriffen im Klaren sein.

    Im Übrigen, Argument durch Autorität? Mal ehrlich, vielleicht sollten sich mal die geschätzten Sozialwissenschaftler und Philosophen auf die Du Dich berufst ein bisschen mit dern arbeitenden Wissenschaftlern zusammen setzen. Denn genau diese autistische Einstellung, dass die an uns vorbei entscheiden können, was wir den lieben langen Tag so machen, treibt nicht wenige Naturwissenschaftler dazu, eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber diesen Disziplinen einzunehmen.

    Möglicherweise ist es auch nur ein einziges großes Missverständnis. Aber ich denke nicht, dass Herr Friedrich in der Lage oder willens ist die Rolle des Vermittlers zu übernehmen.

  12. #12 Marc
    Mai 7, 2009

    @Christian:

    Ich hatte ja oben durchaus schon geschrieben, daß ich Deine Wahrnehmung in keiner Weise nachvollziehen kann, wo denn bitte von Jörg Friedrich die Wissenschaft auf eine Stufe mit dem “Herrn der Ringe” gestellt wird.

    Ich nehme wahr, daß Du empört bist, aber die Aufregung halte ich doch für maßlos übertrieben. Und bitte nicht nochmal die ganze Geschichte mit den Wissenschaftsfeinden und den Wünschelrutengehern, die ja nur darauf warten, bis Jörg Friedrich ihnen Argumente liefert. So ein Quatsch.

    Es ist klar, daß es (leider) einen gewissen Markt und eine Empfänglichkeit für Esothemen und -produkte gibt. Und deshalb ist es auch wichtig, daß verunsicherte “Laien” bspw. auf Scienceblogs oder anderswo darüber informiert werden, welche Therapien eben wissenschaftlich sauber belegt sind und was Hokuspokus ist. Es geht um Aufklärung und Informationen, vollkommen einverstanden.

    Wenn Du mir aber demnächst erklärst, daß ich auch nicht mehr über wissenschaftliches Fehlverhalten oder Betrugsfälle schreiben dürfe (wie etwa im heutigen Topthema über “Fälscher und Forscher”, weil das ja auch “Munition” für Wissenschaftsfeinde sein könne, dann wird vielleicht für mehr Leser einsichtig, daß Deine Argumentation (zu bestimmten Teilen) auf den Holzweg führt.

  13. #13 Georg Hoffmann
    Mai 7, 2009

    @Marc

    Warten tun Sie nicht drauf, dafuer kreieren sie sich ja laengst ihre eigene “Wissenschaft” und brauchen keine Segen von J.F. Aber sagen wir mal, sie werden ihn noch entdecken.
    A bissl philosphisches “Ist-eh-nur-Theorie”, angereichert mit einer Dosis “Jedem-seine-Wissenschaft (Alles andere waere Zensur)” gereicht an einer deftigen Portion “Nix-genaues-kann-man-nicht-wissen”. Und natuerlich einen ordentlichen Schuss Paranoia:

    Über die Gründe kann man nur spekulieren. Haben die Wissenschaftler Sorge, dass wir von der Komplexität zweier entgegengesetzter Effekte des Umweltschutzes überfordert sein könnten? Das wäre eine fatale Entmündigung, die letztlich auf die Mahner selbst zurückfällt. Denn in der globalen Informationsgesellschaft bleibt zum Glück kein Forschungsergebnis „geheim”. Das Verschweigen von „unerwünschten Nebenwirkungen” hilft letztlich niemandem.

    Oder haben Sie eine geheime Verbindung gegruendet, in dem das Schicksal der Welt entschieden wird? SInd Wissenschaftler wiedergeborenen Rosenkreuzler?
    EIne Art Dan Brown der Wissenschaftstheorie.

  14. #14 Christian W
    Mai 7, 2009

    Wenn Du mir aber demnächst erklärst, daß ich auch nicht mehr über wissenschaftliches Fehlverhalten oder Betrugsfälle schreiben dürfe (wie etwa im heutigen Topthema über “Fälscher und Forscher”, weil das ja auch “Munition” für Wissenschaftsfeinde sein könne, dann wird vielleicht für mehr Leser einsichtig, daß Deine Argumentation (zu bestimmten Teilen) auf den Holzweg führt.

