Ilona Baldus und Jörg Rings berichteten gestern darüber, dass ein neues Element synthetisiert worden ist. Bemerkenswert ist, dass beide in ihren Texten den Begriff “Entdecken” verwenden, wenn sie vom Nachweis der superschweren Elemente sprechen. Aber ist das Auffinden eines Transurans – wenn man einmal vom Plutonium absieht – wirklich eine Entdeckung?

Transurane kommen (vom Plutonium abgesehen) in der Natur nicht vor – jedenfalls sind sie so selten und haben eine so geringe Lebensdauer, dass ihr Auffinden in der Natur praktisch ausgeschlossen ist. Deshalb werden diese Elemente – wie es in Jörg Rings’ Artikel in der Überschrift ja auch heißt – erzeugt: Sie entstehen, wenn man geeignete andere Atomkerne beschleunigt und miteinander zur Kollision bringt. Die Aufzeichnungen des Zerfalls der Kollisions-Produkte werden ausgewertet und darin werden die Spuren des gesuchten Elementes gefunden.


Vielleicht kann man in einem übertragenen Sinne von “Entdecken” sprechen. Es ist ein bisschen so wie beim Archäologen, der bei Ausgrabungen Reste von Tonkrügen findet – und dann meldet, er habe das Geschirr einer vergangenen Kultur entdeckt.

Diese Sprechweise funktioniert aber nur, wenn der Töpfer, der die Krüge einmal aus Ton geformt hat, und der Entdecker nicht unmittelbar miteinander zutun haben: Entdecken kann ich nur, was ein anderer und die Zeit zuvor “versteckt” haben.

Würde ein Töpfermeister behaupten, er habe in seiner Werkstatt einen neuen Krug entdeckt und es würde sich herausstellen, dass er diesen gestern selbst gebrannt hat, würde man wohl ernsthaft an seinem Verstand zweifeln.

Warum spricht man aber bei Transuranen, die in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden, trotzdem von “Entdeckungen”?

Möglicherweise verbirgt sich hinter dieser Sprechweise die Vorstellung, dass es das Element 117 schon immer gibt, ganz unabhängig davon, ob irgendwo im Universum tatsächlich ein Atom mit 117 Potonen im Kern existiert. Hat man dann das erste Atom dieses Elements nachweisbar erzeugt, dann hat man damit das ganze Element entdeckt.

Das hieße dann aber, dass all das als bereits existierend angesehen wird, wofür wir irgendwann einmal einen Weg zur Erzeugung finden werden. Und die Entdeckung ist dann die Erzeugung des ersten Exemplars. Ein bisschen erinnert diese Sicht an den Existenzbegriff in der Mathematik, wie er z.B. in den berühmten Vermutungen (Fermat, Giuga,…) verwendet wird. Fraglich ist natürlich, ob diese Platonische Sicht einer Welt der mathematischen Entitäten, in der man Endeckungen machen kann, auf die Welt der physikalischen Entitäten übertragen werden kann.

Kommentare (12)

  1. #1 Arno
    April 8, 2010

    Naja, man muss es ja nicht nur erzeugen, sondern dann auch in mitten von allem anderen noch finden. Wenn der Toepfer zwar wuesste, dass er gerade einen neuen Tonkrug produziert hat; der irgendwo in Berlin aufgetaucht ist, kann er schon von “entdecken” sprechen, wenn er ihn dann gefunden hat.

  2. #2 Andreas
    April 8, 2010

    Beim Transuraneerzeugen werden eine ganze Menge Atome erzeugt. Wenn man es richtig macht und genau hinguckt, entdeckt man darunter auch ein Ununseptium. Wenn man Pech hat, hat man es erzeugt und nicht entdeckt.

  3. #3 Jörg Friedrich
    April 8, 2010

    Man sagt allerdings nicht: “Wir haben ein Element-117-Atom entdeckt, sondern man sagt: “Wir haben Element-117 entdeckt.”

    Man kann die unterschiedliche Verwendung des Begriffs “Entdecken” am Plutonium sehr schön verdeutlichen: Mir geht es um den Unterschied zwischen der Entdeckung des Isotops Pu-244, das in alten Gesteinen tatsächlich gefunden werden kann, und den anderen Plutonium-Isotopen, die z.B. entstehen, wenn man Uran mit Deuterium beschießt.

    Man kann sagen, Pu-244 gibt es, man hat das vorhandene Isotop entdeckt, und es war schon lange lange vorher da. Aber “gab” es Pu-238 schon vor dem 14.12.1940 und wurde es an diesem Tag “entdeckt”?

  4. #4 ka
    April 8, 2010

  5. #5 roel
    April 8, 2010

    Das ist auch eine Frage, die mich beschäftigt. Kann man etwas entdecken, das man vorher erzeugen muß, um es entdecken zu können? Ich glaube nicht. Erfinden denke ich ist näher dran, passt aber auch nicht so richtig. Ich denke Ersterzeuger ist die richtige Bezeichnung.

