“Gewissermaßen ist die Philosophie als jene Form des Denkens, die gemäß ihrem eigenen Ursprungsmythos ihren Ausgang beim Staunen genommen hat, immer schon auf Fremdes bezogen” schreibt Thomas Bedorf [1]. Wenn man Diskussionen zwischen Philosophen und Wissenschaftlern [2] verfolgt, begegnet dieses Fremd-Sein auf Schritt und Tritt. Der Philosoph, der z.B. wie Bruno Latour in seinem “Laboratory Life” [3] dem Wissenschaftsbetrieb wie ein Anthropologe begegnet, der einen fremden Volksstamm erforscht, kommt aus dem Staunen nicht heraus – und wenn er die Ergebnisse seines Staunens publiziert, erscheint den Wissenschaftlern Latours Fallstudie so fremd, dass sie ihm mit offener Ablehnung begegnen.
Was ist dieses Fremde, was sind überhaupt Fremde und wie werden sie vom Eigenen unterschieden, und wie ist damit umzugehen?
Bedorf findet bei seinem „kurzen Galopp durch die historische Phänomenologie des Anderen und Fremden” … „Hinweise darauf, das Fremde als eine Heimsuchung zu beschreiben, die sich weder auf Anderes reduzieren lässt (Husserl), noch ohne weiteres sozial abbaubar ist (Schütz)”. Die „Fremdheit des Eigenen spiegelt sich gewissermaßen im Fremden. Anverwandeln kann man sich diesem Fremden ebenso wenig, wie die eigene Fremdheit nicht ohne weiteres anzueignen ist.” (Seite 31)
In Kurt Röttgers Aufsatz „Wildnis und Wahn” [4] findet sich eine Fortführung dieses Gedankens: „Fremdheitserfahrung ist Grenzerfahrung. Im Grenzübertritt wird Fremdheit erfahrbar, sei es, dass eine Fremde kommt, sei es dass wir in die Fremde gehen. … Ein abstrakter Begriff des Fremden, gedacht ohne Erfahrung des Grenzübertritts, ist ein leerer Begriff.”
Röttgers sieht an anderer Stelle [5] in einem so konzipierten Fremdheitsbegriff Analogien zu Carl Schmitts Freund-Feind-Dichotomie [siehe 6]: „Dieser Ausschluss des Fremden vom Eigenen ist zwar strukturell der Dichotomie von Freund und Feind als Definienzien des Politischen bei Carl Schmitt analog; aber da es sich hier nicht um eine Definition des Politischen handelt, ist ebenso klar, dass nicht jeder Fremde ein Feind ist: er kann ebenso sehr als Gast erscheinen (oder umgekehrt als Gastgeber). Der Fremde ist von jenseits der Grenze, die ich konstruiert habe, um die Sphäre des Eigenen zu markieren.”
Wenn man Debatten wie die Science Wars verfolgt, dann kann man sehr gut studieren, wie eine solche Grenzziehung erfolgt, und man kommt nicht umhin, Röttgers Vorstellung, dass der Frende nicht nur als Feind sondern auch als Gast betrachtet werden kann, für diesen Bereich als wenig deskriptiv, dafür aber sehr normativ gesetzt zu betrachten. Röttgers selbst schreibt: „Es wäre eine Verharmlosung des theoretischen Anspruchs, wenn bestritten würde, dass die Gefahr immer besteht, den Fremden als feind zu behandeln” (Seite 5, Seite 19)
Dass man nicht nur ein anderer ist, der sich von den Eigenen nur graduell unterscheidet, bemerkt man selbst möglicherweise erst im Laufe der Debatte. Ob Latour und Woolgar es für möglich gehalten haben, dass ihre Studie zu einem der Ausgangspunkte der Science-Wars wird, weiß man nicht. Dass man eine Grenze überschritten hat, die einen zum Fremden macht, merkt man oft erst, wenn die Kommunikation beginnt.
