Unser Immunsystem ist ein Gedächtniskünstler: im Blut von Überlebenden der verheerenden Grippe-Epidemie von 1918 fanden US-Mediziner nun Immunzellen, die seit nunmehr fast 90 Jahren auf eine erneute Attacke des Influenzavirus warten.

Der Forschergruppe um James Crowe Jr. ist es mit Hilfe der Immunzellen (B-Lymphozyten) sogar gelungen, größere Mengen von hocheffektiven Antikörpern herzustellen, die (zumindest bei Mäusen) eine Infektion mit dem hochaggressiven H1N1-Virus verhinderten.

Daß ein so schlagkräftiger Immunschutz über so lange Zeiträume möglich ist, war bislang nicht bekannt. Die Wissenschaftler erhoffen sich nun weitere Erkenntnisse über die Mechanismen der spezifischen Immunabwehr und möglicherweise gar die Entwicklung von Impfstoffen gegen Viren, die dem Erreger von 1918 ähnlich sind.

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Spanische Grippe: Verheerendste Epidemie seit der Pest

Seit den großen Pest-Epidemien des 14. Jahrhunderts hatte keine Krankheit mehr so gewütet: zwischen 1918 und 1920 forderte die Spanische Grippe weit über 25 Millionen, manche Schätzungen sprechen sogar von bis zu 100 Millionen Menschenleben.

Die damals weltweit grassierende Variante des Influenzavirus (Subtyp A/H1N1) war hochinfektiös und sorgte irritierenderweise gerade in der Altersgruppe der 20-40 Jährigen für die höchsten Todesraten. (Üblicherweise sind kleine Kinder und ältere Menschen besonders anfällig für Influenzaerreger.)

James Crowe vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville (Tennessee) und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, insgesamt 32 Überlebende der damaligen Pandemie zu finden. In deren Blut konnten die Wissenschaftler nun Antikörper gegen diesen ursprünglichen Erregertyp nachweisen.

Leistungsfähiger Immunschutz noch nach 90 Jahren

Außerdem gelang es den Forschern – wie sie in einem Nature-Online-Artikel schreiben – in insgesamt 7 von 8 Proben diejenigen B-Lymphozyten zu isolieren, die als Gedächtniszellen im Falle einer erneuten Infektion bereitstehen. Die auf diese Weise gewonnen Antikörper schützen die damit behandelten Mäuse vor einer Infektion.

Dr. Eric Altschuler, einer der Studienautoren, äußerte sich gegenüber USAToday euphorisch:

“Es ist unglaublich! Der Herrgott hat uns mit Antikörpern gesegnet, die ein ganzes Leben lang wirken. Es stimmt tatsächlich: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.”

Die Ergebnisse sind tatsächlich überaus spannend. Nicht weil uns etwa ein erneuter Ausbruch des damaligen Erregers bevorstünde. Dieser Original-Erreger wurde ohnehin erst 2005 aus tiefgefrorenen Leichen isoliert und rekonstruiert und lagert seitdem im Hochsicherheitslabor des CDC (Center for Disease Control and Prevention) in Atlanta.

Allerdings lassen sich diese neuen Erkenntnisse u.U. in der Impfstoffentwicklung einsetzen. Denn auch der gefürchtete Vogelgrippevirus H5N1 gehört zu den Influenza-A-Viren und ist insofern eng mit dem Virus von 1918 verwandt.

Und schließlich ist die Erkenntnis, daß unser Immunystem bestimmte Informationen über viele Jahrzehnte abspeichert, ja auch schon etwas wert. Oder, wie die Autoren selbst schreiben:

“[…] these studies demonstrate that survivors of the 1918 influenza pandemic possess highly functional, virus-neutralizing antibodies to this uniquely virulent virus, and that humans can sustain circulating B memory cells to viruses for many decades after exposure–well into the tenth decade of life.”

Kommentare (3)

  1. #1 Chris
    August 19, 2008

    Lustigerweise ist die Generierung der T-Zellen bzw. der Antikörper in einem extrem hohen Maß durch Neu-Kombination weniger Gene und strikte Selektion gekennzeichnet. Klassische Evolution also.
    Der Herrgott hat uns mit Antikörpern gesegnet, paßt daher nicht so wirklich.

  2. #2 Marc Scheloske
    August 19, 2008

    Naja, klar, daß die Sache ein Ergebnis der Evolution ist, sollte klar sein. Und ich denke auch, daß der von mir zitierte Dr. Altschuler es eher metaphorisch weniger ID-mäßig meinte, als er sagte:

    “It’s incredible. The Lord has blessed us with antibodies our whole lifetime,”

  3. #3 Chris
    August 19, 2008

    Ich hoffe mal (und denke auch), dass er es nur metaphorisch gemeint hat. Aber paradox bleibt es, besonders in den USA….