Wie lange dauert diese Krise noch? Was muss getan werden, damit die Wirtschaft schnell gesundet? Und was kann man tun, damit die Folgen der Krise möglichst gering sind? Bange Fragen richten viele heute an die ökonomische Wissenschaft, Fragen, die diese aber nicht beantworten kann. Jeder Wissenschaftler, der sich heute in den Medien oder in der Politik-Beratung als Prophet betätigt, der für die nächsten Monate in knappen Sätzen Schrumpfungs- oder Wachstumsraten vorhersagt, der behauptet, im zweiten Halbjahr dieses Jahres werde es wieder aufwärts gehen, ist ein Scharlatan.

Sie wissen nichts über die Zukunft, sie können es nicht wissen. Im Besten Falle wissen sie (wie jeder andere) dass es vom Handeln der Menschen abhängt, wie es mit der Wirtschaft weitergeht, und sie beschwören deshalb die Menschen, den Optimismus nicht zu verlieren, sie beschwören die Unternehmer, weiterzumachen und ihre Firmen irgendwie am Leben zu erhalten, sie beschwören die Politiker, etwas zu tun, sie beschwören auch die Angestellten und Arbeiter, fleißig zu sein und schließlich beschwören sie uns als Konsumenten, auf keinen Fall nun zu sparen, sondern Autos und Kuchen und Strumpfhosen zu kaufen, bis unsere Konten leergefegt sind.

Die Professoren der Volkswirtschaft sind die Schamanen der modernen Welt. Sie sind dies nicht aus freien Stücken, wir drängen sie geradezu in diese Rolle mit unseren bangen Fragen, wie es denn weitergeht, was denn passieren wird, und vor allem: Wann es uns wieder so gut geht, wie es uns vor vielen Jahren ging.

Und sie reiben sich verständnisvoll und wissend das Kinn (sie würden sich lieber – wie wir – die Augen reiben, aber sie wissen, dass sie ihr eigenes Erstaunen verbergen müssen), horchen hier und messen da, verschreiben uns siebenerlei Tröpfchen und bittere Pillen (in homöopathischen Dosen, versteht sich) und bestellen uns für die folgende Woche wieder ein. Bei der Verabschiedung sagen sie mit fester Stimme „Das wird schon wieder” und wenn es beim nächsten Mal dann doch nicht geworden ist, wenn wir uns nur noch elender fühlen, dann fragen sie mit strengem Blick, ob wir denn die bittere Medizin auch wirklich genau in der vorgeschriebenen Dosis zur exakt vorgegebenen Zeit genommen haben, reiben wieder wissend ihr Kinn und verschreiben die nächste Medizin.

Alles was sie wissen ist, dass es schon einmal einen Arzt gab, der bei ähnlichen Symptomen einem Patienten die gleiche Medizin gegeben hat, und dass jener Patient zwar nicht genesen, aber auch nicht gestorben ist.

Nicht dass die Professoren vor den Fernsehkameras und an den Radio-Mikrofonen das gern täten. Sie verschreiben ihre Rezepte, weil wir das von ihnen verlangen, und wir verlangen es, weil wir sonst gar nichts mehr tun und vor der Krise gelähmt wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen würden. Wie frühere Menschen ihren Glauben an Gott oder an den eigenen gesunden Menschenverstand brauchten, um etwas tun zu können, um handelnd in das Geschehen eingreifen zu können, brauchen wir heutigen den Glauben an die Wissenschaft.

Und am Schluss, wenn diese Krise wirklich irgendwann vorbei ist, wenn es uns wieder so gut geht, wie es uns vorher einmal ging, dann wird einer unter ihnen sein, der es richtig vorhergesagt hat, und der uns die letzte Medizin gegeben hat – und das wird uns der Beweis sein, dass unsere Wissenschaften die Krone des Denkens sind, das einzige, worauf man sich verlassen kann.

Hinweis für alle, die es nicht schon bemerkt haben: Es handelt sich bei diesem Text nicht um eine wissenschaftsphilosphische Analyse mit Anspruch auf allgemeine Wahrheit, sondern um eine kleine ironische Glosse.

Kommentare (38)

  1. #1 Tobias
    Juni 16, 2009

    Jörg Friedrich, ihr letzter Absatz macht es schwierig für mich, dass von Ihnen geschriebene einzuordnen. Vielleicht können Sie mir diese Fragen erklären: Ist Ihre Aussage, dass die Wirtschaftswissenschaften keine “echte” Wissenschaft sind?
    Denken Sie, das makroökonomische Vorhersagen mit Wahrsagerei gleichzusetzen sind?
    Oder dient die Ihrer Meinung nach mangelnde Zuverlässigkeit makroökonomischer Vorhersagen hier als Beispiel für die vermeintliche Unzuverlässigkeit anderer Wissenschaftsfelder?

