Es ist die Schuld der Meteorologen. Der eine ist namenlos, der andere ist gut bekannt: Edward Lorenz, dessen Veröffentlichungen aus den 1960er Jahren zu den Gründungsurkunden der “Chaostheorie” zählen.

Vorbemerkung: Lorenz’ Seemöwe

In einem Artikel von 1963 schreibt Lorenz ganz am Schluss:

Ein Meteorologe bemerkte dass wenn diese Theorie korrekt wäre ein einziger Flügelschlag einer Seemöwe die Entwicklung des Wetters für immer verändern würde. Die Kontroverse ist noch nicht entschieden, aber die neuesten Belege sprechen für die Seemöwen. (Alle Übersetzungen von mir)

Wer aus den Seemöwen später Schmetterlinge gemacht hat, kann dahingestellt bleiben. Auch dass Hilborn [1] gezeigt hat, dass der Effekt schon viel früher als Grashüpfereffekt beschrieben wurde, soll nur am Rande erwähnt werden. Jedenfalls gilt Lorenz mit dieser Bemerkung als Vater des Schmetterlings-Effektes.

1969 kam Lorenz [2] noch einmal ausführlicher auf den namenlosen Meteorologen zurück. Lorenz untersucht in dieser Arbeit detailliert, wie auch schon in dem berühmten Aufsatz “Deterministic Nonperiodic Flow” von 1963 , wie die Lösungen von mathematischen Modellen, die die Dynamik von Flüssigkeiten oder Gasen beschreiben, von kleinen Störungen in den Anfangsbedingungen (die z.B. vom Flügelschlag eines Schmetterlings oder einer Möwe ausgelöst werden) abhängen. Da die Entwicklung solcher Systeme unter bestimmten (in der Realität häufigen) Bedingungen weder linear noch periodisch ist, können diese kleinen Störungen zu völlig unterschiedlichen Zuständen des Systems in der Zukunft führen. Lorenz schreibt 1969 dass aus seiner aktuellen Studie zu folgen ist, dass der Flügelschlag der Möwe innerhalb von 17 Tagen das Wetter vollständig geändert hat. Und:

Wir können aus dieser Studie ebenfalls gut schließen, dass ein Flügelschlag einer Seemöwe das Verhalten aller Cumuluswolken innerhalb einer Stunde ändern kann.

Da allerdings nicht einmal Schallwellen in dieser Zeit in entfernte Teile des Globus gelangen, sei diese Schlussfolgerung kaum zu akzeptieren, vielmehr müsse man nach den Modelleigenschaften suchen die es für dieses spezielle Problem ungeeignet machen.

Die kausale Begründung

Lorenz wäre hier allerdings auch aus einem anderen Grund zu widersprechen. Das Paradoxon, dass er hier ausspricht, weist auf eine unzulässige Verwendung des Konzepts der Kausalität, welches sich in den Formulierungen “Handlung A führt zu Effekt B” (Der Flügelschlag führt zu anderem Wetter) oder “A ändert das Verhalten von B” (Der Flügelschlag ändert das Verhalten der Wolken) zeigt. Zugespitzt wird diese Verwendung in der populären Formulierung des Schmetterlingseffekts, ein Flügelschlag eines Schmetterlings könne einen Orkan auslösen. Auch wenn diese Formulierung, soweit ich das überblicke, nicht von Lorenz stammt, folgt sie doch logisch aus seiner Arbeit. Unter bestimmten kritischen Bedingungen kann der eine Wetterzustand, der nach 17 Tagen erreicht wird, einen Orkan enthalten, der unter den anderen Bedingungen nicht da ist. Wenn man sagt, der eine Wetterzustand sei durch eine kleine Störung wie z.B. einen Flügelschlag ausgelöst worden, dann gilt das auch für den Orkan, der darin enthalten ist.

Logisch lässt sich dieses Kausalitätskonzept folgendermaßen fassen:

Gegeben sind zwei Systeme, die sich in allem gleichen. An dem einen wir eine kleine Veränderung vorgenommen. Wenn dann in dem einen System etwas beobachtet wird, was in dem anderen nicht beobachtet wird, dann ist die kleine Veränderung die Ursache dieser Beobachtung.

Dieses Kausalitätsverständnis ist für die experimentelle Naturwissenschaft grundlegend. Jedes Experiment basiert darauf, die Anfangsbedingungen reproduzierbar und die Randbedingungen konstant zu halten und eine kontrollierbare Änderung vorzunehmen, deren Auswirkungen dann untersucht werden. Diese Änderung wird zur Ursache der Wirkung erklärt.

Genau dieses Kausalitätsverständnis liegt auch Lorenz’ Überlegungen zugrunde. Dass die Schlussfolgerung des namenlosen Meteorologen zum Paradoxon wird, liegt daran, dass dieses Konzept von Kausalität eben bei nicht-kontrollierbaren Systemen wie der Atmosphäre nicht funktioniert.

Kommen wir noch einmal zu Lorenz zurück, der ja Meteorologe war und sich deshalb dieser Schwierigkeiten wahrscheinlich doch bewusst war. Nicht umsonst schreibt er eben nicht, dass der Flügelschlag einen Orkan auslöst, sondern dass er zu einem ganz anderen Wetterzustand führt. Wir könnten sagen, dass die Entstehung eines Orkans mit oder ohne Flügelschlag ziemlich gleichwahrscheinlich ist, aber der genaue Zeitpunkt der Entstehung und die genaue Zugbahn des Orkans hängen von der Möwe ab (und nicht nur von der einen, darauf verweist Lorenz auch, sondern von den Flügelschlägen und den Positionen aller Möwen.

Der Kausalitätsbegriff der hier verwendet werden muss, muss also immer alle Anfangsbedingungen und alle Randbedingungen aufführen. Sie alle zusammen führen zu einem bestimmten Effekt. Das stimmt natürlich auch für die Experimente im Labor, welche allerdings Randbedingungungen konstant halten und Anfangsbedingungen kontrollierbar lassen (und Möwen wie Schmetterlinge aussperren). Das kann zu der falschen Redeweise führen dass es das ist, was da gerade geändert wird, das den Effekt hervorruft.

Danksagung

Wer bis hierher gefolgt ist, der fand diese Überlegungen vielleicht ebenso interessant wie ich selbst, als ich gestern Abend die alten Sonderdrucke der Lorenz-Artikel aus Stapel der Literatur zu meiner Diplomarbeit von 1989 herausgesucht habe. Mir zeigt das, dass auch die absurdeste und ärgerlichste Diskussion eine Anregung zu philosophischen Gedanken sein kann, dafür geht mein Dank an die Kommentatoren vom gestrigen Tag bei Jörg Rings.

[1] Hilborn, R. (2004). Sea gulls, butterflies, and grasshoppers: A brief history of the butterfly effect in nonlinear dynamics American Journal of Physics, 72 (4) DOI: 10.1119/1.1636492

[2] LORENZ, E. (1969). The predictability of a flow which possesses many scales of motion Tellus, 21 (3), 289-307 DOI: 10.1111/j.2153-3490.1969.tb00444.x

Kommentare (54)

  1. #1 Wb
    April 21, 2010

    Da allerdings nicht einmal Schallwellen in dieser Zeit, sei diese Schlussfolgerung kaum zu akzeptieren, vielmehr müsse man nach den Modelleigenschaften suchen die es für dieses spezielle Problem ungeeignet machen.

    Hier darf der Meister vllt noch mal ran.
    Das Wesen der Kausalität darf zudem auch erläutert werden.

    MFG
    Wb

  2. #2 Jörg Friedrich
    April 21, 2010

    Danke für den Hinweis, ich habe den Satz ergänzt.

    Das “Wesen der Kausalität” zu erläutern, hieße, bei Aristoteles zu beginnen und die Geschichte der abendländischen Philosophie zu schreiben…

    Der hier verwendete Kausalitätsbegriff ist der, bei dem von einer Ursache auf eine Wirkung geschlossen wird. Das, was als verursachendes Ereignis (der Flügelschlag) angesehen wird, bewirkt (kausal) den Effekt (das, was bewirkt wird, in unserem Fall der Zustand des Wettersystems).

