Wie lange dauert diese Krise noch? Was muss getan werden, damit die Wirtschaft schnell gesundet? Und was kann man tun, damit die Folgen der Krise möglichst gering sind? Bange Fragen richten viele heute an die ökonomische Wissenschaft, Fragen, die diese aber nicht beantworten kann. Jeder Wissenschaftler, der sich heute in den Medien oder in der Politik-Beratung als Prophet betätigt, der für die nächsten Monate in knappen Sätzen Schrumpfungs- oder Wachstumsraten vorhersagt, der behauptet, im zweiten Halbjahr dieses Jahres werde es wieder aufwärts gehen, ist ein Scharlatan.
Sie wissen nichts über die Zukunft, sie können es nicht wissen. Im Besten Falle wissen sie (wie jeder andere) dass es vom Handeln der Menschen abhängt, wie es mit der Wirtschaft weitergeht, und sie beschwören deshalb die Menschen, den Optimismus nicht zu verlieren, sie beschwören die Unternehmer, weiterzumachen und ihre Firmen irgendwie am Leben zu erhalten, sie beschwören die Politiker, etwas zu tun, sie beschwören auch die Angestellten und Arbeiter, fleißig zu sein und schließlich beschwören sie uns als Konsumenten, auf keinen Fall nun zu sparen, sondern Autos und Kuchen und Strumpfhosen zu kaufen, bis unsere Konten leergefegt sind.
Die Professoren der Volkswirtschaft sind die Schamanen der modernen Welt. Sie sind dies nicht aus freien Stücken, wir drängen sie geradezu in diese Rolle mit unseren bangen Fragen, wie es denn weitergeht, was denn passieren wird, und vor allem: Wann es uns wieder so gut geht, wie es uns vor vielen Jahren ging.
Und sie reiben sich verständnisvoll und wissend das Kinn (sie würden sich lieber – wie wir – die Augen reiben, aber sie wissen, dass sie ihr eigenes Erstaunen verbergen müssen), horchen hier und messen da, verschreiben uns siebenerlei Tröpfchen und bittere Pillen (in homöopathischen Dosen, versteht sich) und bestellen uns für die folgende Woche wieder ein. Bei der Verabschiedung sagen sie mit fester Stimme „Das wird schon wieder” und wenn es beim nächsten Mal dann doch nicht geworden ist, wenn wir uns nur noch elender fühlen, dann fragen sie mit strengem Blick, ob wir denn die bittere Medizin auch wirklich genau in der vorgeschriebenen Dosis zur exakt vorgegebenen Zeit genommen haben, reiben wieder wissend ihr Kinn und verschreiben die nächste Medizin.
Alles was sie wissen ist, dass es schon einmal einen Arzt gab, der bei ähnlichen Symptomen einem Patienten die gleiche Medizin gegeben hat, und dass jener Patient zwar nicht genesen, aber auch nicht gestorben ist.
Nicht dass die Professoren vor den Fernsehkameras und an den Radio-Mikrofonen das gern täten. Sie verschreiben ihre Rezepte, weil wir das von ihnen verlangen, und wir verlangen es, weil wir sonst gar nichts mehr tun und vor der Krise gelähmt wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen würden. Wie frühere Menschen ihren Glauben an Gott oder an den eigenen gesunden Menschenverstand brauchten, um etwas tun zu können, um handelnd in das Geschehen eingreifen zu können, brauchen wir heutigen den Glauben an die Wissenschaft.
Und am Schluss, wenn diese Krise wirklich irgendwann vorbei ist, wenn es uns wieder so gut geht, wie es uns vorher einmal ging, dann wird einer unter ihnen sein, der es richtig vorhergesagt hat, und der uns die letzte Medizin gegeben hat – und das wird uns der Beweis sein, dass unsere Wissenschaften die Krone des Denkens sind, das einzige, worauf man sich verlassen kann.
Hinweis für alle, die es nicht schon bemerkt haben: Es handelt sich bei diesem Text nicht um eine wissenschaftsphilosphische Analyse mit Anspruch auf allgemeine Wahrheit, sondern um eine kleine ironische Glosse.
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