    Wie kommst du denn jetzt auf die Schnaps-Idee? Bin ich so schwer zu verstehen?

    Es geht nicht darum, wer worüber schreibt oder nicht und warum. Es mir darum, dass wenn man über wissenschaftliches Arbeiten schreibt, man es richtig tut und das wissenschaftliche Arbeiten richtig beschreibt. Das umschließt selbstverständlich alle Arten davon, gute, schlechte, interessante, langweilige, gefälschte, grüne, blaue, schwarze, … wissenschaftliche Arbeiten. Entscheidend ist, dass richtig über wissenschaftliches Arbeiten konkret oder allgemein geschrieben wird, nicht ob und wie sehr die wissenschaftliche Arbeit richtig gemacht wurde. Um das festzustellen gibt es schließlich die wissenschaftliche Methode – eben die Wissenschaft selbst – die aber nicht durch fehlerhafte Berichterstattung beschädigt werden kann, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll. Denn wie dieser Fall so schön zeigt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis beim normalen wissenschaftlichen Arbeiten ein Betrug entdeckt wird. Dabei spielt keine Rolle, ob man dieselbe Geschichte als Beispiel für ein funktionieren der Wissenschaft oder als Beleg für das Gegenteil benutzt. Selbst wenn man in den Köpfen der Menschen mit denselben Fakten sowohl die Vorstellung erzeugen kann, dass mit der Wissenschaft kein dauerhafter Irrtum möglich ist, als auch dass die Wissenschaft extrem anfällig für Betrug und Scharlatanerie sei – das Resultat wäre immer, dass am Ende der Schwindel auffliegt (aufgeflogen ist), weil das bei wissenschaftlicher Arbeit nicht anders sein kann.
    Die Macht der wissenschaftlichen Methode, Erkenntnisse nicht nur zu entdecken und zu sichern, sondern auch zu verkünden, steht und fällt im Gegensatz dazu mit dem Verständnis derselben. Wenn die Mehrheit der Menschen eine falsche Vorstellung davon hat, was Wissenschaft und Theorien sind, dann hilft es niemandem, wenn man etwas wissenschaftlich erklären kann, es aber sonst niemand glaubt – es ist dann ja “Nur eine Theorie”.

    Grüße
    Christian W

  15. #15 Marc
    Mai 7, 2009

    @Christian:

    Wie kommst du denn jetzt auf die Schnaps-Idee? Bin ich so schwer zu verstehen?

    Offensichtlich. Wenn ich Deine Kommentare oben lese, dann finde ich ständig das Argument, daß es ein “Verbrechen an der Wissenschaft” sei, weil (!) dadurch den “Wissenschaftsfeinden Tür und Tor” geöffnet werde, weil man diesen Munition liefere, in die Hände spiele etc.

    Deswegen meine Befürchtung, daß demnächst reklamiert wird, wenn ich beispielsweise auf Wissenschaftsskandale hinweise, weil… (siehe oben: Munition liefern etc.)

    @Georg:

    Ehrlicherweise – so denke ich – überschätzen wir dann doch die Relevanz unserer Blogs. Und ich bin ganz dezidiert der Meinung, daß die schrägen Vögel keine weitere Munition brauchen. Abgesehen davon findet sich in hunderten (sozial-)wissenschaftlicher Artikel (mit Peer-Review!) stärkerer Tobak. Und nein, ich stelle jetzt in die Comments keine ellenlangen Literaturlisten.

    Zu Deinem Zitat (das aus einem anderen Text von Jörg stammt!):

    Hier stimme ich Dir zu. Diese Passage finde ich unglücklich und auch unerfreulich. Ich selbst hatte dazu schon vor Tagen geschrieben:

    ..verkürzt und irreführend ist (jedenfalls nach meiner Wahrnehmung) die Einschätzung, daß in der (Klima-)Forschung selbst diese Sachverhalte ignoriert würden. […] Im Zusammenhang mit dem Output der Klimaforschung selbst, wäre es falsch, davon zu sprechen, daß solche Ergebnisse totgeschwiegen würden.

