Soll die Wissenschaft sich für ihr Tun und ihre Ziele gegenüber der übrigen Gesellschaft rechtfertigen, muss sie den Nutzen, den sie erbringt, nicht nur allgemein und mit Verweis auf vergangene Beispiele, sondern konkret und für jedes ihrer Vorhaben nachweisen? Und umgekehrt: muss die Gesellschaft sich Wissenschaft leisten, muss sie die Forscher weitgehend ungefragt und unkontrolliert mit den Mitteln ausstatten, die diese erwarten – in der Hoffnung oder dem Vertrauen, dass Wissenschftler selbst ja auch vernünftige Bürger sind und also verantwortungsbewusst und bescheiden mit den überlassenen Mitteln umgehen werden?
Die Situation der Wissenschaft innerhalb der Gesellschaft ist von einigen klaren und eindeutigen Abhängigkeiten und einigen weniger klaren und verworrenen Interessen geprägt. Man kann diese Situation ganz ökonomisch betrachten, auf Kosten und Nutzen hin analysieren, man kann aber auch den kulturellen Aspekt untersuchen. Wie auch immer man sich dem Thema nähert, man wird schnell merken, dass man kein klares Bild bekommt, wenn man Wissenschaft als homogenen Block betrachtet, in dem es keine weitere Differenzierung gibt.
Konzentrieren wir uns gleich auf den schwierigsten Teil: Die Grundlagenforschung. Als solche will ich hier alle wissenschaftlichen Aktivitäten verstehen, deren Nutzen für die Gesellschaft so ungewiss ist, dass jede Argumentation mit möglichen zukünftigen Effekten, mit denen die Kosten verrechnet werden können, reine Spekulation ist. Wer nach dem Higgs-Teilchen sucht oder nach Exo-Planeten, wer erforschen will, ob es vor 14 Mrd. Jahren wirklich einen Urknall gab und was wohl in den Sekunden danach geschah, der tut dies nicht mit einem Nutzen für die Menschheit im Sinn – und wenn sich, quasi als Nebenprodukt, doch ein Nutzen ergibt, dann sollte man sich schnell eingestehen, dass dieser Nutzen auch anders gestiftet worden wäre.
Der Nutzen dieser Forschung für die Gesellschaft ist in etwa so groß wie die Durchquerung der Antarktis auf Schiern, wie die Besteigung des Mont Everest, wie das Laufen von 42 km in 2 Stunden. Es gibt in unserer Gesellschaft eine ganz einfache Übereinkunft: Begeistere jemanden für Deine Idee, besorge dir jemanden, der deine Ziele unterstützt, und dann leg los.
Wissenschaftler, die Grundlagenforschung betreiben wollen, sind in der glücklichen Lage, dass ihre jeweiligen Vorgänger die Arbeit, die Gesellschaft als Ganzes von ihren Zielen zu begeistern, bereits erledigt haben: Es gibt einen Konsens darüber, dass wir wissen wollen „was die Welt im Innersten zusammenhält” – und wir sind, trotz vieler Probleme, bereit, diese Forschung zu finanzieren. Wir sind bereit, zu akzeptieren, dass große Vorhaben am Schluss doppelt so teuer werden wie geplant, wir sind auch bereit, Fehlschläge hinzunehmen und zu akzeptieren, dass wir in manchen Fällen jahrzehntelang auf spannende Ergebnisse warten müssen.
Was wir allerdings erwarten dürfen ist, dass man uns dann teilhaben lässt an den großen Taten der Wissenschaftler. Sie haben von uns eine lange Ausbildung bezahlt bekommen, wir haben ihnen teure Instrumente spendiert und bezahlen ihnen ihre lange Suche nach den tollen Erkenntnissen. Ich denke, dann dürfen wir auch darauf bestehen, dass sie uns unsere Fragen beantworten, dass sie geduldig sind, wenn wir das, wofür sie lange studiert und geforscht haben, nicht in wenigen Momenten verstehen.
Das Unverständnis beginnt eigentlich erst dann, wenn wir von unseren Alltagsproblemen aufschauen oder den Blick von den Katastrophenmeldungen der Zeitungen abwenden um uns an den Ergebnissen der Grundlagenforscher zu erfreuen und uns dann, wenn wir mal eine falsche Frage stellen, zu hören bekommen, dass wir uns erst mal schlau machen sollen, dass wir keine Ahnung haben, weil wir nicht Physik studiert haben, und wenn man uns mit ein paar hingeworfenen Sätzen abspeisen will.
Ich weiß zum Glück, dass nicht alle Wissenschaftler in der Grundlagenforschung so reagieren wie zwei oder drei junge aufstrebende Forscher bei den ScienceBlogs. Wenn es anders wäre, dann müssten wir die Frage, ob wir uns diese Grundlagenforschung leisten wollen, nämlich wirklich stellen.
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