Verifikation oder Falsifikation von Theorien, das könnte seit Karl Poppers “Logik der Forschung” als die Grundentscheidung der Erkenntnistheorie der Wissenschaften bezeichnet werden. Eine endgültige Bestätigung einer Theorie ist nicht möglich, sie ist logisch ausgeschlossen, da aus allen empirisch gewonnenen Erfahrungssätze nur induktiv auf allgemeine Gesetze der Theorie geschlussfolgert werden kann.
Deshalb hat Karl Popper das Verifikations- durch das Falsifikationsprinzip ersetzt: Theorien müssen widerlegbar sein, müssen der empirischen Nachprüfung durch Experimente ausgesetzt werden. Dieses Prinzip kann einerseits missverstanden werden, andererseits wird es in der tatsächlichen Wissenschaft kaum in reiner Form angewandt.
Man könnte Poppers Forderung nach Falsifizierbarkeit so verstehen, dass es in der Wissenschaft immer möglich und erlaubt sein muss dass jemand eine neue Theorie entwickelt, die den empirischen Befunden besser entspricht als eine alte Theorie und dass damit die alte durch die neue Theorie falsifiziert werden würde. Aber das entspricht nicht Poppers Vorstellungen. Nach Popper muss eine Theorie, um dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu genügen, von vornherein so gebaut sein, dass sie falsifizierbar ist. Popper schreibt bereits im Vorwort (Logik der Forschung, 11. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, Seite XX): “Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen.”
Dieses Verfahren stellt Popper sich so vor, dass aus dem wissenschaftlichen theoretischen System Sätze abgeleitet werden, über die “im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung, den Experimenten usw., entschieden” werden kann. “Fällt eine Entscheidung negativ aus, werden Folgerungen falsifiziert, so trifft ihre Falsifikation auch das System, aus dem sie deduziert wurden.” (ebenda Seite 9)
Die Notwendigkeit, Falsifizierbarkeit zum Prinzip der empirischen Wissenschaften zu machen, erwächst für Popper aus dem Abgrenzungsproblem: empirische Wissenschaften müssen gegen metaphysische Erklärungssysteme der Welt abgegrenzt werden. (ebenda, Seite 10). Dieses Abgrenzungskriterium sieht Popper im Falsifikationsprinzip: “Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können.” (ebenda, Seite 17)
Popper hat seine Erkenntnislogik selbst als eine “Theorie der empirischen Methode” bezeichnet, als “die Theorie dessen, was wir Erfahrung nennen”. Misst man sein System deshalb selbst am Falsifikationsprinzip, so ist sie längst widerlegt. Weder handeln Wissenschaftler tatsächlich nach dem starken Popperschen Falsifikationsprinzip, wenn sie Theorien entwickeln, noch wäre Wissenschaft überhaupt möglich und erfolgreich, wenn Poppers Forderung tatsächlich zur Norm für empirisch-wissenschftliche Systeme erhoben werden würde.
Die wohl bekannteste Darstellung der Tatsache, dass Poppers Falsifikationsprinzip nichts mit der tatsächlichen Wissenschaft zu tun hat, ist Paul Feyerabends “Wider den Methodenzwang” (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main 1986). Im Abschnitt 5 zeigt Feyerabend an vielen Beispielen von Newtons Farbenlehre bis Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, dass es keine einzige Theorie gibt, die jemals mit allen bekannten Tatsachen auf ihrem Gebiet übereinstimmt. Und die Schwierigkeiten entstehen nicht durch Gerüchte oder nachlässige Verfahren, sondern durch Experimente und Messungen von höchster Genauigkeit und Zuverlässigkeit (ebenda, Seite 71).
Es wäre fatal, wenn sich Wissenschaftler tatsächlich entsprechend des Popperschen Falsifikationsprinzips verhalten würden und ihre Theorien als widerlegt betrachten würden, wenn sie anerkannten empirischen Tatsachen widersprechen. Manchmal kann man solche Tatsachen nutzen, um Theorien zu verbessern, d.h., man sucht nach zusätzlichen, bisher nicht berücksichtigten Mechanismen, die die Abweichung zwischen theoretischer Vorhersage und empirischem Befund erklären – allerdings ist es oft schwer, solche Annahmen von ad-hoc-Hypothesen zu unterscheiden, die nur eingeführt werden, um eine liebgewonnene Theorie halten zu können. Manchmal muss man aber auch einfach viel Geduld haben, so wie beim Olbersschen Paradoxon, das von Wilhelm Olbers bereits 1823 publiziert wurde (und eigentlich schon länger bekannt ist). Hätte man im 19. Jahrhundert diesen empirischen Befund nehmen sollen, um die Vorstellung von einem unendlichen Weltall aufzugeben? Es war richtig, das Problem zu ignoriere, bis 100 Jahre später eine Theorie entwickelt werden konnte, aus der auch das Olberssche Paradoxon aufgelöst werden konnte.
Was offen bleibt, ist das Abgrenzungskriterium, welches Popper zur Unterscheidung von metaphysischen und empirisch-wissenschaftlichen Welterklärungsversuchen im Falsifikationsprinzip gefunden zu haben glaubte. Leider ist die Sache nicht so einfach, wie Popper glaubte – der Unterschied zwischen Wissenschaft und Metaphysik kann zwar normativ leicht festgelegt werden, ist aber deskriptiv leider nicht am Falsifikationsprinzip feststellbar.
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