Der Medizin-Nobelpreis, so lautete die Verfügung von Alfred Nobel, soll an diejenige Person verliehen werden, die im jeweils vergangenen Jahr “die wichtigste Entdeckung im Bereich der Physiologie oder der Medizin” gemacht habe.

Diesem Wunsch des Stiftungsgründers kommt das Stockholmer Nobelpreiskomitee nicht in allen Punkten nach: meist wird eher ein Lebenswerk ausgezeichnet und keine einzelne Forscherleistung. Schon gar nicht aus dem zurückliegenden Jahr.

Auszeichnung für die Entdeckung des HI-Virus

Genauso ist es auch bei den Preisträgern des Jahres 2008: die beiden französischen Mediziner Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi bekommen eine Hälfte des Medizin-Nobelpreises zugesprochen. Die beiden Virologen werden für eine Entdeckung ausgezeichnet, die 25 Jahre zurückliegt: die beiden entdeckten im Jahr 1983 den HI-Virus. Den Erreger der Immunschwäche AIDS.

Sicherlich wird in diesem Zusammenhang nochmals darüber debattiert werden, wer denn diese Entdeckung tatsächlich auf seinem Konto verbuchen kann. Denn auch der US-Amerikaner Robert Charles Gallo beansprucht die Entdeckung des HI-Virus für sich. Gemeinhin wird beiden Forschergruppen gemeinsam diese Leistung zugesprochen.

Medizin-Nobelpreis 2008 an den Krebsforscher Harald zur Hausen

Erfreulich aus deutscher Sicht ist natürlich die Vergabe des Medizin-Nobelpreises an Harald zur Hausen. Der deutsche Krebsforscher erhält die andere Hälfte des Preisgeldes. Damit können sich erstmals seitdem Christiane Nüsslein-Volhard im Jahr 1995 den Medizin-Nobelpreis erhielt, wieder deutsche Mediziner über diese Auszeichnung freuen.

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Der 1936 geborene und hochdekorierte Harald zur Hausen beschäftigte sich vornehmlich mit der Krebsentstehung im Zusammenhang mit Virusinfektionen. Schon vor 30 Jahren, 1976, stellte er die Hypothese auf, daß humane Papillomviren möglicherweise ein Faktor bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs sind.

Nun wird er für die Bestätigung dieser Hypothese mit dem Medizin-Nobelpreis 2008 geehrt. In den 80er Jahren war es ihm gelungen, die Virentypen HPV 16 und HPV 18 aus einer Gebärmutterhalskrebsprobe zu isolieren. Die (allerdings umstrittene) HPV-Impfung geht v.a. auf seine Arbeiten zurück.

Krönung einer wissenschaftlichen Bilderbuchkarriere

Mit der Verleihung des Medizin-Nobelpreises an Harald zur Hausen findet eine bemerkenswerte Forscherlaufbahn ihren krönenden Abschluß. Studiert hatte zur Hausen an den Universitäten von Bonn, Hamburg und Düsseldorf, wo er dann 1960 auch promovierte.

Nach Etappen am virologischen Institut der Kinderklinik in Philadelphia und am virologischen Institut der Universität Würzburg bekam zur Hausen zunächst einen Ruf auf eine Professur für Virologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1977 wechselte er an die Uni Freiburg.

In dieser Zeit entdeckte er den Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und Krebsentstehung. Seinen Verdacht, daß eine Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV) für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich ist, publizierte er 1976. In den Folgejahren arbeitete er daran, diese Hypothese experimentell zu untermauern, was ihm dann Anfang der 80er Jahre gelang.

Für diesen Nachweis, daß Gebärmutterhalskarzinome (immerhin eine der häufigsten Krebsarten bei Frauen) durch die humanen Papillomviren verursacht werden, wurde Harald zur Hausen nun ausgezeichnet. Sicherlich spielte in diese Entscheidung auch die Tatsache mit hinein, daß seit 2006 mit “Gardasil” ein Impfstoff zur Verfügung steht, der die weitest verbreiteten Papillomviren-Stämme bekämpft. Ohne die bahnbrechenden Arbeiten von zur Hausen stünde heute diese Waffe gegen Gebärmutterhalskrebs nicht zur Verfügung.

Der Geehrte, der von 1983 bis 2003 das Deutsche Krebsforschungszentrum leitete und ausbaute, nahm die Nachricht aus Stockholm einigermaßen überrascht, aber insgesamt gelassen hin. Gegen 10.45Uhr erreichte ihn der Anruf des Nobelkomitees. Den neugierigen Journalisten teilte er gegen Mittag mit: “Ich bin nicht darauf vorbereitet. Wir trinken gerade ein Gläschen Sekt.”

Na denn Prost und herzlichen Glückwunsch, lieber Harald zur Hausen!

