Die Flugzeuge fliegen wieder und man kann nur hoffen, dass der Fluglärm der Jets die notwendige Diskussion über Entscheidungsgrundlagen und -wege in unserer Gesellschaft nicht übertönt.

Die Diskussionen der vergangenen Tage zeigte, dass es offenbar zwei konkurrierende Möglichkeiten, zu Entscheidungen zu kommen, gibt:

Da ist auf der einen Seite die Idee, Experten in Behörden könnten auf der Basis verschiedener wissenschaftlicher Methoden (Ausbreitungsrechnung, Simulation, Auswertung von Satellitenbildern und Laser-Messungen) richtige ökonomische Entscheidungen treffen. Dies würde voraussetzen, dass in den Behörden Leute sitzen, die die Annahmen der Ausbreitungs-Simulationen genauso beurteilen können wie die Bildbearbeitungsverfahren der Satelliten-Foto-Lieferanten und die Schadenswirkungen von Vulkanstaub auf Flugzeugtriebwerke.

Auf der anderen Seite stehen die Praktiker der Luftfahrtunternehmen. Sie kennen die bisherigen Erfahrungen von Piloten mit Vulkanasche. Sie wissen, wie wenige Zwischenfälle es bisher mit Vulkanasche gegeben hat. Sie haben vorgeschlagen, nachzuschauen, welche Auswirkungen die Aschewolke wirklich hat, Testflüge zu unternehmen, Triebwerke genauer zu untersuchen, alle Piloten nach ungewöhnlichen Beobachtungen zu befragen. In die Planung solcher Testflüge sollten die Simulationsergebnisse der Ausbreitungsrechnungen natürlich eingehen.

Die Frage lautet nun: wem wollen wir folgen?

Kommentare (36)

  1. #1 ali
    April 26, 2010

    Häufig ist es gar nicht so schlecht den ‘Praktikern’ zu misstrauen. Sie haben eine Tendenz Annekdoten und persönliche Erfahrung über alles zu stellen. In Sachen Populismus sind sie im Gegensatz zu den Wissenschaftlern auch viel besser positioniert. Ich glaube gar, dass die Art wie die Frage hier gestellt wird, diese Feststellung untermauert.

  2. #2 Lars Fischer
    April 26, 2010

    Die “Praktiker der Luftfahrtunternehmen”. Mwahahahaha.

  3. #3 Christian Reinboth
    April 26, 2010

    Ganz klarer Fall: In dieser Situation natürlich immer den Experten. Im Gegensatz zu den Praktikern befassen die sich a) mit der Gesamtsituation, anstatt auf der Basis eigener Erfahrungen zu urteilen und sind vor allem b) wesentlich unabhängiger, während die Praktiker ja klar erkennbare finanzielle Interesse an einer möglichst schnellen Aufhebung des Flugverbots gehabt haben dürften…

  4. #4 Christian W
    April 26, 2010

    [Parabel]
    Mein Hausarzt hat mich untersucht und festgestellt, dass meine Ohrenschmerzen vorübergehen und nicht weiter schlimm sind, mich aber zur Sicherheit zum HNO-Arzt geschickt. Der hat eine Entzündung festgestellt und meint, ich solle vorsichtshalber ein paar Antibiotika nehmen und nicht ins Kalte gehen, um eine langwierige Krankheit (Mittelohrentzündung oder schlimmer) zu vermeiden, auch wenn es vermutlich nicht dazu kommen würde.

    Die Frage lautet nun: Wem soll ich folgen?
    [/Parabel]

  5. #5 Wb
    April 26, 2010

    Im Geschäftsleben folgt man oft weder der Expertengruppe A (Flieger und “Praktiker”) noch der Expertengruppe B (theoretisierende Bedenkenträger, bspw. Simulationsbetreiber) sondern den Abnehmern – wobei auch hier oft kategorisiert werden muss. 🙂

  6. #6 Sven Türpe
    April 26, 2010

    Die Frage lautet nun: wem wollen wir folgen?

    Keinem von beiden. Der Trick ist, Teilsysteme mit unterschiedlichen Zielen und Funktionsweisen so zu kombinieren, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine brauchbare Lösung aushandeln. Zu einem Interessenausgleich — oder zumindest zur Berücksichtigung der jeweiligen Interessen — kommt es dabei zwangsläufig, eben weil diese Interessen Vertreter haben. Dieses Konstrukt haben wir im vorliegenden Fall erfolgreich angewandt: Flugsicherung und Aufsichtsbehörden haben gemäß ihrer Bestimmung zunächst Wagnisse verhindert und Zeit zur Klärung der Situation geschaffen; als die Situation geklärt und die Gefahrenlage hinreichend genau bekannt war, rückten die übrigen Interessen wieder in den Vordergrund. Genau so soll es sein, und die Expertokratie, von der einige hier offen träumen, wäre dieser Verfahrensweise stets unterlegen, denn sie würde berechtigte Interessen ignorieren.

  7. #7 Karl Mistelberger
    April 26, 2010

    Auf der anderen Seite stehen die Praktiker der Luftfahrtunternehmen.