    Hier noch zwei Links zum Thema (sind sie das Überhaupt?)
    Makroökonomie und Astrologie auf RealClearMarkets und
    Makroökonmie Astrologie und Klimaforschung bei mir im Blog

  2. #2 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    Diese “Glosse” funktioniert – zumindest bei mir – überhaupt nicht. Ich kann darüber nicht einmal müde lächeln.

    Das liegt zum einen daran, daß das Thema sich nicht so recht dazu eignet, darüber Witze zu machen – die Folgen der Krise sind bisher erst zu geringen Teilen in der Realität angekommen, und die Prognosen all derer, die sie vorhergesehen haben, sehen nicht nur düster, sondern rabenschwarz aus.

    Zum anderen mag es ja so sein, daß die sog. “Wirtschaftswissenschaftler” mit oder ohne Professorentitel, die als Lobby der Wirtschaftsverbände auftreten, geradezu katastrophal daneben lagen. Das heißt aber eben nicht, daß es keine wissenschaftliche Beschäftigung mit ökonomischen Themen gäbe, sondern illustriert die Notwendigkeit, Wissenschaft von ihrem gesellschaftlichen Auftreten strikt zu trennen (ich hatte auf den Punkt hier im Blog schon hingewiesen).

    Zum Einstieg in das Thema empfehle ich die Artikelserie von Tomasz Konicz, zur Not meine eigene Zusammenfassung.

  3. #3 Albert Wilfert
    Juni 16, 2009

    Da man die Astrologen ächtet, muss man mit den Wirtschaftsforschern vorlieb nehmen. Verdientermassen. Und Irgendeiner findet sich immer der für überhöhte Bezahlung Schwachsinn verbreitet. Und den im nächsten Jahr durch Konträren ersetzt.
    Da mich die Ächtung nicht wirklich stört, sage ich voraus, dass sich die Wirtschaftskrise bis zum Höhepunkt 2011 dramatisch verschärfen wird. Leider ohne Honorar, was mich schon stört.

  4. #4 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    Ich habe vergessen, wo ich hier bin. Deshalb muß ich wohl ausdrücklich sagen, daß Vorhersagen ganz zuverlässig nicht von Astrologen kommen…

  5. #5 Troy
    Juni 16, 2009

    Jörg Friedrich :
    Hinweis für alle, die es nicht schon bemerkt haben: Es handelt sich bei diesem Text nicht um eine wissenschaftsphilosphische Analyse mit Anspruch auf allgemeine Wahrheit, sondern um eine kleine ironische Glosse.

    Ha !
    Eine kleine, aber eine feine.
    Man fragt sich (ich, frage mich) warum die üblichen aufgeklärten von SBs diese “Pseudowissenschaftler” nicht gehörig an den Pranger stellen, so oft und so intensiv wie sie sonst mit HP, AkP oder ALogie so fleissig tun.
    Liegt etwa an die Krawatte?

    T.

  6. #6 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    @Troy: “Liegt etwa an die Krawatte?”

    Selbst wenn man sich nur noch in Halbsätzen äußert, sollte man zumindest einen minimal selbstkritischen Blick auf die Syntax der eigenen Wortproduktion behalten.

    Ansonsten sollte Ihnen zu denken geben, daß auch Jörg Friedrich – zumindest gelegentlich, wenn er z.B. in einem Video öffentlich auftritt – Anzug und Krawatte trägt.

  7. #7 Troy
    Juni 16, 2009

    Michael Michaelis· 16.06.09 · 21:23 Uhr
    Ansonsten sollte Ihnen zu denken geben, daß auch Jörg Friedrich – zumindest gelegentlich, wenn er z.B. in einem Video öffentlich auftritt – Anzug und Krawatte trägt.

    Sie wissen sehr genau was ich meine.
    Anzug und Krawatte, übrigens, trage ich gelegentlich auch.

  8. #8 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    (Der Link oben – 2. Kommentar, “Zusammenfassung” – funktioniert nicht. So ist er richtig. Sorry.)

  9. #9 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    > Sie wissen sehr genau was ich meine.

    Nein, weiß ich nicht.