    Schon Aristoteles unterschied von diesem Kausalitätsbegriff (causa efficiens) drei weitere: causa materialis (Stoffursache), causa formalis (Formursache) und causa finalis (Zweckursache). Heidegger hat (zu Recht) beklagt, dass die moderne Naturwissenschaft sich auf die causa efficiens beschränkt. Aber das ist eine andere Geschichte, die soll ein andermal erzählt werden (würde Michael Ende jetzt sagen)

  3. #3 Wb
    April 21, 2010

    Ist denn die Sicht, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Südamerika ungute Wetterlagen in Mexiko verursacht [1] oder verursachen kann, zwei leicht abweichende Systeme vorausgesetzt [2] [3] wirklich falsch, und wenn ja, in welchem Kausalitätsverständnis genau und warum?

    MFG
    Wb

    [1] “kleine Ursache, große Wirkung”
    [2] in System B flattert der Schmetterling einen Flügelschlag weniger, bevor er sich setzt
    [3] rein “kausal” – referenziert wird hier die Sichtweise von Mme X im unguten (ehemals konkurrierenden) Kommentarbeitragsstrang

  4. #4 Sven Türpe
    April 21, 2010

    Das “Wesen der Kausalität” zu erläutern, hieße, bei Aristoteles zu beginnen und die Geschichte der abendländischen Philosophie zu schreiben…

    Für den Anfang und den Hausgebrauch tut es vielleicht auch Steven Pinker, der das Thema in The Stuff of Thought nur streift, das aber gründlich genug, um zum Denken anzuregen. Unter anderem erzählt er die Geschichte von James A. Garfield, der einem Attentat zum Opfer fiel. Dazu trug aber nicht nur die Verletzung durch die Kugel bei, sondern auch die schmutzigen Finger seiner Ärzte — unmittelbare Todesursache war eine Infektion –, was die Frage aufwirft, wer ihn denn nun eigentlich umgebracht habe.

  5. #5 Jörg Friedrich
    April 21, 2010

    Das Beispiel des Attentats ist zumindest gut dafür, zwei der viel Kausalitäts-Begriffe zu verstehen.

    Die Frage nach der Kausalität ist die Warum-Frage: Warum starb Herr G?

    Alle die Gründe, die Sven Türpe aufführt, gehören zur Causa efficiens: Sie erklären, was den Tod sozusagen physisch (biologisch, chemisch, physikalisch) verursacht hat. Solche Gründe lässt die Naturwissenschaft gelten – allerdings konzentriert sich jede Disziplin auf einen einzelnen Aspekt.

    Die Frage kann aber auch anders beantwortet werden: Herr G. hatte jemanden geärgert, möglicherweise hatte er einen philosophischen Blogbeitrag verfasst und jemand wollte verhindern, dass er das erneut tut. Das ist die Causa finalis, die Zweck-Ursache. Solche Ursachen behandelt die Naturwissenschaft normalerweise nicht.

  6. #6 Sven Türpe
    April 21, 2010

    Ist denn die Sicht, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Südamerika ungute Wetterlagen in Mexiko verursacht [1] oder verursachen kann, zwei leicht abweichende Systeme vorausgesetzt [2] [3] wirklich falsch, und wenn ja, in welchem Kausalitätsverständnis genau und warum?

    Können wir eine Kausalkette skizzieren, die vom Flügelschlag zum Wetter — bzw. von verschiedenen Flügelschlägen zu verschiegenen Wetterlagen oder -ereignissen — führt? Oder ist das Thema gerade vielleicht gerade wegen des mystischen Zwischengliedes so beliebt, dem wir unterstellen, die Kausalbeziehung auf eine uns selbst nicht bekannte, unerklärliche Weise herzustellen?

  7. #7 Jörg Friedrich
    April 21, 2010

    Die Kausalkette vom Flügelschlag zu den zwei ganz verschiedenen Wetterlagen lässt sich in der Tat skizzieren: Der Flügelschlag führt zu einer geringen Veränderung der Anfangsbedingungen welche aufgrund der Nichtlinearität der Dynamik des Systems zu völlig unterschiedlichen Zuständen führt (Gesetzt den Fall, das System befindet sich gerade in einem Berech, in dem die Nichtlinearität zu nicht-quasi-periodischem Verhalten führt)

    Das klingt jetzt alles vielleicht etwas abstrakt, kann aber für die Atmosphäre angenommen werden. Trotzdem ist die Redeweise von dem Flügelschlag, der diesen ganz anderen Wetterzustand verursacht hat, falsch, weil es eben nicht nur der eine Flügelschlag ist, sondern alle Flügelschläge aller Möwen, Schmetterlinge, Kormorane,… zusammen, dazu alle Schwankungen aller Grashalme, alle Vulkaneruptionen, alle Sonnenflecken-Änderungen usw usf die den Wetterzustand verursachen – und wenn man sich das überlegt, dann kann man den einen Flügelschlag der einen Möwe wohl kaum noch als “Ursache” bezeichnen.

  8. #8 Wb
    April 21, 2010

    In diesem Fall wäre auch ein Torschuss Gerd Müllers nicht kausal auf den Schuss zurückzuführen, sondern auf eine Kausalitätsmenge, die der “Gerd Müller” der Scienceblogs, dann eben als umgangssprachlich falsch zu erkennen wüsste.
    Nichts dagegen einzuwenden, nur man kann sich halt an dieser Sichtweise kurz festhalten, um das Wesen der Kausalität als letztlich unbestimmt und beobachterabhängig zu erkennen. Wenn man denn will. 🙂

    “Ursache” heisst übrigens “Ur-Sache” oder ursprüngliche Sache. Man will weg von der Ursache, gell. 🙂

    MFG
    Wb

  9. #9 Michael
    April 21, 2010

    Wenn es um das “Wesen” von Kausalität geht muss man nicht zwingend bei Aristoteles anfangen und die Geschichte der abendländischen Philosophie schreiben, da diese bis Hume und dann der Philosophie des 20. Jahrhundert meist von (vom heutigen Standpunkt) in ihren Theorien über Kauslität (bzw. Kausation) von sehr fragwürdiger Metaphysik getragen wurde.

    Ich würde sagen man sollte sich ausführlich mit Wesley C. Salmons “Causality and Explanation”, sowie James Woodwards “Making Things Happen – A Theory of Causal Explanation” auseinandersetzen…. dann ist man relativ auf dem neuesten Stand.

  10. #10 Jörg Friedrich
    April 21, 2010

    @Michael: Wenn Sie mit Salmons und Woodwards anfangen, sind Sie zwar (zumindest hinsichtlich der angelsächsisch orientierten Philosophie) “auf dem neuesten Stand”, aber sie entscheiden sich gerade zu der Einschränkung, die ich angedeutet habe: Sie reden von Beginn an nur noch über die causa efficiens. Natürlich können Sie alles andere als “fragwürdige Metaphysik” abtun, aber ob Sie dann das Wesen der Kausalität verstehen, möchte ich bezweifeln.

  11. #11 Wb
    April 21, 2010

    Kausalität entsteht, wie jede andere Theorie auch, erst beim Beobachter, erst der Beobachter kann das Wesen der Kauslaität feststellen, auf Meta-Ebene kann über den Beobachter dementsprechend festgestellt werden.
    Das gilt auch für Michael.

    Ansonsten, in vollständig verstandenen und betriebenen Systemen, ist der Betreiber so zu sagen die Kausalität.