    Die Praktiker der NASA kamen zum Ergebnis, dass einer von hunderttausend Shuttleflügen katastrophal enden würde. Der theoretische Physiker kam zu einem vollkommen anderen Ergebnis:

    Feynman suspected that the 1/100,000 figure was wildly fantastical, and made a rough estimate that the true likelihood of shuttle disaster was closer to 1 in 100. He then decided to poll the engineers themselves, asking them to write down an anonymous estimate of the odds of shuttle explosion. Feynman found that the bulk of the engineers’ estimates fell between 1 in 50 and 1 in 100. Not only did this confirm that NASA management had clearly failed to communicate with their own engineers, but the disparity engaged Feynman’s emotions. When describing these wildly differing estimates, Feynman briefly lapses from his damaging but dispassionate detailing of NASA’s flaws to recognize the moral failing that resulted from a scientific failing: he was clearly upset that NASA presented its clearly fantastical figures as fact to convince a member of the public, schoolteacher Christa McAuliffe, to join the crew. Feynman was not uncomfortable with the concept of a 1/100 risk factor, but felt strongly that the recruitment of laypeople required an honest portrayal of the true risk involved.

    Nach 125 Shuttleflügen steht fest: Zwei Shuttleflüge gingen schief. Da traue ich lieber den Leuten, die tatsächlich wissen, wovon sie reden:

    The danger posed to airplanes by volcanic clouds is not well understood, so officials are trying to limit exposure as much as possible.

    According to a U.S. Geological Survey report on volcanic aviation hazards, the plane suffered $80 million in damage, including the cost of a new set of engines. So air operators pay close attention to volcanic ash, for both safety and economic reasons.

    https://www.scientificamerican.com/article.cfm?id=iceland-volcano-jets

  8. #8 schlappohr
    April 26, 2010

    Eigentlich stellt sich die Frage “wem folgen” nicht. Die Simulationen/Messungen haben uns gezeigt, wie sich die Wolke ausbreitet und wie hoch die Konzentration ist. Sie hat uns nicht gesagt, was eine Wolke dieser Konzentration in einem Triebwerk anrichtet. Das können Piloten mit jahrelanger Flugerfahrung wohl besser einschätzen (besonders, da es noch nicht allzuviele Forschungsergebnisse dazu gibt, ebensowenig wie verbindliche Grenzwerte). Nur wäre ihre Einschätzung völlig wertlos, wenn sie nicht wissen, wo sich die Wolke befindet. Dieser rechthaberische Disput zwischen Wissenschaftlern und Praktikern ist daher völlig sinnlos.

  9. #9 Wb
    April 26, 2010

    @Karl
    Man traut den einen aber oft erst mehr als den anderen nachdem dementsprechende empirische Belege vorliegen. (Wobei hier 1/100.000 stark nach einer pol. Sicht riecht.)

    Prognostiker scheitern regelmässig an der Empirie, überhaupt ist die Prognostik ein ganz schwieriger Bereich (natürlich unvermeidbar und wünschenswert), im Nachhinein kann man immer wieder das Eintreten von extrem unwahrscheinlichen Ereignissen feststellen, jedenfalls wenn man ein passend erscheinendes mathematisches Modell anlegt.

    “Wem wollen wir folgen?” ist gut gefragt.

    Kann nämlich durchaus sein, dass noch der eine oder andere Vulkan noch ein wenig exspieriren wird.

    MFG
    Wb

  10. #10 Ulf Lorenz
    April 26, 2010

    Wie waere es mit einer dritten Variante:

    Die Praktiker und die Theoretiker setzten sich zusammen, und arbeiten eine TODO-Liste aus. Diese umfasst:

    a) Experimente, welche Vilkanasche in welcher Konzentration wie problematisch ist (z.B. Turbinenzuluft mit Asche fuettern)

    b) Systematische Vergleiche zwischen Simulationen und Messungen, um z.B. die Toleranzen der Simulation zu bestimmen.

    c) Ein System von Messstationen (und sei es nur ein im Notfall in Gang gesetztes System) zum genaueren Vermessen der naechsten Aschewolke.

    d) Ein konkreter Plan, wann welche Entscheidungen wie getroffen werden (ab welcher Konzentration ein Flugverbot, wann werden die Maschinen wie untersucht etc.)

    Es kostet natuerlich Zeit, das alles umzusetzen, und ist fuer diesen speziellen Fall also sinnlos.

    Wenn es speziell Punkt (d) noch nicht gab, muss man sich dann halt damit anfreunden, dass Entscheidungen getroffen werden, die man nur spaerlich mit Daten unterfuettern kann, und die man spaeter vielleicht so nicht noch einmal wiederholen wuerde. Insofern: Shit happens, und wo genau ist jetzt eigentlich das Problem (fragt sich jemand, der der ganzen Diskussion dazu noch nichts abgewinnen konnte)?

