Gegenwärtig zeigt sich wohl in kaum einer anderen wissenschaftlichen Forschungsdisziplin so deutlich wie in der Erforschung der Intelligenz, wie wesentlich Aussagen zum Status der theoretischen Entitäten für ethische und gesellschaftsphilosophische Fragestellungen sind. Davon zeugen u.a. zwei Aufsätze, die unter der gemeinsamen Überschrift „Should sientists study race and IQ?” erst kürzlich veröffentlicht worden sind.[1]
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es natürlich nahe liegend, nicht nur Unterschiede in der Intelligenz (bzw. genau gesagt, im Intelligenzquotienten) zwischen verschiedenen Generationen zu bestimmen sondern auch zu prüfen, ob es solche Unterschiede zwischen sozialen Gruppen, Nationen, Rassen oder Geschlechtern gibt. Die Standpunkte von Steven Rose auf der einen und Stephen Ceci und Wendy M. Williams auf der anderen Seite können dabei nicht weiter auseinander liegen. Während Rose jede Forschung über Zusammenhänge von Rasse und Intelligenz klar ablehnt, sind die beiden amerikanischen Wissenschaftler Ceci und Williams der Meinung, dass jede Einschränkung in dieser Frage eine Art Stalinismus in den Wissenschaften ist.
Beide Seiten tragen plausible Argumente vor, und das deutet schon darauf hin, dass die Wahrheit zwar nicht in der Mitte liegt, aber in einer Synthese beider Ansichten zu suchen ist.
Rose macht geltend, dass ein Forschungsprojekt zwei Kriterien erfüllen muss, um überhaupt wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen: Erstens muss die Frage, die gestellt wird, gut fundiert sein. Zweitens muss sie mit den verfügbaren theoretischen und technischen Werkzeugen zu beantworten sein. Hier zeigt sich, wie relevant wissenschaftstheoretischen Untersuchungen für die Ethik der Forschung sind, denn die Forderungen, die Rose hier stellt, sind nur präzise zu fassen, wenn man sich der wissenschaftstheoretischen Basis der verwendeten Konzepte gewiss ist.
Beide Kriterien sieht Rose bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Rasse und Intelligenz nicht erfüllt: Die Begriffe „Intelligenz” und „Rasse” sieht er im Rahmen der Wissenschaften als nicht definierbar an. Gleichzeitig meint er auch, dass uns die theoretischen Werkzeuge fehlen, um das Phänomen der Intelligenz überhaupt zu erforschen.
Rose verweist darauf, dass sich die Methoden zur „Messung” von „Intelligenz” im Laufe der Zeit gewandelt haben und zwar jeweils mit dem Ziel, die Ergebnisse an die Erwartungen anzupassen. Als man z.B. in den 1930er und 1940er Jahren merkte, dass Intelligenztests zu dem Ergebnis führten, dass Mädchen höhere Intelligenz als Jungen haben, „adjustierte” man die Tests. Das ist natürlich in der Tat kein wissenschaftlich akzeptables Vorgehen. Für die wissenschaftliche Bestimmung der Zugehörigkeit eines Probanden zu einer Rasse sieht Rose grundsätzlich nur die Möglichkeit der genetischen Fundierung – hier aber zeigt sich, dass bisher keine Merkmalskombination gefunden wurde, die zuverlässig die Zuordnung zu einer Rasse erlaubt.
Auf Grundlage dieser Diagnose lehnt Rose die wissenschaftliche Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Rasse und Intelligenz ab. Er stellt auch die Frage nach dem Interesse, das hinter solchen Untersuchungen stehen könnte und kommt zu dem Ergebnis, dass ein solches Interesse nur darin bestehen kann, die Vorherrschaft der eigenen Rasse, wie auch immer sie ausgeübt wird, zu begründen.
Die Frage nach dem Interesse stellen auch Ceci und Williams, die allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis kommen als Rose. Sie fragen vor allem nach dem Interesse, das hinter einem Verbot oder auch nur hinter einer Diskreditierung einer bestimmten Forschungsfrage steht. Soweit dies politische Interessen sind, oder die Furcht vor politischer Ausnutzbarkeit von Forschungsresultaten, lehnen sie so begründete Eingriffe in die Freiheit der Forschung grundsätzlich ab.
