Öffentliche Diskussionen finden auf schwierigem Terrain statt. Das gilt gerade für das Internet, wo die Diskussionen ohne Blickkontakt geführt werden und jeder Beitrag quasi zeitlich unbegrenzt in der Öffentlichkeit erhalten bleibt. So ein Disput steckt voller Fallen und überall sind Verbotsschilder aufgestellt. Das sagt man nicht, das darf man nicht vergleichen. Stasi und Nazis, der Vorwurf von inquisitorischen oder sonst wie totalitärem Verhalten sind tabu. Das heißt nicht unbedingt, dass solche Diskutanten der Runde verwiesen werden, so wie es Eva Herman erging, aber wer ein Tabu bricht, dessen Argumente zählen nicht mehr, mit dessen Thesen muss man sich nicht mehr beschäftigen – nur der Tabubruch ist noch der Rede wert.
Der Grund dafür scheint nachvollziehbar zu sein. Im Allgemeinen wird angenommen, dass ich, wenn ich das Verhalten meines Gegenübers mit dem eines anderen vergleiche, auch die Ziele und Absichten gleichsetze. Wenn du so sprichst wie ein Stasi-Mann, dann bist du auch bereit, auf Mauer-Flüchtlinge zu schießen, wenn du inquisitorische Fragen stellst, dann würdest du auch Ketzer verbrennen. Also darfst du mir solche Vergleiche verbieten, denn das ist ehrverletzend, beleidigend, eine unhaltbare Unterstellung.
Diese Sichtweise ist in Deutschland auch durch die Gesetzgebung geschützt. Blogger, die solche Vergleiche in ihren Kommentarspalten dulden, können mit Abmahnungen dazu gezwungen werden, die vorgebliche Beleidigung zu löschen. Deshalb würde ich auch jeden Kommentar, in dem irgendein erkennbarer Mensch auf diese Weise mit Nazis, Mauerschützen oder Stasispitzeln verglichen werden würde, sofort löschen.
Aber ist das richtig? Verbieten wir uns nicht selbst einen wesentlichen Teil einer notwendigen Debatte, wenn wir solche radikalen Vergleiche tabuisieren?
Dogmatischer Diskussionsstil ist oft effektiver als rationales Diskutieren
Gesellschaften, die auf Repression, auf gewaltsamer Unterdrückung anderer anders Denkender aufgebaut sind, entstehen nicht von einem Tag auf den anderen. Dogmatisches, totalitäres, inquisitorisches Verhalten oder auch nur die Bereitschaft, solches zu akzeptieren, entsteht nicht aus dem Nichts, und es verschwindet nicht spurlos, wenn das totalitäre Regime durch ein demokratisches ersetzt wird. Dogmatischer Diskussionsstil ist eine Frage der Effizienz: wer mit dem Holzhammer zum Ziel kommt, muss die komplizierten Werkzeuge des herrschaftsfreien Diskurses gar nicht erst auspacken.
Der Vergleich mit finsteren Zeiten ist wohl in den seltensten Fällen als Anspielung auf die bösen Absichten des anderen gemeint, viel mehr als Hinweis, dass man ein Verhalten zeigt, dass in letzter Konsequenz solch finstere Zeiten ermöglicht. Wer den Vergleich seines Handelns mit Stasi-Methoden oder seines Diskussionsstils mit der Inquisition reflexhaft als Beleidigung zurückweist, der muss nicht darüber nachdenken, ob da vielleicht was dran ist, ob man sich vielleicht wirklich – wenn auch unbewusst – eines Stils bedient, den man eigentlich in den tiefsten Versenkungen der Geschichte begraben sehen möchte.
Ein Vergleich mit jemandem, mit dem man keinesfalls in einen Topf gesteckt werden möchte, kann ja auch eine heilsame Warnung sein, ein Anstoß zum Nachdenken über sich selbst. Und wenn alle Vergleiche mit Vergangenem verboten wären, würde das nur zur völligen Entfremdung von der eigenen Geschichte führen. Wir sind so viel anders, so viel besser als unsere Vorfahren, dass wir uns in der trügerischen Sicherheit einer scheinbar stabilen Demokratie wiegen – bis wir eines Tages wieder auf einen Demagogen hereinfallen.
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