  11. #11 Ulf Lorenz
    April 26, 2010

    Wie waere es mit einer dritten Variante:

    Die Praktiker und die Theoretiker setzten sich zusammen, und arbeiten eine TODO-Liste aus. Diese umfasst:

    a) Experimente, welche Vilkanasche in welcher Konzentration wie problematisch ist (z.B. Turbinenzuluft mit Asche fuettern)

    b) Systematische Vergleiche zwischen Simulationen und Messungen, um z.B. die Toleranzen der Simulation zu bestimmen.

    c) Ein System von Messstationen (und sei es nur ein im Notfall in Gang gesetztes System) zum genaueren Vermessen der naechsten Aschewolke.

    d) Ein konkreter Plan, wann welche Entscheidungen wie getroffen werden (ab welcher Konzentration ein Flugverbot, wann werden die Maschinen wie untersucht etc.)

    Es kostet natuerlich Zeit, das alles umzusetzen, und ist fuer diesen speziellen Fall also sinnlos.

    Wenn es speziell Punkt (d) noch nicht gab, muss man sich dann halt damit anfreunden, dass Entscheidungen getroffen werden, die man nur spaerlich mit Daten unterfuettern kann, und die man spaeter vielleicht so nicht noch einmal wiederholen wuerde. Insofern: Shit happens, und wo genau ist jetzt eigentlich das Problem (fragt sich jemand, der der ganzen Diskussion dazu noch nichts abgewinnen konnte)?

  12. #12 Geoman
    April 26, 2010

    Wiedereinmal ein Kostprobe von Ali’s methodischem Wissenschaftsaberglauben im Reinformat:

    Die Empfehlung höchst hypothetischen Simulationen weniger zu misstrauen als den Erfahrungen und Experimenten von Praktikern.

    Mit so einer Einstellung kann man vielleicht in einer finanziell gehätschelten Institution aber kaum in der freien Wildbahn überleben. So gesehen haben Sie den richtigen, ja einzig möglichen Berufsweg eingeschlagen.

  13. #13 Physiker
    April 26, 2010

    Was für ein selten dämlicher Artikel.
    Es finden sich ja sicher Piloten, die sich selbst opfern und solange in einer Aschewolke herumfliegen bis die Triebwerke ausfallen und daraufhin die Maschine in bewohntem Gebiet abstürzt, ohne danach auch nur irgendeine statistisch gesicherte Aussage über die Gefährlichkeit des Staubs zu erhalten…

    Wie wär’s denn mit Tests im Windkanal und bei den Triebwerksherstellern (die wahrscheinlich ohne Zutun von Möchtegern-Kommentatoren bereits angelaufen sind bzw. vorbereitet werden)?
    Aber Menschenopfer sind doch viel “praktischer”…

  14. #14 roel
    April 26, 2010

    Ich halte, wie Sven Türpe, eine Kombination von beiden Möglichkeiten als das beste System. Den finanziellen Aspekt würde ich vollständig ausblenden und die höchst mögliche Sicherheit als oberste Priorität setzen.

  15. #15 ali
    April 26, 2010

    @Geoman

    Der Geoman verlegt sich wieder einmal auf persönliche Angriffe. Echte Argumente wären ja auch eine Überraschung gewesen.

    Jörg Friedrich hat übrigens schon mehrmals hier betont, dass er sich hier eine ‘sachliche Diskussion’ und ‘keine Beleidigungen’ wünscht. Ich vermute das gilt auch für Sie.

    Wie habe ich die Ehre eigentlich verdient, ich war schliesslich nicht der einzige, der in diese Richtung argumentiert hat (und noch dazu meine ich in der Regel im Gegensatz zu Ihnen sachlich zu bleiben)?

  16. #16 Jörg Friedrich
    April 26, 2010

    @Ali: In diesem Falle geht es nicht um Anekdoten, wie sie in dem hier bei ScienceBlogs gern zitierten Satz “Anekdoten sind keine Fakten” gemeint sind, sondern um ganz klare, wohl definierte, protokollierte Beobachtungen, also um Fakten.

    @Christian Reinboth:
    zu a) Inwiefern haben die Experten hier die Gesamtsituation beurteilt?
    Zu b) Die bösen Praktiker, die immer an die finanziellen Verluste denken? In so einem Falle ist nicht nur der wirtschaftliche Schaden der Luftfahrtunternehmen hoch, er beginnt bei den afrikanischen Blumen-Produzenten und endet bei den Urlaubern, die zusätzlichen Urlaub nehmen mussten und zusätzliche Übernachtungskosten hatten. Wie viele Organ-Spenden sind wohl wegen des Flugverbots nicht transportiert worden? Und damit komme ich wieder zur Frage a) zurück: Wer denkt wohl mehr an die Gesamtsituation, der Praktiker, der Lieferanten, Kunden und Kunden von Kunden berücksichtigt, oder die Behörde, die sich für das expertengestützte Abwarten und Nichtstun entscheidet?

    @Sven Türpe, roel: Interessant, dass Sie das tatsächliche Geschehen so positiv beurteilen. Da denke ich gern noch mal drüber nach. Ich sehe im Moment eher die Gefahr, dass es sozusagen einen Kurzschluss Experte -> Behörde gibt, der sich immer stärker ausbildet und der den Praktiker außen vor lässt.

    @Karl Mistelberger: Dass es “Praktiker der NASA” waren, die diese Wahrscheinlichkeit angegeben haben, klingt mir sehr nach Anekdote. Dass Feynman sich gern zu vielem pointiert äußert ist auch bekannt. Dass man aus diesem vielen, was Experten sagen, immer auch richtiges herausfischen kann, ist auch nicht neu.

