In Hamburg stand am Sonntag die Verlängerung der vierjährigen Grundschule zur sechsjährigen Primarschule zur Abstimmung. Auch wenn nur 21 % der Wahlberechtigten Hamburger gegen die Primarschule und für den Fortbestand der Grundschule in der heutigen Form stimmten, war die Ablehnung des “längeren gemeinsamen Lernens” relativ deutlich: 56% der Wähler stimmten für den Vorschlag der Bürgerinitiative “Wir wollen lernen!”
Bedenkt man, dass alle politischen Parteien von den Linken bis zur CDU am Schluss für die Primarschule geworben haben, wird vor allem eines deutlich: In der Bildungspolitik ist die Kluft zwischen politischer Klasse und Bevölkerung besonders groß.
Es liegt in der Natur solcher Abstimmungen, dass diejenigen, gegen die der Entscheid gerichtet war, den Wahlkabinen wohl fern geblieben sind. Das Interesse an politischer Beteiligung dürfte gerade bei denen geringer sein, von denen die Aktivisten ihre Kinder fern halten wollen.
Die Angst vor der Primarschule ist die Angst des Bürgertums vor der Unterschicht
Wovor hat die Mehrheit der Hamburger Bürger Angst? Die Tatsache, dass nach vier Schuljahren kaum bestimmt werden kann, welche weiterführende Schulform für ein Kind optimal ist, wird heute kaum noch bestritten. Diejenigen, die mit “Wir wollen lernen!” abgestimmt haben, meinen vor allem: Wir wollen eine möglichst frühe Trennung unserer Kinder von jenen, die nicht lernen wollen, von denen, neben denen unsere Töchter und Söhne nicht die gleiche Schulbank drücken sollten, weil sie sie vom Lernen abhalten, weil sie schlechter Umgang sind.
Die Abstimmung in Hamburg war vor allem eine Abstimmung für eine stärkere Spaltung der Gesellschaft, für eine Abgrenzung der Mittelschicht, die sich als fleißig und strebsam betrachtet, von einer Unterschicht, die als störend, gewalttätig und faul angesehen wird.
Das passt gut zusammen mit dem, was von der Schwarz-Grünen Koalition als geretteter Kern der Hamburger Schulreform angesehen wird: Die Trennung der weiterführenden Schulen in nunmehr nur noch zwei Schulformen: Die so genannte Stadtteilschule und das Gymnasium. Man darf raten, wohin diejenigen, die bei “Wir wollen lernen!” ihr Kreuzchen gemacht haben, ihre Kinder ab der fünften Klasse schicken.
Gute Bildung ist ein knappes Gut in Deutschland, und das bringt Verteilungskämpfe mit sich. Wenn Knappheit herrscht, dann zieht man Mauern und teilt nicht gern. Voraussetzung für die Akzeptanz eines längeren gemeinsamen Lernens wäre, dass die allgemeine Qualität der Bildungsangebote dramatisch steigt. Besser ausgebildete Lehrer an allen Schulen, die mit Unruhe, Faulheit und Störungen besser zurecht kommen, kleine Klassen, gute Ausstattung, weniger Unterrichtsausfall und ein gut durchdachter Lehrplan – das sind die Voraussetzungen dafür, dass Eltern, die sich um die Zukunft ihren Nachwuchs sorgen, bereit sind, ihre Kinder länger mit anderen Kindern aus allen Schichten zusammen lernen zu lassen.
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