    MFG
    Wb

  12. #12 Michael
    April 21, 2010

    @Jörg Friedrich: Nun ja, Zweckursache gibt es nur bei Intentionalität, und da wir von Kausalität sprechen, wenn sich etwas in der Welt ändert, muss eine Intention auch durch irgendwelche materiellen Abläufe umgesetzt werden, womit wir wieder bei causa efficiens wären. Ich würde Handlungsgründe (Zwecksetzungen) nur in deren neurophysiologischer Realisierung als partielle Ursachen sehen, und als solche fallen sie ebenso unter “efficient causation”.
    Bei Stoff- und Formursache hingegen würde ich fragen, was damit gemeint sei: Entweder sind physische Eigenschaften von Dingen oder System gemeint, in welchem Fall ich sagen würde dass dieses durchaus zum modernen Kausalitätsbegriff gehört (der somit mehr umfasst als eben ausschließlich ‘causa efficiens’) – oder, wenn damit etwas anderes gemeint sein sollte, würde ich tatsächlich fragwürdige Metaphysik annehmen.

  13. #13 Jörg Friedrich
    April 21, 2010

    @Michael: Ich werde die ganze Materie gern noch einmal genauer aufarbeiten, für den hier dargestellten Sachverhalt genügt ja die causa efficiens vollkommen. Allerdings deuten gerade neuere Arbeiten darauf hin, dass man in der Naturwissenschaft, vor allem in der theoretischen Physik eher von der causa efficiens abgeht und sich einem Kausalitätsbegriff zuwendet, der der guten alten causa materialis entspricht. Aber wie gesagt, das lässt sich nicht in wenigen Worten skizzieren.

  14. #14 Andreas
    April 21, 2010

    C-x M-c M-butterfly

  15. #15 krabat slalom
    April 21, 2010

    Entschuldigung, aber der Flügelschlag des Schmetterlings, ist doch nur die “wissentschaftliche” Fassung der alten Bauernregel

    Kräht der Hahn auf dem Mist – ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.

    Als hübsche Parabel dafür, daß es in “chaotischen” Systemen keine eindeutigen Kausalketten gibt, eignet sich dies Bild, nicht mehr und nicht weniger. Eine kleine Umstellung mag dies verdeutlichen:

    Vor jedem Sturm schlägt mindestens ein Schmetterling mit dem Flügel.

    Was für ein erhellender Satz, aber das ist noch ausbaufähig, etwa

    Vor jedem Weltuntergang schwätzt mindestens ein Philosoph.

    womit der absolute Gipfel der Pseudoerkenntnis erreicht wäre.

    Wissenschaft fragt schlicht und ergreifend nicht nach Ursachen und schon gar nicht nach Gründen. Sie fragt lediglich WIE kann man dies oder jenes ERKLÄREN? oder WIE kann man dies oder jenes machen? Das Fragewörtchen WARUM wird hier immer nur in der Bedeutung von WIE verwendet.

    dummes Beispiel:

    Was ist die Ursache der Existenz von Wasserhähnen? Das Wasser? Das Material aus dem der Wasserhahn besteht? Die Fabrik oder die Technologie, mit der der Wasserhahn hergestellt wird? Die Konstruktionszeichnung? Quantenmechanische Effekte? Das Higgs (sic!)-Boson? Ein Schwarzes Loch? Oder doch ehr ein (menschliches) Wollen?

    Dem Philosophen sei gesagt: Frag weiter WARUM, vor allem im Sinne der Causa finalis, da mag sich dann manches erhellen – wer anklopft, dem wird aufgetan.

    zu guter letzt etwas aus meinem Menschenbuch:

    Frau DIE WISSENSCHAFT ist die jüngere Schwester des Herrn DER BEUTEZUG, ihr geht es genau wie ihm um Eroberung, Beherrschung, handfesten Mehrwert, Beute …
    Frau DIE WISSENSCHAFT wird in ihrem Fußvolk keinen dulden, der ihre Herrschaft bezweifelt! Wenn du aber Zweifel hast, dann horche genau, sie redet Drachenrede: ich will – erobern – beherrschen – eindringen – besiegen – ausrotten – feststellen – bezwingen …
    „Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm und redete wie ein Drache.“
    Der Herr DER BEUTEZUG spricht zu seinen Kindern: Wartet ich hole was ihr wollt, nur füttern müsst ihr mich mit euren besten Jungmännern und dann – was kümmern mich dabei kolaterale Tote …
    die Frau DIE WISSENSCHAFT spricht zu ihren Kindern: Wartet ich schaffe euch das Heil und alles was ihr wünscht, übermorgen werde ich die Welt vollkommen gemacht haben – was kümmert mich wenn sie dabei zugrunde geht.
    Glaubt mir nur
    Glaubt nur mir!

  16. #16 Wb
    April 22, 2010

    Anscheinend benötigt man heutzutage eine sehr gute Ausbildung im philosophischen Bereich um zum Thema Kausalität an Hand dieses Beispiels Stellung nehmen zu können. 🙁

    Der Wb merkt dennoch gerne noch an:
    1.) Es bietet sich an Systeme als bestimmt (Determinismus) oder unbestimmt zu verstehen.

    2.) Die Kausalität entsteht beim Systemteilnehmer (System muss nicht streng bestimmt sein), sofern der dazu fähig ist diese festzustellen.

    3.) Kausal heisst sachlich, im übertragenden Sinne abhängig, dabei mehr als eine Sache meinend (also keine Selbstabhängigkeit :); eine Abhängigkeit in dem physikalischen System wird immer (in gewissem Sinne) willkürlich festgestellt.

    4.) Nichts spricht in diesem Sinne dagegen den Schmetterlingseffekt so zu verstehen, wie man es anscheinend nicht soll. 🙂

    5.) Von Interesse hier vielleicht auch die Interpretation der statistischen Signifikanz im Sinne einer Kausalität.

    6.) Ebenso das hier – die deutschsprachige Wikipedia schreibt hier recht pointiert “Die schließende Person begeht dabei zum einen den Fehler, ohne genauere Prüfung einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen zu unterstellen.” – wobei es die “genaue Prüfung” natürlich gar nicht gibt, sozial gilt meist, dass immer der andere ungenau prüft.

    MFG
    Wb

  17. #17 Karl Mistelberger
    April 22, 2010

    Ein Meteorologe bemerkte dass wenn diese Theorie korrekt wäre ein einziger Flügelschlag einer Seemöwe die Entwicklung des Wetters für immer verändern würde. Die Kontroverse ist noch nicht entschieden, aber die neuesten Belege sprechen für die Seemöwen.

    Nicht alle meinen, dass die Theorie korrekt ist: L’effet papillon n’existe plus!

    https://interstices.info/jcms/c_19155/leffet-papillon-nexiste-plus

  18. #18 adenosine
    April 22, 2010

    Na ja, ein Flügelschlag ist ja schon ein ziemlich großes Kaliber. Man könnte auch einen Atombombenzünder in NewYork an einen echten Zufallsgenerator anschließen, z.B. radioaktiver Zerfall eines Einzelatoms, um zu demonstrieren, dass die Zukunft echt chaotisch und nicht vorhersagbar ist. Das Chaos ist eine Systemeigenschaft und keine Ursache.

  19. #19 Wb
    April 22, 2010

    Es gibt wohl zwei Arten von “Chaos”, das eine ist das Chaos, die zumindest teilweise Nichtdeterminiertheit, als Systemeigenschaft, das andere (aus metaphorischer Sicht) die praktische Nichtvorhersehbarkeit von Systemereignissen aus Gründen sehr grosser Komplexität.

    Der Schmetterlingseffekt bearbeitet (bisher 🙂 den zweiten Fall.
    Kausalität wird dann eben auf Seiten des Systemteilnehmers oder Systembeobachters bedarfsweise festgestellt.

    Beim Feststellen derselben gibt es eine Art personen- oder gruppengebundene Kausalitätserkennungsstärke, wobei der praktische Nutzen von Theorien/Modellen, die hierfür erforderlich sind, eben unterschiedlich ausfällt.

    Dem Wb gefällt die Sicht, dass der Mehr- oder Wenigerflügelschlag in Südamerika eines Schmetterlings tatsächlich eine schwierige Wetterlage an der Südküste Nordamerikas auslösen kann.

    MFG
    Wb

    PS: Der Konjunktiv bzw. dessen häufige Verwendung bringt übrigens sozial Pech.

