Menschen haben Hoffnungen, Befürchtungen, sie wünschen und glauben. Wenn man über die Gedanken anderer spricht, wenn man ihr Verhalten erklären oder vorhersagen will, verwendet man oft Formulierungen wie “Er hofft, dass morgen die Sonne scheint, deshalb…”. Oder: “Sie fürchtet, dass es morgen regnet, deshalb…”.
Nun kann man die Frage, ob es regnet, empirisch beantworten. Deshalb können naturwissenschaftliche Theorien, die sich mit dem Wetter beschäftigen, empirisch überprüft werden. Die Frage, ob jemand fürchtet, dass es regnet, kann man aber nicht empirisch beantworten. Deshalb scheint es unmöglich zu sein, Theorien, die sich mit Befürchtungen, Glauben, Wünschen und Hoffnungen beschäftigen, empirisch zu überprüfen.
Mit seinem Konzept von den Intentionalen Systemen und der Intentionalen Haltung versucht Daniel Dennett, dieses Problem zu lösen. Unter Intentionalität versteht Dennett im Anschluss an Brentano die Bezogenheit auf etwas, die Gerichtetheit auf ein Objekt. Der Regen am morgigen Tag ist das Objekt, die Furcht vor dem Regen oder die Hoffnung auf den Regen ist die Intentionalität des Bewusstseins oder des Geistes. Modi der Intentionalität sind: Glauben, Fürchten, Hoffen, Wünschen,…
Bereits vor rund 40 Jahren hat Dennett in seinem grundlegenden Artikel “Intentional Systems” [1] sein Konzept entwickelt und seit dem immer wieder dargestellt, so z.B. in “The intentional stance” von 1984.
“Intentional Systems” beginnt mit einer Definition: “Intentionale Systeme” sind Systeme, deren Verhalten erklärt und vorhergesagt werden kann unter der Annahme, dass sie Hoffnungen, Sehnsüchte, Wünsche u.ä. haben. Wichtig ist, dass es nicht notwendig ist, dass diese Systeme wirklich Sehnsüchte oder Wünsche haben, dass sie wirklich glauben und hoffen. Die Intentionalität wird einem solchen System von demjenigen, der das Verhalten vorhersagen will, nur zugeschrieben. Dennett schreibt: “Ein Ding ist ein Intentionales System nur in Beziehung auf die Strategien von jemandem, der versucht, sein Verhalten zu erklären und vorherzusagen.” Diese Einstellung des Beobachters, der das Systemverhalten vorhersagen will, nennt Dennett die Intentionale Haltung (“Intentional Stance”).
Der Hund will nur spielen
Eine intentionale Haltung nehmen wir zu vielen Objekten ein, die uns umgeben, nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Tieren und oft auch zu Geräten, von denen wir “eigentlich” genau wissen, dass sie keine Absichten, Hoffnungen, Wünsche haben. Man denke nur daran, wie oft man sagt “Der Computer will mich ärgern.” Während man bei leblosen Gegenständen meist schnell darüber einig ist, dass diese Redeweise nicht wörtlich gemeint ist, sieht die Sache bei Pflanzen und Tieren schon anders aus, und bei Hunden und Katzen sind wir schon fast selbstverständlich bereit, von Wünschen, Hoffnungen oder auch Ängsten zu sprechen.
Der Grund liegt darin, dass die intentionale Einstellung sehr erfolgreich ist. Welche Alternativen hätten wir denn, das Verhalten eines Hundes, einer Katze oder eines Schachcomputers zu erklären und vorherzusagen?
Dennett untersucht diese Alternativen am Beispiel des Schachcomputers. Wir könnten z.B. die funktionale Haltung einnehmen und das Verhalten des Computers aus den Funktionen seiner Teile und dem Zusammenpiel dieser Teile erklären und vorhersagen. Während soetwas z.B. bei Uhren oder Pflanzen recht effektiv funktioniert, ist es kaum möglich auf dieser Basis gegen einen Schachcomputer zu gewinnen. Eine andere Möglichkeit ist die physikalische Haltung. Wir können das Verhalten eines Systems aus dem Wirken fundamentaler physikalischer Zusammenhänge zu erklären. Grundsätzlich ist das auch für Schachcomputer möglich, allerdings ist diese Haltung nicht sehr effektiv.
