Die aktuellen Meldungen zeigen, dass uns das Thema Kindesmissbrauch noch eine Weile beschäftigen wird. Durch neue Berichte werden weitere Opfer ermutigt, über ihre Erfahrungen zu berichten – und das ist gut so. Auf diese Weise werden wir anhand vieler Einzelfälle vielleicht irgendwann die Mechanismen verstehen, nach denen Autorität und krankhafte Neigung zu Abhängigkeit und Gewalt werden.
Ich selbst bin weit davon entfernt, eine gesicherte Vorstellung davon zu haben, wie sich ein Phänomen wie der Kindesmissbrauch in einer Gesellschaft entwickelt, unter welchen Bedingungen es sich verstärkt und wie es eingedämmt werden kann. Aber ein Blog kann auch zum Gedankenaustausch und zur Meinungsbildung beitragen. Deshalb möchte ich die Diskussion, die ich vor einigen Tagen geschlossen habe um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kommentatoren zu beenden, hier erneut ermöglichen. Auch dem Anliegen eines anderen Kommentators möchte ich damit wieder Raum zur offenen Diskussion geben.
Was mich bei diesem Thema besonders bewegt ist die Frage, ob die Veränderung des Zeitgeistes in den letzten Jahrzehnten tatsächlich zur Auflösung von Tabus geführt hat. Konkret gefragt: Hat unsere Befreiung von der spießigen und verkrampften Sexualmoral der Nachkriegszeit vielleicht tatsächlich dazu beigetragen, dass Tabus, die verhindern dass Menschen all ihre durch Sozialisation unterdrückten Triebe ausleben, sich lockern und damit auch die Zahl der Gewalttaten, im besonders schlimmen Fall eben sexuelle Gewalttaten gegenüber Kindern, ansteigen?
Und wenn das so ist: Wie sollen wir damit umgehen? Zurück zur alten Zeit will wohl kaum jemand. Zu fragen ist also: Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat? Oder ist die Gewalt, die durch Strafandrohung wohl kaum einzudämmen ist, der Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen?
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