Geargwöhnt hatte ich es ja schon, nun wurde es durch eine Studie bestätigt: das Internet ändert die Art und Weise, wie wir uns Dinge merken. Eine Studie hat sich mit dem Phänomen “Internet” einmal wissenschaftlich auseinandergesetzt und dabei interessante Erkenntnisse gewonnen.
Die Studie geht von der Beobachtung aus, dass Informationen heutzutage vorrangig im Internet – also extern – gesucht werden. Im Prinzip ist das nichts neues; auch außerhalb des Internets findet sich dieses Vorgehen. Besonders in Partnerschaften (und auch anderen Gruppenbeziehungen) findet Teamwork bei der Gedächtnisarbeit statt; Teile der Gruppe verlassen sich darauf, dass andere Teile bestimmte Informationen zur Verfügung stellen können. Ein Beispiel: in einer Ehe verlässt sich der Mann darauf, dass sich seine Frau wichtige Daten merkt; umgekehrt merkt sich der Mann dafür z.B. zu erledigende singuläre Aufgaben im Haushalt (ein Umstand übrigens, dem oft genug mit Spott und Vorwürfen seitens der Ehepartner begegnet wird, ohne dass die Eheleute merken, dass hier eine Arbeitsteilung vorliegt). Die Vermutung in der Studie ist, dass das Internet selbst als großer “Ehepartner” angesehen und ihm viel Gedächtnisarbeit überlassen wird. Um die Vermutung zu überprüfen, wurden (wie es sich für eine Studie gehört) mehrere Experimente durchgeführt.
Das erste Experiment sollte prüfen, wie sehr die Probanden daran dachten, die Antwort auf eine Frage im Internet nachzuschauen. Dazu musst sie zuerst mehrere einfache oder schwere Ja-Nein-Fragen beantworten und wurden unmittelbar danach einem modifizierten Stroop-Test unterzogen. Der sah so aus, dass ein Wort in einer bestimmten Farbe präsentiert wurde; je stärker ein Proband zuvor hat ein mit einem Wort verknüpftes Thema gedacht hatte, desto länger dauerte es, bis er die Farbe des Wortes benennen konnte. Die Untersuchung hat gezeigt, dass Wörter mit Bezug zu Computern längere Reaktionszeiten nach sich zogen als andere Wörter, die Probanden bei den Fragen also scheinbar darüber nachdachten, die Antworten am Computer nachzuschauen (übrigens umso mehr, je schwerer die Frage war).
Das zweite Experiment beschäftigte sich mit der Merkfähigkeit der Probanden in Abhängigkeit davon, ob eine Informationsquelle vorhanden ist oder nicht. Dazu wurden ihnen mehrere Aussagen allgemeiner Art präsentiert, welche sie in den Computer tippen mussten. Der einen Hälfte der Studienteilnehmer wurde gesagt, dass der Computer die Eingabe speichern, der anderen Hälfte, dass der Computer sie sofort löschen würde. Im Anschluss daran mussten alle Teilnehmer die Aussagen (inhaltlich, nicht wortwörtlich und natürlich ohne Computerunterstützung) wiedergeben. Die Beobachtung: Probanden der Gruppe, der vorher mitgeteilt wurde, dass der Computer die Aussagen nicht speichern würde, schnitten hierbei besser ab als Probanden der anderen Gruppe. Ob wir uns eine Information merken oder nicht scheint also auch davon abzuhängen, ob wir davon ausgehen, dass wir die Information später jederzeit wieder aus einer externen Quelle abrufen können oder nicht.* Anders gesagt: wenn wir meinen, dass wir eine Information später leicht nachschauen können, merken wir sie uns eher nicht. Es hatte übrigens kaum einen Einfluss auf die Merkfähigkeit, wenn man die Probanden (egal, aus welcher Gruppe) vorher aufgefordert hat, sich die gegebenen Informationen zu merken.**
Das dritte Experiment hat sich damit beschäftigt, wie gut wir uns merken, ob wir eine bestimmte gespeicherte Information wiederfinden können. Dazu wurde den Probanden wiederum eine Menge an Aussagen präsentiert, wobei zu jeder Aussage die Information geliefert wurde, ob sie ganz allgemein gespeichert wurde, ob sie in einem bestimmten Ordner auf der Festplatte gespeichert wurde (und in welchem) oder ob sie gar nicht gespeichert wurde. Im Anschluss wurden die Aussagen wieder präsentiert, wobei einige leicht modifiziert waren; die Probanden mussten nun die Fragen beantworten, ob sie die originale Aussage vor sich hatten oder eine modifizierte, ob die Aussage gespeichert wurde und wenn ja, in welchem Ordner (falls bekannt). Ob eine Aussage exakt dem “Original” entsprach oder nicht konnte bei den Aussagen am besten beantwortet werden, von denen die Probanden glaubten, dass sie gelöscht wurden; das deckt sich mit den Ergebnissen aus Experiment 2. Interessant ist hingegen die folgende Beobachtung: die Probanden konnten sich besser daran erinnern, dass gespeicherte Aussagen eben gespeichert wurden als dass sie sich daran erinnern konnten, dass nicht gespeicherte Aussagen nicht gespeichert wurden. Wir merken uns also scheinbar gut, wenn wir eine Information irgendwo wieder abrufen können. Oder wie es in der Studie steht:
Thus it appears that believing that one won’t have access to the information in the future enhances memory for the information itself, whereas believing the information was saved externally enhances memory for the fact that the information could be accessed, at least in general.
