Wir wählen seit längerem Unwörters des Jahres, und diese Idee ist nicht schlecht, auch wenn die Wahlergebnisse nicht immer zu Jubelstürmen Anlass geben (wie in diesem bzw. dem letzten Jahr). Was wir auch wählen sollten, wären die Leerwörter des Jahres, also Wörter, die keine Bedeutung mehr haben, weil jeder sie nach seinem Gusto – also beliebig – benutzt. Ein klassisches Beispiel steckt in “genetisch”, das aus dem 18. Jahrhundert stammt und folglich nicht von Genen abgeleitet sein kann. Ein modernes Beispiel ist das Netz, das früher zum Einkaufen oder Fischen diente oder im Fußballtor zu finden war, während es heute alles und nichts meint – es gibt Netzwerke bei Ameisen und Netzwirtschaft beim Menschen (und noch viel mehr). Wenn das Netz alles meinen soll, fügen wie gerne noch Werke hinzu – Netzwerke werden dann betrachtet. Das ist es, was wir suchen, nämlich das sinnloseste Wort des Jahres.

Kommentare (5)

  1. #1 Stefan
    Januar 26, 2010

    Sie nennen als Beispiel Netz und Netzwerk. Doch keiner der beiden Begriffe kann oder wird willkürlich verwendet. Sie können nur etwas als Netzwerk bezeichnen, wenn es als Abstraktion eine Analogie zu einem Netz ergibt. Was Sie also zu stören scheint, das ist nicht die “beliebige” Verwendung, sondern die häufige und mehrfache Verwendung. Allerdings ist es das mit sehr großem Abstand das Normalste der Welt. Sie werden kaum ein Wort mit nur exakt einer Bedeutung finden. Nun stellt sich natürlich die Frage, was denn eine Bedeutung genau ist. Doch selbst wenn Sie einfach als Kriterium nehmen: nur ein Aufzählungspunkt im Duden, so haben sie noch immer ungeheuer viele Begriffe, die offenkundig mehrdeutig sind. Alleine ihr Vorname “Ernst” hat – je nach Zählweise – 8 oder 10 voneinander unterschiedene Bedeutungen im Duden. Die Bedeutung “Vorname” ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Das “Netzwerk” gibt sich da im Duden mit 5 Bedeutungen geradezu bescheiden. Ist ihr Vorname dadurch nun sinnloser geworden? Ein Unwort gar? Die triviale Wahrheit ist doch viel eher: Mehrdeutigkeit ist vollkommen gewöhnlich. Solange die Verständlichkeit gegeben ist, ist alles in Ordnung. Und sollte die nicht mehr gegeben sein, dann suchen sich die Sprecher einen anderen Weg. So unaufgeregt ist Sprache eigentlich – wenn man sie wissenschaftlich betrachtet.

  2. #2 Christian W
    Januar 27, 2010

    Kein sinnloses Wort – d.h. nicht nur sinnlos – das Netzwerk, sondern zunächst einmal ein Anglizismus im eigentlichen Sinne: Ein aus dem Englischen importiertes und in die deutsche Sprache integriertes, nicht einfach nur 1:1 übernommenes Wort.

    Eine Zeit lang versuchte ich, gelegentlich zu erklären, dass die wörtliche Übersetzung von “network” einfach “Netz” ist und das “Netzwerk” im Deutschen höchstens die Zusammenschaltung (Vernetzung) von elektronischen Bauteilen bezeichnet – was aber mit “Schaltkreis” schon eine viel schönere Bezeichnung hat und im Englischen auch nicht “network” sondern “circuit” heißt. Das stieß jedoch auf Unverständnis, Ignoranz und manchmal auch Ablehnung, so dass ich es aufgab. Sollen doch alle außer ich dumm sterben. 😉

  3. #3 Redfox
    Januar 28, 2010

    @Christian W
    Ich sehe das Verhältnis der Worte
    Netz < -> Netzwerk
    ähnlich wie
    Schuh < -> Schuhwerk

  4. #4 Christian W.
    Januar 28, 2010

    Ist auch nicht unbedingt falsch, als grob vereinfachende Analogie durchaus tauglich:
    Ein Paar Schuhe oder einen Schuh nennt man “Schuhe”/”Schuh”. Eine unscharfe Menge von Schuhen wird “Schuhwerk” genannt. Bei Netzen ist das nur ein klein wenig anders, Netze heißen unabhängig von der Quantität immer “Netze” (vgl. Bahnschienennetze(e), Leitungsnetz(e), Fischernetz(e), usw.) – nur wenn die Form der Vernetzung unklar ist oder wenn es sich eben um einen oder mehrere miteinander vernetzte Schaltkreise (im weitesten Sinne) handelt, kann es auch als “Netzwerk” bezeichnet werden.

    Es bleibt aber immer ein Anglizismus, denn der Zusatz “-werk” hat in der deutschen Sprache eine recht klare und andere Bedeutung. Siehe dazu auch beim deutschen Sprachpedanten vom Dienst:

    Bei Zusammensetzungen mit “-werk” im Sinne von “Arbeit”, “Schaffen” erfüllt das Bestimmungswort die Funktion, das Werk genauer zu beschreiben. “Backwerk” ist das Werk des Bäckers, “Feuerwerk” das Werk des Feuers, “Tagewerk” die Arbeit eines Tages und Handwerk das Werk der Hände. Demzufolge müsste ein “Netzwerk” das Werk eines Netzes sein, es ist aber das Netz das Werk eines Knüpfers oder Flechters. Es wäre genauso falsch, plötzlich von “Brotwerk” statt von “Backwerk” zu sprechen. Netz und Brot sind das Ergebnis, nicht aber die Zutaten oder Urheber eines Werks.

    “Schuhwerk” ist demnach das Werk des Schusters. Okay, auch schon ein Grenzfall, müsste eigentlich “Schusterwerk” oder “Lederwerk” heißen. Aber da kann man sich mit einem Trick abhelfen: Sagen wir “Laufschuhe”. Dann ist das Ergebnis Laufschuhe und das Werk “Schuhwerk” und nicht “Laufwerk”. 😉

  5. #5 Spannend
    Februar 1, 2010

    Ich stolper andauernd über das Adjektiv “spannend”, jeder Pups ist heute – mangels eines passenden Adjektivs – spannend: im Radio, in den Blogs und in deren Kommentaren, in den Printmedien, in Diskussionen… spannend, spannend, spannend…
    Das ist wohl sowas wie “dufte” während meiner Westberliner Kindheit, oder “schnaffte” in gleicher Zeit in der DDR, oder “cool” vor etwa 10 Jahren, oder “geil” vor fünf …