Auch Tobias von WeiterGen! und Peter von Medlog haben inzwischen einen kurzen Artikel zur Bekanntgabe der Gewinner des Nobelpreises für Medizin geschrieben:

Kommentare (6)

  1. #1 Ludmila
    Oktober 6, 2008

    Diesem Wunsch des Stiftungsgründers kommt das Stockholmer Nobelpreiskomitee nicht in allen Punkten nach: meist wird eher ein Lebenswerk ausgezeichnet und keine einzelne Forscherleistung. Schon gar nicht aus dem zurückliegenden Jahr.

    Das liegt daran, dass seit der Stiftungsgründung über 100 Jahre vergangen ist und auch die Forschungswelt eine ganz andere geworden ist. Es ist sowieso fragwürdig, ob es in Zukunft möglich sein wird, immer nur maximal drei Leute rauszupicken, die Herausragendes geleistet haben. Die Zukunft gehört den Forschergruppen aus 20 Leuten und mehr. Weil die einzelnen Genies, die irgendwo rumwerkeln, eine aussterbende Spezies sind. Forschung ist heute fast überall Gruppenarbeit.

  2. #2 Marc Scheloske
    Oktober 6, 2008

    @Ludmila:

    Du hast natürlich recht, daß es vollkommen unmöglich ist für das Vorjahr diejenige wissenschaftliche Leistung herauszufinden, die der Menschheit am meisten Nutzen gebracht hat. Dennoch widerspricht es dem ursprünglichen Wortlaut. Und die 20-30 Jahre, die meist zwischen Entdeckung und Preisverleihung liegen, sind nun wirklich enorm konservativ.

  3. #3 DerOli
    Oktober 8, 2008

    @Ludmilla:
    Bei einer Gruppe aus 20 Leuten ist auch einer das Mastermind und übernimmt bei den Publikationen als “corresponding author” die Verantwortung. Da kann man schon davon ausgehen, dass die allgemeine Richtung der Forschung und “nobelpreisverdächtigen” Ansätze nicht von einem unbekannten Diplomanden stammen. Ich finde das Teilen des Preises ja jetzt schon lächerlich.
    Das Preisgeld ist ja auch geradezu beschämend, wenn man bedenkt, dass die EU jährlich 30 “ERC starting grants” für junge Wissenschaftler ausschreibt, die jeweils mit 2 Millionen Euro auf 5 Jahre dotiert sind. Da kann man die Nobel-Peanuts ruhig den Alten für Ihr Lebenswerk überlassen.

  4. #4 DerOli
    Oktober 8, 2008

    Da hab’ ich mich doch glatt vertan: 300 grants wurden 2008 vergeben…

  5. #5 Ludmila
    Oktober 8, 2008

    @DerOli: Der Mastermind? Du meinst den nominellen Leiter oder Principal Investigator. Na, so wie ich das sehe, ist der vornehmlich mit Orga beschäftigt und es arbeiten ja wohl sehr viele Vollzeitwssenschaftler an internationalen Projekten. Ich hab oft genug erlebt, wie in so einer Kollaboration die Autorenschaft “ausgelost” wird, weil es nicht anders geht.

  6. #6 Schnappi
    August 31, 2010

    @Ludmila
    Natürlich gibt es den genialen Einzelkämpfer immer noch: Z.B. hat Andrew Wiles den großen Satz des Fermat in Eigenregie bewiesen und Gregori Perelman die Poincaresche Vermutung. Beiden gemein ist, dass sie sich dem akademischen Rummel erfolgreich entziehen konnten. Dass solche Leute immer weniger auftauchen, hat wahrscheinlich weniger damit zu tun, dass es die nicht mehr gibt, oder dass heutige Themen zu komplex für Einzelkämpfer sind, sondern damit, dass sie von der Wissenschaftspolitik systematisch ausgemustert werden. Wer heute akademische Karriere machen will muss netzwerken, sich selbstsicher verkaufen etc. Das Unternehmen Hochschule, wie es Bertelsmann als Idealbild vorschwebt, ist schon weit gehend realisiert. Es gibt einige Mitstreiter, die ich sehr schätze, die spätestens nach der Promotion die Flucht ins Ausland, in die Wirtschaft, in die Verwaltung, in die Schulen usw. angetreten haben, weil sie keine Lust haben, sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag zu hangeln, Anträge zu schreiben, Exzellenz zu heucheln oder Artikel für imposante Veröffentlichungslisten zu schreiben, Artikel, von denen die Gutachter maximal die Zusammenfassung und die Referenzliste lesen und der Rest auf immer ungelesen bleiben wird.

    Zum Glück sehe ich das nicht nur als Nachwuchswissenschaftler so, sondern auch große akademische Prominenz, wie zum Beispiel Edsger Dijkstra:
    “The battle-cries of the managers are absolutely standard, they have not changed since WWII. The scientist is attacked as individual —unruly, rugged individualists being much harder to control than committees— by organizational insistence on teamwork. The scientist is attacked in his professional competence by organizational insistence on interdisciplinary research. Finally, the scientist’s right of existence is denied by the postulate that there is nothing really left to be discovered. [We hear all these slogans now, but they are carefully described in [0] d.d. 1956]”
    http://userweb.cs.utexas.edu/users/EWD/transcriptions/EWD11xx/EWD1165.html