    Insofern stimme ich Dir in diesem Punkt zu 100% zu. Die anderen Anmerkungen (“nur a bissl Theorie” etc.): hier glaube ich, daß Du/Ihr zu allergisch seid bzw. bei Euch Warnlampen angehen, wo es nicht nötig ist. Wobei ich verstehen kann, daß Ihr von (zu) vielen Diskussionen mit Skeptikern und Freaks einfach auch genervt seid.

  16. #16 Jörg Friedrich
    Mai 7, 2009

    Zunächst einmal freue ich mich, dass mein Text über den Status wissenschaftlicher Entitäten hier so ein großes Interesse findet. Ich denke, dass diese kontroversen Diskussionen Stück für Stück aufzeigen, wo Missverständnisse bestehen und an welchen Stellen bestimmte meiner Formulierungen reflexartige Reaktionen bei Lesern auslösen, die aus anderen Erfahrungen stammen und die mich dann wiederum irritieren, da ich sie weder aus anderen Diskussionen mit Wissenschaftlern (und davon treffe ich im Zentrum für Wissenschaftstheorie an der Uni Münster jede Woche einige) noch aus bisherigen Diskussionen in meinem eigenen Blog kenne.

    Ich habe z.B. mit jenem verlinkten Text, der den Theorie-Begriff bestimmt, gar kein grundsätzliches Problem. Vielleicht könnte man einmal die darin enthaltene Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Gesetz diskutieren. Aber das der wissenschaftliche Theoriebegriff nichts mit einem alltagssprachlichen Begriff, der noch dazu wertend verwendet wird, zu tun hat, ist doch selbstverständlich.

    Wogegen ich mich hier gewandt habe ist die Ansicht von Christian W. dass Theorien nicht “erdacht” sind, dass sie also keine Produkte des menschlichen geistes, der Kreativität der Wissenschaftler sind.

    Die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Theorien und Kunstwerken liegt doch nicht darin, dass nur die letzteren “erdacht” sind, sondern darin, wie sie gerechtfertigt werden. Popper war sogar der Meinung, dass für die Abgrenzung der wissenschaftlichen Theorie gegen nichtwissenschaftliche Metaphysik die Entstehung der Theorie ganz unbedeutend ist, dass nur die Rechtfertigungs-Methode, eben die Methoder der Falsifizierbarkeit entscheidend ist. Und im gewissen Sinne hat er recht (auch wenn man damit nicht alles verstehen kann): den Herrn der Ringe kann man nicht falsifizieren, es gibt dafür keine Methode, wissenschaftliche Theorien kann man (prinzipiell) falsifizieren, und darin liegt ihre Stärke.

    Es geht in der Wissenschafts-Philosophie gerade darum, Kriterien für Wissenschaftlichkeit zu finden und Abgenzungs-methoden zu diskutieren, eben um die besondere Rolle der Wissenschaft zu rechtfertigen. Diese ist nicht einfach gegeben. Und die Methode, um solche Kriterien zu finden, ist immer die Kritik, die kritische Reflexion des Gegebenen.

    @Georg Hoffman, Marc: Ich verstehe inzwischen, dass meine zugespitze Formulierung in dem Umweltschutz-Klimawandel-Artikel hier vielleicht notwendig missverstanden wurde und würde jetzt anders formulieren, um mein eigentliches Anliegen nicht in einer falschen Diskussion selbst zu verschütten. nachher ist man immer klüger. Es wird sicherlich noch mal Gelegenheit geben, den Punkt in einer Weise aufzugreifen, in der mein eigentliches Anliegen klarer wird. In der dortigen Diskussion habe ich das versucht, deutlich zu machen, aber da wars wohl für dieses mal zu spät.