    Kritisieren Sie die Stellung der “Krawattenträger”, die mit pseudowissenschaftlichen Äußerungen auf der Party der gesellschaftlichen Eliten ihr Tänzchen aufführen?

    Oder richtet sich das an Wissenschaftler, die ernsthaft darum bemüht sind, genau diese Party in Frage zu stellen, und die sich keinen Deut um ihr Äußeres scheren?

    Ich habe so eine Ahnung, wie Sie gleich reagieren werden…

  10. #10 Troy
    Juni 16, 2009

    Michael Michaelis· 16.06.09 · 22:02 Uhr
    > Sie wissen sehr genau was ich meine.
    Nein, weiß ich nicht.
    Kritisieren Sie die Stellung der “Krawattenträger”, die mit pseudowissenschaftlichen Äußerungen auf der Party der gesellschaftlichen Eliten ihr Tänzchen aufführen?

    Na? So schwierig war es auch nicht

  11. #11 Michael Michaelis
    Juni 16, 2009

    Das bestätigt doch meine Ahnung, vielen Dank dafür.

  12. #12 Troy
    Juni 16, 2009

    Nichts zu danken, jetzt bin ich auch erleichtert.

  13. #13 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 16, 2009

    Da hier schon mal wieder von Astrologie die Rede ist, fühle ich mich berufen, zumindest anzumerken, dass die gegenwärtige Krise von Astrologen nicht nur genau vorausgesagt wurde, sondern dass wir auch recht genau sagen können, wie ihr Verlauf sein wird und wie lange sie dauert. Namen sind vor allem Claude Weiss und der große Raymond A Merryman.

  14. #14 Marc
    Juni 16, 2009

    Was soll denn diese Diskussion um des Kaisers Krawatte? Naja, das muß ich wohl nicht verstehen.

    Den Text jedenfalls finde ich wunderbar. Und ich weigere mich, darin eine ironische Glosse zu sehen. Denn das Gegenteil vom Skizzierten soll zutreffen? Nein, nein. Das ist eine hübsche Glosse, ganz unironisch, nur fein beobachtet und pointiert formuliert.

    Und bevor irgendjemand nach Belegen ruft – die gibt es zur Genüge. Die Soziologie hält dutzendfach Studien bereit, die ausführlich die Funktion von Experten dokumentieren. Und genau die oben skizzierte Beobachtung belegen: es gibt ganz einfach eine riesige Nachfrage nach Expertise und Akteuren, die irgendwie ausgewiesen erscheinen, um dem orientierungslosen Publikum mit einem Expertenurteil den Weg zu weisen. Ob die Ratschläge wohlbegründet sind, ist (zunächst) mal Nebensache.

    Und so darf man durchaus festhalten:

    Die Professoren der Volkswirtschaft sind die Schamanen der modernen Welt.

  15. #15 gsohn
    Juni 17, 2009
  16. #16 ali
    Juni 17, 2009

    Zuerst las ich den Text wohl ähnlich wie Tobias. Ich sah einen Seitenhieb auf die Wirtschaftswissenschaften. Bei zweitmaliger Lektüre nach Marcs Kommentar stelle ich nun fest, dass es vor allem um die Expertorkratie im Bereich Volkswirtschaft in der gegenwärtigen Krise geht. Vor allem um die Erwartungen des Publikums (“Sie sind dies nicht aus freien Stücken, wir drängen sie geradezu in diese Rolle”, “Sie verschreiben ihre Rezepte, weil wir das von ihnen verlangen”). Da finde ich den Medizinmann Vergleich eigentlich ganz treffend.

  17. #17 Geoman
    Juni 17, 2009

    Viele Wirtschaftswissenschaftler verkaufen sich angesichts der völlig überraschend über sie hereingestürzten Krise neuerdings nicht mehr als visionäre Schamanen, sondern als handfeste Handwerker. Der Klempner wird ja auch nicht gerufen, um Prognosen abzugeben, sondern erst dann, wenn der Schaden bereits eingetreten ist. Jetzt können sie nur noch hoffen, dass die Politiker und die Selbstheilungskräfte des Marktes die Krise wieder hinbiegen, damit wenigsten ihr Restruf gertettet wird.

