Das Münsterland ist eine flache Landschaft, darum ist es ein Paradies für Fahrradfahrer. Aber wir haben hier auch Berge: Die “Baumberge” – die “Gipfel” liegen etwa 160 m über dem Meeresspiegel. “Berg” ist eben ein vager Begriff, ein “vages Attribut”
In der natürlichen Sprache sind viele Attribute “vage”: Es ist unsicher, es scheint von der persönlichen Einschätzung des Sprechers abzuhängen, on einem Objekt ein Attribut zukommt oder nicht.
Die Vagheit beschäftigt die Philosophen schon solange, wie es Philosophie gibt, das Haufen-Paradox, welches das Problem der vagen Begriffe aufzeigt, geht auf Zenon oder Eubulides zurück, ist also seit ungefähr 2.400 Jahren bekannt: Wenn man von einem Getreidehaufen ein Korn wegnimmt, ist da immer noch ein Haufen – also kann man immer ein Korn nach dem anderen wegnehmen, und es bleibt ein Haufen. Aber wenn man alle Körner weggenommen hat, ist da ganz sicher kein Haufen mehr.
Wissenschaftlern fällt es schwer, mit Vagheit umzugehen: Sie definieren die Vagheit, wenn es geht, einfach weg. Das Beispiel, welches in den letzten Jahren vielleicht die größte Bekanntheit erlangte, war der Pluto, der nach der neuen Planetendefinition plötzlich kein Planet mehr ist. Auf diese Weise strukturiert die Naturwissenschaft sich die Welt. Sie zieht in die vorgefundene Vielfalt relativ willkürliche Grenzen ein, um die so konstruierten Einheiten systematisch untersuchen zu können. Vage Begriffe und exakte Wissenschaft passen nicht zusammen.
Im Experiment werden die Bedingungen dann so optimiert, dass die Vagheit verschwindet. Wenn man die Spinne an ihrem Seidenfaden sieht, wie sie sich im Wind hin und her bewegt, ist es unklar, ob man diese Bewegung als Pendelbewegung ansehen kann. Ein dünnes Stahlseil, an dem eine schwere Metallkugel hängt, das ganze unter Laborbedingungen im Vakuum reibungsarm aufgehängt und dann aus der Ruhelage um 3 Grad ausgelenkt: Das ist eine klare Pendelbewegung, die man untersuchen und mit einem theoretischen Modell beschreiben kann.
Als Physiker und Chemiker kann man so arbeiten, für Biologen und Mediziner wird es schon schwieriger, Sozial- und Geisteswissenschaftler aber müssen sich ständig mit der Vagheit quälen, und Philosophen sowieso. Die aus dem Haufen-Paradox bekannte Argumentation wird gern zum Verwässern ethischer Urteile genutzt (z.B. von Sixtus Empiricus zum Inzest) und wenn man wissenschaftsphilosophische Unterscheidungen trifft, dann bringen auch Wissenschaftler wieder die Vagheit ins Spiel, um die philosophische Argumentation zu kritisieren.
So gab es vor einigen Tagen hier im Arte-Fakten-Blog eine Diskussion über die Frage der Unterscheidung von natürlichen Bedingungen und künstlichen Laborbedingungen. Die Grenze zwischen beiden ist natürlich vage. Trotzdem können wir das Labor von der Wildnis doch klar unterscheiden.
Ähnlich verlief eine Diskussion zur Unterscheidung von direkt beobachtbaren Phänomenen und nicht direkt beobachtbaren Prozessen. Auch hier ist der Maßstab, bei der Übergang von einem zum anderen erfolgt, fließend: Aber Menschen, Bäume und Steine kann man sicher direkt beobachten, während Elektronen und Protonen ganz sicher nicht direkt beobachtbar sind, ebenso wie der Urknall.
Diese Beispiele verweisen schon auf eine mögliche Lösung des Problems: Vage Attribute werden definiert, in dem man paradigmatische Fälle angibt. Eine LKW-Ladung Getreide, auf die Autobahn geschüttet, ist ganz klar ein Haufen. Die 2000 Autos, die eine Stunde auf die Reinigung der Fahrbahn warten, bilden ganz klar einen Stau. Wenn das Getreide dann entsorgt ist und noch ein paar einzelne Körner am Straßenrand liegen, dann ist das kein Haufen mehr, und wenn das letzte Auto wieder angefahren ist, dann hat sich der Stau definitiv aufgelöst.
Dazwischen liegt die Vagheit, die man nicht los wird und mit deren Konsequenzen sich Wissenschaft und Philosophie herumschlagen müssen – vor allem mit der Frage, welche Folgen es hat, wenn man die Vagheit zugunsten der Handhabbarkeit von Modellen bewusst oder unbewusst ignoriert.
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