  17. #17 Claudia
    Mai 7, 2009

    @Marc
    Die Kritik von Georg Hoffmann und Ludmilla ist absolut gerechtfertigt.
    https://www.xn--jrg-friedrich-imb.de/2009/03/19/das-kinder-ratsel/#comments
    Nicht nur “A bissl philosphisches “Ist-eh-nur-Theorie”, angereichert mit einer Dosis “Jedem-seine-Wissenschaft (Alles andere waere Zensur)” gereicht an einer deftigen Portion “Nix-genaues-kann-man-nicht-wissen”. Und natuerlich einen ordentlichen Schuss Paranoia” – gut beobachtet, auch in anderen Artikeln, und die von Ludmilla erwähnte Kritikunfähigkeit, das sture Festhalten an falschen Schlüssen und Verbindungen, die Herr Friedrich aus (teils) belegten und sicherlich auch richtigen Tatsachen geknüpft hat, sondern auch noch der bissige Angriff auf alles, was es wagt, zu widersprechen – soll das “Sience blog” sein? Ich meine nicht, dass das hohe Niveau der anderen Beiträge dies rechtfertigt.
    Die Relevanz des Blogs liegt darin, dass wissenschaftlich methodisch richtig verfasste Artikel Informationsgrundlagen zu wissenschaftlichen Diskussion geben und nicht irgendwelches Geschwätz unsere Zeit raubt.

  18. #18 Karl Mistelberger
    Mai 7, 2009

    Wer z.B. Baas van Fraassens “The scientific image” liest oder Nancy Cartwrigths “How the Laws of Physics Lie” lesen oder Ian Hackings “Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften” oder Rom Harres “Realism rescued” oder natürlich so Klassiker wie Poppers “Logik der Forschung”, Kuhns “Struktur wissenschaftlicher Revolutionen” und Feyerabends “Wider den Methodenzwang” – der braucht auf keinen Fall einen Jörg Friedrich.

    (Wissenschafts-)Philosphen sind wie Zahnärzte, die Löcher bohren und dann nicht wissen, wie sie diese füllen sollen. Ob man solche Leute brauchen kann ist nicht so sicher.

  19. #19 Jörg Friedrich
    Mai 8, 2009

    @Ludmila: Ich möchte noch mal auf das Ozonschicht-Beispiel zurück kommen.

    Sätze wie “Es gibt eine Ozonschicht.” oder “Es gibt ein Ozonloch” sind keine Sätze der Theorie, sondern der Kommunikation, meist der öffentlichen Kommunikation, oder auch der wissenschaftliche Kommunikation, dann aber mit einer entsprechenden Definition, ab welcher Konzentration die Schicht oder das Loch beginnt. Inerhalb der Theorie gibt es nur Konzentrationsverteilungen – alle Effekte und Phänomene werden aus den Verteilungen berechnet. Das “Ozonloch” (viele Artikel setzen den Begriff auch in Anführungszeichen) ist selbst der (visualisierbare) Effekt, den die Theorie erklärt (ebenso wie die Ozonschicht selbst) – und es ist klar, dass es sich dabei um ein Gebilde handelt, welches durch eine relativ willkürlich gezogene Grenze definiert wird.

    Anders bei den Frontentheorien der Meteorologie: Hier wurde nicht die Front erklärt, sondern die Existenz einer Front zwischen abgegrenzten Luftmassen wurde vorrausgesetzt, um die Entwicklung der Wetterphänomene zu erklären.

    Es geht nun um die Frage, inwiefern diese theoretische Entität Front auf etwas real Existierendes referenziert. Dass man, im Wetterbericht an dem alten lieb gewordenen Bild festhält, ist dabei ein Fakt, der außerhalb der Theorie steht.

    Die moderne Theorie der Atmosphäre benötigt keine Fronten mehr, auch keine Schichten und Löcher, letztlich auch keine Troposphäre und Stratosphäre. Früher waren das für die Wissenschfaftler alles existierende Dinge, jetzt sind sie nur noch Begriffe zum Veranschaulichen.

  20. #20 Ludmila Carone
    Mai 8, 2009

    Die moderne Theorie der Atmosphäre benötigt keine Fronten mehr, auch keine Schichten und Löcher, letztlich auch keine Troposphäre und Stratosphäre.

    Wo haben Sie denn das jetzt schon wieder her?

    Geben Sie hier (https://www.adsabs.harvard.edu/) mal Troposphere 2009 ein. Oder Stratosphere 2009.

    Ich weiß ehrlich nicht, wovon Sie da eigentlich reden. In dieser Realität jedenfalls publizieren und forschen wir noch heute mit Troposphäre und Stratosphäre. Und verwenden Begriffe wie Skalenhöhe und Schichten. Weil es eben funktioniert.

