Auf der Titelseite meiner Regionalzeitung ist heute die Schlagzeile zu lesen: “Professor: Brasilien wird Weltmeister”. Ein gelungenes und typisches Beispiel der Wissenschaftskommunikation: Ein Professor der hiesigen Universität, so erfährt man, hat ausgerechnet, dass Brasilien die kommende Fußball-Weltmeisterschaft gewinnt. Wahrscheinlich. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 25%.
Der Mann ist ein ausgewiesener Experte. Nein, er ist nicht Professor für Sportwissenschaft mit der Spezialisierungsrichtung Fußball. Sein Gebiet ist die Physikalische Chemie, die natürlich beim Fußball auch wichtig ist. Abgesehen von der schlichten Tatsache, dass er eben Professor ist, an einer Universität, und das allein macht ihn ja bei expertenhungrigen Medien quasi zum Experten für alles, erhält er seinen Expertenstatus dadurch, dass er letztens schon mal eine richtige Prognose getroffen hat. Ein paar Spieltage vor Ende der Bundesliga-Saison konnte er schon sagen, wer Deutscher Meister wird. Ist echt wahr. Hat er ausgerechnet.
Wissenschaftler sind ja stolz darauf, dass sie überprüfbare Prognosen machen. Wenn sie keine falsifizierbaren Voraussagen für Ergebnisse machen, die empirisch getestet werden können, dann schweigen sie lieber. Wer Fußball-Weltmeister wird, das ist in der Tat eine Frage der Empirie in ihrer schönsten Form. Nehmen wir mal an, Brasilien wird’s. Das wird eine Freude für unseren Professor, für seine Uni und für die ganze Stadt, vor allem fürs Regionalblatt: „Professor hatte Recht!” Hatte er? Eigentlich hat er ja gerade das Gegenteil von dem vorausgesagt, was da in der Überschrift stand: Mit 75%iger Wahrscheinlichkeit wird irgendjemand anderes Weltmeister, nur nicht Brasilien, das ist die Prognose unseres begnadeten Experten. Wird also z.B. Deutschland Weltmeister (die Berechnung des Professors ergibt eine Chance von 6%) kann der Professor sagen: Genau meine Prognose! Brasilien ist’s nicht, hab ich doch gesagt.
Statistische Prognosen für Einzelereignisse sind sinnlos, es sei denn, die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines bestimmten Ereignisses ist sehr hoch. Hätte der Professor eine Sieg-Wahrscheinlichkeit von 98% für Brasilien ermittelt, wäre das eine Meldung wert gewesen. So aber werden wir natürlich nie erfahren, ob der Professor „Recht hatte” – die Weltmeisterschaft findet nur einmal statt und wird nicht – wie das Computerprogramm des Professors – 10.000 Mal wiederholt.
Karl Popper – der Wissenschaftsphilosoph auf den sich Wissenschaftler am liebsten berufen – hat einmal geschrieben, dass die Gewissheit einer Aussage sich dadurch abschätzen lässt indem man ermittelt, wie viel der Sprecher darauf zu wetten bereit ist. Würde der Professor eine Wette auf seine Prognose abschließen? Ich wette dagegen.
Übrigens: Deutschland wird Weltmeister. Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein. Das wussten wir doch schon vor 4 Jahren.
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