Kann man an allem zweifeln? Und umgekehrt: Gibt es Behauptungen, die wir zurückweisen können, ohne diese Zurückweisung begründen zu müssen?
Wenn ein Roman oder ein Science-Fiction-Film so eine Frage zum Thema macht, ist der Erfolg fast schon sicher. “Matrix” z.B. spielt mit der Möglichkeit, dass unsere Welt gar nicht real ist, dass wir nur “Gehirne im Tank” sind.
Kann man also auch daran zweifeln, dass die Erde existiert und schon lange vor meiner Geburt existiert hat, dass ich darauf herumlaufe, dass es andere Menschen gibt, dass die Hand, die hier gerade auf der Tastatur liegt, wirklich existiert?
Und umgekehrt: Wenn einer behauptet, dass er hin und wieder nachts auf dem Mars spazieren geht, kann ich das zurückweisen, ohne mich auf Begründungen einzulassen?
Normalerweise sagen wir, dass wir etwas wissen, wenn wir Gründe dafür angeben können. Was ich weiß, kann bezweifelt werden, und dann kann ich Begründungen liefern. Wenn ich sage: “Ich weiß, dass es gleich regnen wird.” Kann man mich fragen, woher ich das weiß. Gebe ich darauf die Antwort: “Ich habe auf der Webseite www.wetteronline.de nachgesehen, dort gibt es ein Radarbild das zeigt, dass der die Regenfront kurz vor Münster ist”, wird das vielen reichen. Hartnäckige werden fragen, woher ich weiß, dass dieses Bild tatsächlich die Regenverteilung über Deutschland zeigt.
Wenn es jemand ist, der nie das Internet benutzt, werde ich ihm das vielleicht geduldig erklären, wenn aber jemand, der wie ich oft im Internet unterwegs ist, daran zweifelt, dass die Firma, die diese Webseite betreibt, tatsächlich echte und aktuelle Radar-Daten darstellt, werde ich irgendwann ungeduldig.
Es gibt Gewissheiten, die können wir nicht begründen, für die können wir uns gar keinen sinnvollen Zweifel vorstellen. Ludwig Wittgenstein schrieb in seinen Überlegungen Über Gewißheit
:
Der vernünftige Mensch hat gewisse Zweifel nicht.
Das klingt merkwürdig, glaubt man doch oft, dass Zweifel zur modernen Rationalität dazugehört. Aber irgendwo hört der Zweifel auf, irgendwo muss er ein Ende haben.
Es gibt gewisse Dinge, über die wir gar keinen wirklichen Zweifel haben können. Z.B. darüber, dass die Erde, die Sonne und der Mond schon lange existiert. Wenn uns jemand begegnet der auch daran zweifelt, dann merken wir, dass er an allem zweifeln könnte, was wir wissen (nicht nur, dessen wir gewiss sind).
Wittgenstein schreibt:
Ich bin auf dem Boden meiner Überzeugungen angelangt.
Und von dieser Grundmauer könnte man beinahe sagen, sie werde vom ganzen Haus gehalten.
Das bedeutet, die Dinge, die ich nicht bezweifeln kann, sind im gewissen Sinne nicht unbegründet, sondern sie werden mit allem begründet was ich daraus insgesamt als Wissen begründen kann. Dabei kann ich zwar jede einzelne Tatsache bezweifeln, aber nicht alle Tatsachen zusammen.
Vieles von dem, was ich weiß, macht nur Sinn, wenn ein paar Sachen, über die ich Gewissheit habe, richtig sind. Die Fotos meiner Großeltern als junge Leute, die alten Häuser, die Geschichten vom dreißigjährigen Krieg, die Bücher von Platon, all das macht nur Sinn, wenn die Erde schon lange existiert und auch schon viele Menschen lange vor mir gelebt haben.
Es ist ganz sicher, dass Automobile nicht aus der Erde wachsen. Wir fühlen, dass, wenn einer das Gegenteil glauben könnte, er allem Glauben schenken könnte, was wir für unmöglich erklären, und alles bestreiten könnte, was wir für sicher halten.
Aber meine Gewissheit bezieht sich nicht nur auf solche grundsätzlichen Annahmen wie die, dass ich nicht nur ein Gehirn im Tank bin. Ich bin mir ebenso sicher, dass das, was ich allmorgendlich in der FAZ lese, meist wahr ist, dass die Fakten, die ich über Personen bei Wikipedia finde, meist richtig sind. Ich bin mir auch sicher, dass das Weltgeschehen nicht von Verschwörungen bestimmt wird. Wenn einer das alles bezweifelt, werde ich mit diesem auch kaum über irgendetwas sinnvoll diskutieren können. Vor allem nicht über Dinge, die ich wirklich bezweifle. Denn mein Zweifel muss ja auch begründbar sein, und auf dem Grunde des begründeten Zweifels muss irgendwo eine unbegründete Gewissheit sein.
P.S.: Dies ist der 100. Eintrag in diesem Blog. Der erste Eintrag erschien genau heute vor einem Jahr.
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