Jetzt ist amtlich, was die New York Times schon vor genau einem Monat kommen sah:
Forscher nehmen weitaus mehr leistungssteigernde Mittel bei der Arbeit, als man so glauben mag – und scheinen Gehirn-Doping als durchaus probates Mittel anzusehen.
In dem Artikel der NYT vom 09. März, den auch schon Thilo Kuessner in seinem Mathlog aufgegriffen hatte, sah Autor Benedict Carey eine neue Ära im Doping anbrechen – nicht bei Radrennfahrern, sondern bei Akademikern.
Das Fachblatt Nature hatte bereits im Januar zu einer selbstgestrickten Online-Umfrage aufgerufen, an der sich fast 1.500 Leser beteiligten und dessen Ergebnisse heute bekannt gegeben werden.
Eine kleine Abendlektüre der “zum Teil überraschenden Ergebnisse“:
* 66% aller Befragten hatten zwar noch nie bewusstseinsaufmotzende Drogen wie Ritalin, Provigil oder Betablocker eingenommen, das verbleibende Drittel der Befragten allerdings schon – und aus diesem Drittel waren diejenigen, die ihre Drogen wegen einer ärztlich diagnostizierten Krankheit wie ADS oder Narkolepsie auf Rezept bekamen, entschieden in der Minderheit.
* das beliebteste Mittel zum Kognitiven Doping ist Ritalin, mit schlagenden 61,7 %, wobei als Grund für den Konsum von noch schlagenderen 85,6 % der Befragten „Konzentrationssteigerung” angegeben wurde
* weiterhin wurden Einstellungen zum Denkleistungs-Doping abgefragt – zwar gibt es kaum Vergleichsdaten zur Akzeptanz von Ritalin und Co. im Arbeitsalltag, doch die Zahlen deuten insgesamt auf eine sehr hohe Bereitschaft, solche leistungssteigernden Mittel einzunehmen. Das gilt nicht nur für die Selbstschlucker im Dienste der Wissenschaft, sondern auch für Fremdverabreichung an Patienten mit neuropsychologischen Erkrankungen oder eben hibbelige Kinder.
Warum? Weil wir’s können.
Dass dahinter eigentlich eine ethische Diskussion steckt, legt der Kommentar zum Thema nahe — verfasst von Barbara Sahakian und Sharon Morein-Zamir: den beiden Forscherinnen der Uni Cambridge, die durch ihre Forschungsergebnisse erst Anlass zu der Nature-Umfrage gegeben hatten).
Weiterhin legt das die Tatsache nahe, dass die Frage “Warum” viel leichter zu beantworten ist als die Frage “Warum nicht?”
Weil:
“Kosmetische Neurologie” schon arg nach einem Buzzword wie “Wellness” klingt (Peter) – oder “ADS”, wenn wir schon mal dabei sind.
Etwas, das auf alles und auf nichts passt, das auf einmal alle haben wollen, oder auch nicht.
Gerade Ritalin hat längst den Ruf einer praktischen “Studierhilfe” – von der praktischen Sedierhilfe für überforderter Eltern ganz zu schweigen…
Auf diese Weise wird der Erfolg von Medikamenten anhand ihrer sozialen Durchschlagskraft gemessen – es tut sich eine gesellschaftliche Kluft auf zwischen denen, die sich Gehirn-Doping erlauben können und denen, die es nicht können.
Ist “brain enhancement” also die neue Schönheitschirurgie, wie Neurowissenschafler Anjan Chaterjee argumentiert? Der Luxus der Oberflächenkosmetik für alle, die sich’s leisten können? Jung-und-Schönseinmüssen reicht doch schon – brauchen wir da wirklich noch den sozialen Druck, allzeit leistungsbereit sein zu müssen?
Bei dieser Art von „peer pressure”, wie sie auch die Nature-Umfrage nahe legt, wird Selbstmedikation dann zur Selbstreferenz werden, wenn ich zur Unterdrückung des durch solches Hirn-Wettrüsten entstandenen Leistungsdrucks erstmal eine Tablette gegen diesen Leistungsdruck einwerfen muss.
Warum nicht… Weil wir’s können?
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