Der wichtigste Tag in der Marathon-Vorbereitung ist nicht etwa der Sonntag zwei Wochen vor dem Start, wenn man seinen “letzten langen Lauf” absolviert hat. Es ist der Tag, an dem die blaue Linie auf der Straße frisch gezogen wird. Das war in Münster gestern der Fall, irgendwann in der Nacht, zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang, war “das Eisenschwein” in der Stadt und hat eine 42 km lange Linie auf den Asphalt gezeichnet.
Wenn man sich morgens auf sein Rad schwingt und – z.B. wie ich – zum Bahnhof fährt, dann ist sie plötzlich da. Jetzt weiß man: Es sind keine zwei Wochen mehr bis zum Start. Mit diesem Moment hat der Marathon eigentlich schon begonnen. Der nächste Trainingslauf, das war heute früh, gehört eigentlich schon dazu, und wie durch ein Wunder ist man eine Minute schneller als beim letzten Mal.
Die wirklich großartigen Dinge beginnen mit solchen Nebensächlichkeiten, die zum Symbol werden. Es ist wie mit Borns Fußnote in der Quantenmechanik. Die blaue Linie in der Stadt ist auch so ein Symbol. Sie ist einfach da, und man weiß, das ist der Marathon.
Wenn mich jemand fragt, was mir ganz persönlich der Marathon bedeutet, dann fange ich bei dem Schauer an, der mich früh am Donnerstagmorgen auf dem Rad erfasst, wenn ich auf die blaue Linie treffe. Das sagt vielleicht mehr über meine Beziehung zu diesem Lauf durch Münster als die Zahlen, die Zeiten bei 10, 20, 30 km, die Zahl der Finisher-Shirts, die ich schon im Schrank habe.
Vielleicht muss man solche Geschichten auch über die Wissenschaft erzählen, wenn man erklären will, was sie einem wirklich bedeutet. Das Gefühl beim Lesen von Borns Fußnote, oder der unvergessliche Moment, als ich zum ersten Mal den Artikel “Zur Elektrodynamik bewegter Körper” las.
Übers Jahr verblasst die blaue Linie im Alltag: Regen, LKW-Reifen und Dreck reiben ihn vom Asphalt. Aber Anfang September wird er Jahr für Jahr neu gezogen und man weiß: Es naht Großes.
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