    Und was ich an Ihrem Text im Detail auszusetzen habe, haben Sie anscheinend nicht gelesen. Na, wundert mich gar nicht mehr. Und Ihre Behauptung, dass die Wetterfronten außerhalb der Theorie stehen würden (Hurrikane dann vermutlich auch, oder was?) kann ich absolut nicht nachvollziehen. Von daher behalte ich es mir vor, diese Ihre Behauptung skeptisch zu beäugen und bei mir in den Spam-Filter zu legen.

  21. #21 Jörg Friedrich
    Mai 9, 2009

    Frau Carone, Sie werfen mir hin und wieder so Sachen wie “Schlampigkeit” und “Unpräzisheit” vor. Ich würde es begrüßen, wenn Sie selbst ein wenig mehr Sorgfältigkeit an den Tag legten – so im Sinne von “Mit gutem Beispiel voran gehen”.

    Ich hoffe, Sie kennen den Unterschied von dem, womit man etwas erklärt, und dem, was man erklärt. Sie können mit einer modernen Theorie, die ein numerisches Modell verwendet, z.B. den Temperaturverlauf mit der Höhe berechnen, und finden dann bei ca. 12 km Höhe, dss die Temperatur nicht mehr weiter abnimmt, sondern konstant bleibt. Sie können diese Stelle Tropopause nennen und das was darunter ist Troposphäre und haben dann eine Theorie, die (in einem gewissen Sinne des Begriffs “Erklärung”) die Existenz der Tropopause erklärt.

    Sie können dann natürlich, wenn Sie sich mit Vorgängen in den ersten 10-12 km der Atmosphäre beschäftigen, die sich unterhalb dieses Knicks im Temperaturverlaufs befinde, von troposphärischen Prozessen sprechen, um sich die Kommunikation zu erleichtern. Das hatte ich oben geschrieben.

    Aber Sie nutzen das Konzept, den Begriff der Troposphäre dann nicht, um etwas zu erklären.

    Das ist in Theorien, die vor den numerischen Modellen in der Meteorologie verwendet wurden, anders. Dort wurden solche Konzepte wie Fronten, Schichten, usw genutzt, um etwas zu erklären. Damit wurde ihnen sozusagen ein eigenständiger Status zugewiesen – sie wurden nicht nur erklärt, sie hatten erklärende Kraft.

  22. #22 Ludmila
    Mai 9, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Das ist in Theorien, die vor den numerischen Modellen in der Meteorologie verwendet wurden, anders. Dort wurden solche Konzepte wie Fronten, Schichten, usw genutzt, um etwas zu erklären.

    Völlig verkürzt und meiner Meinung nach zumindest missverständlich wiedergegeben.

    Zufälligerweise sehe ich Daten mit Temperatur- und Elektronendichte des Marses und der Venus so ziemlich jede Woche. Wir sehen mit zunehmender Höhe in den Daten etwas: Wir sehen, dass geladene Teilchen nur in bestimmten Höhen vorkommen. Etwas, was global gesehen nur in bestimmten Höhen vorkommt, nennt man eine Schicht.

    Und dazu müssen wir an diesem Punkt noch nicht mal ein Modell heranziehen. Weder ein angeblich veraltetes noch ein “modernes” numerisches. Es kommt bereits aus den Daten heraus.

    Modelle kommen erst hinterher, um die Daten zu erklären. Und erst dann und nur dann ist es eine Theorie. Und das Etikett “modern” können Sie sich sparen. Es ist ein Schlagwort mit exakt null Aussagekraft.

    Wir forschen an unserem Institut an der Ionosphäre der Mars und der Venus, die selbst eine Schicht ist und aus verschiedenen Unterschichten besteht. Diese können auch sporadisch sein. Wie z.B. Meteorschichten. Und hier haben Sie ein weiteres Indiz dafür, dass das mit Schichten mitnichten veraltet ist, wie Sie hier großspurig behaupten. Die Existenz dieser Schichten ist nicht nur durch Elektronendichteprofile belegt. Sie lässt sich auch nur dadurch erklären, dass in einer bestimmten Höhe Ionen nicht nur ständig neu gebildet werden, sondern auch noch für einen relativ langen Zeitraum erhalten bleiben. Weil die Dichte so gering ist, dass es eben salopp gesprochen dauert bis ein Ion ein anderes trifft, mit dem es rekombinieren kann. Und Sie können sogar experimentell sagen, welche Ionen das sind, weil nämlich in den Höhen, von denen wir sprechen, unterschiedliche Ionenspezies unterschiedliche Bereiche dominieren.

