Unser Leben ist komplex. Egal ob uns die Krise des Wirtschafts- und Finanzsystems vor Augen führt, daß alle theoretischen Modelle und alles ökonomische Expertenwissen nicht ausreicht, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Egal ob das komplexe Klimasystem die schnellsten Superrechner ins Schwitzen bringt, um auch nur grobschlächtige Szenarien zu berechnen: unsere Wirklichkeit ist geprägt durch eine Vielfalt unterschiedlicher Systemzustände, die als Komplexität eine stete Herausforderung darstellen.
Mit Antworten auf komplexe Herausforderungen beschäftigte man sich auch auf der soeben zu Ende gegangenen DLD-Konferenz. “Simplicity” lautete der Titel der Podiumsdiskussion, die von Adam Bly, dem Gründer von SEED-Media und ScienceBlogs, moderiert wurde. Und da uns Komplexität in den verschiedensten Feldern begegnet, war die Zusammensetzung des Panels entsprechend breit gefächert.
Gorden Wagener, verantwortlicher Designer bei Mercedes Benz, skizzierte einige Trends aus dem Bereich der Automobilbranche. Carlo Ratti vom MIT verblüffte mit interessanten Darstellungsformen hochkomplexer Kommunikationsströme und zeigte etwa, wie am Abend des Fußballendspiels der Weltmeisterschaft 2006 in der Stadt Rom im Spielverlauf die Handygespräche lokal verteilt waren. Und Jeff Hayzlett von Kodak konnte mit einer großen Portion Selbstironie viele Sympathiepunkte einheimsen.
Komplexe Simplizitätsmaschine “Gehirn”
Aus wissenschaftlicher Sicht war natürlich vor allem der kurze Vortrag des Hirnforschers Gerhard Roth interessant. Nun ist das DLD keine wissenschaftliche Konferenz, aber Roths Thesen in Sachen Komplexität waren dennoch kurzweilig und spannend.
Einer der Hauptpunkte in Roths Ausführungen: das Gehirn ist das komplexeste System, das wir kennen. Mit rund 1 Billiarde Synapsen kann das menschliche Gehirn, so Roth, ca. 10150 verschiedene Zustände annehmen. Die Gesamtzahl aller Teilchen im Universum beträgt angesichts dessen gerade einmal bescheidene 1080.
Und dieses wahnsinnig komplexe System – so führte Roth weiter aus – operiere auf der Ergebnisseite fast ausschließlich als Simplifizierungsmaschine. Alle Informationen werden fortwährend im Hinblick auf einfache, plausible Muster “durchsucht” und solchermaßen in handhabbare und ressourcensparende kognitive Sinneinheiten transformiert.
Daß diese Arbeitsweise unseres Gehirns hocheffektiv ist, aber im Einzelfall auch zu inadäquaten Ergebnissen führen kann, illustrierte Roth etwa an der bekannten visuellen “kanisza illusion”. Hier “sehen” wir zwei übereinander liegende Dreiecke und verdeckte Scheiben. Doch: was sehen wir hier wirklich, welche geometrischen Formen sind tatsächlich vorhanden und was ergänzen wir – als geübte Mustererkenner – ganz unwillkürlich?
Am Ende hatte Gerhard Roth zumindest zwei Empfehlungen parat, wenn es um Entscheidungen (in komplexen Situationen) geht:
- Erstens solle man im Affekt bzw. emotional aufgebrachter Stimmung keine (vorschnellen) Entscheidungen treffen. Hier werde die quasi-intuitive Fähigkeit zur adäquaten Situationsanalyse und Abwägung beeinträchtigt.
- Zweitens solle man nach Möglichkeit eine gewisse Zeit verstreichen lassen, bevor man eine wichtige Entscheidung fällt. Mindestens 2 Stunden seien zu empfehlen, in denen man sich mit anderen Dingen beschäftigen solle und das Gehirn “im Hintergrund” die Abwägungsprozesse durchführe; am besten – und hier zeigt sich, daß moderne Hirnforschung oftmals auch keine anderen Empfehlungen liefert, als landläufige Ratschläge – man schlafe erstmal eine Nacht, um dann das Problem (unter Rückgriff auf die im Schlaf vollzogenen neuronalen Resultate) zu lösen.
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