Automatisierte Herstellung ist in der Industrie nicht neu, durch vernetzte Produktionssysteme und Machine Learning wird sich ihr Grad aber weiter erhöhen. Foto: Adobe Stock © Nataliya Hora

Die Bezeichnung „Industrie 4.0“ vereint in einem Schlagwort eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Faktoren, die bereits jetzt neue Formen von Produktion und Vertrieb ermöglichen – und die fertigenden Industriezweige in Zukunft weiterhin nachhaltig verändern wird. Der Begriff ist dabei nicht zu trennen von dem Megatrend überhaupt: dem Digitalen Wandel.

Auf dem Weg zu intelligenteren Fabriken

Der stellt in immer schnellerer Folge neue Technologien zur Verfügung, aus denen die zukünftigen Smart Factories entstehen sollen. Industrielle Produktion und moderne Informations- und Kommunikationstechnik greifen in diesen Fabrigen ineinander. Funktionieren kann das nur, wenn digitale „Enabler“ (also „Ermöglicher“) erkannt und sinnvoll in die Produktionsprozesse eingebunden werden. Diese Enabler lassen sich in zwei Gruppen unterscheiden:

Digitale Technologien

Digitale Technologien bilden die Grundlage des digitalen Wandels, es handelt sich sozusagen um die notwendigen Schlüsseltechnologien für den weiteren Fortschritt. Hierzu zählen etwa Cloud Computing, Big Data oder Machine Learning.

Aus ihnen leiten sich digitale Infrastrukturen ab, was Netzwerke ebenso einschließt wie die dazugehörigen Endgeräte und Kommunikationsprotokolle. Sie wiederum sind die Voraussetzung für neue Anwendungen, worunter Programme für den unternehmensinternen Gebrauch zählen sowie Apps für Kunden.

Verwertungspotenziale

Die Möglichkeiten, die sich aus dem technologischen Fortschritt ergeben, müssen aber auch genutzt werden. Als Enabler sind die verfügbaren Technologien nur der erste Schritt zu einer Industrie 4.0, Umsatzwachstum muss daraus erst entwickelt werden. Das meint nicht allein neue Produkte, sondern in vielen Fällen neue Geschäftsmodelle, beispielsweise in Form von neuen Dienstleistungen, die auf digitaler Technologie beruhen oder sich mit dieser befassen.

Daraus lassen sich theoretisch ganze Wertschöpfungsnetzwerke aufbauen. Die zunehmende Vernetzung macht es möglich, verschiedene Glieder entlang einer Wertschöpfungskette miteinander zu verbinden, selbst wenn diese auf den ersten Blick nicht in Beziehung zueinander zu stehen scheinen.

Voraussetzungen für die Industrie 4.0

Im Idealfall bedeutet der digitale Wandel für die produzierende Industrie also Optimierungsmöglichkeiten in vielen Bereichen: Vernetzte und smarte Maschinen, die automatisiert verschiedenste Produktionsprozesse abwickeln können, bedeuten richtig eingesetzt eine höhere Kosteneffizienz sowie eine höhere Produktivität. Dazu müssen die Produktionsstätten der Industrie 4.0 allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllen.

Vernetzung

Daten spielen auch in der Industrie eine immer wichtigere Rolle, vor allem im Zusammenspiel mit Zulieferern und Kunden. Die Vernetzung und der Umgang mit gesammelten Daten – von Auftragsdaten der Kunden bis zu Sensordaten aus der Produktion – beeinflusst den gesamten Workflow bis hin zum Support.

Optimierungspotenziale für vernetzte Produktionssysteme bestehen auf unterschiedlichen Ebenen, wie zwei der wichtigsten Digitalisierungstrends im industriellen Mittelstand zeigen. Retrofitting eröffnet selbst älteren Anlagen durch technisches Aufrüsten die Möglichkeit zu Vernetzung, während die Arbeit mit einem digitalen Zwilling bereits die nächste Stufe darstellt. Sensortechnik und Echtzeit-Datenanalyse kommen auf diese Weise zusammen und verbessern den Einblick in komplexe Prozesse.