    https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:IonosphereProfileNOAA.png&filetimestamp=20070312232318

    Das Profil oben belegt eindeutig, dass das nicht nur etwas, was wir aus dem Arsch ziehen, das ist etwas, was man auf vielfältige Weise nachweisen kann. Und das hat mit numerischen Modellen exakt nichts zu tun.

    Wir benutzen immer noch Chapmanverteilungen. Aber wahrscheinlich sind wir Ihnen nicht modern genug.

    Im Übrigen widerspricht das dieser Aussage:

    Die moderne Theorie der Atmosphäre benötigt keine Fronten mehr, auch keine Schichten und Löcher, letztlich auch keine Troposphäre und Stratosphäre.

    Das halte ich für Quatsch. Wieso sollte es obsolet sein, wenn es in den Daten drinsteckt? Sie verwechseln anscheinend kleinskalig mit grobskalig. Es ist exakt dasselbe Problem mit dem Stuhl, den Sie versuchen aus der Sichtweise der Atome zu erklären.

    Aber die Höhe sind dann Aussagen wie diese:

    Sie können mit einer modernen Theorie, die ein numerisches Modell verwendet, z.B. den Temperaturverlauf mit der Höhe berechnen, und finden dann bei ca. 12 km Höhe, dass die Temperatur nicht mehr weiter abnimmt, sondern konstant bleibt.

    Wenn Sie das im Modell finden, ist das ja schön. Aber es wäre letztendlich völlig irrelevant, wenn Sie es nicht zuallerst in den gemessenen Daten finden. Sie tun hier so, als der Temperaturverlauf eine reine Kopf-/Rechengeburt wäre. Und das ist schlicht Quatsch.

    Ich hoffe, Sie kennen den Unterschied von dem, womit man etwas erklärt, und dem, was man erklärt.

    Der Sinn und Zweck von Wissenschaft ist der, diesen Unterschied so klein wie möglich zu halten. Sie tun hier so, als ob die Erklärungen so gut wie nichts mit dem zu tun haben, was wir empirisch beobachten.

    Entweder das oder Sie sind einfach unfähig sich so auszudrücken, dass es auch andere Leute verstehen, die zufälligerweise ein bisschen Ahnung von dem haben, was Sie da erzählen wollen.

    Belege: Um nicht im Spamfilter zu landen, suchen Sie mal in NASA ADS nach Mars Express und Venus Express S. Tellmann. Da finden Sie dann die Arbeiten meiner Kollegin mit Erklärungen. Und da sind dann auch die Daten drin.

    Und ich denke, jeder Leser kann selbst beurteilen, wer sich hier wenigstens bemüht, Klarheit in die Sache zu bringen.

  23. #23 Michael Michaelis
    Mai 10, 2009

    Mal ein wenig Butter bei die Fische, wie man hier im Norden sagt: das Buch von Frau Cartwright findet sich auch im Netz. Ein Auszug (aus der Introduction):

    Philosophers distinguish phenomenological from theoretical laws. Phenomenological laws are about appearances; theoretical ones are about the reality behind the appearances. The distinction is rooted in epistemology. Phenomenological laws are about things which we can at least in principle observe directly, whereas theoretical laws can be known only by indirect inference. Normally for philosophers ‘phenomenological’ and ‘theoretical’ mark the distinction between the observable and the unobservable.