  18. #18 Jörg Friedrich
    Juni 17, 2009

    @Tobias: Wirtschaftswissenschaften sind für mich in jedem Fall “echte” Wissenschaften, auch wenn sie natürlich gegenüber den Naturwissenschaften eine ganze Menge Nachteile haben: Sie können z.B. nur sehr eingeschränkt experimentieren und die Reproduzierbarkeit empirischer Befunde ist ebenfalls sehr eingeschränkt. Das ist aber eher der Grund für mehr Bewunderung als für Abwertung.

    ich denke, dass Wirtschaftswissenschaften sehr gut helfen, reale Prozesse, die wir beobachten, zu verstehen. Ihre Theorien und Instrumente sind vor allem Analyse-Instrumente.

    Weiterhin können sie auch zur Handlungsorientierung nützlich sein – allerdings ohne wirklich Prognosen für den Einzelfall abgeben zu können.

    Der Spott meiner Glosse setzt eben an dieser Stelle an, und soll in der tat am wenigsten die Wissenschaftler selbst treffen.

    @Marc: Wahrscheinlich habe ich den Begriff Ironie falsch benutzt!?

    @Name auf Verlangen entfernt: Ich nehme an, dass es ähnlich viele Astrologen gibt wie Wirtschaftswissenschftler, und dass sie ähnlich viel unterschiedliche “Vorhersagen” abgeben – sodass es nicht unwahrscheinlich ist, dass auch unter den Astrologen welche sind, die dann das sagen, was wirklich passiert.

  19. #19 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 17, 2009

    @Jörg Friedrich: nicht ganz, auch unter den Astrologen gibt es Spezialisten, weil gerade die Wirtschaftsastrologie ein außerordentliches maß an Fachkenntnis auf zwei gebieten zugleich verlangt. Deshalb sind die relevanten Vorhersagen handverlesen.

    Im unteren Beitrag zur wissenschaftlichen Grundsatzfrage – die scheinbar fertig diskutiert ist – hat jemand meines Erachtens ganz unzulässig den Hermes benutzt. Darf man einem Dieb den Namen stehlen?

  20. #20 Jörg Friedrich
    Juni 17, 2009

    @Name auf Verlangen entfernt: Ökonomische Entwickungen basieren auf den Entscheidungen von Menschen, z.B. zu kaufen oder zu sparen, zu investieren oder zu konsumieren. Eine Astrologie, die behauptet, ökonomische Entwicklungen vorhersagen zu können, würde implizit behaupten, dass die Menschen in diesen Entscheidungen nicht frei sind, sondern fremdbestimmt, und das nicht nur durch soziale oder ökonomische Zwänge, sondern durch absolut externe Zwänge. Ich lehne eine solche Astrologie schon deshalb ab, weil ich mir der Freihet des menschlichen Willens sehr sicher bin.

  21. #21 Hermes
    Juni 17, 2009

    @Name auf Verlangen entfernt: Darf ein Astrologe zutreffende Artikel einfach löschen lassen? Haben Sie sich an dem Wort “parasitär” gestört?? Was ist daran falsch?

  22. #22 Fragezeichner
    Juni 17, 2009

    Das Problem mit den Wirtschaftswissenschaften beginnt in der Tat da, wo sie sich anmasst, allgemeingültige Regeln gefunden zu haben, mithilfe derer sie Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen ziehen. Sie ist da sinnvoll, wo sie Muster in bestimmten historischen Kontexten aufzeigen kann. Es gibt natürlich einen starken Bedarf nach Erklärungen und Prognosen. Wer aber mit seinen Prognosen und Ratschlägen so weit daneben liegt wie die ganzen Wirtschaftsinstitute, der beschädigt seinen eigenen Laden und braucht sich über Spott nicht zu wundern. Ich frage mich sogar, wieviele Wirtschaftswissenschaftler überhaupt nach wissenschaftlichen Methoden arbeiten.

  23. #23 Michael Michaelis
    Juni 17, 2009

    > Das Problem mit den Wirtschaftswissenschaften beginnt in der Tat da, wo sie sich anmasst, allgemeingültige Regeln gefunden zu haben, mithilfe derer sie Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen ziehen.

    Wenn sie das nicht täten, wären sie keine Wissenschaftler. Sie dürfen sich übrigens sogar irren. Einmal, sogar noch öfters. Bloß müßten sie ihre Theorie ändern, wenn sich herausstellt, daß sie falsch gelegen haben, und das tun die sog. Wissenschaftlern der Institute eben nicht. Deshalb (zurecht) der Spott.

    Es gibt aber definitiv ökonomische Theorien, die ganz gut funktionieren, und die schon vor ziemlich langer Zeit prognostiziert haben, was kommen wird. Das ist zum einen die Theorie von Minsky, der seinerseits auf Keynes aufsetzt – und natürlich die marxisitische Sichtweise, die immer wieder revidiert wurde, aber in der Beschreibung der grundsätzlichen Bewegungen seit ziemlich langem ziemlich richtig liegen.