Denn: Es entstehen durch die Interaktionen innerhalb eines solchen Netzwerks immer neue Daten, die mit der notwendigen IT-Infrastruktur in Echtzeit erfasst, analysiert und verarbeitet werden können. Dadurch können beispielsweise auch verschiedene Abteilungen wie Fertigung und Entwicklung direkt auf neue Ergebnisse und Erkenntnisse zugreifen und entsprechende Veränderungen vornehmen. Gleichzeitig sind beide Trends die Grundlage für neue, serviceorientierte Geschäftsmodelle.

Transparenz

Durch die Datenmengen lassen sich Prozesse transparenter nachvollziehen, sie müssen dazu aber auch systematisch ausgewertet werden. Echtzeit-Analysen und -Visualisierungen können sowohl für interne Abläufe wie auch für den Kunden die Entscheidungsfindung erleichtern. Das gilt unter anderem bei Prognose-Anwendungen, die auf Basis der eingehenden Daten zum Beispiel Voraussagen zu möglichen Kostenentwicklungen (durch Veränderungen der Rohstoffpreise, Energiekosten, Logistik etc.) treffen können.

Das lässt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette übertragen, etwa beim Tracking von Waren und notwendigen Ressourcen. Natürlich ist dies keine wirklich neue Entwicklung, für die zukünftigen Smart Factories mit ausgedehnter Vernetzung bedeutet sie aber, Bestellvorgänge und Logistik effizienter, weil automatisiert gestalten zu können.

Auch für die Logistik finden sich immer häufiger smarte, automatisierte Lösungen, mit denen sich die Prozesse transparenter und effizienter gestalten lassen. Foto: Adobe Stock © romaset

 

Proaktivität

Dieser letzte Aspekt schließt bereits ein weiteres Merkmal vernetzter Fabriken ein, nämlich die Möglichkeit, frühzeitig auf ansonsten kritische Situationen reagieren zu können. Das automatisierte Supply-Management mit selbstständigen Bestellungen ist dabei nur ein Aspekt. Denn es lassen sich ebenso gut sensorische Daten aus den Produktionsstätten dazu nutzen, Prognosen zum Verschleiß einzelner Bauteile zu treffen und Wartungsarbeiten einzuleiten, bevor größere Schäden auftreten.

Damit lassen sich beispielsweise Produktionsausfälle vermeiden und gleichzeitig die Sicherheit für die Mitarbeiter erhöhen.

Agilität

Nicht nur von IT-Infrastrukturen, sondern auch von Produktions-Workflows wird ein immer höheres Maß an Agilität erwartet. Das bedeutet, dass sie schnell auf Veränderungen reagieren können, etwa in Form neuer Technologien, neuer Daten oder neuer Methoden.

Dieser Aspekt muss nicht zuletzt vor den steigenden Kundenansprüchen betrachtet werden: Individuelle sollen berücksichtigt werden, was dank datenbasierten Prozessen und digitalen Technologien wie Künstlicher Intelligenz realistisch ist. Dazu kommen Innovationsdruck und der nicht stillstehende technologische Fortschritt. Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sind deshalb wichtige Merkmale, um in der Industrie 4.0 wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Versprechen von Industrie 4.0 und dem Smart Factory-Konzept

Basierend auf den Enabler des digitalen Wandels und den notwendigen Voraussetzungen, die für eine sinnvolle Integration erfüllt sein müssen, verspricht die Vision der Industrie 4.0 den produzierenden Unternehmen eine Vielzahl an Vorteilen.

Wachstum

Dank digitaler und vernetzter Produktionssysteme, die in Echtzeit überwacht und angepasst werden können, lässt sich der gesamte Wertschöpfungsprozess erfassen. Kundenbedarf und Kundennutzen können so ins Zentrum von Entwicklung und Fertigung gestellt und bessere Produkte sowie Dienste angeboten werden.

Da sich gleichzeitig die Prozesse entlang der Wertschöpfungskette durch die Analyse vielfältiger Daten optimieren lassen, ergeben sich Möglichkeiten für eine größere Wertschöpfung. Laut Prognosen des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und des Branchenverbands Bitkom liegen die Wachstumspotenziale für einige Industriezweige bis zum Jahr 2025 bei jährlich 1,7 Prozent.

