In weiterer Folge stützt sich Hutter in diesem Artikel auf den Bericht über 5G und Gesundheit, den das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) und das Austrian Institute of Technology (AIT) im Auftrag des Parlaments erstellt haben. Weshalb dieser Bericht nicht als Argument gegen 5G taugt und was seine eklatanten Schwachpunkte sind, habe ich in diesem Blog schon an anderer Stelle ausgeführt.
In beiden Publikationen wird Hutter nicht müde, auf die Einstufung von Mobilfunkwellen durch die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) als “möglicherweise krebserregend” (Kategorie 2B) hinzuweisen. Diese Einstufung wurde im Jahr 2011 vorgenommen und stützt sich u. a. auf die von der IARC selbst beauftragte INTERPHONE-Studie. Im ÖÄZ-Artikel fällt insbesondere folgender Satz auf: “Die Forschung der letzten Jahre hat diese Beurteilung nicht nur unterstützt, sondern weitere Evidenz erbracht, die eine höhere Einstufung rechtfertigen könnte.” Leider geben die Autoren keine Quellen an, es ist jedoch zu vermuten, dass hier die Studie des U.S. National Toxicology Program (NTP) sowie die sog. Ramazzini-Studie (Falcioni et al., 2018) gemeint sind. Bei beiden handelt es sich um groß angelegte, ernstzunehmende Studien an Ratten und Mäusen. Dennoch haben etliche Behörden und Institutionen kritische Stellungnahmen zu den Studien und ihren Schlussfolgerungen herausgegeben und sehen keinerlei Veranlassung, weder die empfohlenen Grenzwerte zu revidieren noch die Einstufung hinsichtlich Kanzerogenität zu erhöhen. Stellungnahmen gibt es u.a. von der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP), dem deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und der schweizerischen Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM). Selbst die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die die NTP-Studie in Auftrag gegeben hat, distanziert sich von der Darstellung im Endbericht der Studie, dass sie “klare Belege” für die Kanzerogenität von Mobilfunkwellen finden würde. Die genannten Gründe sind u.a.: generell mangelnde Übertragbarkeit auf den Mensch (die bei den Tieren gefundenen Herz-Schwannome sind beim Menschen extrem selten); bis zu einem Faktor 75 höhere Feldstärken als der empfohlene Ganzkörpergrenzwert beim Menschen in der NTP-Studie; inkonsistente Ergebnisse zwischen beiden Studien und bzw. zu historischen Ergebnissen; Inkonsistenzen in der Zellhistologie; nur teilweise Verblindung in der NTP-Studie; fehlende Registrierung von erkrankten Kontrolltieren; enorm hohe Zahl von Endpunkten (wo zu erwarten ist, dass schon aufgrund von purem Zufall etliche statistisch signifikant ausfallen); und – zu allem Überdruss – erhöhte (!) Lebensdauer der am stärksten bestrahlten Versuchstiere in der NTP-Studie. Auch der Wissenschaftliche Beirat Funk (WBF), ein beim österreichischen BMK angesiedeltes Expertengremium, ist in seinem Bericht 2020 zum Schluss gekommen, dass „[e]ine Gefährdung der Gesundheit durch Mobilfunk […] nicht wahrscheinlich“ sei. Hutters Aussage, dass eine höhere Einstufung gerechtfertigt sein könnte, könnte man also als randständig betrachten.
Ganz im Gegenteil sollte man die Frage stellen, wie lange die IARC denn diese 2B-Einstufung überhaupt noch aufrecht halten will. Die Zahl der Mobiltelefone, WLAN-Router, Tablets und sonstiger Mobilfunkanwendungen ist seit der IARC-Einstufung nochmals stark gestiegen, und man könnte davon ausgehen, dass die Krebsraten ebenfalls irgendwann zu steigen beginnen sollten, selbst wenn Mobilfunk nur einen winzig kleinen Effekt auf das Auftreten von Krebs hätte. Ein solcher Anstieg ist bislang jedoch ausgeblieben, wie sich auch an Zahlen aus Österreich ablesen lässt, die in eine aktuelle Studie des European Commission Joint Research Centre eingeflossen sind und die keinen Zusammenhang zwischen Mobilfunk und Hirntumoren findet. Die Frage, wie lange die IARC noch zuwarten will, bevor sie diese Fakten anerkennt, darf wohl berechtigterweise gestellt werden.
Hutter und Kollegen stellen auch Überlegungen zur Methodik an, mit denen in Studien versucht wird, das Krebsrisiko durch Mobilfunk abzuschätzen. Konkret geht es dabei um eine Abwägung zwischen Fall-Kontroll- und Kohorten-Studien. Die schon erwähnte INTERPHONE-Studie ist eine solche Fall-Kontroll-Studie – eine Methodik, die allerdings aufgrund potentiell verzerrter Erinnerungen von Krebskranken in der Fachwelt als methodisch schwach angesehen wird, wie selbst Hutter in einer seiner Studien z. T. zugeben muss. Kohorten-Studien wiederum geben keine Hinweise auf eine Kanzerogenität von Mobilfunkwellen. Würde Mobilfunk tatsächlich das Krebsrisiko erhöhen, wären konsistente Ergebnisse zwischen unterschiedlichen Methoden zu erwarten. Interessanterweise lassen sich die Autoren des ÖÄZ-Artikels zur bemerkenswerten Feststellung hinreißen, dass Kohorten-Studien “nichts zur Risikoermittlung beitragen können”. Studien, die keine Kanzerogenität feststellen und den Autoren daher offenbar nicht in den Kram passen, werden also ausselektiert und vom Tisch gewischt.
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