    @geoman: Bitte unterlassen Sie Ihre unbegründeten persönlichen Spitzen in meinem Blog.

    @Schlappohr: Ich bin stark geneigt, Ihnen zuzustimmen, allerdings hat jeder Praktiker, von dem ich ein Interview gelesen oder gehört habe, den Wert der Simulationen z.B. für die Planung von Testflügen ausdrücklich erwähnt.

    @Ali: Ich habe ehrlich gesagt auch kein Verständnis für geomans persönliche Angriffe gegen Sie, zumal er in anderen Diskussionen ja sachlich argumentiert. Vielleicht haben Sie persönlich etwas miteinander auszumachen, das ist mir aber egal. Deshalb kann ich nur bestätigen, was Sie vermuten: Meine Aufforderung zur sachlichen Diskussion ohne persönliche Angriffe gilt auch für geoman.

  17. #17 hape
    April 26, 2010

    Wenn ich das richtig verstanden habe, meint JF mit den Experten gar nicht die Wissenschaftler, sondern die Entscheidungsträger in den Behörden, wobei unklar ist, woher der Expertenstatus kommt. Die machen also nicht die Wissenschaft, sondern sollen sie interpretieren und Entscheidungen treffen. Trotzdem finde ich die Frage extrem suggestiv gestellt, so klingt sie nach “die guten Praktiker” und die verkopften oder überheblichen Experten (“dies würde voraussetzen das…” deutet schon Zweifel ein wenig an). Es ist überhaupt nicht klar, wieso die beiden Seiten vollkommen unterschiedliche Methoden anwenden sollten (praktisch vs. theoretisch), nur weil die Zielsetzung (Profit vs. möglichst Schaden abwenden) unterschiedlich ist.

  18. #18 hape
    April 26, 2010

    Oh ich hab meinen Kommentar parallel zu Jörg Friedrich geschrieben..

    Kurz hierzu

    Wer denkt wohl mehr an die Gesamtsituation, der Praktiker, der Lieferanten, Kunden und Kunden von Kunden berücksichtigt, oder die Behörde, die sich für das expertengestützte Abwarten und Nichtstun entscheidet?

    Ich glaube, am Ergebnis dieser Überlegungen (abwarten und nichtstun, wobei nichtstun doch auch nicht ganz korrekt ist, es wurden doch Testflüge gemacht, oder was ist gemeint?), kann man die Frage nicht beantworten. Vielleicht haben die Behörden auch an alle gedacht, konnten aber aufgrund der ihnen zu Verfügung stehenden Fakten nur die Entscheidung treffen, dass die Chance auf Unfälle zu hoch gegenüber den zu erwartenden finanziellen Verlusten ist.

    Und wieso sollte gerade der (sowieso unscharf definierte?) Praktiker an alle denken? Haben die Leute von der Lufthansa tatsächlich mal so argumentiert oder ist das jetzt eine Vermutung?

  19. #19 ali
    April 26, 2010

    @Jörg Friedrich

    Vielleicht solltest du dann klären wenn du mit Praktiker meinst.

    Mein Beurteilung basierte auf folgendem: Die Fluggesellschaften wurden erst später aktiv und machten aus den Testflügen PR Aktionen (warum sonst soll der CEO mitfliegen), wo anschliessend die Piloten Interviews gaben (so in etwas “Ich habe nichts gesehen und wir hatten keine Probleme”, konnte leider auf die Schnelle die Quelle nicht mehr finden) und man schon deklarierte es sei sicher, bevor die Ingenieure die Triebwerke untersucht haben. Wenn das die ‘Praktiker’ sind, dann nein danke.

    Die Dichotomie zwischen ‘Experten’ und ‘Praktiker’ suggeriert zudem einen Graben, den es so vermutlich gar nicht gibt, haben die Fluggesellschaften doch mit Forschunginstituten zusammengearbeitet für Ihre Messungen.

    Ich hatte übrigens keine Zweifel, dass die Regeln auch für Geoman gelten, ich wollte ihn aber daran erinnern, dass obwohl er hier (und ironischerweise in meinem Blog) mehr Freiheiten geniesst als anderswo, er diese nicht missbrauchen sollte.

  20. #20 rolak
    April 26, 2010

    Was soll denn das für ein Quark sein, Meister Friedrich – nirgendwo wird abgestritten, das Anekdoten Fakten wären, nur als Belege für irgendwelche Hypothesen sind sie halt von kleinstem Wert.
    Allerdings erklärt diese Formulierung einiges vom bisher Gelesenen…

  21. #21 Christian Reinboth
    April 26, 2010

    @Jörg Friedrich:

    zu a) Inwiefern haben die Experten hier die Gesamtsituation beurteilt?

    Der Experte nutzt Simulationen und Messwerte um die Bewegung und Dicke der Wolke im gesamten Luftraum abzuschätzen, der Praktiker betrachtet lediglich einen Ausschnitt, für den er die Situation temporär vermutlich besser beurteilen kann als jeder Experte. Ein Ausschnitt bleibt es aber dennoch und darin liegt die Gefahr.

