In den ersten Teilen dieser Serie habe ich die Geschichte eines 75 Jahre alten Gedankenexperimentes nachgezeichnet, das zeigen sollte, dass mit der Quantenmechanik, wie sie von Bohr, Heisenberg und anderen formuliert worden war irgend etwas nicht stimmen konnte. Es musste nach diesem Gedankenexperiment “Elemente der Realität” geben, die die Quantenmechanik nicht beschrieb, obwohl sie Vorhersagen machte, die aus diesen „Elementen” folgten.
Zur Wiederholung: Beim Gedankenexperiment von Einstein, Podolsky und Rosen ging es um zwei Teilchen, die miteinander quantenmechanisch verschränkt sind. Trennt man diese soweit voneinander, dass sie nicht mehr miteinander wechselwirken können, und misst dann eine Eigenschaft bei dem einen Teilchen, von dem die Quantenmechanik eigentlich sagt, dass sie unbestimmt ist und erst durch die Messung festgelegt wird, so weiß man damit genau, wie die entsprechende Eigenschaft beim anderen Teilchen ist. Es ist, als ob man zwei Würfel auf zauberhafte Weise miteinander verbindet: Wirft man bei dem einen eine „Sechs” dann weiß man damit, dass auch der andere beim Würfeln eine „Sechs” zeigen wird.
Jedem ist klar: Entweder die Würfel sind miteinander verbunden und der eine sendet das Ergebnis des Wurfes an den anderen, oder das Ergebnis ist schon vorher festgelegt, ist im Würfel in einer verborgenen Eigenschaft schon gespeichert und der Wurf ist gar kein Zufall. So argumentierten auch Einstein, Podolsky und Rosen.
Bohm, der das Paradoxon umformulierte, damit man es besser testen konnte, und Bell, der sich den Test ausdachte, der durch seine Ungleichung definiert wurde, waren eigentlich auf der Seite der drei. So kann man sagen, dass die drei Zweifler schließlich von Aspect, der Bells Test nach Bohms Idee endlich ausführte, widerlegt worden sind, und dass Bohm und Bell sich selbst sozusagen des Irrtums überführt haben. So könnte die Geschichte von den Kopenhagenern erzählt werden: Letztlich war alles umsonst, es war richtig, sich um das EPR-Papier nicht zu kümmern, wir haben es schon immer gewusst, nicht der Rede wert.
Aber die Geschichte so enden zu lassen, und unsere fünf Helden als tragisch-komische Figuren am Rande der Quantenmechanik erscheinen zu lassen, wäre falsch, und das aus zwei Gründen.
Der eine ist ganz einfach: Ohne das EPR-Paradoxon hätte Bell seine Ungleichung nicht aufgestellt, und Aspect hätte ohne Bell und Bohm seine Experimente nicht gemacht. Das Besondere an dem, was in der Quantenmechanik Zufall genannt wird und was anders ist als bei allem Anderen was wir Zufall nennen, wäre vielleicht bis heute nicht ans Licht gekommen.
Diese neue, ganz andere Art von Zufall – auch wenn sie noch nicht verstanden ist – findet gerade in unseren Tagen erste technische Anwendungen: Beim Entwerfen und Testen von Verschlüsselungs-Algorithmen, die den Zufall ja benötigen, weil ein geheimer, privater Schlüssel auf gute Zufallszahlen angewiesen ist [1]. Wenn wir also in nicht allzu ferner Zukunft sichere Verschlüsselungsverfahren im Internet benutzen können, haben wir das letztlich den Zweiflern der Quantenmechanik zu verdanken.
Wie gesagt: Wir können diesen Zufall zwar bald technisch nutzen, verstanden ist er aber bis heute nicht. Es gibt jedoch Versuche, auch diesem Zufall auf die Schliche zu kommen, und der erste Versuch dieser Art kam von Bohm (eigentlich schon von deBroglie, der die gleiche Idee schon 20 Jahre vor Bohm hatte, der aber in der eindrucksvoll-lauten Debatte zwischen Einstein und Bohr nicht wahrgenommen wurde – aber das wäre eine neue Geschichte). Und das ist der zweite Grund, warum der Zweifel Einsteins und seiner Freunde nicht vergeblich war: Das EPR-Paradox ist der Stachel im Fleisch der Kopenhagener Version der Quantenmechanik und darüber hinaus jeder Physik, die damit zufrieden ist, über eine Mathematik zu verfügen, mit der Messergebnisse richtig vorhergesagt werden können. Einstein, Podolsky und Rosen verlangten mehr von einer Theorie, deshalb brachten sie das Wort „Realität” ins Spiel. Sie verlangten, dass eine Theorie nicht nur Messungen vorhersagen soll, sondern dass sie diese erklären soll, indem sie sie auf Naturgesetze zurückführt, die verstanden sind. Erst dann ist eine Theorie vollständig.
Warum ist das eigentlich so wichtig, warum machen sich einige Physiker Sorgen um den Realismus? Ich denke, das hat zwei Gründe: Zum einen ist es auch das Ziel der Physiker, den Laien die Phänomene zu erklären, gerade dann, wenn die Ergebnisse der Physik technisch genutzt werden. Ein bisschen erinnern die Kopenhagener ja an jene Schüler, die in den Mathematik- und Physikarbeiten zwar immer die Ergebnisse richtig ausrechnen können, aber das Prinzip, das dahintersteckt, nicht verstanden haben. man weiß: so was kann auch schief gehen: Sieht die Aufgabe mal ein bisschen anders aus oder kommt man beim Rechnen irgendwo durcheinander, dann wird das Ergebnis falsch und man merkt es vielleicht erst, wenn die rote Sechs unter der Klausur steht. Da ist das Vertrauen, neuen Herausforderungen gewachsen zu sein, dann nicht besonders groß.
Der andere Grund ist, dass man, wenn man nur noch auf die Mathematik vertraut, irgendwann den Überblick verliert: Hier noch eine Konstante dazu, dort noch einen Term in die Gleichung eingebaut – Hauptsache, die Rechenergebnisse stimmen mit den experimentellen Daten überein. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn das Proton plötzlich kleiner ist als bisher gedacht und wenn das Weltall schneller expandiert, als es nach der Theorie eigentlich „dürfte”. Wer kann da noch sicher sein, ob es sich um Messfehler oder Rechenfehler handelt oder ob man einfach noch eine Gleichung mehr oder weniger geschickt anpassen muss?
Das sind, meine ich, die Gründe, warum Physiker sich wieder an Einstein, Podolsky und Rosen erinnern, die vor 75 Jahren die Frage stellten „Kann die Quantenmechanik als vollständig angesehen werden?” Auch wenn die drei sich im Konkreten irrten, so waren sie wohl doch im recht, als sie diese Frage mit „Nein” beantworteten.
[1] Pironio S, Acín A, Massar S, de la Giroday AB, Matsukevich DN, Maunz P, Olmschenk S, Hayes D, Luo L, Manning TA, & Monroe C (2010). Random numbers certified by Bell’s theorem. Nature, 464 (7291), 1021-4 PMID: 20393558
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