Wenige Wochen nach der ersten Mondlandung der Amerikaner trafen sich in dem beschaulichen südfranzösischen Ort Le Thor einige französische Philosophen mit Martin Heidegger um über Hegel und Kant zu diskutieren. Es war das dritte Seminar dieser Art und es wäre sicher interessant, die philosophiegeschichtliche Bedeutung dieser Seminare einmal genauer zu beleuchten, wenn man bedenkt, wie sehr Martin Heidegger die französische Philosophie des späten 20. Jahrhunderts geprägt hat ist es eigentlich schade, dass selbst die Webseite der Gemeinde und auch der französische Wikipedia-Eintrag zu Le Thor diese Seminare nicht erwähnt.
Es ist nicht überraschend, dass während des Seminars auch der erfolgreiche amerikanische Flug zum Mond zum Thema wurde. Das liegt weniger daran, dass die Mondlandung im Sommer 1969 nun einmal „in aller Munde” war, sondern an der Tatsache, dass ein Seminarteilnehmer bereits 1966 sieben Fragen zum Thema Technik an Martin Heidegger gerichtet hatte, und von Heideggers Einstellung zur Technik (und zum Verhältnis von Wissenschaft und Technik) zur Mondlandung war es natürlich auch für öffentlichkeitsferne Philosophen nicht weit.
Die einzigen Wirklichkeiten dieses Zeitalters: die wirtschaftliche Entwicklung und die Rüstung, die sie verlangt
Liest man heute die Seminarprotokolle von Le Thor (Vier Seminare. Vittorio Klostermann 1977) fällt vor allem auf, mit welcher sachlichen Distanz Heidegger die Mondlandung betrachtet. Natürlich ist die Raumfahrt „beunruhigend” aber weit beunruhigender ist „die Verwandlung der Biologie in Biophysik” (Seite 96), denn diese „bedeutet, dass der Mensch nach einem bestimmten Plan wie irgendein technischer Gegenstand hergestellt werden kann.” Die Frage, ob die Wissenschaft rechtzeitig anzuhalten vermag, beantwortet Heidegger ganz klar negativ: Ein solches Anhalten sei grundsätzlich nicht möglich. Und hier ist er dann auch wieder bei der Mondlandung: Es geht, so meint Heidegger, nicht um die menschliche Wissbegier, es geht um Macht. Heidegger sieht vor allem eine neue Form von Nationalismus, der auf technischer Macht und nicht mehr auf der Eigentümlichkeit der Völker gegründet ist.
Geht es Amerika in irgendeinem Sinne um ein Interesse am „Menschen-Sein”? Heidegger verneint das, er sagt, das Behaupten eines solchen Interesses „verschleiert dem Blick der Interessierten die Wirklichkeit des Landes: das Einverständnis zwischen Industrie und Militärs (die wirtschaftliche Entwicklung und die Rüstung, die sie verlangt)”.
Liest man diese Einschätzung, wird auch unsere heutige Euphorie für die Ereignisse von 1969 fraglich. In der Tat war das ganze ja ein gigantisches Machtspiel, ein Wettlauf zwischen der Sowjetunion und Amerika, ein Beweis der technischen Stärke und damit ein Teil der gegenseitigen Bedrohung, die in den folgenden Jahrzehnten immer dichter an den Rand eines dritten Weltkrieg geführt hat.
Natürlich hat die Mondlandung gezeigt, wozu menschliche Ingenieurskunst und Wissenschaft fähig ist. Aber die Antriebsfeder war nicht Forscherdrang und Entdeckerfreude, es war die Allianz aus wirtschaftlichen und militärischen Interessen.
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