    Zu b) Die bösen Praktiker, die immer an die finanziellen Verluste denken? In so einem Falle ist nicht nur der wirtschaftliche Schaden der Luftfahrtunternehmen hoch, er beginnt bei den afrikanischen Blumen-Produzenten und endet bei den Urlaubern, die zusätzlichen Urlaub nehmen mussten und zusätzliche Übernachtungskosten hatten.

    Als Wirtschaftswissenschaftler liegt es mir fern, hier Unternehmer zu verteufeln, die sich Sorgen über finanzielle Verluste machen. Die Erfahrung zeigt doch aber leider, dass bisweilen auch Risiken zulasten von Menschenleben eingegangen werden, wenn die zu erwartenden Verluste nur hoch genug sind. Ich persönlich denke nicht, dass gerade ein Unternehmen wie die Lufthansa, welches international wie kaum ein anderes für Sicherheit steht, so eine Politik erfolgen würde. Dass es aber generell eine schlechte Verfahrensweise wäre, würde eine Behörde in unklaren Fällen dem Drängen einer wirtschaftlich involvierten Partei nachgeben, halte ich für naheliegend.

    Wie viele Organ-Spenden sind wohl wegen des Flugverbots nicht transportiert worden?

    Vermutlich keine. Erstens wird geschieht sowas meines Wissens nach in eiligen Fällen ohnehin mit dem Helikopter (und der hätte ja fliegen dürfen) und zweitens hätten wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon erfahren, immerhin haben die Medien ja über weit weniger kritische Fälle (so war beispielsweise das spezielle Medikament einer US-Touristin in London nicht erhältlich, weshalb sie mit einem Substitut behandelt werden musste) relativ ausführlich berichtet.

    Und damit komme ich wieder zur Frage a) zurück: Wer denkt wohl mehr an die Gesamtsituation, der Praktiker, der Lieferanten, Kunden und Kunden von Kunden berücksichtigt, oder die Behörde, die sich für das expertengestützte Abwarten und Nichtstun entscheidet?

    Dies impliziert, dass es für eine Behörde die beste Option ist, sich auf Seiten der Sicherheit zu irren. Wäre das der Fall, würde es Fahr-, Rauch-, Trink- und andere Verbote nur so hageln. Die Aufgabe der Behörde ist es in diesem Fall doch lediglich, die Empfehlung der Experten umzusetzen, die in diesem Fall fast einmündig für ein Flugverbot plädiert haben. Die Frage ist doch im Prinzip, wer als Experte zu gelten hat – ist es eher der Vulkanologe oder Meteorologe oder aber der erfahrene Pilot? Und da letzterer – womit wir wieder bei a) wären – nicht unabhängig urteilen und zudem nur einen Teilausschnitt des Problems erfassen kann…

  22. #22 roel
    April 26, 2010

    @Jörg Friedrich Sie haben Recht richtig rund gelaufen ist es nicht. Nichts desto trotz müssen beide Seiten zusammenarbeiten.
    Ihr Argument mit den ausgefallenen Blumenverkäufen und Organspenden etc. ist schon recht schwerwiegend, aber schon ein Absturz einer vollbesetzten Passagiermaschine wäre verherender gewesen.

  23. #23 Stefan W.
    April 26, 2010

    ” was eine Wolke dieser Konzentration in einem Triebwerk anrichtet. Das können Piloten mit jahrelanger Flugerfahrung wohl besser einschätzen ”

    Bemerkenswert. Ich sehe nicht, wie jahrelange Flugerfahrung zu Erfahrung mit Aschewolken führen soll, bei der Seltenheit von Aschewolken. Vielmehr vermute ich, daß fast alle Piloten trotz jahrzehntelanger Flugerfahrung nicht die geringste Aschewolkenerfahrung haben.

    Und die wenigen, die sie doch haben – ob die wissen, wie hoch die Konzentration damals bei ihrer Erfahrung war?

    “jahrelanger Flugerfahrung” ist hier reines Wortgeklingel, komplett substanzlos.

  24. #24 Wb
    April 26, 2010

    Und da letzterer – womit wir wieder bei a) wären – nicht unabhängig urteilen und zudem nur einen Teilausschnitt des Problems erfassen kann…

    Mit den Teilausschnitten oder Aspekten muss man ein wenig vorsichtig sein, wer sich bspw. an einer “Lichtverschmutzung” einen abrubbelt, der ist dann Experte (oder Fachmann, hier scheint es zudem noch Differenzen zu geben 🙂 oder Praktiker?

    Selbstverständlich ist es dem Menschen überlassen zwischen Fachleuten und mehr oder weniger unbestimmten Experten zu unterscheiden und möglicherweise auch deren Rat zu vernachlässigen. Tiefpunkte (“Expertokratie”) dürfen gerne gesetzt werden und befördern die Debatte, inkl. Misstrauen, das gerade bei Experten – seien diese auch oder gerade Wirtschaftswissenschaftler (mit oder ohne grünem Touch) – angebracht scheint.