Ceci und Williams zitieren Forschungsergebnisse, nach denen der Intelligenzquotient zwischen Rassen um bis zu 30% voneinander abweicht. Solche Forschungen, so sagen die beiden Amerikaner, können und sollen wissenschaftlich kritisiert werden, aber nicht politisch bekämpft. Sie beklagen, dass diejenigen, die diese Theorien bekämpfen zumeist nicht einmal wissen, dass es möglich ist, sie mit wissenschaftlichen Mitteln zurückzuweisen.
Die Autoren zitieren verschiedene weitere Untersuchungen welche zeigen, dass sich die Differenzen in der Intelligenz zwischen Rassen, die sich tatsächlich zeigen lassen, im Laufe der Jahrzehnte verändern. Daraus schließen sie, dass diese Differenzen wohl weniger genetisch als vielmehr kulturell begründet sind. Damit zeigt sich, dass es möglich ist die Intelligenz-Lücke zwischen den Rassen zu schließen. Genau darin sehen die Autoren auch einen Grund, warum solche vergleichenden empirischen Untersuchungen sinnvoll sind.
Natürlich werden Forschungsergebnisse, die Differenzen in der Intelligenz zwischen verschiedenen Rassen diagnostizieren, von Demagogen politisch ausgenutzt. Das war schon zu Darwins Zeiten so, wie schon das Editorial der gleichen Ausgabe von nature („Humanity and evolution”, Seite 763) zeigt: Während Darwins Zeitgenossen im Sinne der Aufklärung die Abstammungslehre nutzten um zu verdeutlichen, dass alle Menschen Brüder sind, missbrauchte Hitler die Bilder vom „Kampf ums Dasein” und vom „Überleben des Stärkeren” um Allmachts- und Überlegenheitsphantasien unters Volk zu bringen.
Wenn man also nur Forschungen zulassen würde, bei denen politischer Missbrauch ausgeschlossen wäre, dann wären die Wissenschaftler der Welt bald arbeitslos. So bleibt also nur, sämtliche Forschungsfragen grundsätzlich zuzulassen, unter kritischer erkenntnistheoretischer Beobachtung und Begleitung.
Sosehr Rose in seiner Diagnose Recht hat, so sehr irrt er in seinen Folgerungen. Tatsache ist, und das zeigen auch Flynns Bemühungen [2], dass sich die Wissenschaft solcher Begriffe wie „Intelligenz” und „Rasse” nicht sicher sein kann. Keine Definition ist hinreichend präzise und zugleich so umfassend, dass sie einer Prüfung im wissenschaftlichen Diskurs ganz standhalten kann. Das gleiche gilt für die Methoden der Messung und Analyse innerhalb verschiedener Theoriegebäude.
Aber diese Unsicherheit gilt für jede wissenschaftliche Theorienbildung und -entwicklung. Jedes wissenschaftliche Forschungsfeld beginnt mit relativ unsicheren Konzepten und Methoden, die erst in der Anwendung und in der Kritik gefestigt und geschärft werden.
Im Falle der Messungen von Intelligenz ist klar, dass diese von einem Vorverständnis vom Begriff der Intelligenz innerhalb der Kultur der Forschergemeinschaft ausgehen. Flynn hat dies für den Intelligenz-Begriff dargelegt. Er hat auch gezeigt, dass diese vorwissenschaftliche Intelligenzdefinition und die daraus abgeleiteten Messverfahren dem rationalen Verständnis von Intelligenz mit einem wissenschaftlichen Weltblick, wie er sich in den westlichen Industrienationen im Laufe des 20. Jahrhunderts durchsetzte, entsprachen. Es wäre so gesehen sehr überraschend wenn eine in westlicher Forschungstradition gebildete Theorie über Intelligenz nicht zu dem Ergebnis kommen würde, dass diejenige Rasse die höchste Intelligenz hat, die vor allem in der Kultur vorhanden ist, zu der auch die Forschergemeinschaft gehört.
[1] nature 457, Seite 786-788, 12. Februar 2009
[2] James R. Flynn: What is Intelligence? Cambridge University Press, Cambridge 2007
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