Vor allem im Bereich Maschinenbau Fraunhofer IAO und Bitkom die größten Wachstumschancen, mit einer möglichen Steigerung der Bruttowertschöpfung um 22 Milliarden Euro. Damit liegt die Branche deutlich vor Chemieerzeugnissen, elektrischer Ausrüstung und sogar der Automobilindustrie.

Neue Märkte, neue Geschäftsmodelle

Für produzierende Unternehmen lag der Fokus üblicherweise auf ihrem Produkt. Die Digitalisierung eröffnet aber vielfältige Möglichkeiten, die über Automatisierung, Künstliche Intelligenz in der Produktion oder effizientere Prozesse hinausgehen. Ein prognostiziertes Wachstum in der Industrie 4.0 setzt voraus, neue Wege beim Vertrieb von Produkten und beim Angebot spezifischer Dienstleistungen einzuschlagen.

Keineswegs neu, aber nach wie vor mit unausgeschöpftem Potenzial, sind in dieser Hinsicht Internet-of-Things-Plattformen. Das Plattform-Modell ist im E-Commerce längst ein etablierter Standard, für die Industrie kann es zweierlei Funktionen übernehmen:

  • Im Kontext der Produktion kann eine IoT-Plattform Prozesse mit Standardprotokollen und Anwendungen vereinfachen, die exakt auf die Bedürfnisse von Produzenten und Kunden zugeschnitten sind. Das erleichtert beispielsweise die Vernetzung von Geräten und Anlagen oder Software-Anpassungen – die dank Cloud-Computing nicht mehr vor Ort vorgenommen werden müssen.
  • Über die Produktion hinaus können IoT-Plattformen die Marktplatzfunktion übernehmen, wie sie im E-Commerce verwendet wird. In dem Fall stellen sie die Schnittstelle zum Kunden dar. Das ist etwa für weitergehende Service-Angebote denkbar, bei denen die Datenanalyse zum Wartungsstand der Produkte (also die Kontrolle) mit sogenannter Predictive Maintenance verbunden wird. Der notwendige Austausch von Anlagen- und Geräteteilen wird dabei – wie oben beschrieben – proaktiv vorgenommen, bevor ein Schaden entstehen kann.<In beiden Fällen profitieren Produzent und Kunde gleichermaßen, denn der Mehrwert durch ein weitreichendes Service-Modell (bessere Planbarkeit, geringere Kosten) und intelligente Produkte erschließt für die herstellenden Unternehmen neue Einnahmequellen.

    Grundlage bleibt auch für die Industrie 4.0 die Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Foto: Adobe Stock © Kzenon

Der Mensch als digitaler Enabler

Was im Zusammenhang mit der digitalen Transformation hin zur Industrie 4.0 nicht übersehen werden darf, ist die Rolle, die die Menschen darin immer noch spielen. Trotz Machine und Deep Learning, trotz Künstlicher Intelligenz in vielen Unternehmensbereichen muss dieser Wandel einerseits von Menschen mitgetragen werden. Andererseits richten sich digitale Produkte und Anwendungen immer an Menschen und deren Bedürfnisse.

Die technologischen Voraussetzungen alleine reichen daher nicht aus, um einen erfolgreichen Wandel zu vollziehen. Firmen müssen in ihrer Unternehmenskultur die Bedingungen schaffen, unter denen die notwendige Akzeptanz für technische Neuerungen und Weiterentwicklungen vorhanden ist.

Dazu gehört auch, die Mitarbeiter in digitalen Angelegenheiten zu schulen. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Fachkräftemangels besteht darin eine Möglichkeit, IT-Aufgaben nicht nur an Dritte auszulagern, sondern selbst digitale Kompetenzen im eigenen Unternehmen zu erwerben und zu fördern. Neben den technologischen Aspekten gilt es daher, lange Zeit gültige unternehmerische Denkweisen zu durchbrechen und Potenziale für die Industrie 4.0 zu nutzen.