  24. #24 Fragezeichner
    Juni 17, 2009

    Michael, es gibt soviele verschiedene Theorien, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass irgendeine auch diesmal passt. Aber natürlich gibt es grossartige Arbeiten und Theorien, die grundsätzliche Bewegungen und Zyklen beschreiben (z.B. Marx, obwohl der ja in seiner Prognose des definitiven Zusammenbruchs des Kapitalismus ja noch nicht bestätigt wurde und wohl selbst überrascht gewesen wäre, wie wendig, anpassungsfähig und vielfältig dieser sein kann) oder Licht in wirtschaftliche Zusammenhänge gebracht haben, auch wenn sie später modifiziert oder teilweise widerlegt wurden. Aber die gescheiterten Wirtschaftswissenschaftler von heute geben ja vor, viel mehr zu können: nämlich auf Kommastellen genaue Vorhersagen. Und allein das finde ich unseriös – und wenn diese Leute ein wenig Stolz hätten, würden sie jetzt einfach mal mit dem Prognostizieren aufhören.

    Was mich ebenfalls verwundert, ist, wie eine ganze Kaste, angefuhrt von HW Sinn, jahrelang Weisheiten über alle grossen Medien verkündet und enormen Druck auf die Politik macht, und dann plötzlich, schwupp, war alles falsch und jetzt laufen sie in die andere Richtung. War da irgendwann mal ein ernsthafter und offener Diskurs? Nennen die sich wirklich Wissenschaftler? Oder habe ich eine verzerrte Wahrnehmung?

  25. #25 Michael Michaelis
    Juni 17, 2009

    > Aber die gescheiterten Wirtschaftswissenschaftler von heute geben ja vor, viel mehr zu können: nämlich auf Kommastellen genaue Vorhersagen. Und allein das finde ich unseriös – und wenn diese Leute ein wenig Stolz hätten, würden sie jetzt einfach mal mit dem Prognostizieren aufhören.

    Damit hast Du natürlich völlig recht, und ich würde diesem merkwürdigen ausschließlich interessengesteuerten Klüngel um Sinn & Co. auch nie im Leben als Wissenschaftler bezeichnen (ich habe ja gesagt, daß es da durchaus Nasen gibt, die sich über den Spott nicht wundern müssen).

    Die Geschichte mit dem von Marx prognostizierten Zusammenbruch sehe ich ein wenig differenzierter. Aus der Perspektive von Marx war es schlicht unabsehbar, daß sich ein Wirtschaftssystem, das derart eklatante Widersprüche entwickelt, derartig machtvolle Mechanismen entwickelt, um diese Widersprüche ein ums andere Mal in sich selbst zurückzuspeisen. Auch die StamoKap-Theorie der 70er Jahre, die das schon ein wenig anderes sieht, hat letztlich nicht vorhergesehen, welche Macht einst die Finanzmärkte haben werden.

    Trotzdem mußte an mindestens zwei grundlegenden Überlegungen bis heute nichts geändert werden. Wenn man das “Gesetz der fallenden Profitrate” sowie die Formel “Wert = Arbeit” (beides originaler Marx) zugrunde legt, kann man die heutige Krise ganz gut erklären, siehe meine Links in meinem Kommentar oben.

    Nochmals: die herrschenden (sic!) Wirtschafts”weisen” kann man durch die Bank in die Tonne treten. Trotzdem ist etwas wie Wirtschaftswissenschaft möglich, und gibt es auch.

  26. #26 Fragezeichner
    Juni 17, 2009

    Michael, ich glaube, wir sind uns hinsichtlich der sogenannten Wissenschaftler einig und auch dass Wirtschaftswissenschaft nicht nur möglich, sondern auch nötig ist.

    Dein Artikel ist sehr interessant und beschreibt in der Tat Phänomene, die sich nachvollziehen lassen und die Krise erklären können. Das würde aber auch bedeuten, dass uns noch gravierende Einschnitte bevorstehen, bis die Finanzwirtschaft wieder auf ein Niveau geschrumpft ist, die der Realwirtschaft entspricht; also auf ein Fünftel oder so. Ich kann das schwer glauben, aber wir werden es ja sehen…

  27. #27 Michael Michaelis
    Juni 17, 2009

    > Das würde aber auch bedeuten, dass uns noch gravierende Einschnitte bevorstehen, bis die Finanzwirtschaft wieder auf ein Niveau geschrumpft ist, die der Realwirtschaft entspricht; also auf ein Fünftel oder so. Ich kann das schwer glauben, aber wir werden es ja sehen…

    Wir werden das sehen, das steht m.E. außer Frage – und wenn “ich” recht behalte, werden wir nicht gemütlich beieinander sitzen, und darüber verhandeln, wer das war, der das alles prophezeit hatte, sondern zusehen, wer das Stück Brot jetzt essen darf.