    […]

    Really powerful explanatory laws of the sort found in theoretical physics do not state the truth. I begin from the assumption that we have an immense number of very highly confirmed phenomenological laws. Spectra-physics Incorporated continuously runs a quarter of a million dollars’ worth of lasers to death to test their performance characteristics. Nothing could be better confirmation than that. But how do the fundamental laws of quantum mechanics, which are supposed to explain the detailed behaviour of lasers, get their confirmation? Only indirectly, by their ability to give true accounts of lasers, or of benzene rings, or of electron diffraction patterns. I will argue that the accounts they give are generally not true, patently not true by the same practical standards that admit an indefinite number of commonplace phenomenological laws. We have detailed expertise for testing the claim of physics about what happens in concrete situations. When we look to the real implications of our fundamental laws, they do not meet these ordinary standards. Realists are inclined to believe that if theoretical laws are false and inaccurate, then phenomenological laws are more so. I urge just the reverse. When it comes to the test, fundamental laws are far worse off than the phenomenological laws they are supposed to explain.

    How the Laws of Physics Lie. Nancy Cartwright.
    https://www.questia.com/PM.qst?a=o&d=9825427

  24. #24 Jörg Friedrich
    Mai 10, 2009

    Frau Carone, Ihrem letzten Satz kann ich nur zustimmen.

    Dass es “Sinn und Zweck von Wissenschaft” sei den Unterschied zwischen Erklärtem und Erklärendem “so klein wie möglich zu halten” ist eine dieser unbelegten Thesen, wie Sie mir die dauernd vorwerfen. Ich halte das schlicht für absolut sinnfrei. Was soll das überhaupt sein, die “Größe” oder “Kleinheit” eines Unterschiedes zwischen Planetenbewegung und Newtonscher Mechanik, zwischen Tropopause und thermodynamischer Theorie der Atmosphäre, zwischen biologischen Arten und Evolutionstheorie?

    Im Übrigen hat Ihre ganze Geschichte nur illustriert, was ich geschrieben habe. Wir beobachten regelmäßige Phänomene und erklären diese mit Theorien.

    Innerhalb der Theorien verwenden wir theoretische Entitäten, für die wir Kausalgesetze aufstellen. Mit diesen Kausalgesetzen können wir dann die beobachteten Phänomene erklären.

    In früheren meteorologischen Theorien waren die Fronten und die Luftmassen selbst die Entitäten, für die Gesetze aufgestellt wurden. Natürlich waren diese aus den Beobachtungen abgeleitet. Das, was erklärt wurde, waren die Wetterphänomene (Wolkenaufzug, Windgeschwindigkeit, Wechsel der Windrichtung)

    Heutige meteorologische Theorien enthalten Verteilungen von Flüssigkeiten und Gasen und die Bewegungsgesetze für diese (und noch ein paar andere) – sie sind nicht aus der Beobachtung der Wetererscheiungen abgeleitet, sondern aus der zugrundeliegenden thermodynamischen Theorie. Die Modelle enthalten keine Fronten, weder als erklärende Entität, noch als zu erklärendes Phänomen. Denn erlärt werden sollen wieder Wetterphänomene. Wenn Sie bei der Auswertung der Modellergebnisse trotzdem von Fronten und Schichten sprechen, dann ist das nur eine Abkürzung – ein Schema, mit dem Sie die Modellergebnisse mit den Beobachtungen abgleichen können.

    Der interessante Punkt ist: Normalerweise gehen wir davon aus, dass die Entitäten in den Theorien, mit denen wir etwas erklären, auch wirklich existieren. Was ist aber, nach all dem geschilderten, mit den Fronten und den Schichten in der Atmosphäre? Sind sie mehr als (relativ willkürlich gesetzte) Abkürzungen für die Beschreibung der Modellergebnisse und der Beobachtungen?

  25. #25 Ludmila Carone
    Mai 11, 2009

    @Jörg Friedrich:

    Was soll das überhaupt sein, die “Größe” oder “Kleinheit” eines Unterschiedes zwischen Planetenbewegung

    Meine Fresse, das kann man sogar mathematisch quantifizieren. Darauf beruht die ganze Raumfahrt. Dafür gibt es z.B. Ephemeriden. Und dann schauen Sie halt nach ein paar Jahren mit dem Teleskop nach, inwieweit und ob die Körper davon abweichen und schon haben Sie festgelegt, wie groß der Unterschied ist oder zumindest maximal innerhalb der Beobachtungsfehler ist. Ziel ist es natürlich möglichst selten nachzukalibrieren.

