Auf der Webseite des Forschungszentrum Jülich wird die Simulation als dritte Säule des wissenschaftlichen Arbeitens (neben Theorie und Experiment) bezeichnet. Dort, wo sich das Experiment aus ethischen oder ökonomischen Gründen verbietet oder wo es wegen des langen Zeitraums, in dem sich die realen Prozesse abspielen, nicht möglich ist, soll die Computer-Simulation empirische Daten zur Untermauerung oder Widerlegung von Theorien liefern.
Simulationen werden inzwischen in vielen wissenschaftlichen Disziplinen eingesetzt, die bekannteste ist wohl die Simulation des Klimasystems, aber die Erkenntnisgewinnung am Computermodell ist auch in der Biologie, der Soziologie und vielen technologieorientierten Wissenschaften weit verbreitet. Aber was kann man wirklich aus Computermodellen lernen? Sagen sie uns etwas über die Welt „da draußen”? Und wenn ja, warum? Können wir unser Verhalten nach Computermodellen ausrichten?
Ein einfaches Beispiel
Im Straßenverkehr gibt es das Phänomen des so genannten „Stau aus dem Nichts” – ein Verkehrsstau ohne äußere Ursachen wie Baustellen oder Unfälle. Der Kern einer Theorie, mit der die Verkehrsforscher dieses Phänomen zu erklären versuchen werden, besteht aus einzelnen Fahrzeugen, die sich entlang einer Straße bewegen und die ihre Geschwindigkeit nach bestimmten Regeln ändern: Wenn die Straße vor einem Fahrzeug frei ist, wird beschleunigt, bis eine Maximalgeschwindigkeit erreicht ist oder ein voraus fahrendes Fahrzeug eingeholt ist, wenn das voraus fahrende Fahrzeug langsamer fährt, wird gebremst.
Die Hypothese der Wissenschaftler ist nun, dass ein Stau aus dem Nichts dadurch entsteht, dass schnell fahrende Fahrzeuge wegen langsameren abbremsen müssen und erst verzögert wieder beschleunigen können. Bei einer gewissen Verkehrsdichte können sich solche Verzögerungen von Fahrzeug zu Fahrzeug fortpflanzen und aufschaukeln – ein Stau entsteht.
Experimente in der „freien Wildbahn” sind oft teuer und gefährlich
Wie kann eine solche Hypothese geprüft werden? Man könnte eine Teststrecke aufbauen und Autofahrer auf den Weg schicken, die sich entsprechend der angegebenen Regeln verhalten sollen. Das allerdings wäre ein kostspieliges und gefährliches Experiment, ganz zu schweigen davon, dass niemand weiß, ob die Fahrer wirklich exakt entsprechend unserer Regeln fahren würden. Also greift man zum Computer.
Gesucht: ein mathematisches Modell
Um den allerdings verwenden zu können, brauchen die Wissenschaftler erst einmal eine mathematische Version der Theorie. Physiker, die z.B. den Zusammenstoß von Elementarteilchen simulieren wollen, haben es da leicht: Sie formulieren ihre Theorien gleich in mathematischen Formeln. Auch Klimaforscher haben, da die meisten Prozesse, die sie interessieren physikalischer und chemischer Art sind, bereits eine mathematische Version ihrer Theorien parat.
Mit diesen Gleichungen gibt es zwar, wenn man sie für Computerberechnungen verwenden will, auch ein paar subtile Probleme, „aber das ist eine andere Geschichte die ein andermal erzählt werden soll”.
Das spannende an der Verkehrssimulation, die man erstellen möchte um den „Stau aus dem Nichts” zu verstehen, ist ja gerade, dass wir zunächst gar nicht über ein mathematisches Modell verfügen. Diese Situation teilt die Verkehrssimulation jedoch mit vielen anderen Simulationen, wie Wirtschaftssimulationen oder ökologischen Modellen.
Man könnte auf die Idee kommen, jedes Auto wie ein Masseteilchen auf einer Bahn zu betrachten, auf das verschiedene Beschleunigungs- und Bremskräfte wirken, wobei die Bremskräfte so etwas wie Abstoßungskräfte zwischen den Fahrzeugen wären. Dann könnte man also eine Anleihe bei der Mechanik machen und eine Bewegungsgleichung für jedes Auto hinschreiben. Um so ein Modell dann berechnen zu können, müsste man aber eine ganze Menge Annahmen über das Verhalten der Autofahrer machen, zu denen man eigentlich gar nichts weiß: Wie viele Autos vor sich berücksichtigt ein Fahrer um zu entscheiden, ob er bremst oder beschleunigt? Welche Entfernung überblickt er? Wie stark bremst er unter welchen Bedingungen?