    Nochmals der Link – mit weiteren Verweisen.

  28. #28 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 18, 2009

    @Jörg Friedrich: ökonomische Entwicklungen sind zyklisch. Worauf auch immer die “freien” Entscheidungen der einzelnen Menschen beruhen, die ich übrigens ebenso schätze, wie sie, sie sind dennoch kollektiv Zyklen unterworfen, die sich in einer bestimmten “Symbolschrift” des Wirklichen abgebilden lassen. Wir sind noch nicht zu der Antwort auf die Frage vorgedrungen, warum das so ist, deshalb können wir die Frage nach der freien Entscheidung nicht beantworten. Es läßt sich aber in einem Zeitdiagramm das rhythmische Zusammenspiel von Saturn und Pluto abbilden und es entspricht – da gibt es wenig Interpretationsmöglichkeit – dem ökonomischen Krisengeschehen auf der Erde seitdem dies beobachtet werden kann. In gegenwärtiger Krise ebenso, wie 1929. Da geht es also nicht um “Glauben”, sondern um ein kongruent abgebildetetes “synchrones” Zusammenspiel. Dies ist einmal Realität, wertfrei und objektiv. Was es ist, kann ich nicht sagen. Aufgabe einer Wissenschaft der Zukunft jedenfalls.

    Die Frage, was wir uns unter “Freiheit” im Gegensatz zur “Bestimmtheit” vorzustellen haben, erscheint mir als die überhaupt interessanteste Frage von allen. Schon allein die Tatsache, dass wir sie stellen können, spricht ja dafür, dass wir die Möglichkeit der Freiheit haben. Doch wozu diese Freiheit im positivistischen Sinn “dienen” mag, also von welchem Beckenrand der “Gebundenheit” (als Gegensatz zur Freiheit) wir uns abstoßen, das ist ja die Frage nach dem Da-Sein überhaupt.

  29. #29 Jörg Friedrich
    Juni 18, 2009

    @Name auf Verlangen entfernt: d.h. als Astrologe sucht man sich mehr oder weniger ähnliche Zyklen, die zufällig über einen gewissen Zeitraum übereinstimmen und leitet daraus ab, dass das auch in Zukunft so sein wird?

  30. #30 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 18, 2009

    @ Jörg Friedrich: Armin Nassehi, den Sie oben verlinkt haben, schreibt:

    “Deshalb verweist die Kunst auf totale Kontingenz und darauf, dass alles auch anders sein könnte, aber zugleich würde ein Kunstwerk zerstört, wenn man es für beliebig halten würde und einfach verändern könnte, etwa durch beliebige Hinzufügung oder Weglassen. Die Verdoppelung der Welt in der Kunst spielt mit der Unvermeidlichkeit der Verdoppelung, die man dann für die Welt halten könnte.

    Das trifft so ziemlich genau auf die Astrologie zu. In der Astrologie gibt es nun wirklich keine Zufälle, denn das “Uhrwerk” des Planetenlaufs schließt das nahezu aus. Sie ist aber eine bewußte und damit unzufällige Welt-Verdoppelungs-Technik mit sehr langer Tradition und Erfahrung.

    Oben erwähnter Claude Weiss hat zum Beispiel ein Diagramm erstellt, in dem die sogenannten Kardinalstellungen von Saturn und Pluto (also Konjunktion und Opposition) mit dem Kurs/Gewinn Verhältnis des S&P500 von 1880-2008 optisch dargestellt werden (Astrologie Heute Nr. 137). Sie finden seit dieser Zeit für jeden Boom eine Opposition (genau auf dem “peak”), für jeden Tiefstpunkt eine Konjunktion.

    Ob dieser Zeitraum nun als “zufällige Übereinstimmung” durchgehen könnte und ob es möglich ist, für alle Zukunft von einem synchronen Geschehen zu sprechen, läßt sich kaum sagen, obwohl der Zeitraum recht lang ist. Historiker in Zusammenarbeit mit Astrologen könnten bei entsprechender Unvoreingenommenheit die Welt-Ökonomie über einen längeren Zeitraum untersuchen und die Sicherheit einer Vorhersage der Krisenentwicklung steigern.