    Ein Ähnliches Problem habe ich mit den Entdeckern, die längst (den lokalen Einwohnern) bekannte Tier- und Pflanzenarten entdecken. Wie bezeichnet man soetwas richtiger. M.E. publizieren.

  6. #6 MartinB
    April 8, 2010

    Ich denke, zwei Dinge spielen hier eine Rolle:

    1. Als Physiker nimmt man halt an, dass es das Element 117 schon insofern gibt, als das seine Eigenschaften fundamental und in halbwegs direkter Weise durch die Naturgesetze festliegen. Das passt so ein bisschen zu Ihrem Platonischen Bild. Außerdem sagt man sich natürlich auch, dass es anderswo im Universum auch schon 117 gegeben hat (z.B. in einer Supernova).

    2. vermute ich, dass hier die übliche sprachliche Trägheit der Physiker zum Tragen kommt: früher hat man Elemente halt entdeckt (Radium, Helium usw.) deshalb nennt man das immer noch so.

    @roel:
    Erfinden setzt meiner Ansicht nach einen innovativen geistigen prozess voraus (die Patentleute sprechen ja auch von der notwendigen Erfindungshöhe). Insofern passt es auf ein Element nicht. “Ersterzeuger” ist auch problematisch, weil es das Element ja anderswo auch schon gegeben hat.

  7. #7 roel
    April 8, 2010

    @MartinB “”Ersterzeuger” ist auch problematisch, weil es das Element ja anderswo auch schon gegeben hat.” Was noch zu beweisen ist! Bei der letzten Supernova versagten aufgrund der hohen Temperaturen die Messinstrumente. Nein, Spaß bei Seite, man entdeckt irgendetwas, was es bereits gibt – und zwar genau das. Was hier passiert, ist eher man erzeugt etwas, was es wahrscheinlich (eventuell, vielleicht) auch woanders geben könnte und weist es nach. Der Beweis das es das irgendwo anders gibt, kann zur Zeit nicht erbracht werden.
    Vielleicht können wir uns auf Erstnachweiser einigen ?!

  8. #8 Michael Michalis
    April 8, 2010

    Ich verweise mal schüchtern auf meinen Beitrag zum Verständnis des sog. Konstruktivismus – Stichwort:

    Eine der ersten Lektionen, die ein Baby lernt, ist die merkwürdige Tatsache, daß ein „Ding” auch dann noch da ist, wenn man gerade nicht hinsieht. Dabei ist die Welt aber nicht statisch, sondern verändert sich ständig. Das Gesicht der Mutter z.B. sieht völlig anders aus, je nachdem, ob es freundlich oder böse blickt. Die beobachtete Umwelt verändert sich im Lauf des Tages mit dem Schatten, den die Sonne wirft, und selbst Dinge, die man in der Nacht nicht sehen kann, sind möglicherweise nachts noch im Weg. Der Konstruktion einer in sich konsistenten Welt steht eigentlich alles entgegen – es ist ein veritables Wunder, daß sie dennoch gelingt. :

  9. #9 Thomas
    April 9, 2010

    Kann man nicht einfach sagen, man hat die Möglichkeit der Existenz von Element … entdeckt?

  10. #10 Veronika
    April 9, 2010

    Ich möchte mich in diesem Fall für die Verwendung des Wortes “erzeugt” aussprechen. Meiner Meinung nach hat derjenige das Element entdeckt, der zum ersten Mal darüber nachgedacht hat, ob ein solches Atom existieren könnte. Die Möglichkeit der Existenz war ab jenem Zeitpunkt gegeben, musste nur noch durch die Erzeugung verifiziert werden.

  11. #11 roel
    April 9, 2010

    @Veronika Ich möchte mich dann schon mal anmelden für die nächsten 50 möglichen Elemente – vorstellen kann ich mir die ganz gut. Fangen wir an mit dem Elemnt 118 dem Roelium.

  12. #12 Wb
    April 9, 2010

    Nun, es muss aus Sicht einer positiven verkaufenden Wissenschaftskommunikation natürlich ein “Entdecken” sein, eine Entdeckung (wir heben eine Decke über etwas zuvor Verborgenem) ist leichter positiv zu vermitteln.

    Korrekter wäre es von einem Produkt bzw. einem Erzeugnis zu sprechen, nur würden dann Fragen in der Luft liegen, nämlich u.a. die nach dem “Warum”.
    Warum erzeugen wir Transurane?

    Statt einer Nachricht über etwas zuvor Verborgenem (der Wb schliesst sich hier vollumfänglich der Sicht des Blogautoren an, von einer Entdeckung kann nur auf einer metaphorischen Ebene die Rede sein) hätten wir auf einmal eine politische Fragestellung.

    Ganz en passant angemerkt:
    Es sind gerade diese “Kleinigkeiten”, die u.a. auch beim atomenergiekritischen grünen Physikus aus Jülich den Konsum erschweren.

    MFG
    Wb