  20. #20 Physiker
    April 22, 2010

    Der Blog-Beiträg enthält nur physikalisch-mathematischen Schrott:

    -> “Wir können aus dieser Studie ebenfalls gut schließen, dass ein Flügelschlag einer Seemöwe das Verhalten aller Cumuluswolken innerhalb einer Stunde ändern kann. ”
    Wo bitteschön soll Lorenz so einen Blödsinn geschrieben haben? Oder hat der Autor da vielleicht bei der Übersetzung größzügig die eine Cumuluswolke durch alle Cumuluswolken auf der ganzen Welt ersetzt, und schreibt dann im restlichen Artikel gegen einen Strohmann an?

    -> “[…] liegt daran, dass dieses Konzept von Kausalität eben bei nicht-kontrollierbaren Systemen wie der Atmosphäre nicht funktioniert.”
    Blödsinn, warum bitteschön soll es in unserer Atmosphäre nicht-Kausal zugehen? Schon mal was von dem Begriff “Deterministisches Chaos” gehört (unter den dieser Schmetterlings-Effekt fällt)? Ist etwa deterministisches Verhalten nicht-Kausal? In welchem Semester haben Sie eigentlich Ihr Physik-Studium abgebrochen?

    Wenn (ungebildete) Kreationisten die Evolutionstheorie widerlegen wollen ist das eine Sache, wenn aber ein Diplom-Meteorologe/Physiker auf billige Schein-Argumente von Klimaskeptikern hereinfällt, nur um damit gegen das Fundament aller Naturwissenschaften zu wettern, dann bleiben mir nur noch Kassandra-Rufe nach mehr Bildung.

    Es bleibt mir sowieso ein Rätsel, wie dämlich man sein muss, um nicht alle Einwände gegen den “Schmetterlingseffekt” als das zu entlarven, was sie sind … nämlich rhetorisch-semantische Strohmann-Attacken – warum stört sich z.B. niemand an folgende ebenfalls blumige Begriffe:
    -> Urknall, Schwarzes Loch, Schmetterlings-Diagramm
    -> Quanten-Zeno-Effekt, Pinguin-Diagramm
    -> Maxwellscher Dämon, …

  21. #21 Wb
    April 22, 2010

    @Physiker
    1.) Könnte eine Fehlzitation (“Cumuluswolke(n)”) gewesen sein.
    2.) Wir unterscheiden bitte zwischen Kausalität und Determiniertheit.
    3.) Ad Personam nicht gu-ut.
    4.) Verständigkeit und dementsprechendes Bemühen um differenzierte Einordnung, damit auch ins Philosophische gehend, muss nicht schlecht sein.
    5.) Welche “Einwände”, die es zu “entlarven” gilt, sehen Sie beim Schmetterlingseffekt genau, gerne dbzgl. erläutern.

    MFG
    Wb

  22. #22 Jörg Friedrich
    April 22, 2010

    @Physiker: Bevor Sie – sagen wir es vorsichtig – unsachlich werden, sollten Sie dem Link folgen, auf die letzte Seite scrollen und in der linken Spalte das Original nachlesen. Und falls Sie wirklich das sind, was Sie mit Ihrem Avatar-Namen vorgeben zu sein, dann bitte ich Sie, sich an die Lösungen von Wärmeleitungsgleichungen zu erinnern, Sie werden sich dann möglicherweise daran erinnern, dass in diesen eine unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeit enthalten ist. Und solche Gleichungen kommen in Modellen der Atmosphäre (Überraschung!) doch tatsächlich vor. Das meint Lorenz auch mit den Eigenschaften des Modells, die diesen Effekt hervorrufen.

    Vor diesem Hintergrund – Herr Physiker – erspare ich mir eine weitere Diskussion Ihres “Kommentars”.

  23. #23 Physiker
    April 22, 2010

    @ Wb:
    Dass Sie keine Ahnung vom physikalischen Kausalitäts-Begriff haben (und trotzdem ohne Grundlage “rumphilosophieren” – und auch noch meinen, es handelt sich dabei um “Philosophie”), wird Ihnen jeder nachsehen. Von jemandem, der angeblich Physik studiert hat, erwarte ich mehr.

    Tipps/Antworten:
    1.) Bevor Sie Ihren Senf dazugeben, lesen Sie doch erst einmal (zumindest teilweise) den/die verlinkten Artikel – sowohl Sie als auch der Autor des Blogs haben das offensichtlich nicht getan.
    2.) Informieren Sie sich über die Bedeutung von Kausalität und Determiniertheit im entsprechenden Kontext.
    3.) Der Autor hat keinen Abschluss in Physik. Das ist kein “ad personam” sondern eine Tatsache. Dazu hätte ein Blick in die Linke Spalte gereicht… oder die haarsträubenden Aussagen zur Kausalität.
    4.) Wenn das “Philosophie” sein soll, dann arbeiten die Kreationisten naturwissenschaftlich.
    5.) Alle. Präsentieren Sie doch bitte einen Einwand gegen den Schmetterlingseffekt der nicht die wortwörtliche Interpretation zum Anstoß nimmt.

  24. #24 Jörg Friedrich
    April 22, 2010

    @Physiker: Wir erwarten von Ihnen nunmehr mit Spannung eine Übersetzung der Passage des oben bereits verlinkten Artikels von Lorenz von 1969 letzte Seite, linke Spalte, beginnen mit “In an earlier paper dealing with…” und endend mit “inapplicable to this particular problem.” Vielen Dank.

  25. #25 Wb
    April 22, 2010

    Wir können aus dieser Studie ebenfalls gut schließen, dass ein Flügelschlag einer Seemöwe das Verhalten aller Cumuluswolken innerhalb einer Stunde ändern kann.

    Es steht da:
    “Before accepting this concluision, we should observe that we could equally well conclude deom this study that one flap of a sea gull’s wings would alter the behavior of all cumulus clouds within about one hour.”
    Da sind Übersetzungsungenauigkeiten, der Folgesatz des Blogartikel “Lorenz wäre hier allerdings auch aus einem anderen Grund zu widersprechen.” bleibt zudem unklar, da Lorenz ja selbst die Einordnung vorgenommen hat.
    Eine gewisse Uminterpretation könnte also schon vorgelegen haben, der Artikel könnte hier ein wenig missverständlich gewesen sein.

    MFG
    Wb

  26. #26 Physiker
    April 22, 2010

    @ Jörg Friedrich:
    Abgesehen von der Physik ist Ihr obiger Artikel also auch noch schlecht/missverständlich geschrieben, denn
    [a) kann man Lorenz sehrwohl als Mathematiker bezeichnen,]
    b) es müsste der Konjunktiv in der Übersetzung verwendet werden (“we could equally well conclude…”)
    c) meint der unbedarfte Leser, dass
    i) Lorenz an “allem” (woran eigentlich?) Schuld gewesen sei (-> 1. Satz)
    ii) Lorenz zu widersprechen wäre (“Lorenz wäre hier allerdings auch aus einem anderen Grund zu widersprechen.”), obwohl der Gedankengang von Lorenz selbst stammt und es sich so liest als ob es Ihr Einwand gewesen wäre.
    d) Sie verschweigen die simple Antwort die Lorenz auf Ihr “Paradoxon” gibt, nämlich die, dass sein Modell zu simpel ist.

    Mit der Wärmeleitungsgleichung hat das gar nichts zu tun. Wenn Sie Probleme mit einer unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeit in einer diskretisierten Wärmeleitungsgleichung haben, dann haben Sie wohl die CFL-Bedingung verletzt. Die endliche Schallgeschwindigkeit dürfte wohl erst bei der Simaulation einer Atombombe von Relevanz sein …

  27. #27 foster
    April 22, 2010

    Meine Güte, und alles, weil jemand bildhafte Sprache wörtlich nimmt. Demnächst wird dann der Schrödinger posthum der Tierquälerei bezichtigt.

  28. #28 BreitSide
    April 22, 2010

    @physiker: der WebPetz ist bekannt dafür, dass er überall Halbgegorenes in pseudokryptischen Wortverdruselei über uns vergießt.