    Ich meine, dass das jetzt schon vorliegende Ergebnis bereits frappierend deutlich einen nicht zu ignorierenden Zusammenhang offenbart.

    Wäre dieser Zusammenhang einmal als Tatsache allgemein akzeptiert, so wie er sich eben zeigt, ohne dies zu werten, wären wir am Ziel der Astrologie angelangt: nämlich Krisen zu vermeiden oder sogar nutzbar zu machen, denn das Wissen dass etwas ist, wie es ist, wird ja damit Teil der Realität und bietet – dies ist die Erfahrung aus individuellen Horoskopen – die Möglichkeit aus einem scheinbar zwangsläufigen Geschehen auszubrechen und dem Zyklus einen anderen Ausdruck zu geben.

    Konkret: alle Astrologen auf der Welt wissen, dass die A-Bombem Abwürfe “Ausdruck” u.a. einer Sonnen-Pluto Konjunktion sind. Es ist möglicherweise auch dieser Erkenntis zu verdanken, dass es sich bisher um ein zwar doppeltes aber einmaliges Geschehen gehandelt hat. Bewußtsein verändert. Denken und Wissen kann bereits Tun sein.

  31. #31 Jörg Friedrich
    Juni 18, 2009

    @Name auf Verlangen entfernt:

    Ich stelle mir vor, dass man mit einiger astrologischer Erfahrung und ein bisschen Probieren zu jeder Kurve, die irgendeine Entwicklung beschreibt, eine passende Planeten-Konstellations-Kurve finden kann, wenn man dann noch auf der Seite der ökonomischen Parameter nach dem passenden sucht, ist die Wahrscheinlichkeit, für einen endlichen Zeitraum eine gute Korrellation zwischen zwei Größen zu finden, sicher groß.

    Das kann man tun, und um eine wissenschftliche Hypothese erst einmal zu finden, geht man auch in der Wissenschaft so vor. Was man dann aber ganz dringend braucht, ist eine plausible Erklärung, warum diese beiden Größen korreliert sein könnten.

    Und ein anderes Problem habe ich: Stellen wir uns einen Moment lang vor, die Astrologie hätte recht, und die beiden Kurven (Planeten-Konstellationen und Wirtschaftsdaten) schwingen auf unbekannte Weise gleich. Welche Sinn hätte es, auf der ökonomischne Seite nun einzugreifen? Jeder Versuch, nun etwas zu ändern, ist doch zum Scheitern verurteilt, da sich die Planeten ja nicht plötzlich anders bewegen werden.

    Wenn aber die Mesnchen durch Ihr Handeln die Zwangsläufigkeit der astrologischen Kopplung durchbrechen können, dann gibt es diese Zwandsläufigkeit doch gar nicht?!

  32. #32 Florian Freistetter
    Juni 18, 2009

    @Markus: “In der Astrologie gibt es nun wirklich keine Zufälle, denn das “Uhrwerk” des Planetenlaufs schließt das nahezu aus.”

    Poincare, 1890

  33. #33 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 18, 2009

    @Jörg Friedrich: Genau, Sie sprechen wieder das Problem der Freiheit an. Meines Erachtens gibt es Zwangsläufigkeit nur bei mangelnder Bewußtheit. Es ist so etwas, wie: Masse steuern in der Raumzeit (wenn es die denn gibt): durch Handeln, Bewegung werden die Bedingungen der “Zwangsläufigkeit” (analog: der Raumzeit) selbst verändert, wodurch sie natürlich keine mehr ist.

    Bei Individuen mag es etwas anderes sein. Zwar versuchen Astrologen auch dort zu “steuern” – das ist Sinn und Zweck ihrer Tätigkeit – Krisen sind in individuellen Horoskopen nach Ankündigung und Verlauf sehr viel genauer zu verstehen, denn auf “mundaner” Ebene. Allerdings gibt es im Leben Unvorhersehbarkeiten, die sich schlicht nicht steuern lassen, wie man nicht zu erklären braucht. Gleichwohl zeigt das Horoskop eben gerade diese meist an. Hätte Wallenstein seinem Tod entgehen können, wenn er auf Kepler gehört hätte? Ich meine sicher: ja.

