Was passiert eigentlich wenn radioaktiv verstrahlte Personen Kinder kriegen wollen? Kommen die dann mit Mutationen und Erbkrankheiten zur Welt? Haben die eine erhöhte Chance, selber Krebs zu bekommen? Das Ganze sind nicht nur hypothetische Fragestellungen für Überlebende von Hiroshima und Nagasaki, Liquidatoren von Tschernobyl und Arbeitern aus Fukushima, sondern ganz konkrete Problemstellungen für mich und andere Leute nach überstandener medizinischer Strahlentherapie.
Bei meiner Strahlentherapie habe ich doppelt so viel Strahlung abbekommen wie der durchschnittliche Arbeiter in Tschernobyl. Das gilt auch für viele andere Personen, die eine medizinische Strahlentherapie hinter sich hatten, ist aber in der aktuellen Weltlage so ziemlich die einzige Möglichkeit genug Strahlung abzubekommen, damit die obige Fragestellung relevant wird. Die Menschen, die durch einen Strahlenunfall aktuell eine deutlich hohe Dosis abbekommen haben, kann man dagegen weltweit an einer Hand abzählen. Wenn man eine Zahl im zweistelligen (oder höheren) Bereich haben will, dann muss man zu den großen historischen Unfällen gehen, die ich weiter oben erwähnt habe.
Dabei gibt es einen großen Unterschied zwischen Krebspatienten mit Strahlentherapie und Menschen, die nur Strahlung abbekommen haben. Denn so ziemlich alle Chemo-Medikamente wirken auch auf die Genetik der Fortpflanzung. Meine Gedanken dazu habe ich damals in meinem Tagebuch-Beitrag beschrieben und werde ich hier nicht nochmal durchkauen. Hier soll es nur um Menschen gehen, die ausschließlich ionisierende Strahlung abbekommen haben. Krebspatienten wenden sich bitte an ihre behandelnden Ärzte.
Also bekommen verstrahlte Leute nun Babys mit höherem Krebsrisiko oder anderen Mutationen? Die verblüffende Antwort darauf ist ein klares ‘Nein’. Nach allem, was wir heute wissen, gibt es kein signifikant erhöhtes Risiko für Kinder von verstrahlten Menschen.
Die größte Studie dazu ist wohl wieder mal die LSS – Life Span Study, basierend auf den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki [1]. Hier wurden über 120.000 Überlebende lebenslang medizinisch begleitet und ihre Gesundsheitslebensläufe dokumentiert. Dabei wurde herausgefunden, dass es keinerlei statistisch signifikanten erhöhten Krebsraten oder Krankheiten bei den Kindern der Atombombenüberlebenden gibt. Wobei die Untersuchungen immer noch andauern, weil die Kinder der Überlebenden aktuell eben maximal 70 Jahre alt sind und somit ihre gesamt Lebensstatistik noch nicht erfasst worden ist.
Letzteres ist streng genommen nicht nur eine akademische Einschränkung, denn die 70 jährigen Kinder der Atombombenabwürfe sind jetzt gerade in dem Alter, in dem Menschen normalerweise an altersbedingten, normalem Kreb erkranken. Aber die Betreuer der Studie(n) erwarten da eigentlich keine größeren Überraschungen mehr, auch wenn man formal die Beobachtung erst in ca. 30 Jahren abschließen kann.
Wie kommt es nun zu dieser recht klaren Beobachtung, die der vorherrschenden Meinung in Popkultur, Romanen und Science-Fiction Büchern widerspricht?
Nun ja, die vorherrschende Meinung findet halt Gefallen an dreiäugigen Fischen, Godzilla-artigen Echsen und dreibrüstigen Nutten vom Mars. Das ist eine der wenigen Möglichkeiten, Mutationen in Film oder Literatur darzustellen, weil man eben etwas zeigen muss, was Leute sehen können und eine Chromosomentranslokation zwischen 9 und 22 gehört halt leider nicht dazu. Mutationen lösen in der Realität halt eben nur Krebs aus und machen keine Extraorgane oder Superfähigkeiten… leider.
Dieses komische, auf den ersten Blick unnötig komplizierte Prinzip mit der Eizelle, die einmal im Monat reift und den Millionen Spermien, die zu einem Wettrennen aufbrechen, ist anscheinend genau dazu da, um zu verhindern, dass radioaktiv verstrahlte Personen mutierte Kinder bekommen. Denn wenn nun eine Eizelle durch radioaktive Strahlung mutiert ist, dann wird in dem ganzen komplizierten Prozess von Reifung, Befruchtung und Zellteilung ein solch großer Fehler passieren, dass die Zelle abstirbt und es nicht zu Nachkommen kommt. Wenn Spermien mutiert sind, dann können sie nicht vernünftig schwimmen und werden somit das Wettrennen gegen gesunde Spermien verlieren.
Das ist jetzt extrem vereinfacht ausgedrückt, aber grundsätzlich das Prinzip, mit dem unser Körper die Menschheit vor unkontrollierten Mutationen schützt. Während es in unserer Evolution als Einzeller noch von Vorteil war, möglichst viele Mutationen in kürzester Zeit zu bekommen, so hat sich dies geändert, als wir den Status von Mehrzellern erreicht hatten. Von da an mussten unsere gallertartigen Vorfahren Mechanismen entwickeln, um sich vor Radioaktivität zu schützen und diese komplizierte Art der Fortpflanzung ist eine Möglichkeit, eben dies zu tun.
Das Ganze hat allerdings einen riesigen Haken bzw. Disclaimer. Es gilt nur für eine Verstrahlung VOR der Befruchtung der Eizelle. Dieselbe Studie der Überlebenden der Atombombenabwürfe hat auch bestätigt, dass eine befruchtete Eizelle bzw. daraus entstandene Embryonen extrem anfällig gegenüber ionisierender Strahlung sind und Schädigungen durch Mutationen hier sehr viel mehr ins Gewicht fallen als bei älteren Menschen. Daher wird zurecht im Strahlenschutz penibel darauf geachtet, dass schwangere Frauen idealerweise gar keine ionisierende Strahlung, in egal welcher Form abbekommen.
Heißt das jetzt, dass der Schaden, den wir mit unseren radioaktiven Spielereien in der Natur verursachen, nur maximal für eine Generation anhält? Ja, in einer gewissen Weise schon… FALLS wir davon absehen würden, mittelmäßig langlebige Radioisotope in die Welt zu entlassen. Die Natur hat eine erstaunliche Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren und wenn es zu einer kurzfristigen Bestrahlung durch ein kosmisches Phänomen oder eine Atombombe kommt, dann ist davon schon nach einer Generation nicht mehr viel zu spüren… zumindest nicht im genetischen Gedächtnis. Es sei denn… Ja, es sei denn, irgendjemand käme auf die Idee die Atombombe mit Isotopen zu präparieren, die eine Halbwertszeit von 10-60 Jahren haben und uns damit für viele viele Generationen erhalten bleiben… oder Kraftwerke zu bauen, die sowas als Abfallprodukt produzieren. Dann hätte die Menschheit ein Problem, das wir mit den Bewältigungsmechanismen, die uns die Natur eingebaut hat, nicht mehr so einfach lösen können.
[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5865006/#r66#
PS: Im Nachhinein gab einige Kontroverse zu der Kernaussage dieses Artikels, was mich dazu gebracht hat noch mal eine Ergänzung zu schreiben und ein paar Details klarzustellen. Diese Ergänzung gibt er hier. https://scienceblogs.de/nucular/2019/09/17/ergaenzung-zu-kinder-von-radioaktiv-verstrahlten-personen/
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