    MFG
    Wb

  25. #25 Jörg Friedrich
    April 26, 2010

    @rolak: Suchen Sie einmal nach dem Wort “Anekdoten” in der ScienceBlogs-Suchbox ganz oben. Da werden Sie viele Hinweise darauf finden, dass Anekdoten eben keine Fakten sind – völlig zu Recht übrigens. Anekdoten in dem Sinne, wie das Wort meist benutzt wird meint so etwas wie: mündlich weitergegebene Erzählungen von Ereignissen” – also zB von Beobachtungen oder Heil-Erfahrungen. In diesem Sinne handelt es sich eben bei den Piloten-Berichten von Begegnungen mit Vulkan-Asche-Wolken nicht um Anekdoten.

  26. #26 ali
    April 26, 2010

    @Jörg Friedrich

    Anekdoten in dem Sinne, wie das Wort meist benutzt wird meint so etwas wie: mündlich weitergegebene Erzählungen von Ereignissen” – also zB von Beobachtungen oder Heil-Erfahrungen. In diesem Sinne handelt es sich eben bei den Piloten-Berichten von Begegnungen mit Vulkan-Asche-Wolken nicht um Anekdoten.

    Ich weiss nun nicht wer was in welchem Zusammenhang über Anekdoten gesagt hat. Der Satz ist in der Regel aber “The plural of anecdotes is not data”. Gemeint ist, dass man von einer Anekdote nicht einfach verallgemeinern kann und hat weniger mit der Übermittlungsart zu tun.

    Genau eine solche Verallgemeinerung haben viele Fluggesellschaften mit ihren Testflügen zu suggerieren versucht (ich weiss nicht ob sie es besser wussten, es war aber der Eindruck den sie vermittelten). Genau das ist was Praktiker (oder zumindest was ich mir in diesem und anderem Zusammenhang unter dem Begriff vorstelle) eben häufig tun, weil sie die persönliche Erfahrung als allgemeingültig betrachten.

    Ein Pilotenbericht passt da auch perfekt ins Bild.

  27. #27 Jörg Friedrich
    April 26, 2010

    @Alle:

    Natürlich sind alle Einteilungen nur Konstruktionen, aber ich glaube, dass die Unterscheidung in Experten (besser vielleicht Theoretiker) und Praktiker sehr hilfreich ist um den offensichtlichen Konflikt, den wir letzte Woche erlebt haben, zu verstehen und die Gefahr, die ich sehe, plausibel zu machen:

    Es gibt die Möglichkeit, politische Entscheidungen auf der Basis von wissenschaftlichen Modellen unterschiedlichster Art zu fällen oder zu begründen, oder auf der Basis von praktischen Erfahrungen und umsichtigem Handeln. Im besten Fall würde beides zusammen kommen, aber den besten Fall haben wir nicht.

    Der erste Weg ist der des Theoretikers, der zweite der des Praktikers. Warum bin ich geneigt, nur die ersten als “Experten” zu bezeichnen? Weil ich den Eindruck habe, dass in der Öffentlichkeit fast ausschließlich Theoretiker einen Experten-Status haben – und darin sehe ich schon das erste Problem. Wenn ich morgens das Radio anmache, hat der Moderator spätestens nach einer halben Stunde einen “Experten” für irgendwas am Telefon. Meist heißt er “Prof. Dr.” mit Vornamen und kommt von der Universität X oder dem Max-Planck-Institut Y. In der Öffentlichkeit ist der Begriff “Experte” längst zum Euphemismus für Theoretiker geworden – weil “Theoretiker” ja schon auf die Einseitigkeit der Betrachtungsweise und des Erfahrungsschatzes hinweist.

    Die Behörden und Regierungen stützen ihr Urteil auf diese Experten – und genau darin sehe ich die Gefahr. Experten haben keine weiteren Interessen – außer: ihren Expertenstatus zu wahren (ich weiß, sie sind auch der Wahrheit und heren ethischen Normen verpflichtet, aber das sind alle anderen auch). Der Praktiker hat meist noch andere Interessen – darin besteht aber weniger eine Gefahr als eine Chance. Sie müssen nicht nur praktisch die Lage beurteilen, sondern auch die praktischen Konsequenzen. Die Verantwortlichen einer Fluggesellschaft werden immer auch das Risiko einer Fehleinschätzung und einer daraus resultierenden Katastrophe mit berücksichtigen weil die auch praktische Konsequenzen hat. Deshalb werden in den USA die Ergebnisse der Ausbreitungsrechnungen von Vulkanasche auch an die Fluggesellschaften gegeben, die dann entscheiden.

    Im besten Falle, wie gesagt, würden Theoretiker und Praktiker zusammenarbeiten. Ich sehe im Moment allerdings die Gefahr, dass sich ein Ungleichgewicht ausbildet, und das halte ich für gefährlich.

  28. #28 Jörg Friedrich
    April 26, 2010

    @Ali: Ich kenne den Satz “Ankdoten sind keine Daten” nur aus der Verwendung bei Scienceblogs, z.B. hier. Dort auch weitere Links.

    Pilotenberichte sind nur ein Teil des Erfahrungsschatzes von Luftfahrtunternehmen. Es gibt eben auch Tests, es gibt Untersuchungen an beschädigten Triebwerken usw.

