In dem Faltblatt, das am Watzmannhaus für diejenigen ausliegt, die eine Überschreitung des Drei-Gipfel-Massivs planen, steht der Hinweis, dass diejenigen, die an der Mittelspitze bereits Probleme haben, besser umkehren sollten: Die anspruchsvolleren Passagen kommen erst noch, und den Watzmann habe man schon hier in der Tasche.
Die etwas laxe Formulierung soll darauf hinweisen, dass die Mittelspitze sozusagen der eigentliche Gipfel des Watzmann ist, sie überragt die Südspitze um genau einen Meter, und um, am Grat entlang, von dem einen zum anderen Gipfelkreuz zu kommen, muss der Bergsteiger u.a. ein Stück weit frei und ungesichert über der berühmten Ostwand klettern, wovon man später natürlich stolz berichten kann, was aber “nicht ganz ohne” ist.
Welche Worte kann man benutzen, um die Leistung zu beschreiben, die man da vollbracht hat? Soll man sagen, man habe “den Watzmann bezwungen”? Spätestens beim steilen und mühsamen Abstieg ins Wimbachgries verlässt einen das Bezwinger-Gefühl, und dass man hier den Berg noch lang nicht “in der Tasche” hat, sagt eigentlich auch schon das Faltblatt, das fordert, “bis zum letzten Moment konzentriert” zu sein. In der zehnten Stunde des Weges wird Konzentration jedoch für die meisten, die hier nunmehr eher stolpern als schreiten, schwer, und das Tal, in der die Hütte mit den Lagern steht, ist noch weit unten. Auf den Höhenmesser mag keiner mehr schauen. Warum eigentlich wollte man so hoch hinaus, wo man doch wusste, dass man wieder tief hinab zu steigen hat. Über Kletterstellen ist man nun froh, weil es hier schneller abwärts geht als in den Schotterhalden des Hangs.
Im Gastraum der Hütte, wo man noch zwei oder drei Biere trinkt (um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen), sind alle stolz, doch keiner spricht vom Bezwingen. Das wäre auch lächerlich, weil sie alle eher wie Bezwungene aussehen. Doch der Berg hat auch niemanden bezwungen oder besiegt. Dem Berg sind wir, wenn wir nun einmal unsere menschlichen Gefühle auf ihn projizieren wollen, einfach gleichgültig.
Das eben ist es vielleicht, was uns auf diesen Berg trieb: das er, während wir uns an ihm abmühen, einfach nur so daliegt, mit einem unmenschlichen Gleichmut, unbeeindruckt vom Leid und vom Schmerz – und auch vom Jubel. Man möchte ihn anschreien, warum der Steig hier nicht etwas breiter, der Stein, der Halt geben soll, nicht etwas fester ist. Warum er, wo man schon so erschöpft ist, ganz am Schluss nicht mehr als einen ausgetrockneten Sturzbach zum Abstieg bereithält. Man möchte ihm danken für den wunderbaren Blick zu den Hohen Tauern hinüber. Aber das ist alles Blödsinn – er hört ja nicht hin – es ist ihm gleich.
Auch dass das Klima sich wandelt (und dass es das tut, bemerkt man nirgends besser als in den Bergen), ist der Natur ganz gleich, und wenn wir das beklagen (auch das machen wir am Berg lauter als anderswo) tun wir das nur um unsertwillen. Durch den Rückgang der Gletscher werden Wege unpassierbar oder unerreichbar, die Steinschlaggefahr wächst. Der Untergrund wird unsicherer, Markierungen stürzen ins Tal, Pfade werden unsichtbar.
Das, was uns am Klimawandel zu schaffen macht, ist, dass unsere eigenen, künstlichen Spuren, die wir der Welt mühsam eingraviert haben um zurecht zu kommen, vernichtet werden. Deshalb ist es auch unsinnig, vom Klimaschutz oder vom Naturschutz zu sprechen. Klima und Natur verändern sich zwar, bleiben aber bestehen. Was fragil ist, sind unsere Einbauten, unsere Hilfsmittel, unsere Krücken. Und um die sorgen wir uns – ganz eigennützig – nicht um das Klima, und nicht um die Natur. Das wäre auch lächerlich.
Nachtrag (30.08.2010)
Die Meldung vom Tod einer 18jährigen während der Watzmann-Überschreitung gibt dem Titel meines Textes und der darin enthaltenen Anspielung, die SingSing in seinem Kommentar weiter unten aufgegriffen hat, etwas Makaberes. Das tut mir leid. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und darauf hinweisen, dass Touren wie die Watzmann-Überschreitung sicherlich für erfahrene Bergsteiger eine einfache Sache sind, dass sie aber für viele andere eine Gefahr darstellen, die oft unterschätzt wird. Gerade wenn Menschen miteinander diskutieren, die sich gegenseitig gar nicht kennen, wie es im Internet üblicherweise der Fall ist, sollte man sich mit Einschätzungen wie “Das ist eine einfache Tour” zurückhalten.
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