    Vorhersage-Beobachtung. Was zum Teufel ist daran nicht zu verstehen bzw. unbelegt? Es gibt ganze Bücher nur darüber, wie man die Abweichung des Modells von der beobachtbaren Realität quantifiziert und wann man ein Modell besser verwirft, weil die Abweichung zu hoch ist. So etwas lernt man im Grunde bereits in der Schule.

    Ehrlich, die Hälfte der Zeit weiß ich nicht, was Sie eigentlich wollen und die andere Hälfte denke ich mir, was schreiben Sie da für einen Müll?

  26. #26 Jörg Friedrich
    Mai 11, 2009

    Sie meinen also den Unterschied zwischen einer Vorhersage und einer Beobachtung, den die Wissenschaft zu verkleiner versucht. Das ist natürlich richtig, nur – darüber habe ich nicht geschrieben.

    Die Vorhersage ist ja nicht das, womit Sie etwas erklären, sie folgt selbst aus dieser Erklärung.

    Die Erklärung ist: Es gibt da dieses und jenes Objekt, das verhält sich so und so. Denken Sie mal an die Entdeckung des Neptun vor 150 Jahren. Das Phänomen, das man erklären wollte, war, dass der Uranus sich nicht so bewegte wie erwartet. Die Erklärung war: “Da gibt es noch einen Planeten”. Dieser Planet war nun zunächst eine “theoretische Entität” – er war nicht direkt beobachtbar, aber er konnte als Erklärung für beobachtbare Phänomene dienen. Man konnte seine Eigenschaften berechnen und daraus natürlich berechnen, wie sich Uranus unter der Annahme, dass ein solcher Planet existiert, verhalten müsste.

  27. #27 Ludmila Carone
    Mai 11, 2009

    @Jörg Friedrich: Nehmen Sie nicht den Planeten Neptun als Beispiel sondern den Planeten X bzw. die Geschichte um Pluto und den Kuipergürtel. Das ist für Ihre Zwecke weitaus besser geeignet.

    Nachdem die Entdeckung des Neptuns anhand der Uranusbahn wunderbar klappte, hat man versucht exakt dieselbe Methode auf den Planeten Neptun anzuwenden. Und siehe da! Es zeigten sich wiederum Bahnstörungen und wieder wurde vorhergesagt/postuliert oder meinetwegen als theoretische Entität ein weiterer größerer Planet angenommen. Als man dann nach langem Suchen den Pluto fand, dachte man sich “Jackpot, es hat schon wieder funktioniert.”

    Dummerweise stellte sich dann nach einigen Jahren heraus, dass Pluto viel zu klein ist, um die Bahnstörungen des Neptun hervorzurufen. Also wurde wieder nach einem Planeten X gesucht.

    Erst viel, viel später stellte sich heraus, dass bereits die Grundannahme, dass ein einziger Körper die Bahnstörungen des Neptun hervorruft, falsch war. Es waren die kombinierten Gravitationseinflüsse einer ganzen Reihe von Objekten, die dafür verantwortlich waren: Der Kuipergürtel.

    Die theoretische Entität “Planet X” wurde falsifiziert und durch eine zutreffendere ersetzt.

    Voilá, hier haben Sie endlich mal ein gutes anschauliches Beispiel für das Problem, was Sie bisher eher schlecht als recht versucht haben zu verdeutlichen.

  28. #28 Jörg Friedrich
    Mai 11, 2009

    Schön, dass Sie das ergänzt haben, ich hatte es bewusst weggelassen, um ein Beispiel zu zeigen, bei dem die Annahme einer solchen Entität richtig war (wobei ich die Sache so in Erinnerung habe, dass auch die Masse des Neptun zunächst falsch bestimmt war und deshalb der Transneptun viel größer hätte sein müssen, als es der Pluto dann war)

    Die ganze Geschichte des Pluto ist aber nicht nur negativ, nicht vor allem eine Geschichte der Falsifikation, sondern auch eine der bestätigung der Theorie. Denn die sagt ja zunächst vor allem: Bahnabweichungen haben ihre Ursache in der Existenz weiterer, bisher nicht beobachteter Körper und hängen (entsprechend des Gravitationsgesetzes) von der Masse der beteiligten Körper ab. Und das wurde letztlich bestätigt, wenn auch die erste Idee, die beteiligten Körper zu identifizieren, falsch war.