    Und JF stellt gerne mal “steile Thesen” auf (schöner Begriff, den ich hier auf SB gefunden habe). Wenn er wenigstens sich dann einer echten Sachdiskussion stellen würde. So hat er hier schon mächtig Prügel eingesteckt. Man muss sowas anscheinend aushalten auf dem Weg nach Hollywood…

    Was mir am meisten aufgefallen ist (so ganz genau hatte ich jetzt keine Lust zum Durcharbeiten des Freds), ist das Missverständnis zwischen “Beeinflussung” und “Verursachung”.

    Wenn ich das richtig überrissen habe, ging es darum, dass der Weg eines Hurricans durch geringste Änderungen irgendeiner der Ausgangsvariablen so stark beeinflusst werden kann, dass wir mit unserem Ottonormalvorstellungsvermögen Schwierigkeiten haben, das nachzuvollziehen.

    Und nicht darum, einen Hurrican zu erzeugen. Maximal auszulösen. Wie die riesige Mohrrübe, die all die großen Tiere erst geschafft hatten, als die kleine Maus mit anpackte. Die darauf natürlich tierisch stolz war.

    Bei irgendeiner Cleversendung wurde auch mit einem normalen Dominostein über eine Handvoll größer werdende Steine ein tonnenschwerer Dominostein umgeworfen. Das ist zwar dann eine Kausalität, aber eine wie tausende von anderen.

    Sonst wird die Sache recht skurril, sodass Mütter von Verbrechern für die Geburt derselben verantwortlich gemacht werden.

  29. #29 BreitSide
    April 22, 2010

    Um zu zeigen, dass ja nicht alles schlecht war: dieser Abschnitt hat mir richtig gefallen:

    Wir könnten sagen, dass die Entstehung eines Orkans mit oder ohne Flügelschlag ziemlich gleichwahrscheinlich ist, aber der genaue Zeitpunkt der Entstehung und die genaue Zugbahn des Orkans hängen von der Möwe ab (und nicht nur von der einen, darauf verweist Lorenz auch, sondern von den Flügelschlägen und den Positionen aller Möwen.

    Und aller Schmetterlinge.
    Und aller Ameisen.
    Und aller Flagella(n)ten…

  30. #30 Physiker
    April 23, 2010

    /* Sarkasmus an */
    … und ich dachte, es gäbe nur einen ganz bestimmten Schmetterling in Mexiko, der Schuld an allen Orkanen ist. Und wenn dieser Schmetterling tot ist, dann gibt es keine Wirbelstürme mehr.
    /* Sarkasmus aus */

    Ich muss mich also nochmal korrigieren:
    Der Blog-Artikel vermittelt nicht nur eine unphysikalische Vorstellung von Kausalität, ist schlecht/missverständlich geschrieben, stellt einen Widerspruchsbeweis als “Paradoxon” hin, und fußt auch noch auf einen trivialen rhetorisch-semantischen Strohmann – oder gibt es tatsächlich Menschen die den Schmetterlingseffekt so verquer verstanden haben, wie im Sarkasmus-Bereich skizziert?
    Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen.

  31. #31 Jörg Friedrich
    April 23, 2010

    @Physiker: Ich denke, Sie hätten an anderen Stellen mehr Grund, sich zu korrigieren. So z.B. an der Stelle was es mit der unendlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit in Wärmeleitungsgleichungen auf sich hat. Aber das ist hier nicht das Thema.

    Sie können Lorenz gern auch als Mathematiker bezeichnen, aber er war nun einmal Professor für Meteorologie und er hat sein Leben Lang auf dem Gebiet der Meteorologie – insbesondere der Vorhersagbarkeit atmosphärischer Zustände – gearbeitet. Nun wundern Sie sich, dass mein Text mit dem Satz “Es ist die Schuld der Meteorologen” beginnt – ok, für jemanden, der dicke Sarkasmus-Hinweise in seine Kommentare einbaut ist es vielleicht schwer verständlich, dass Ironie auch ohne Zaunpfähle funktioniert. Ich bitte um Vergebung.

    Ansonsten kann ich Sie nur beglückwünschen zu Ihrer Sicherheit bezüglich des “physikalischen Kausalitätsbegriffs”. Viele Ihrer Kollegen sind da wesentlich unsicherer. Das Spektrum reicht von der Idee, den Kausalitäts-Gedanken ganz aus der Physik herauszulassen, über dispositive Kausalitätsbegriffe, bis zur Unterscheidung von schwacher und starker Kausalität. Vielleicht sollten Sie sich mit Ihren Gewissheiten über physikalische Kausalitätsbegriffe unter diesen Kollegen einen Namen machen.

  32. #32 Jörg Friedrich
    April 23, 2010

    @Alle: Ich gebe zu, dass die in diesem Text dargestellte Materie nicht für jeden spannend und mein Gedankengang nicht für jeden nachvollziehbar oder auch nur nachvollziehens-wert sein muss. Für diejenigen, die sich dennoch für mein Argument interessieren, möchte ich es noch einmal zusammenhängend darstellen:

    Der Schmetterlings-Effekt schildert ein scheinbares Paradoxon: eine kleine, niemals kontrollierbare Störung in den Anfangsbedingungen kann in einem System wie der Atmosphäre dazu führen, dass dieses nach einer gewissen – gar nicht so langen Zeit – völlig anders aussieht als es ohne diese kleine Störung ausgesehen hätte. Dort, wo ohne jenen Flügelschlag in der einen Version schönes Wetter ist, ist in der anderen Version ein Orkan.

    Ein Paradoxon ist das darum, weil wir nicht bereit sind, diese Wirkung des Flügelschlages zu akzeptieren.

    Lorenz hat mit seinen bahnbrechenden Untersuchungen in den 1960ern (denen viele weitere von ihm selbst und von anderen folgten) gezeigt, dass die Tatsache selbst aus einer Systemeigenschaft folgt, die sich mathematisch mit Hilfe nichtlinearer Gleichungen beschreiben lässt. In der Realität handelt es sich um Gase oder Flüssigkeiten, deren Dynamik von Wärmezufuhr angetrieben wird. Lorenz’ Modelle beschrieben sehr einfache Versionen solcher Systeme (z.B. einen Topf mit Wasser auf einer Heizplatte) – aber auch die Atmosphäre als Ganze ist so ein System. In den mathematischen Modellen dieser Systeme fand Lorenz nichtperiodisches Verhalten. (Wobei es sich um eine starke Form der Nichtperiodizität handelt. Auch Überlagerungen von periodischen Wellen können nicht-periodisch sein – das würde man aber immernoch quasi-periodisch nennen)

    Dieses Verhalten findet man natürlich auch in realen Systemen – man nennt es Turbulenz.

    In solchen Systemen passiert es nun also – jedenfalls in den mathematischen Modellen – dass eine kleine Störung in den Anfangsbedingungen dazu führt, dass sich das System völlig anders weiterentwickelt als ohne diese Störung.

    Schon diese Sprechweise in dem eben von mir aufgeschriebenen Satz führt dazu, dass man den Effekt als paradox empfindet. Der Satz enthält eine bestimmte Vorstellung von Ursache und Wirkung (also von Kausalität). In meinem Satz ist die kleine Störung die Ursache, die zur anderen Systementwicklung, der Wirkung, führt.

    Lorenz hatte 1969, darauf bezog sich mein Zitat, versucht, dieses Paradoxon noch den Eigenschaften seines Modells zuzuschreiben, da er die Schlussfolgerung in der Form, wie der namenlose Meteorologe sie ziehen wollte, selbst noch nicht akzeptierte. In seinen späteren Arbeiten zur Vorhersagbarkeit hat er das anders formuliert. Aber es sind nicht nur die Modelleigenschaften, deshalb schrieb ich, Lorenz sei auch aus einem anderen Grund zu widersprechen, die zum Paradoxon führen. Es ist die bestimmte, gewohnte Verwendung des Kausalitäts-Begriffes von Ursache und Wirkung, die ins Paradoxon führt.