    Hinsichtlich der passenden Zyklen ist es nicht so leicht. Wegen der langsamen Bewegung kommen für die großen Zyklen eigentlich nur die Planeten ab Saturn in Frage, für uns Astrologen also Neptun, Uranus und Pluto. Neptun und Uranus haben auf anderer Ebene ihre eigene Bedeutung, die sich tatsächlich auch immer wieder zuverlässig “auslöst”, wie es in dieser Sprache heißt.

    Wenn es Ihnen Recht ist, würde ich es bei diesen Bemerjungen gern bewenden lassen und Ihnen bei Interesse einfach ein wenig Literatur empfehlen, dann können Sie sich bei Kollegen ein Bild machen, die kompetenter sind, denn ich, falls Sie diese “andere Welt” einmal anschauen möchten. Eigentlich ist es gar nicht meine Intention, mich hier mit der Astrologie in den Vordergrund zu rücken, das Thema bot es nur an. Ich bin froh, wenn es eine Nebenbemerkung bleibt und möchte nicht wieder “Turbulenzen” wie sonst häufig …

  34. #34 Name auf Verlangen entfernt
    Juni 18, 2009

    @Florian: Danke für den Tip.

  35. #35 Michael Michaelis
    Juni 18, 2009

    Ich kann mir zwar nur schwer vorstellen, daß mein Hinweis hier von irgend jemandem gelesen wird, den das Ausgangsthema des Blogbeitrags interessiert – sei’s drum.

    Ökonomische Theorien erscheinen gelegentlich wie Voodoo – wenn man die Äußerungen der derzeitigen Wirtschafts”weisen” so anhört, kann man kaum zu einem anderen Eindruck kommen. Dennoch gibt es ökonomische Theorien, die mit einer großen begrifflichen Schärfe operieren, und die deutlich ihre grundlegenden Beobachtungen und Voraussetzungen benennen und überprüfbar machen (wodurch sie dann auch grundsätzlich falsifizierbar sind).

    Ich habe heute einen Artikel über den marx’schen Begriff der “Ware” in mein Blog gestellt, an dem man das mal nachprüfen kann – vielleicht interessiert’s.

  36. #36 Ulrich
    Juni 19, 2009

    @ Jörg Friedrich & Marc:

    Die Professoren der Volkswirtschaft sind die Schamanen der modernen Welt.

    Ich fühle mich geschmeichelt!

    Ernsthaft: da steckt schon ein wahrer Kern drin, nur würde ich “Die Professoren…” etwas differenzieren und “Manche Professoren…” sagen (und damit selbstverständlich nur Makroökonomen meinen). Genau genommen sind es aber sehr sehr wenige, und selbst die betätigen sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit typischerweise nicht als Wahrsager. (Die wenigsten Laien haben auch nur eine ungefähr korrekte Vorstellung davon, was VWL-Profs eigentlich so den ganzen Tag tun.)

    Die interessante Frage dabei ist aber, warum die Nachfrage nach diesen Prognosen ungebrochen ist, wenn selbige doch so miserabel sind. Das zu beantworten ist übrigens wiederum eine Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften.

    Ach ja – auf der Wirtschaftsuni Wien hatten wir mal einen Studenten namens Manfred Zimmel, der eine Diplomarbeit über Wirtschaftsastrologie verfasst hat. Die war gar nicht mal so schlecht. (Für seine geplante Diss hat er aber keinen Betreuer mehr gefunden…) Der hat die Krise für Sommer 2007 natürlich vorausgesagt und auch den Schuldigen gefunden: Pluto natürlich! Leider hat er gleich darauf für Ende 2008 den DAX-Höchststand prognostiziert. Auf die Planeten ist eben auch kein Verlass mehr…

  37. #37 Troy
    Juni 19, 2009

    Ulrich· 19.06.09 · 01:30 Uhr
    Oder hat die Krise für Sommer 2007 natürlich vorausgesagt und auch den Schuldigen gefunden: Pluto natürlich! Leider hat er gleich darauf für Ende 2008 den DAX-Höchststand prognostiziert. Auf die Planeten ist eben auch kein Verlass mehr…

    Wäre es ähnlich wenn ein Chemiker eine Diss über ärztliche Diagnose macht, den Husten auf die bakterien zurückführt und ihm der platzender Blinddarm, mit tödlichem ausgang entgeht. Wer hätte sich da lächerlich gemacht, die Medizin, die Diagnosetechnik oder der Blinddarm?
    Auf wem wäre dann kein verlass mehr.
    Eine seltsame Überlegung nicht wahr?

  38. #38 Ulrich Berger
    Juni 19, 2009

    Ja, äußerst seltsam.