Philosophen seien schlechte Wegweiser, das schrieb Ernst Peter Fischer vor ein paar Tagen im Wissenschaftsfeuilleton. Das erinnerte mich daran, dass ich eigentlich noch über einen Gedanken schreiben wollte, der mich – etwa zur gleichen Zeit – beschäftigte, als ich über das Sonnblickkees stapfte – einem fast spaltenlosem Gletscher in den Hohen Tauern und somit der beste Ort zum Philosophieren.
Fischer bezog sich auf einen Satz, den er in der Schule gelernt hat und der besagt, dass Philosophen so etwas seien wie Wegweiser, die den Weg, den sie weisen, bekanntlich selbst nicht gehen. Fischers Lehrer hat offenbar weder Hegels berühmtes Gleichnis von der Philosophie als der Eule der Minerva, die ihren Flug erst in der Dämmerung beginnt, noch Heideggers Motto von den Holzwegen gekannt.
Die Holzwege waren es, die mich auf dem Sonnblickkees beschäftigten. Wer auf einem Gletscher unterwegs ist, der sucht nach Spuren, nach Spuren von Spalten, die vom Schnee überdeckt werden, und nach Spuren anderer Gletschergeher, die vielleicht das gleiche Ziel gehabt haben. Solche Spuren sind im August, wenn der Schnee tagsüber taut und nachts wieder fester wird und wenn fast täglich regen darauf fällt, manchmal zu verwechseln und schnell nicht mehr sehr deutlich zu erkennen.
Spuren anderer Wanderer ziehen den Gelegenheits-Bergsteiger magisch an. Und manche dieser Pfade sind Holzwege, die, wie Heidegger schreibt, „jäh im Unbegangenen enden”. Wenn eine Seilschaft von zwei oder drei Wanderern für eine Weile einer Richtung folgt um dann festzustellen, dass es besser ist, umzukehren, dann sieht ihre Spur für eine Weile, vielleicht für Tage aus wie ein viel begangener Weg.
Gletscherwege, wie überhaupt Pfade in den Bergen, werden erzeugt, indem sie betreten werden. Jeder Wanderer macht eine Spur ein bisschen mehr zum Weg – und zerstört ihn gleichzeitig – vor allem, wenn die Strecke bergauf führt. Dann bahnt der Erste einen Steig, der für den Folgenden noch hilfreichen Halt bietet, während der Dritte schon abrutscht, weil der Abdruck zu nass wurde und der Schnee unter dem Druck nachgibt. Einer Spur zu folgen, kann hilfreich und gefährlich sein.
Philosophen sind keine Wegweiser und schon gar keine Straßenbauer. Sie sind Wanderer auf einem Gletscher oder im Gebirge. man folgt ihnen auf eigene Gefahr, und am besten nur für eine Weile. Selten ist es dort, wo man hinkommt, sicherer als da, wo man losgegangen ist. Im besten Fall kommt man in Gegenden, die man zuvor noch nicht kannte und erlebt – meist weit abseits vom Trubel – ein paar schöne Momente der Stille und Weitsicht.
Kommentare (65)