    Ich hatte oben angedeutet, dass man dann eben alle Flügelschläge aller Möwen zusammen, dazu alle anderen gerade stattfindenden Ereignisse, als Ursachen des Orkans (oder dessen Ausbleibens) ansehen könnte. Mit so einem Kausalitätsbegriff wird man aber – das will ich sozusagen als Ausblick auf weitere Texte zu dem Thema schon einmal andeuten – auch nicht glücklich. Denn wir wissen ja, dass wir niemals alle diese Ereignisse kennen können – das Ergebnis wäre die Behauptung, dass man gar keine Orkane aus ihren Ursachen heraus vorhersagen könnte.

    Dann könnte man die Kausalität ganz über Bord werfen. Man könnte sagen, die Ursachen wollen wir gar nicht ergründen, es reicht, mathematischen Modelle zu entwickeln, die funktionieren. Wettervorhersage-Modelle, die mehr oder weniger gut die Entstehung und die Zugbahnen von Orkanen vorausberechnen, gibt es ja bereits und sie werden immer besser – Flügelschläge von Möwen kommen darin nicht vor.

    Es gibt aber noch mehr Möglichkeiten – doch das ist eine andere Geschichte, die soll ein andermal erzählt werden.

  33. #33 HOT 'N' COLD
    April 23, 2010

    Der Schmetterlings-Effekt schildert ein scheinbares Paradoxon: eine kleine, niemals kontrollierbare Störung in den Anfangsbedingungen kann in einem System wie der Atmosphäre dazu führen, dass dieses nach einer gewissen – gar nicht so langen Zeit – völlig anders aussieht als es ohne diese kleine Störung ausgesehen hätte. Dort, wo ohne jenen Flügelschlag in der einen Version schönes Wetter ist, ist in der anderen Version ein Orkan.

    Ein Paradoxon ist das darum, weil wir nicht bereit sind, diese Wirkung des Flügelschlages zu akzeptieren.

    Es wäre doch zu untersuchen ob dieser Schmetterlingseffekt, übrigens von einer Seemöve verursacht, überhaupt eine signifikante Wirkung auf das Wettergeschehen hat, das sich aus der Gesamtheit aller wirkenden Kräfte zusammensetzt. Welche Signatur haben geringfügige Störungen in der Summe – die ich als den Normalfall ansehe – in der Atmossphäre, die der Mensch nicht beeinflussen kann. Diese Frage ist doch nur deshalb erheblich, im Hinblick auf die Ergebnisse computergestützte Simulationen, ansonsten völlig belanglos, da nicht beeinflussbar und manipulierbar. Für mich ist auch die Frage nach den Anfangsbedingungen eine entscheidene, denn ist das Wettergeschehen nicht ein Fluss der Kräfte, wo ist dort der Anfang und das Ende. Wird man nicht schon daran scheitern, einen Anfang zu finden und zu definieren. Hat Wetter einen Anfang ? Hat Wetter ein Ende ? Ist Wetter nicht ein kontinuierlicher Fluss der Kräfte, mit mehr oder minder unterschiedlichen Charakter, den wir als Anfang und Ende wahrnehmen, das es aber in Wirklichkeit nicht hat.

    Mir zeigt das, dass auch die absurdeste und ärgerlichste Diskussion eine Anregung zu philosophischen Gedanken sein kann, dafür geht mein Dank an die Kommentatoren vom gestrigen Tag bei Jörg Rings.

    Das sollte aber nicht zu oft gemacht werden, sonst bekommt man noch ein Ringsyndrom.

  34. #34 Physiker
    April 23, 2010

    @ Jörg Friedrich:
    Wenn Sie in Ihrem Artikel die “starke Kausalität” meinen, dann sollten Sie auch diesen Fachausdruck verwenden. Stattdessen schreiben Sie – ganz explizit -, dass das naturwissenschaftliche Kausalitätskonzept nicht auf das Wettergeschehen anwendbar wäre. Das ist falsch. Auch deterministisches Chaos ist kausal (sogar die Quantenmechanik ist kausal). Nur Esoteriker glauben an nicht-kausale Zusammenhänge in unserer Welt.

  35. #35 Jörg Friedrich
    April 23, 2010

    Das, was ich explizit schreibe, kann man oben nachlesen. Dort steht etwas von einem “Kausalitätsverständnis” das in der experimentellen Naturwissenschaft grundlegend ist und welches bei der Betrachtung nicht kontrollierbarer Systeme nicht funktioniert. Dieses Kausalitätsverständnis hatte ich zuvor erläutert. Was war an dieser Erläuterung nicht zutreffend?

  36. #36 Physiker
    April 23, 2010

    Ihre Erläuterung war auf den physikalischen Kausalitätsbegriff so zutreffend, dass
    a) Ihre Ausflüchte auf andere Kausalitätsverständnisse an Ihren sprachlichen Fähigkeiten hat zweifeln lassen.
    b) Ihre Aussage (“dass dieses Konzept von Kausalität […] nicht funktioniert”) damit zwangsweise falsch ist. Denn genau dieses Konzept der Kausalität funktioniert immer und überall in unserer Welt.

    Tipp:
    Streichen Sie einfach diesen einen Satz und ändern Sie die von Wb (im letzten Beitrag) und von mir angeführten unklaren/falschen Formulierungen/Übersetzungen, und die gröbsten Missverständnisse sind beseitigt.

  37. #37 krabat slalom
    April 23, 2010

    „doch das ist eine andere Geschichte, die soll ein andermal erzählt werden“
    das klingt gut und vertraut in meinen Ohren. Geschichten sind allemal dichter am Leben als die beste Theorie. Dann mal los Philosoph! Heraklit wußte noch, daß der Mensch nur wesentlich ist, wo er Entscheidungen fällt und -wo er Geschichten erzählt.

  38. #38 Sven Türpe
    April 23, 2010

    Der Schmetterlings-Effekt schildert ein scheinbares Paradoxon: eine kleine, niemals kontrollierbare Störung in den Anfangsbedingungen kann in einem System wie der Atmosphäre dazu führen, dass dieses nach einer gewissen – gar nicht so langen Zeit – völlig anders aussieht als es ohne diese kleine Störung ausgesehen hätte.

    Vielleicht tun wir uns auch mit dem Wechsel zwischen makroskopischer und mikroskopischer Betrachtung schwer? Ein mikroskopisches völlig anders — eine andere Anordnung der Luftmoleküle — kann makroskopisch irrelevant sein und zahlreiche statistische Parameter unverändert lassen. Die mikroskopische Deutung der Flügelschlagwirkung würde meine Intuition auf der Stelle akzeptieren. Die Metapher vom ausgelösten Sturm für die verursachte Veränderung ist aber klar makroskopisch. Passt sie überhaupt?

  39. #39 Jörg Friedrich
    April 23, 2010

    Lieber Krabat Slalom

    ich muss dir sagen mir kommt auch manches vertraut in meinen Ohren. Schon dein erster Kommentar in meinem Blog klang vertraut, auch wenn die Briefe, aus denen dieser vertraute Ton nachklang, schon bald 20 Jahre alt sind. Bist du noch immer nicht beim Milch holen erschlagen worden?

    Treffen wir uns also wieder, du der Krabat, von dem du dir den Namen borgst, und ich der Müller mit der Trompete, und die weiße Taube sitzt noch immer nicht auf dem Dach?

  40. #40 Jörg Friedrich
    April 23, 2010

    @Sven Türpe:

    Die mikroskopische Struktur kann hier völlig vernachlässigt werden, der Schmetterlingseffekt ist ein rein makroskopischer Effekt.

    Und man kann auch – ohne dass man es praktisch messen kann – in einer Hurrican-Saison mit – sagen wir – einem halben Dutzend Hurricans sagen, dass da einer dabei ist, den es nicht gegeben hätte wenn eine bestimmte Möwe an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht mit den Flügeln geschlagen hätte. (Aber – könnte man hinzufügen – irgendwas ist ja immer).

  41. #41 BreitSide
    April 23, 2010

    …dass da einer dabei ist, den es nicht gegeben hätte wenn eine bestimmte Möwe an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht mit den Flügeln geschlagen hätte…

    Nö. Wenn die Energie für einen Hurrican da ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann er loslegt. Das kann der Möverling beeinflussen. Und den Weg. Aber eben nicht, dass er losschlägt.