Wenn ich als Schachspieler aber das Verhalten des Computers vorhersagen will, dann kann ich mir sagen: “Der Computer möchte gewinnen. Und der Computer glaubt, ich kann nicht mehr als vier Züge vorhersehen.” Hinzu kommt, dass ich dem Schachcomputer Rationalität zuschreibe: Wissen um die notwendigen Schritte zur Erreichung der Wünsche unter Berücksichtigung seiner Überzeugungen, und dass ich annehme, dass der Computer das, was er für die Erreichung seiner Ziele für notwendig hält, auch tun wird.
Damit begebe ich mich in die Intentionale Haltung, und ich betrachte den Comuter als Intentionales System. Es ist klar, dass diese Haltung von meinen eigenen Absichten abhängt.
Der “wahre Gläubige” (The true believer)
1984, in “The Intentional Stance” verwendet Dennett einen interessanten Begriff für solche Systeme. Wenn ich als Beobachter die intentionale Haltung einnehme und das Verhalten des Systems unter der Zuschreibung von Wünschen und Hoffnungen gut vorhersagen kann, dann kann ich dieses System als einen “wahren Gläubigen” bezeichnen.
What it is to be a true believer is to be an intentional system, a system whose behavior is reliably and voluminously predictable via the intentional strategy. (Seite 15)
Ein “true believer” ist also auch der Schachcomputer, soweit wir sein Verhalten vorhersagen können indem wir ihm Intentionalität, Rationalität und entsprechechendes Handeln zuschreiben.
Wichtig ist, dass Dennett eben nicht annimmt, dass Intentionale Systeme wirklich Intentionen oder Rationalität haben müssen. Die Intentionale Haltung ist nur ein Instrument zur Vorhersage von Verhalten. Auf diese Weise kann solches Verhalten der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht werden – vergleichbar mit der Zuschreibung, dass ein Elektron sich unter bestimmten Bedingungen wie eine Welle verhält ohne dass damit gesagt wäre, dass ein Elektron eine Welle ist.
Katzen und Mäuse
Wenn Dennett in späteren Arbeiten das Konzept des Intentionalen Systems auf die Erklärung des Verhaltens von Tieren anwendet, dann sagt er eben nicht, dass Tiere Bewusstsein oder Geist und damit Intentionalität hätten. aber er kann zeigen, dass die Intentionale Haltung gut geeignet ist um das Verhalten von Tieren vorherzusagen. Das gilt für Schimpansen ebenso wie für Katzen und Mäuse: Wir können das Verhalten der Maus vorhersagen wenn wir ihr die Befürchtung zuschreiben dass die Katze wünscht, sie zu fressen. Hier haben wir schon die Mehrstufigkeit der Intentionalität: Der Maus wird nicht nur Intentionalität (das Fürchten) zugeschrieben, sondern sogar Wissen um die Intentionalität (das Wünschen) der Katze!
Diese Zuschreibung ist immer eine des Beobachters, der sich in der intentionalen Haltung befindet. HInsichtlich von Katzen und Mäusen befinden wir uns im Alltag in intentionaler Haltung, während sich Biologen wahrscheinlich in funktionaler Haltung befinden, wenn sie das Katz-und-Maus-Spiel untersuchen.
Hinsichtlich noch komplexerer Phänomene, wie es z.B. Religionen sind, kann sich aber auch der Wissenschaftler in die Intentionale Haltung begeben, um das Verhalten der Mitglieder von Religionen oder auch von deren Institutionen beschreiben und vorhersagen zu können. Aber es bleibt dabei, dass die Betrachtung der handelnden Menschen und der Institutionen (z.B. der Kirche als Ganzer, des Klerus,…) als Intentionale Systeme (oder als “wahre Gläubige”) eine Zuschreibung durch den Forscher, der ein bestimmtes Erkenntnisinteresse hat, ist.
[1] Dennett, D. (1971). Intentional Systems The Journal of Philosophy, 68 (4) DOI: 10.2307/2025382
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