Im dritten Aufsatz des Buches “Experiment – Differenz – Schrift” geht Hans-Jörg Rheinberger den technologischen Bedingungen des epistemischen Dings nach. Einfacher gesagt: Er betrachtet die funktionale Struktur des Experimentalsystems, das er zuvor im ersten Text als “kleinste funktionelle Einheit, als die Arbeitseinheit des Wissenschaftlers” ausgemacht und dessen Rolle im Wissenschaftsprozess er im zweiten Text betrachtet hatte.
Funktional unterscheidet Rheinberger im Experimentalsystem das Wissenschaftsobjekt von den technologischen Objekten. Das Wissenschaftsobjekt, das ist das “epistemische Ding” der eigentliche Gegenstand der Forschung: “Was an einem solchen Objekt interessiert, ist gerade das, was noch nicht festgelegt ist.” Demgegenüber bilden die technologischen Objekte eine Art Fassung, die das epistemische Ding halten, aber auch umschließen und durchdringen. Die technologischen Objekte sind nichts anderes als “hinreichend stabilisierte Wissenschaftsobjekte”.
Man kann sich das an einfachen Beispielen veranschaulichen: Laser-Licht beispielsweise entsteht auf der Basis von stimulierter Emission von Licht. 1928 war diese stimulierte Emission das “epistemische Ding” das von Rudolf Ladenburg innerhalb eines Experimentalsystems untersucht wurde. Der Effekt konnte – wie jeder weiß – inzwischen sehr weit stabilisiert werden, Laserlicht gibt es heute zuverlässig “auf Knopfdruck”. Der Effekt ist von einem “epistemischen Ding” zu einem “technologischen Objekt” geworden.
Die Grenze zwischen epistemischem Ding und technologischen Objekten ist im Experimentalsystem jedoch fließend. Letztlich handelt es sich ja um eine Gesamt-Anordnung, die ein bestimmtes Verhalten zeigt. Verändert sich dieses Verhalten durch die Variation der technologischen Teile auch überraschende Weise, dann kann das an den noch nicht geklärten Eigenschaften des epistemischen Dings genauso liegen wie an bisher unbekannten Eigenschaften der technologischen Teile, die erst in diesem neuen Zusammenhang auftauchen.
Rheinberger ist das bewusst. Er fragt selbst, ob die Trennung von epistemischem Ding und technologischem Objekt für die Beschreibung von Experimentalsystemen überhaupt sinnvoll ist. Seine Antwort lautet, dass “wir sonst nicht in der Lage sind, das Spiel der Entstehung von Neuem auf dem epistemologischen Feld zu bezeichnen.”
Damit hat er wohl Recht. Experimentelle Ergebnisse können wir nur beschreiben, indem wir unsere Beobachtungen so darstellen, dass aus der beherrschten Veränderung der Rahmenbedingungen, die durch die technologischen Objekte gesichert werden, Eigenschaften des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes sichtbar werden.
Erst wenn es nicht gelingt, diesen Untersuchungsgegenstand immer klarer zu beschreiben und letztlich so zu stabilisieren, dass er selbst zu einem technologischen Ding werden kann, wird der Experimentator seine technologischen Objekte selbst wieder zum Gegenstand machen, er wird untersuchen, ob diese selbst noch unklares, nicht stabilisiertes Verhalten zeigen.
Von welcher Art ist das “Wissen”, das in solchen Experimentalsystemen gefunden wird. “Wissen” heißt “verstehen” im Falle des Experimentalsystems mit der notwendigen Folge, sich “auf etwas zu verstehen” nämlich auf die Benutzung eines technologischen Objektes. Epistemische Dinge sind immer so weit verstanden, wie sie im Experimentalsystem stabilisiert und somit selbst zu technologischen Objekten werden können.
Am Schluss noch einmal die Empfehlung:
Das Buch ist zwar nicht bei Amazon und auch nicht bei buch.de erhältlich, aber man kann es direkt bei der Basilisken-Presse für gerade einmal 11,– € incl. Versand bestellen.
Kommentare (35)