Für den heutigen Teil meiner Folge (hier stehen Teil 1 und Teil 2) hatte ich eigentlich ein anderes Thema vorgesehen aber eine aktuelle Diskussion hat mich dazu bewogen, ein paar klärende Sätze zu John Bells berühmter Ungleichung zu sagen. Eine schöne Herleitung, zu der nicht mehr als Elementarmathematik benötigt wird, kann man sich bei Wikipedia ansehen. Dort wird aber der eigentliche Clou nicht ganz so schön deutlich. Diesen Clou habe ich persönlich in dem Buch „Quantum Non Locality and Relativity” von Tim Maudlin gut erklärt gefunden, und in einer nochmals abgewandelten Form will ich ihn hier darstellen.
Dabei gehe ich sozusagen anti-historisch vor. Geschichtlich war es ja so, dass Einstein, Podolsky und Rosen zunächst ihre Kritik an der Quantenmechanik dargestellt hatten, dann hat John Bell ein Kriterium gesucht, um eine Theorie, wie sie den dreien vorschwebte, von der Quantenmechanik in der Kopenhagener Deutung empirisch zu unterscheiden und zuletzt hat Alain Aspect das Experiment ausgeführt, welches diese Unterscheidung prüft.
Ich beginne stattdessen beim Experiment. Wir haben ein Gerät, das verschränkte Photonen produziert und in entgegengesetzter Richtung in die Welt schickt. In einigem Abstand postieren wir jeweils einen Polarisationsfilter und messen, ob die Photonen durchkommen oder nicht. Nachdem wir die Messergebnisse nebeneinander gelegt haben stellen wir folgendes fest:
1. Wenn die Polarisationsfilter die exakt gleiche Richtung messen, dann verhalten sich die beiden Photonen exakt gleich: Entweder beide werden durchgelassen (D) oder beide werden absorbiert (A).
2. Wenn der Winkel zwischen den beiden Filterrichtungen 30° beträgt, verhalten sich die Photonen in 75% der Fälle gleich.
3. Wenn der Winkel zwischen den beiden Filterrichtungen 60° beträgt, verhalten sich die Photonen in 25% der Fälle gleich.
Nun stellt sich der Physiker, der (in unserer anti-historischen Sicht) nichts von Quantenphysik weiß, die Frage, wie das Verhalten der Photonen bestimmt sein kann, damit dieses Ergebnis herauskommen kann. Er will das Experiment durch einen Zufallsgenerator nachbauen und überlegt sich folgendes:
Der Zufallsgenerator hat zwei Ausgabekanäle, an denen in jedem Versuch je eine von drei möglichen Fragen gestellt wird: 0? 30? 60? Der Generator muss sich so verhalten:
1. Wenn an beiden Ausgängen die gleiche Frage gestellt wird, muss immer die gleiche Antwort gegeben werden.
2. Wenn die Fragen um 30 voneinander abweichen, muss zu 75% die gleiche Antwort gegeben werden.
3. Wenn die Fragen um 60 voneinander abweicht, muss zu 25% die gleiche Antwort gegeben werden.
Ist es möglich, einen solchen Zufallsgenerator zu bauen? Für die Leser mit gefährlicher Mathe-Allergie: Die Antwort lautet: Nein! Bitte die nächsten Absätze überspringen und bei „Schlussfolgerungen” weiterlesen.
Für alle anderen: Versuchen wir es!
Wegen der ersten Bedingung müssen die Antwort-Möglichkeiten an beiden Ausgabestellen exakt gleich festgelegt sein. Wir versuchen also einen Zufallsgenerator zu bauen, der Antwortmöglichkeiten für die drei Fragen so verteilt dass auf lange Sicht die zweite und dritte Bedingung erfüllt sind. Die Antwortmöglichkeiten sind (D steht für „Durchlassen” und A für „Absorbieren”, der erste Buchstabe ist die Antwort auf die Frage 0? der zweite Buchstabe ist die Antwort auf die Frage 30? und der dritte Buchstabe ist die Antwort auf die Frage 60?)
a: DDD oder AAA
b: ADD oder DAA
c: AAD oder DDA
d: ADA oder DAD
Da uns nur interessiert, ob die beiden Antworten gleich sind oder unterschiedlich, können wir die beiden „spiegelbildlichen” Antworten jeweils zusammenfassen.
Mit welchen Wahrscheinlichkeiten müssen nun a, b, c, d ausgewählt werden, damit die obigen Bedingungen 2 und 3 erfüllt werden?
Wenn wir b oder c auswählen sorgen wir dafür, dass die um 60 abweichenden Fragen zu verschiedenen Ergebnissen führen, also müssen wir in 75% der Fälle eine dieser beiden Strategien auswählen. Es muss also gelten:
(1) b + c = 75%
Um 30 voneinander abweichend Fragen kann es auf zwei Wegen geben: Zum einen kann die eine Frage 0? und die andere 30? sein, zum anderen kann die eine Frage 30? und die andere 60? sein. Um eine Abweichung der Antworten voneinander in 25% dieser Fälle zu erreichen, muss also gelten
(2) b + d = 25%
da in diesen Fällen der Zufallsgenerator bei den Fragen 0? für den einen Ausgang und 30? beim anderen Ausgang ein unterschiedliches Ergebnis an beiden Ausgängen entsteht, und das muss in 25% der Fälle passieren sowie
(3) c + d = 25%
da in diesen Fällen der Zufallsgenerator bei den Fragen 30? für den einen Ausgang und 60? beim anderen Ausgang ein unterschiedliches Ergebnis an beiden Ausgängen entsteht, und das muss ebenfalls in 25% der Fälle passieren.
Außerdem gilt
(4) a + b + c + d =100%
da eine der vier Möglichkeiten garantiert gezogen werden muss.
So haben wir vier Gleichungen mit vier unbekannten und können für unseren Zufallsgenerator ausrechnen, wie oft er Plan a, b, c, oder d ziehen muss.
Das Dumme ist, dass wir für d den Wert -12,5% erhalten, eine negative Wahrscheinlichkeit, und das kriegt der beste Zufallsgenerator der Welt nicht hin.
Schlussfolgerungen
So, nachdem wir nun auch die Mathematik-Allergiker wieder dabei haben, ist es an der Zeit, der bitteren Wahrheit ins Gesicht zu sehen: Wir werden keinen Zufallsgenerator bauen können der die Photonen bei ihrer Verschränkung so konfiguriert, dass sie das tatsächlich gemessene Verhalten zeigen. Sie können also die Verhaltensregeln für die Messung nicht schon bei ihrer Erzeugung, wenn sie noch zusammen sind, eingebrannt bekommen haben. Bliebe nur noch, dass sie sich blitzschnell gegenseitig darüber „informieren” könnten, welche Messung beim jeweils anderen Photon vorgenommen wurde. Aspect hat seinen Versuch deshalb so konfiguriert, dass erst kurz vor dem Eintreffen des Photons überhaupt entschieden wird, welche Messung tatsächlich vorgenommen wird – so kurz vorher, dass ein Informationsaustausch mit Überlichtgeschwindigkeit passieren müsste.
Also können sich die Photonen weder vorher „abgesprochen” haben, noch können sie voneinander „abschreiben”. Und die Frage bleibt: „Wie machen die das dann?”
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