  29. #29 Wb
    April 26, 2010

    Genau das ist was Praktiker (oder zumindest was ich mir in diesem und anderem Zusammenhang unter dem Begriff vorstelle) eben häufig tun, weil sie die persönliche Erfahrung als allgemeingültig betrachten.

    Ein Praktiker ist immer auch Theoretiker, er ist dann möglicherweise der Empirie stärker verbunden, leidet dann aber möglicherweise bei der Einordnung. Ansonsten wäre er auch gar nicht artikulationsfähig.
    “Praktiker” nicht blöde, u.a. auch nicht so leicht i.p. Allgemeingültigkeit zur Hand wie der “Experte”.

    Der Gegensatz scheint also konstruiert, man spielt in derselben Liga.

    MFG
    Wb

  30. #30 ali
    April 26, 2010

    @Jörg Friedrich

    Pilotenberichte sind nur ein Teil des Erfahrungsschatzes von Luftfahrtunternehmen. Es gibt eben auch Tests, es gibt Untersuchungen an beschädigten Triebwerken usw.

    Von Tests und Untersuchungen war in dieser Aussage aber nicht die Rede. Genau darauf bezog ich mich aber:

    In diesem Sinne handelt es sich eben bei den Piloten-Berichten von Begegnungen mit Vulkan-Asche-Wolken nicht um Anekdoten.

  31. #31 rolak
    April 26, 2010

    Vielen Dank für die langerwartete Erklärung, was denn mit dem Kästchen <Suche bei ScienceBlogs…> tatsächlich gemacht wird, Herr Friedrich. Anekdote hat (mindestens) zwei Bedeutungen, die eine die eher Umgangssprachliche, also die durchaus amüsante kleine Geschichte, die andere ist die bei der hier thematisierten Entschlußfindung imho einzig relevante, die des sehr wohl überprüfbaren, aber eben nicht reproduzierbaren =»Einzelereignisses. Ich gehe davon aus, daß diese Bedeutungen hier nicht aus Versehen oder gar vorsätzlich in einen Topf geworfen wurden und reihe mal die ersten Treffer der letzteren Kategorie auf:

    • 21. April 2010 Eyjafjallajökull: ..A sind keine Daten
    • 15. Februar 2010 Wie man seine Behauptungen belegt(..): ..A sind keine Beweise
    • 12. Februar 2010 Granderwasser statt Spielzeug: ..A sind keine Daten
    • 04. Januar 2010 Anekdoten sind keine Daten: <=
    • usw usf

    Wie gesagt, eine Anekdote ‘Ich unterzog mich Therapie H und konnte danach schmerzfrei gehen’ ist sehr wohl faktisch und be- oder widerlegbar, erst eine Erweiterungen á la ‘Weil ich… konnte ich…’ ist allein aufgrund der Anekdote(n) unzulässig.

  32. #32 Karl Mistelberger
    April 26, 2010

    Jörg Friedrich: Auf der anderen Seite stehen die Praktiker der Luftfahrtunternehmen. Sie kennen die bisherigen Erfahrungen von Piloten mit Vulkanasche. Sie wissen, wie wenige Zwischenfälle es bisher mit Vulkanasche gegeben hat.

    ali 26.04.10, 11:45 Uhr Häufig ist es gar nicht so schlecht den ‘Praktikern’ zu misstrauen. Sie haben eine Tendenz Annekdoten und persönliche Erfahrung über alles zu stellen.

    Die bisherigen Erfahrungen mit Vulkanasche sind nicht dazu geeignet, irgendwelche Aussagen zu machen unter welchen Umständen ein Flug durch Asche gefahrlos möglich ist. Genau aus diesem Grund äußert sich der Flugzeughersteller wie folgt: Boeing has always advocated that flight crews avoid volcanic ash clouds or exit them immediately if an encounter occurs.

    https://www.boeing.com/commercial/aeromagazine/aero_09/volcanic_textonly.html

    Asche erscheint weder auf dem Wetterradar noch kann sie bei Nacht von den Piloten wahrgenommen werden. Aus diesem Grund wurden vorläufig nur Sichtflüge genehmigt. Erst als zweifelsfrei feststand, dass keine Gefahr bestand wurde der Luftraum wieder freigegeben.

    P.S. Auf ein zuverlässiges Modell, wie die filgranen Turbinenschaufeln bei Verstopfung ihrer winzigen Kühlkanäle reagieren werden wir noch lange warten: https://en.wikipedia.org/wiki/Volcanic_ash#Occurrences

    So kleine Details werden in der deutschen Version der Wikipedia-Artikel meist einfach weggeschnipselt. Für deren Leser ist die richtige Welt oft zu kompliziert.

  33. #33 Geoman
    April 26, 2010

    Die argumentative Allzweckfloskel “Anekdoten sind keine Daten” verfügt doch hier häufig nicht einmal über den empirischen Wert oder Gehahlt einer guten Anekdote.

    Ohne Sinn und Verstand oder Prüfung wird versucht, jegliche Art von Expertendaten (und seien sie noch so hypothetisch) aufzuwerten und Praktikerdaten bzw. fundierte Erfahrungen von Praktikern abzuwerten.

