Auch beim Computer-Modell hat man das Problem, dass man nicht so genau weiß, welche Bestandteile der Theorie man wirklich braucht, bzw. welche Erkenntnisse unterschiedlicher Theorien zusammengeführt werden müssen. Durch Veränderung der Modell-Konfiguration kann man erkennen, welche Rückkopplungen, Nebenwirkungen oder Störungen für Abschwächungen oder Verstärkungen von Trends verantwortlich sein können.

Ein schönes Beispiel ist die Untersuchung der Kollisions-Trajektorien der Planeten von
Laskar und Gastineau
über die Florian Freistetter schon berichtet hat. Die Autoren berechneten die Entwicklung der Planetenbahnen zuvor ohne nun aber mit Berücksichtigung der Allgemeinen Relativitätstheorie und des Erdmondes und zeigten, dass sich für die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit Planeten in den nächsten paar Milliarden Jahren miteinander kollidieren, gravierende Unterschiede ergeben.

Verstehen und erklären oder Vorhersagen

Es gibt also drei verschiedene Arten von Modellen in der Wissenschaft – theoretische und experimentelle Modelle – und als Zwitterstellung dazwischen die Computersimulationen. Es gibt aber noch eine zweite Dimension, nach der man wissenschaftliche Modelle beurteilen kann. Ihr Ziel kann es einerseits sein, einen Zusammenhang zu erklären oder andererseits eine Entwicklung zu prognostizieren, zwei Ziele, die sich im gewissen Maße gegenseitig ausschließen und deshalb auch ein ganz unterschiedliches Modell-Design verlangen.
Theoretische Modelle dienen meistens dazu, ein bestimmtes Phänomen zu erklären oder zu verstehen. Genau genommen liefern sie einen Erklärungsvorschlag, sie geben dem Wissenschaftler eine Vorstellung davon, wie er die Fakten ordnen kann, um ein Phänomen zu erklären oder wo er nach weiteren Fakten suchen kann, um zu einem Verständnis eines Prozesses zu gelangen. Mit dem Bild vom Gebirge, durch das eine Kugel rollt, im Kopf kann man nach den Kräften suchen, die bei der Stammzellen-Differenzierung der Gravitationskraft oder den Gegenkräften entsprechen, man kann nach den Gegenstücken für natürliche Hindernisse, Gräben und Erhebungen suchen.

Ähnlich ist es mit experimentellen Modellen. Das Zierfinken-Modell der Entwicklung einer Sprache kann helfen, Phänomene zu verstehen, aber wie sich eine bestimmte Sprache in Dialekten weiter ausdifferenzieren wird, lässt sich damit natürlich nicht vorhersagen.

In Computermodellen ist allerdings noch mehr möglich als in den beiden anderen Typen: Da die Wissenschaftler hier im Prinzip alle Wechselwirkungen, die ihnen aus den verschiedenen Theorien bekannt sind, einarbeiten können, ist es möglich, zu wirklichen Vorhersagen zu kommen, entweder, indem sie Szenarien durchrechnen und statistische Aussagen treffen wie es in den oben genannten Beispielen der Planetenbahnen und der Klima-Kohlenstoff-Modelle der Fall ist, oder indem mit den wirklichen Ausgangsbedingungen die weitere Entwicklung eines Systems berechnet wird – das machen jeden Tag die meteorologischen Rechenzentren für die Wetterentwicklung der nächsten Tage.

Solche Modelle sind dann allerdings fast genauso komplex wie die Wirklichkeit selbst, und die Möglichkeit, zu verstehen, warum sich ein Tiefdruckgebiet nun genau so und nicht anders bewegt, ist auf der Basis dieser Modelle kaum noch möglich. Man sieht also: Um einen Zusammenhang verstehen und erklären zu können, muss ein Modell möglichst einfach sein, aber ein Modell, mit dem man Prognosen machen kann, ist so komplex, dass man das, was es berechnet, genauso gut oder schlecht versteht, wie die Wirklichkeit selbst.

1 / 2