Oft gilt: Je einfacher das Modell, desto besser die Simulation
Das Problem eines solchen Modells ist also nicht einmal, dass seine Berechnung sehr aufwändig ist und der einfache PC des Forschers nicht mehr ausreicht um die Simulation in einer überschaubaren Zeit abzuschließen. Wirklich problematisch ist, dass er in so einem Modell einfach zu viele freie Parameter hat, zu viele Stellschrauben, an denen er drehen kann, um das Verhalten seines Modells zu beeinflussen. Und jeder, der schon mal eine Tür in einen IKEA-Schrank eingebaut hat, weiß: zu viele Stellschrauben sind nicht gut.
Also heißt es, das Modell radikal zu vereinfachen, soweit, dass man nur noch ganz wenige, einfache, klare Regeln hat, nach denen sich die virtuellen Modellautos auf der Modellstraße verhalten. Die Idee des Zellulären Automaten des berühmten Stephen Wolfram kam den Verkehrsforschern da gerade recht (Siehe z.B. K. Nagel, J. Esser und M. Rickert: Large-scale traffic simulations for transportation planning. Annual Reviews of Computational Physics VII, 2000).
In so einem Modell ist die Straße in einzelne Zellen aufgeteilt, und die Zeit verläuft in Zeitschritten und auch die Geschwindigkeiten ändern sich nur Schrittweise. In jeder Zelle ist entweder ein Auto oder keins. In welcher Zelle sich die Autos dann im nächsten Zeitschritt befinden kann so nach ganz einfachen Regeln mit wenigen Stellschrauben berechnet werden, man kann ein solches Modell auch mit wenigen Programmierkenntnissen z.B. in Excel erstellen und dann wunderschöne Stau-Bilder produzieren.
Abbildung: Stau-Simulation in Excel: Die Autos fahren von links nach rechts, die Zeit verläuft von oben nach unten. Die roten Bereiche sind die Staus, hier stehen die Autos. Man sieht sehr schön dass sich die Staus entgegen der Fahrtrichtung bewegen.
Und die Welt „da draußen”?
Denn Staus entstehen in solchen Modellen wirklich – wenn man bei Computer-Simulationen das Wort „wirklich” überhaupt verwenden kann. Die Länge und die Zahl der Staus hängen in dem Modell davon ab, wie oft ein Fahrer zufällig und grundlos bremst und wie hoch die Verkehrsdichte (die Zahl der Autos im Modell) ist. Aber haben wir etwas über die Wirklichkeit „da draußen” auf der richtigen Straße gelernt?
Fassen wir einmal zusammen: Zuerst war da die Idee, die Hypothese, warum ein „Stau aus dem Nichts” entsteht. In dieser Hypothese machen die Forscher ein paar Annahmen über das Verhalten der Autofahrer. Ob die meisten Fahrer sich auf der Straße wirklich genau so verhalten, weiß man natürlich nicht. In der Simulation bauen sich die Verkehrsforscher dann ein einfaches Modell in dem die Modellautos sich wirklich genau entsprechend der Hypothese bewegen und siehe da – es entsteht ein Stau im Modell.
Ob die Staus auf den Autobahnen aus den gleichen Gründen entstehen, wissen wir natürlich damit noch lange nicht, aber wenigstens ist unsere Hypothese nicht widerlegt, sie hat sich sogar in einem einfachen Modell-Experiment bewährt.
Aus Modellen kann man oft neue Hypothesen ableiten, die empirisch geprüft werden können.
Was wir außerdem gefunden haben ist ein Zusammenhang zwischen der Verkehrsdichte und der Staulänge, die könnte man in empirischen Erhebungen auf realen Straßen prüfen. Mit dem Zusammenhang der zufälligen Bremsungen und der Stauanzahl ist das zwar etwas schwieriger aber man sieht: aus der Simulation lassen sich wiederum Vorgaben für empirische Untersuchungen ableiten, und wenn diese die Ergebnisse zeigen, die man aus der Simulation erwartet, dann stützt auch das wieder die Hypothese über den Grund, warum ein „Stau aus dem Nichts” entsteht.
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