    Das ist ähnlich wie beim Laub im Herbst. Wann es fällt und wohin, kann der Mövling beeinflussen, aber nicht, ob es fällt.

  42. #42 krabat slalom
    April 23, 2010

    was ist ein Name, sind nicht alle Namen geborgt – wir tragen sie eine Weile, dann geben wir sie wieder ab.
    Du trompetest hier laut und gewohnt schräg, der einäugige Bettler lacht über dein Lied, aber die Blinden schreien auf, weil es in ihren Ohren schmerzt. Ich aber sage, deinem Lied fehlt die Entschiedenheit. Ein bischen Wolf Reissenberg, ein bischen Jan Hus, das dreht sich immer im Kreise und findet sich selbst nicht. Erinnerst du dich an Rosenthal, den Duft des gebratenen Igels? Eine Frage und eine Antwort und nach einem Jahr viele neue Namen im Taufbuch. Das nenne ich Lebensschaft. Es gibt zu viele Vorsitzende, die der wilde Fortschritt reitet – da wünsche ich manchmal, die Herztabletten mögen alle gehn.
    wo der wind weht, wo das Wasser fließ
    gelebt und gestorben Bruder

  43. #43 Jörg Friedrich
    April 24, 2010

    Tja, Krabat und der Soldat oder Müller Kuschk haben aber seinerzeit nicht nur Kinder gezeugt und die anderen Äcker bestellt, sie haben auch das Bild der Maria vom Walde gesucht und an den Stamm der Linde gehängt, wo es noch heute hängt. Und der Müller hat für die Kapelle ein neues Bild gemalt.

    Die Entschiedenheit, die Du vermisst, hat mir doch schon immer gefehlt. “Du kannst nichts erschaffen, wenn nicht dich selbst.”

    Übrigens ist es mit Krabat wie mit dem Flügelschlag der Möwe: Bekanntlich wurde er in einem Dorf an dem Bach Satkula geboren: “Wie die Atlanten, so kennt auch das Meer den Bach nicht, aber es wäre ein anderes Meer, nähme es nicht auch das Wasser der Satkula auf.” (Krabat oder Die Verwandlung der Welt)

  44. #44 Sven Türpe
    April 24, 2010

    Und man kann auch – ohne dass man es praktisch messen kann – in einer Hurrican-Saison mit – sagen wir – einem halben Dutzend Hurricans sagen, dass da einer dabei ist, den es nicht gegeben hätte wenn eine bestimmte Möwe an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht mit den Flügeln geschlagen hätte.

    Wie kann ich ihn von jenem Hurrican unterscheiden, den es nur deshalb gibt, weil eine bestimmte Möwe an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit lieber vögeln wollte als mit den Flügeln zu schlagen? Welche Möven müssen wo mit den Flügeln schlagen, damit sich über Sibirien ein Hurrican entwickelt, der von dort nach Zypern zieht? Lösen unsere Schritte eigentlich Erdbeben aus? Mit anderen Worten, ist so ein Kausalitätsbegriff für irgend etwas anderes als philosophische Diskussionen zu gebrauchen?

    Und was genau bedeutet übrigens nicht gegeben? Mir fallen auf der Stelle unendlich viele Hurricans ein, die es nie gegeben hat, und ebensoviele, die es in Zukunft geben könnte, aber bis auf einzelne Ausnahmen ebenfalls nicht geben wird. Können wir unterscheiden, ob eine Möwe mit ihrem Flügelschlag einen dieser Hurricans verursacht oder lediglich einen auswählt (d.h. der nächste Hurrican kommt bestimmt, selbst wenn wir alle Möwen vergiften, wir wissen nur nicht, wann und wo und wie stark usw.)?

    (Aber – könnte man hinzufügen – irgendwas ist ja immer).

    Wozu brauchen wir dann die Möwe?

  45. #45 Jörg Friedrich
    April 24, 2010

    @Sven Türpe:
    Dieses Kausalitätsverständnis welches versucht, in den Unterschieden der Anfangsbedingungen eines Prozesses die Ursache für die unterschiedlichen Entwicklungen des Systems zu sehen, ist es ja gerade, was ich als problematisch darzustellen versuchte.

    Wozu brauchen wir dann die Möwe?

    Wir bräuchten sie, und alle anderen Möwen und Schmetterlinge, wenn wir tatsächlich (im obigen Sinne) nach den Ursachen des Sturms fragen würden. Wir können uns aber auch darauf beschränken, nach den ersten Anzeichen des Sturms zu suchen – dann “brauchen” wir die Möwe nicht.

  46. #46 krabat slalom
    April 24, 2010

    …ja das Bild der Jungfrau die die Hoffnung gebirt weil sie die Angst kennt… Und die Furcht immer noch nicht verscharrt unter der Linde und Reissenbergs Stiefel mächtig wie eh – willst du einen satten Bauch mußt du ihm dienen, er hat den Ast abgesägt, an den wir ihn hängen wollten… Und der Baum der noch immer keine Früchte trägt… die ihn giessen sind rar geworden – warum versuchst du Plastikfrüchte an ihn zu hängen? Die, wie ich, den fruchtlosen Baum lieben werden es dir nicht danken, und die ihn umhauen wollen erst recht nicht – sie lieben zwar Plastikfrüchte aber sie hassen den Baum. Hast du keine Hoffnung mehr? Nicht ob Herr Lorenz wissen kann, ob der Flügelschlag der Möwe einen Sturm auslöst, ist wesentlich, sondern, daß die Möwe mit den Flügeln schlägt, daß sie fliegt wo der Wind weht und das Wasser fließt…
    Die Möwe fragt nicht nach dem Sturm, wenn sie mit den Flügeln schlägt, entscheidet sie sich nicht für oder gegen einen Sturm, sie entscheidet sich für das Fliegen, für die Freiheit – mit oder ohne Sturm, der Sturm spielt da gar keine Rolle. Weil die Möwe Hoffnung hat fliegt sie und fragt keine Fragen der Toten.
    Erinnerst du dich an Ceballo: „Sein Gehirn war nicht eingerichtet, vom Menschen her oder auf den Menschen hin zu denken, sondern sich von Formel zu Formel vorwärts zu tasten, jede Formel wertfrei und zugleich – und das ist kein Paradoxon – der Wert, nach dem dieses Gehirn alles bewertet, was es einer Bewertung überhaupt für Wert erachtet.“ Den einen haben wir retten können aber zu viele drängen nach, vielleicht weil sie glauben, sie bekämen so ihre Augen zurück. Vielleicht auch nur um sich und ihren Kindern den Bauch satt zu machen, was immerhin ein Grund ist.
    Ich muß Smjala suchen und den fruchtlosen Baum wässern.
    Laß die Mathematiker sterben Philosoph, sie glauben immerhin in ihren Formeln Ewigkeit zu finden und der Glaube ist des Menschen Himmelreich – jedenfalls solange er kein anderes hat.
    Spiel Trompeter das Lied für die Frauen, die ihre Söhne mehr lieben als die Lobpreisungen der Schlachten.
    Eines Tages werden wir die Furcht verscharren, Trompeter, unter der Linde mit dem Bild der Jungfrau vom Walde, und du bläst ein Lied, ein Brautlied vielleicht…

    gelebt und gestorben Bruder
    wo der Wind weht, wo das Wasser fließ und die Möwe mit den Flügeln schlägt

  47. #47 BreitSide
    April 25, 2010

    @Jörg: schön, wenn sich Sandkastenfreunde wieder gefunden haben…:-)))

    @Sven: das Problem ist, dass wir in unserem beschränkten Hirn nur eine Handvoll Kausalitätssequenzen übersehen können.

    Ähnlich wie bei einem Schachspiel (bei Go lässt es sich besser erklären, aber das kennt ja kaum einer): mit jedem Zug mehr im Voraus wachsen die Möglichkeiten exponentiell. Und wenn Du Dir ein Schachspiel mit Millionen von Figuren und Millionen von Spielfeldern vorstellst (oder noch ein paar Größenordnungen mehr), dann ist ein einzelner Zug in der richtigen Größenordnung zum Gesamten wie der Möverlingflügel für den Hurrican.

