Strahlenschäden, vor allem an Zell-DNS, ist ja erstmal etwas Schlechtes und der Grund, warum Radioaktivität überhaupt gefährlich ist. Doch manchmal kann man die destruktive Wirkung von ionisierender Strahlung auch sinnvoll nutzen und über Anwendungen in der Strahlentherapie habe ich ja hier auch mal des öfteren etwas geschrieben, aber hier soll es jetzt mal um etwas anderes gehen, Gentechnik.
Vor Kurzem hatte ich mich ja einmal halbherzig darüber beschwert, dass die meisten Kontroversen in den Kommentarzeilen unter meinen Artikeln nicht zum Thema Radioaktivität, Atommüll etc. entstehen, sondern zu eher banalen Themen. Daraufhin habe ich den guten Tipp bekommen, dass erfahrungsgemäß hier, bei Scienceblogs, die größten Kontroversen über Homöopathie, Glaube, Gender und Gentechnik losgetreten werden und nun will ich diese Theorie hiermit mal zum Test stellen, indem ich über ein Thema schreibe, von dem ich gar keine Ahnung habe … Gentechnik.
Wie schon mal bei “Radioaktivität in Filmen und Literatur” geschrieben hatte, ist der Versuch durch Radioaktivität eine funktionale Mutation zu bekommen (wir sprachen damals ausdrücklich von Comic-Helden-Superkräften) ungefähr so, als würde man eine Cruise Missile auf einen Baumark abfeuern und dann erwarten, dass nach der Explosion die Teile des Baumarktes zufällig in der richtigen Form und Anordnung zusammenfallen und ein fertiges Haus daraus entsteht. Ja, theoretisch ist das möglich, weil im Baumarkt ja alle benötigten Teile vorhanden sind, aber in der Praxis …. sagen wir mal eher unwahrscheinlich.
Doch im japanischen Forschungszentrum RIKEN in Tokyo, wo ich vor Kurzem zu Besuch war, machen einige Forscher genau dies schon seit Jahren. Dort werden vor allem Pflanzensamen (und haploide Zellen) mit schweren Ionen im hochenergetischen MeV-Bereich bombardiert, die dann in den Zellen Mutationen auslösen, welche auch phänotypisch in der Pflanze sichtbar sind und zu neuen Pflanzeneigenschaften und -formen führen. Dabei wollen die Forscher ausdrücklich in dem Wissenschaftsbereich mitspielen, der aktuell vor allem von CRISPR/Cas und anderen Methoden dominiert wird und ein weiteres Werkzeug zur Produktion von neuem Saatgut etc. pp. anbieten.
Wie erfolgreich sie damit sind, kann ich beim besten Willen nicht einschätzen, da ich von dem Wissenschaftsbereich absolut keine Ahnung habe, aber die Japaner haben schon Tabakpflanzen, Reis, Rosen und anderen Pflanzen gentechnisch auf diese Weise verändert und teilweise auch in den Umlauf gebracht. Im Allgemeinen ist die öffentliche Meinung zu Gentechnik in Asien ja deutlich anders als in Europa/USA und so wurde in RIKEN eben auch der erste, auf diese Art gentechnisch veränderte, Sake nach dem hochgeehrten Gründer von RIKEN benannt, verkauft und bei Feierlichkeiten ausgeschenkt.
Wie ist das ganze jetzt mit meinem Baumarktbeispiel zu vereinbaren? Also der wichtigste Faktor ist, dass die Pflanzensamen mit hochenergetischen Ionenstrahlen beschossen werden und nicht mit Gammas oder Röntgen. Dadurch werden verhältnismäßig viele Doppelstrangbrüche produziert, die von der Zelle nicht mehr repariert werden können und zur gleichen Zeit bleibt die radioaktive Dosis relativ gering. Das ist eigentlich genau das Gleiche wie bei der Strahlentherapie mit Ionen, nur dass hier im Gegensatz zur Ionentherapie immer noch ein paar Zellen überleben sollen.
Das Ziel ist es also, viele Doppelstrangbrüche zu haben, während die allgemeine Strahlendosis relativ gering ist. Dies sorgt dafür, dass bei der Bestrahlung mit schweren, hochenergetischen Ionen verhältnismäßig mehr Mutationen auftreten als bei anderen Bestrahlungsverfahren. Diese Mutationen sind allerdings immer noch zufällig und nicht bewusst gesteuert wie bei CRISPR/Cas und ähnlichen Methoden.
In dem letzten Schritt macht man sich jetzt einen alten Trick der Natur zu Nutze, denn Radioaktivität hat in unserer Evolution eine große Rolle gespielt, indem sie die Mutationsrate erhöht hat. Aber sobald aus der zufälligen Mutation funktionale Lebewesen entstanden sind, haben diese alle Methoden gefunden, um sich nun vor diesen Einfluss zu schützen. Dies geschieht meist dadurch, dass bestrahlte Keime und Samen nicht lebensfähig sind und solcherart entstandene Veränderungen dann eben nicht mehr weitervererbt werden. Das gleiche passiert hier auch mit unseren bestrahlten Rosen. Man bestrahlt einfach eine große Menge an Samen, Keimen, Setzlingen und Pflanzen während der Befruchtung und pflanzt sie danach ein. Nur ein Teil wird überleben, aber dieser Teil trägt dann eben eine veränderte DNS, die trotz ihrer Veränderung immer noch lebensfähig ist. Was diese Veränderung dann genau bewirkt (Schädlingsresistenz, andere Farbe etc. pp.) muss dann einfach ausprobiert werden und wird wohl meist eher negativ als positiv sein.
Meiner persönlichen Meinung nach ist das ein wenig “gesündere” Gentechnik als andere Methoden, weil immer noch so etwas wie Selektion oder Evolution stattfindet, nur eben auf wesentlich komprimierten Zeitskalen. Der Nachteil ist natürlich, dass man das nur bei Lebewesen/Bakterien benutzen kann, die eine große Anzahl von Keimzellen/Samen hervorbringen und um eine radioaktive Monsterechse zu züchten, die auch überlebensfähig ist, würden zu viele Embryonen “verbraucht” werden … ja, ich habe sehr zur Freude meiner japanischen Kollegen nachgefragt *g*
Ach ja, und weil die Frage sicherlich noch kommen wird: Die Samen sind nach der Bestrahlung aktiviert, d.h. radioaktiv, aber die Pflanze nachher nicht mehr. Nur die wenigen Zellen, die dem Ionenstrahl ausgesetzt wurden, sind radioaktiv und das sind dann in der fertigen Pflanze nur…. Sagen wir 50 von mehreren Millionen Zellen. Weitervererbt wird die Radioaktivität natürlich auch nicht.
https://accelconf.web.cern.ch/accelconf/c07/PAPERS/222.pdf
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