In der vergangenen Woche gab es im Münsterschen Wolfgang-Borchert-Theater ein Eric-Emmanuel-Schmitt-Festival, und mit einer Woche Abstand folgt deshalb hier bei Arte-Fakten ein eigenes kleines Schmitt-Festival in dem ich ein paar Gedanken zu den drei Stücken, die ich gesehen habe, notieren möchte.
Sigmund Freud erhält in einer Aprilnacht 1938 in seinem Wiener Arbeitszimmer überraschend Besuch von einem Unbekannten. Die Nazis sind schon in Österreich einmarschiert aber Freud konnte sich noch nicht zur Ausreise entschließen – erst zwei Monate später wird er Wien verlassen – obwohl die Einschüchterungen durch die Gestapo schon begonnen haben. Das ist die Grundkonstellation des Stückes Der Besucher von Eric Emmanuel Schmitt.
Der Unbekannte könnte Gott sein – wenn man denn an Gott glauben würde, aber Freud glaubt nicht an Gott. Vielleicht ist er ein Irrer, vielleicht auch ein Hochstapler – aber vielleicht ist er auch Gott, denn „Der Besucher” ist ein Theaterstück, und im Theater können auch Götter auftreten.
Das Thema des Stücks ist der Konflikt zwischen Atheismus und Religion vor dem Hintergrund der großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Freud würde Gott, wenn es ihn denn gäbe und wenn er ihm begegnen würde, „falsche Versprechen” vorwerfen. Das Versprechen des Lebens wird durch den Tod und die Krankheit gebrochen, das Versprechen der Liebe wird durch den Krieg und das Böse gebrochen, vor allem aber wird das Versprechen der Erkenntnis durch die Begrenztheit und Borniertheit des menschlichen Verstandes gebrochen.
Wenn es Gott gäbe, wäre er ein Gott der Lüge. Erst verkünden, dann versagen. Wenn Gott mit dem, was er erschaffen hat, zufrieden wäre, dann wäre er ein komischer Gott, ein grausamer Gott, voller Heimtücke, ein Verbrecher, der Urheber allen Unglücks der Menschen.
Was Freud hier aufwirft, ist das Theodizee-Problem, mit dem sich Philosophen und Theologen schon seit 2.000 Jahren herumschlagen. Im Stück wird es durch Freud so formuliert:
Es gibt dich nicht! Wenn du allmächtig bist, dann bist du schlecht! Wenn du aber nicht schlecht bist, dann bist du auch nicht allmächtig! Ob Schurke oder ohne Macht, du bist kein Gott, der an Gott heranreicht. Es gibt keine Notwendigkeit, dass es dich gibt. Die Atome, der Zufall, der große Knall, all das reicht völlig aus, um das ach so ungerechte Universum zu erklären. Du bist definitiv nichts weiter als eine überflüssige Hypothese!
Der Unbekannte, der, wenn er nicht Gott ist, nun wenigstens zum Anwalt Gottes wird, widerlegt Freud nicht. Er antwortet, indem er dem Atheisten die Konsequenzen seines Denkens aufzeigt:
Die Welt ist für euch nichts weiter als ein Produkt des Zufalls, ein Schalten und Walten von Molekülen. Und in der Abwesenheit eines jeden Herrn macht ihr nun die Gesetze. Herr sein… Nie wieder wird euch dieser Wahnsinn so sehr in den Kopf steigen wie in diesem Jahrhundert. Der Herr über die Natur: Und ihr werdet die Erde besudeln und die Wolken schwärzen! Der Herr über die Materie: Und ihr werdet die Welt zum Erbeben bringen! Der Herr über die Politik: Und ihr werdet den Totalitarismus erfinden! Der Herr über das Leben: und ihr werdet eure Kinder aus Katalogen aussuchen.
Der Mensch erklärt sich zum Herrn über alles, da er meint, alles erklären und alles bewerten zu können, und immer richtet er Schaden an. Was auf der Strecke bleibt, ist der Sinn des Lebens: „Ihr werdet den Menschen durch den Menschen erklären und das Leben durch das Leben!” Das ist „ein Atheismus, der als Offenbarung auftritt. Ein Aberglauben, noch törichter als alle bisherigen zusammen!”
Es sind zwei große Monologe, die in ihrer Wortgewalt (man verzeihe den großen Vergleich, ich bin kein Literaturwissenschaftler) an Goethe erinnern. Ich kann nur empfehlen, sie über das von mir zitierte hinaus in Gänze zu lesen, oder die nächste Aufführung des Stücks zu besuchen (Im Wolfgang-Borchert-Theater am 08. und 09.04.2010).
Es schließt sich kein Streit, keine Diskussion und damit auch keine Lösung an. Schmitt sagt uns nicht, wie der Atheismus die Lücke füllen kann, die er aufgerissen hat, als er „Gott getötet” hat.
Die Frage bleibt offen: Wie kann der Atheismus, jenseits von spitzfindigen Theorien utilitaristischer Philosophen, eine Ethik hervorbringen, die nicht alles entwertet, was nicht nützlich ist? Die Achtung, wenn nicht Demut, vor dem Vorhandenen erzeugt, und es höher schätzt als das neu Geschaffene? Was bleibt, wenn wir nicht mehr von den Resten der christlichen Moral zehren werden?
Zurück zu Gott – der Weg ist verbaut. Auch einen Gott kann man, wenn er einmal tot ist, nicht wieder zum Leben erwecken. Der Unbekannte in Schmitts Stück verschwindet durchs Fenster, durch das er gekommen war. Freud schießt ihm hinterher, verfehlt ihn aber. Der Atheist bleibt – erschüttert – zurück.
Vielleicht ist darin auch die Antwort zu finden: Die Leerstelle, die Gottes Tod erzeugt hat, leer zu lassen, als schmerzhaften Verlust anzuerkennen, nicht zu versuchen, den Platz, der nun frei ist, selbst in Anspruch zu nehmen?
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