    Also wie schon vorher gesagt: alles logisch und kausal, nur schlecht vorstellbar für unser “Apfelpflückerhirn”, wie ein guter Wissenschaftsvermittler mal sagte.

  48. #48 Wb
    April 25, 2010

    Man sollte E. N. Lorenz schon korrekt zitieren, wurde er falsch zitiert, so ist das richtig zu stellen – ansonsten spielt man (ganz schmerzfrei) in der Liga der anderen.

    Wb

  49. #49 Jörg Friedrich
    April 26, 2010

    Das Wort “could” ist nicht so eindeutig das deutsche “könnte” wie unser Schulenglisch uns träumen lässt. Ich empfehle auf die Schnelle mal einen Blick auf die Übersetzungsbeispiele bei leo.org. Im vorliegenden Fall wird die Einschränkung, die im “could” steckt, durch das von mir in indirekter Rede zitierte, klar. Was Lorenz wirklich geschrieben hat kann ja in dem Text, den ich verlinkt habe, nachgelesen werden.

    Von mir aus können Sie (könnten Sie) “could” auch mit “könnte” übersetzen. Was genau ändert sich dann an der Aussage von Lorenz?

  50. #50 Physiker
    April 26, 2010

    @ JF :
    Die Schlussfolgerung “Wir können aus dieser Studie ebenfalls gut schließen, […]” ist eben nicht möglich, wie Lorenz im Anschluss erklärt. Wenn man das nämlich aus dieser Arbeit schließen könnte, dann wäre sie offensichtlich falsch. Es handelt sich bei dieser Überlegung im weitesten Sinne (wie ich schon mehrfach geschrieben habe) um einen Widerspruchsbeweis, der die Grenzen der Theorie verdeutlicht (und um keine “Paradoxon”). Sie haben sich den Ausgangssatz dieses Widerspruchsbeweises herausgepickt und als Quintessenz der Arbeit verkauft. In Ihren nachfolgenden Sätzen gewinnt der Leser den Eindruck, dass Sie der Arbeit Lorenz’ widersprechen.

    Tipp:
    -> fügen Sie doch einfach im nachfolgenden Satz ein “laut Lorenz” ein und/oder
    -> ändern Sie den Satz “Lorenz wäre hier allerdings auch aus einem anderen Grund zu widersprechen.” in z.B. “Zusätzlich zu Lorenz’ Einwand …”

    Manchmal machen kleine Wörter einen großen Unterschied…

  51. #51 Wb
    April 26, 2010

    @JF
    Was genau ändert sich dann an der Aussage von Lorenz?
    Dass es vllt nicht mehr eine Aussage von Loernz ist, sondern eine von ihm Betrachtete?
    Aber was solls, gute Arbeit (im Grossen und Ganzen :-), MFG
    Wb

  52. #52 Sven Türpe
    April 26, 2010

    Breitside,

    Ähnlich wie bei einem Schachspiel (bei Go lässt es sich besser erklären, aber das kennt ja kaum einer): mit jedem Zug mehr im Voraus wachsen die Möglichkeiten exponentiell. Und wenn Du Dir ein Schachspiel mit Millionen von Figuren und Millionen von Spielfeldern vorstellst (oder noch ein paar Größenordnungen mehr), dann ist ein einzelner Zug in der richtigen Größenordnung zum Gesamten wie der Möverlingflügel für den Hurrican.

    Diese Analogie gefällt mir. Aber wie nützlich ist ein derartiger Kausalitätsbegriff, der im Grunde genommen nichts anderes sagt als dass die gesamte Vergangenheit kausal sei für die gesamte Zukunft? In diesem Sinne ist auch mein Abendessen heute kausal für meines Nachbarn Frühstück morgen. Üblicherweise gebrauchen wir den Begriff aber nicht so, sondern erwarten schon eine überschaubare Kette enger Zusammenhänge und bevorzugen Ereignisse und Handlungen als Ursachen gegenüber Nichtereignissen und Unterlassungen. Wenn beispielsweise die Zubereitung meines Abendessens ein Feuer auslöst, das meinen Nachbarn obdachlos macht und ihn am nächsten Morgen nach druchwachter Nacht wider seine Pläne und Gewohnheiten bei McDonalds frühstücken lässt, werden wir uns ohne lange Diskussion darauf einigen können, dass mein Abendessen eine Ursache dafür war. Esse ich hingegen abends auf Lanzarote Muscheln, während mein Nachbar am nächsten Morgen zu Hause wie jeden Tag zwei belegte Brötchen und ein gekochtes Ei verzehrt, erscheint uns die Vorstellung einer Kausalität grotesk. Oder zumindest denen unter uns, die auch Horoskope grotesk finden.

    Selbst wenn wir die Zahl der Möglichkeiten nicht überschauen können, um die Diskussion der zugrundeliegenden Wirkmechanismen kommen wir nicht herum. Um zum Schachspiel zurückzukehren, verursacht zum Beispiel der erste Zug von Weiß den Gegenzug von Schwarz? Gewiss ermöglicht er ihn, wenn man ihm Rahmen der üblichen Regeln spielt — aber er schränkt Schwarz in seiner Wahlmöglichkeit nicht ein. Kausalität oder nicht?

  53. #53 Wb
    April 26, 2010

    Spiele haben ihre eigene Realität, ihre eigene Welt, wenn man so will; die dort verwendeten mathematischen Modelle sind nicht ohne weiteres übertragbar, sie lehren eben nur über spielerische mathematische Modelle selbst.

    Unter “Verursachen” im Spiel kann man eine Spielerreaktion, einen “Zug” oder “Move” eines Spielers verstehen, der das zu erwartende Ergebnis negativ ändert [1]. Also bspw. aus einem möglichen Gewinn einen Verlust macht – sofern die Spiele Spiele vollständiger Information und ohne Zufallselement sind. Moves, die das Ergebnis verbssern, gibt es in diesen Spielen übrigens naturgemäss nicht; es gibt also keine “guten Züge”.

    Diese kleinen Spiele sind übrigens wesentlich komplexer als man zu denken geneigt ist, bspw. gibt es im Schach elementare Positionen (7-klötzig). die bei bestem Spiel beider Seiten nach mehr als 500 Zügen entschieden werden.

    Ein Exkurs in die Spieltheorie ist hier also kaum hilfreich.

    [1] geschieht so etwas, dann determiniert der Move den Misserfolg

  54. #54 BreitSide
    April 27, 2010

    Sven, wie alle Analogien hat natürlich auch diese ihre Hinkefüße. Die Kategorie “gut für” und “schlecht für” hatte ich noch gar nicht bedacht, sondern nur die Möglichkeiten, die aufgrund der Regeln (= Naturgesetze) offen stehen.

    Und obwohl durch die Regeln die Freiheiten für neue Züge radikal eingeschränkt werden, sind nach wenigen Zügen die die Möglichkeiten für uns unübersehbar.

    Das mit dem Frühstücksei, das wir gerne so und nicht anders hätten (und auch haben können), ist ja auch Ergebnis Jahrtausende alter Bemühungen unserer Altvorderen, die Zukunft nicht mehr chaotisch, sondern berechenbar zu gestalten.

    Dass der berühmte Sack Reis in China das Frühstück Deines Nachbarn kaum beeinflusst, ist ja schön einsichtig. Die “Kunst des Lebens” – oder des Planens – ist ja mE dann, das Ausmaß des Einflusses zu bestimmen, den eine Aktion A auf ein Ergebnis B hat.

    Wissenschaftliche Experimente versuchen, all die As zu kontrollieren bzw. auszuschalten. Und große Projekte (Weltraumfahrt) versuchen, den Einfluss der nichtkontrollierbaren As zu berechnen.

    Wie gesagt, unser Apfelpflückerhirn ist mit dieser unserer Welt gerne überfordert. Nicht nur in diesem Fall…