Interessanterweise merkten sich die Probanden aber besser, dass eine Aussage gelöscht wurde als dass sie sich merkten, ob eine Aussage explizit nun nur allgemein oder in einem speziellen Ordner gespeichert wurde.
Das letzte Experiment schließlich beschäftigte sich konkret mit der Frage, wie gut wir uns merken, wo eine Information gespeichert ist im Vergleich zum Inhalt der Information selber. Hierzu wurde den Probanden wiederum eine Menge an Aussagen präsentiert, wobei sie für jede einen vorgegebenen Speicherort eintippen mussten. Anschließend mussten sie so viele Aussagen niederschreiben, wie ihnen noch im Gedächtnis waren. Danach wurden ihnen Teile der Aussagen gezeigt, welche eine eindeutige Identifizierung erlauben würden, und die Probanden mussten dazu den Speicherort der Aussage nennen. Interessanterweise konnten sie den Speicherort der Aussagen besser benennen als die Aussagen selber.
Zusammenfassend wurde in der Studie festgestellt, dass das Wissen darüber, wo eine Information hinterlegt ist, gegenüber dem Wissen über die Information selber bevorzugt wird, mit dem Vorteil, dass vom “wo” auch auf das “was” geschlossen werden kann (aber nicht anders herum). Oder mit den Worten der Studiendurchführer:
[…]if we look at the pattern of what was remembered, the results do suggest “where” was prioritized in memory, with the advantage going to “where” when “what” was forgotten.
Durch die immer stärkere Vernetzung und die immer größeren Informationsmengen, die im Netz bereitgestellt werden, liegt der Schluss nahe, dass wir uns auch immer weniger Informationen merken. Das heißt nicht, dass wir “dümmer” werden – wir wissen eben eher, wo wir etwas finden; wir lagern gewissermaßen unser Gedächtnis ins Netz aus. Die Autoren der Studie haben auch das schön zusammengefasst:
We are becoming symbiotic with our computer tools, growing into interconnected systems that remember less by knowing information than by knowing where the information can be found.
Ob das nun positiv oder negativ ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Komplett neu ist es allerdings nicht; das Phänomen gibt es schon länger, nur wurde sich damals eben auf Bücher verlassen. Oder wie der Psychologe Roddy Roediger so schön sagt:
When I was a student, many years ago, we consulted books and encyclopedias to write papers. Now students can do it at home on computers. Is that a bad thing? I don’t think so.
Auf xkcd.com wurde das ganze auch schon sehr treffend erkannt:
*Interessanterweise wird in der Studie auf eine frühere Studie hingewiesen, in welcher festgestellt wurde, dass wir uns Informationen schlechter merken, wenn wir davon ausgehen, sie nicht später in einer Prüfung zu benötigen. Aber dass wir viele Sachen bloß für die Prüfungen lernen, ist ja nun auch nichts neues…
**Also, Frauen dieser Welt: es bringt nichts, euren Männern wiederholt zu sagen, dass sie sich gefälligst den Geburtstag eurer Brüder/Schwestern/Eltern merken sollen. 😉
Kommentare (21)