Im Zusammenhang mit dem Klima- und allgemein dem Naturschutz wird häufig der Vorwurf der Ökoreligion erhoben. Was eigentlich mit diesem Vorwurf gemeint ist, ist wohl, dass da diejenigen, die sich für den Erhalt eines natürlichen Status Quo – wie unklar der auch definiert sein mag – einsetzen, einen vormodernen Zustand durch Verbote und Selbstzüchtigungen (Ökosteuer!) “herbeibeten” wollen, ohne wirkliche Letztbegründung (Warum ist ein Habitat mit 50 Fischsorten besser als eines mit ein paar Mollusken?) und ohne wirkliches wissenschaftliches Fundament. Dieses Fundament müsste nämlich, so wird argumentiert, darin bestehen, klipp und klar zeigen zu können, dass etwa eine drei Grad wärmere Welt ohne Eisbären wirklich schlechter für den Menschen ist als die mit Eisbären und einer globalen Temperaturverteilung, die ungefähr dem Holozän entspricht. Der Nachweis mag wahrscheinlich sein, mit absoluter Sicherheit aber kann er wohl nie geführt werden.
Ich war immer schon der Meinung, dass man den Öko-Religionsvorwurf eher freudig annehmen sollte. Vor ca. 50.000 Jahren ist im Gehirn des Homo Sapiens etwas passiert, dass ihn nicht nur zur erfolgreichsten Säugetierspezies aller Zeiten, sondern auch grundsätzlich zu einer anderen Art von Tier machte: sicher Natur und doch über sie erhoben. Gleichzeitig mit der Sprache und einem Sprung in den Waffen- und Jagdtechniken entdeckte der Steinzeitmensch Kunst und Religion (oder meinethalben Spiritualität). Es ist schon erstaunlich, dass es gerade im Paradeorgan des Homo SAPIENS, dem Neocortex, eine Zone gibt (Schläfenlappen), deren Anregung bei Notfalloperationen zu religiös-spirituellen Erfahrungen selbst bei solchen Menschen führt, die nichts mit irgendeiner Spiritualität am Hut haben*. Es scheint dieser seltsamen Affenart namens Homo tatsächlich evolutiv ins Gehirn gebrannt worden zu sein, die Lücke zwischen Natursein und “es doch nicht mehr sein” mit einer Mischung aus Kunst und Religion schliessen zu wollen.
Bild: Die schwimmenden Rentiere aus Montastruc, Objekt Nummer 4 in McGregors Geschichte der Welt in 100 Objekten.
Eines der ältesten Austellungsstücke im British Museum, welches auch in Neil McGregors famosen “The History of the world in 100 objects” besprochen wird, sind die “schwimmenden Rentiere” , einer wirklich fantastischen Schnitzerei, die einer unser Vorfahren in einer Höhle im französischen Montastruc vor 13000 Jahren gefertigt hat. Die Detailtreue ist schlicht unglaublich. Selbst die Jahreszeit, in der diese Rentiere mutmaßlich den eiszeitlichen Aveyron durchschwammen, kann man erkennen. Warum das alles für ein Objekt ohne jeden praktischen Nutzen? McGregor fragte dazu Dr. Rowan Williams, den Erzbischof von Canterbury:
“What I think you see in the art of this period is human beings trying to enter fully into the flow of life around them, so that they become part of the whole process of animal life that’s going on around them, in a way which I think isn’t just about managing the animal world, or guaranteeing them success in hunting or whatever. I think it’s more than that. It’s really a desire to get inside and almost to be at home in the world at a deeper level, and I think that that’s actually a very deeply religious impulse, to be at home in the world. We tend to identify religion with not being at home in the world sometimes, as if the real stuff were elsewhere in heaven; and yet actually if you look at religious origins, if you look at a lot of the mainstream themes in the great world religions, it’s the other way round – it’s how to live here and now and how to be part of that flow of life.”
Der neue Dies-und-Das Thread ist mit diesem “ökoreligiösen Gebet” eröffnet und lädt wie immer ein zu freier Diskussion. Der alte Thread mit über 2100 Beiträgen ist ab sofort geschlossen.
*“The Neuropsychiatry of paranormal experiences” by M.A. Persinger (2001) in Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences
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