    So etwas nenne ich schwer erträgliche oder auch weltfremde wissenschaftliche Arroganz, die uns weißmachen will, dass wissenschaftliche Experten auf hochsimmulierter dünnster Datenbasis allgemeingültige oder auch relevante Aussagen über die Lebenswelt machen können.

    Da halte ich mich im Zweifel lieber an die Experten aus der Praxis, die wissen wenigstens worüber sie reden bzw. wie weit ihre Erfahrungen reichen.

  34. #34 Thomas
    April 26, 2010

    Aus meiner Sicht gibt es nicht nur die 2 Ereignisse “sicher ankommen” oder “abstürzen”, sondern aus Sicht der Fluggesellschaften spielt der Verschleiß des Fluggeräts in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation eine nicht unerhebliche Rolle. Übersteigt der zu erwartende zusätzliche Verschleiß an den Maschinen die vorher prognostizierten Kosten, würde trotz 100%iger Sicherheit vor Abstürzen keine Maschine fliegen bzw. erst nach Einführung einer Aschezulage für zusätzlichen Verschleiß abheben.
    Nun war weder über Mitteleuropa eine Aschewolke sichtbar, noch gab es bei Testflügen Anzeichen für erhöhten Verschleiß. Die logische Konsequenz aus Sicht eines Praktikers wäre nun “fliegen” und genau das wurde gemacht.
    Glücklicherweise konnte ich in einer der ersten Maschinen in Deutschland landen und meine Angst vor dem Flug war aufgrund obiger Überlegungen gleich 0.
    Meine persönliche Risikoeinschätzung wäre anders ausgefallen, wenn die Flugsicherung Flüge zugelassen hätte (nicht erhöhtes Absturzrisiko), aber die Fluggesellschaften aufgrund von Verschleiß an den Maschinen nicht hätten fliegen wollen. Das hätte mir zu denken gegeben…
    Was sollte auch theoretisch passieren, wenn keine Aschewolke sichtbar ist und der Verschleiß 0 ist? Wie sollte denn nun ein konstruierter Problemfall aussehen?

    Also im hier diskutierten Alternativfall Theoretiker vs. Praktiker plädiere ich ganz stark für die Praktiker.

  35. #35 Sven Türpe
    April 26, 2010

    Interessant, dass Sie das tatsächliche Geschehen so positiv beurteilen. Da denke ich gern noch mal drüber nach. Ich sehe im Moment eher die Gefahr, dass es sozusagen einen Kurzschluss Experte -> Behörde gibt, der sich immer stärker ausbildet und der den Praktiker außen vor lässt.

    Appreciative Thinking. 🙂 Ich sehe das tatsächliche Geschehen keineswegs unkritisch, aber es gibt auch kaum eine leichtere Aufgabe als rückblickend Entscheidungen zu kritisieren, die unter Zeitdruck und unvollständiger Information getroffen wurden. Die sind nämlich immer falsch, d.h. mindestens nicht optimal. Das macht aber nichts. Wenn ich ein System konstruieren müsste, das solche Entscheidungen zu treffen — und zu revidieren — hat, dann würde ich den Vulkanausbruch durchaus als Vorbild in Erwägung ziehen. Nicht um alles sklavisch zu kopieren, aber zur Anregung. Interessant erscheint mir zum Beispiel der Ansatz, beim Auftauchen einer schwer einschätzbaren Gefahr zunächst die Gefahr und das Sicherheitsbedürfnis systematisch zu überschätzen und radikale Maßnahmen zu ergreifen, um Zeit für eine nüchterne Betrachtung zu gewinnen.

    Zum Nachdenken:
    Wenn die Aufsichtsbehörden der Bahn mal wieder ein paar Züge stillegen, schimpfen übrigens alle auf die Bahn und keiner auf die Behörden.

  36. #36 Karl Mistelberger
    April 27, 2010

    Jörg Friedrich · 26.04.10 · 15:00 Uhr Dass es “Praktiker der NASA” waren, die diese Wahrscheinlichkeit angegeben haben, klingt mir sehr nach Anekdote. Dass Feynman sich gern zu vielem pointiert äußert ist auch bekannt. Dass man aus diesem vielen, was Experten sagen, immer auch richtiges herausfischen kann, ist auch nicht neu.

    Das Management der NASA hat offensichtlich diejenigen Praktiker herausgefischt, die der von ihm gewünschten Ansicht waren.

    Feynman war Mitglied der Rogers-Kommission und hat dort seine Meinung vertreten. Er wurde aufgefordert, seinen Mund zu halten. Das kümmerte ihn nicht, sondern er drohte aus der Kommission auszutreten, wenn seine Meinung nicht berücksichtigt würde. Das wollte man nun auch wieder nicht riskieren. Feynmans Ansichten wurden Teil des offiziellen Berichts:

    Report of the PRESIDENTIAL COMMISSION on the Space Shuttle Challenger Accident

    By the PRESIDENTIAL COMMISSION on the Space Shuttle Challenger Accident

    June 6th, 1986, Washington, D.C

    https://history.nasa.gov/rogersrep/v2appf.htm

    Zusammenfassung: For a successful technology, reality must take precedence over public relations, for nature cannot be fooled.

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