Auch wenn Cartwright an die Existenz theoretischer Entitäten glaubt, so bestreitet sie, dass wissenschaftliche Theorien, insbesondere die Theorien der Physik, wahr sind. Hinsichtlich der Theorien ist sie Anti-Realistin. Fundamentale physikalische Gesetze, ausgedrückt in mathematischen Gleichungen, sagen niemals die Wahrheit über das Verhalten theoretischer Entitäten.
In ihrem Aufsatz „Fitting Facts to Equations” schreibt Nancy Cartwright ziemlich am Anfang: „My basic view is that fundamental equations do not govern objects in reality; they govern only objects in models” . Wie aber kommen unter diesen Bedingungen theoretische Entitäten und fundamentale physikalische Gesetze zusammen? Cartwright nutz eine interessante Konstruktion, um die Objekte der Realität mit denen der Modelle und damit mit den Gleichungen der Theorien zu verbinden: den „alswenn”-Operator: „The radiating molecules in an ammonia maser behave as if they are classical oscillators.”
Was auf der rechten Seite des Operators steht, ist nach Cartwright immer ein „theoretisches Konstrukt” eben jenes „Objekt im Modell”. “The classical electron oscillators are undoubted fictions.”
Mit dem, was links vom als-wenn-Operator steht, gibt man nach Cartwright eine Existenzbehauptung ab. Links steht das Ding, was wirklich existiert, oder von dem angenommen oder behauptet wird, dass es existiert, und rechts steht ein Bestandteil der Theorie. “On the one hand, putting things to the left of the operator is a sign of our existential commitment. A helium-neon laser is a collection of three-level atoms … But putting things to the right is the kind of description for which the theory provides an equation.”
Sätze, die den als-wenn-Operator enthalten, stellen bei Nancy Cartwright Brücken-Sätze dar, die die tatsächlich existierenden Dinge mit Modell-Bestandteilen verbinden, für welche es Theorien in Form mathematischer Gleichungen gibt. Die Dinge auf der linken Seite des Operators sind die Gründe für die beobachtbaren Effekte – also die theoretischen Entitäten, von deren Existenz Nancy Cartwright überzeugt ist.
An dieser Stelle wird ein begriffliches Problem mit dem Ausdruck „theoretische Entität” deutlich. Sind theoretische Entitäten nun die Entitäten der wissenschaftlichen Theorien, oder sind sie die nicht beobachtbaren aber dennoch tatsächlich existierenden kausalen Gründe der makroskopisch beobachtbaren Effekte? Liegt hier nicht genau der Kategorienfehler vor, den Baas van Fraassen in dem Begriff der „theoretischen Entität” sieht, als er in „The Scientific Image” schrieb : “Such expressions like ‘theoretical entities’ and observable-theoretical dichotomy are, on the face of it, examples of category mistakes. Terms or concepts are theoretical; entities are observable or unobservable.”?
Es ist in der Tat nicht klar, auf welcher Seite des als-wenn-Operators Nancy Cartwright die „theoretischen Entitäten” sieht. Sie vermeidet es, bei der Erläuterung des als-wenn-Operators diesen Begriff zu verwenden. Auf der linken Seite stehen „Dinge, über die wir eine Existenzaussage machen”, auf der rechten stehen „theoretische Konstrukte”. Es lohnt sich deshalb, Nancy Cartwright Argumentation einmal ganz ohne Verwendung des Begriffes der theoretischen Entität zu rekonstruieren:
Cartwright sagt, dass wir, wenn wir Erklärungen für beobachtbare Effekte angeben, immer Existenzaussagen machen. Der Grund für das auftreten eines Effekts ist immer die Existenz eines Dinges, welches bestimmte Eigenschaften hat und dessen kausale Wirkungen den Effekt hervorbringen. Manche solcher Dinge kann man direkt zeigen, bei anderen rechtfertigt man die Aussage, dass der Grund des Effektes nicht irgendein Ding ist (damit wäre noch nicht viel gesagt) sondern ein Ding einer bestimmten Klasse, indem man diese Klasse von Dingen zur Erklärung verschiedener, miteinander verbundener Effekte, heranzieht.
Die kausalen Zusammenhänge zwischen diesen Dingen und den beobachteten Effekten kann man in Modellen darstellen, für die es wiederum eine mathematische Beschreibung gibt. Modelle und mathematische Beschreibungen bilden die physikalische Theorie, die damit keine wahre Aussage über die Welt, sondern eben nur ein mathematisches Modell ist.
Van Fraassen würde nun vermutlich einwenden, dass der ganze Teil der Argumentation, der die Existenz von Dingen, die dann über Brückensätze mit Modellen verbunden werden, behauptet, nicht gebraucht wird. Die Modelle alleine reichen völlig aus, und ob ihre Elemente per alswennOperator mit realen Dingen verbunden werden können, ist unwichtig.
Auf den ersten Blick hat er damit auch Recht. Der Entitäten-Realismus scheint nichts weiter zu sein als eine Reminiszenz an das Alltagsdenken, bei dem nun einmal immer der Grund für einen Effekt in einem existierenden Ding gesucht wird, das den Effekt verursacht. Aber, und das stützt zunächst van Fraassens Argument, weiter oben wurde gezeigt, dass der Existenz-Nachweis im Falle der nicht beobachtbaren Entitäten ohnehin in anderer Weise geführt werden muss als bei beobachtbaren, und dass damit der Existenz-Begriff eine andere Bedeutung erhalten würde.
Auf der anderen Seite kann man auf diese Weise nicht erklären, warum wir für verschiedene Effekte immer wieder Modelle konstruieren, die gemeinsame Basis-Elemente enthalten: Konzepte, die Entitäten mit gleichen Eigenschaften enthalten. Dies etwa nur mit Theorie-Effizienz-Bestrebungen zu begründen, ist sicherlich nicht ausreichend. Theorien, die ad hoc neue Entitäten einführen, sind immer unbefriedigend, Modelle, die bereits bekannte Entitäten und deren Eigenschaften benutzen, werden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft eher akzeptiert.
Dies ist mit dem Ansatz von Cartwright erklärbar: Die Elemente der Theorie sind mit den Dingen der Welt über Sätze, die den als-wenn-Operator enthalten, verbunden. So tauchen diese Dinge in immer neuen Modellen für immer neue Effekte auf, und mit jedem Mal wird die Existenz des unbeobachtbaren Dings immer aufs Neue bestätigt. Und selbst wenn man nie ganz sicher sein kann, durch die Vielzahl der Effekte, zu deren Erklärung es verwendet werden kann, und durch die Vielzahl der Modelle, in denen es über als-wenn-Brückensätze eingeht, wird die Überzeugung, dass das unbeobachtbare tatsächlich existiert, immer besser gerechtfertigt.
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