Natürlich lässt sich eine solche Grenz-Konstruktion auch anderswo beobachten, beispielsweise in den Kommentarbereichen wissenschaftsorientierter Blogs. Jeder Kommentar kann ein Grenz-Übertritt sein, kann die Frendheit des Schreibers gegenüber dem Blogger und der Gemeinschaft des Blogs sichtbar machen. Eine Debatte, in dessen Verlauf der Fremde zum Feind wird, führt zur Ausgrenzung. In der Kommunikation geht es nur noch darum, dem Anderen sein Fremd-Sein deutlich zu machen, im besten Falle werden ihm Wege aufgezeigt, wie er die Grenze wieder (in die andere Richtung) überqueren kann oder es wird ihm erklärt, was er zu tun hat, um seine Fremdheit zu verlieren.
Denn es gibt ja Gäste, die sind nirgendwo zu Haus, die sind überall fremd. Sie suchen Nähe an Orten, an denen sie sich als Gast willkommen fühlen. Wenn die Gastgeber ihn jedoch nicht als Gast, sondern vielleicht sogar als Feind (als Partisan?) sehen, kann man die Grenzziehungs-Mechanismen besonders klar beobachten. Dem Gast wird seine Fremdheit als Feind-Sein vorgeführt. Das, was er sagt und tut, so wird argumentiert, stützt den eigentlichen Gegner, indem es ihm sozusagen Munition liefert und möglicherweise zusätzlich die Gemeinschaft der Gastgeber durch Verunsicherung destabilisiert. Da bleiben dann nur zwei Möglichkeiten: Assimilation oder Auswandern.
Assimilation, das würde auf lange Sicht den „Verlust des Fremden” bedeuten. Nach Kurt Röttgers ist aber der Verlust des Fremden gleichzusetzen mit dem Verzicht auf Kultur. „Das Bild, das sich zum Zweck einer harmonischen Auflösung dieser Konflikte ergäbe wäre das Bild einer Welteinheitskultur als Minimalkultur”. Was ist der Ausweg? Der entscheidende Punkt ist, sich klar zu machen, dass die Grenze ja konstruiert ist und damit ist klar: „dass es bei uns, den Konstruierenden liegt, den Fremden so oder so zu konstruieren und dass wir also über die Gründe nachdenken sollten, die dazu führen, dass Fremdheit als Feindschaft erscheint”.
Dass es gut ist, Fremde als Gäste und nicht als Feinde zu sehen zeigt sich schon in dem empirischen Befund, dass alle Gemeinschaften, die die Grenze zu den Fremden als die zu Feinden konstruiert haben, die möglichst undurchlässig sein sollte, letztlich erstarrt und zugrunde gegangen sind. Wer die Fremden als Gäste aufnimmt, kann von deren fremder Kultur letztlich nur profitieren: Vielleicht erkennt man in der Verunsicherung, die das Fremde mit sich bringt, tatsächlich eigene Schwächen, mit denen sich die Auseinandersetzung lohnt. In jedem Falle ist es ein Zeichen von Stärke und Selbstbewusstsein, offen, interessiert und Gastfreundlich mit dem Fremden umzugehen.
[1] Thomas Bedorf: Die Konjunktur des Fremden. in: Die Fremde. Herausgegeben von Kurt Roettgers und Monika Schmitz-Emans, Verlag Die Blaue Eule, Essen 2007, Seite 27
[2] Siehe z.B. die berühmten Science Wars (einige wichtige Artikel aus dieser Debatte in „The Science Wars: Debating Scientific Knowledge and Technology” Herausgegeben von Keith Parsons, Contemporary Issues, Buffalo, N.Y, 2003
[3] Bruno Latour, Steve Woolgar: Laboratory Life, Princeton University Press 1986
[4] Kurt Röttges: Wildnis und Wahn. in: Die Fremde. Herausgegeben von Kurt Roettgers und Monika Schmitz-Emans, Verlag Die Blaue Eule, Essen 2007, Seite 98
[5] Kurt Röttgers: Der verlust des Fremden. In: Transkulturelle Wertkonflikte. Physica-Verlag 2002, Seite 17
[6] Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Duncker & Humblot, 1996
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